Nicaragua: vorwärts in die lateinamerikanische Alternative oder zurück in ein autoritäres Regime? - Diskussionsveranstaltung mit William Grisgby

Dienstag, 5. Mai 2009

Nicaragua: vorwärts in die lateinamerikanische Alternative oder zurück in ein autoritäres Regime?
Mit William Grisgby, von Radio La Primerísima

William Grigsby ist eine der bekanntesten linken Stimmen Nicaraguas. Jahrelang ein scharfer Kritiker der sandinistischen Partei FSLN, verteidigt er heute nicht minder dezidiert die die sandinistische Regierung. Ihre Darstellung als stockkonservative, gar diktatoriale Kraft werde von Organisation in Nicaragua betrieben, die dafür oft von den Botschaften der imperialistischen Ländern Geld erhielten. Auch die Schweiz spiele in Sachen Einmischung eine trübe Rolle.
Für das Kollektiv des Radios La Primerísima, eines der meistgehörten Sender im Land und Plattform für die sozialen Bewegungen, treibt der FSLN reale soziale Reformen voran. International setzt Nicaragua auf die lateinamerikanische Alternative ALBA. Dies ist in Zeiten der globalen Krise die grosse Hoffnung für das Land.

Veranstaltungen:

Zürich
Freitag, 29. Mai 2009, 19:30
Infoladen Kasama / Militärstr. 87 a (im Hinterhof, neben Radio LoRa)
Organisiert von Zentralamerika-Sekretariat

Genf
Montag, 25. Mai 2009, 19h
Maison des Associations / Rue des Savoises 15
Organisiert von Association Nicaragua-El Salvador

Biel
Mittwoch, 27. Mai, 2009 19:30
Restaurant Romand / Parkweg 10
Organisiert von Städtepartnerschaft Biel – San Marcos

Delémont
Donnerstag, 28. Mai 2009, abends
Lokal und Termin noch nicht festgelegt. Bitte lokale Presse beachten oder Jean Parrat, jjparrat@bluewin.ch, kontaktieren.
Organisiert von Jumelage Delémont- La Trinidad

Correos 157 vom 27. April 2009 - Inhaltsverzeichnis

Auf dem Correos-Blog finden sich Auszüge aus der Papierversion des Correos.
Der vollständigen Correos de las Américas kann im Abo -allein oder in der Mitgliedschaft des Unterstützungsvereins für das Zentralamerika-Sekretariat inbegriffen- bezogen werden.

INHALTSVERZEICHNIS Correos 157 vom 27. April 2009

El Salvador - Wahl-Special

Die Wahlen der Veränderung
Die Wahlen in El Salvador fanden auf Gemeinde- und Parlamentsebene am 18. Januar und auf Präsidentschaftsebene am 15. März statt. Das Ergebnis ist historisch. Das Zentralamerika-Sekretariat organisierte eine grosse Wahlbeobachtungsdelegation. In unserem Wahl-Special zuerst zwei Auszüge aus Berichten auf unserer Blogseite vom Januar und von vor den Märzwahlen. Anschliessend zwei Berichte nach dem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen, ergänzt von einer Analyse zu den Perspektiven für die neue Regierung und ein paar Kurzbemerkungen zur Beobachtungsarbeit.
http://zas-wahlen.blogspot.com/

Vor der Wahl
Am Tag vor der Märzwahl - Anspannung, Betrugsszenarien und neue Töne von der US-Botschaft. Ein mit Betrug verhinderter Wahlsieg des FMLN kann dramatische Folgen haben.
http://zas-wahlen.blogspot.com/

Ein Sieg des Volkes - Notizen eines Wahlbeobachters
17 Jahre nach den Friedensabkommen von 1992 hat der FMLN in El Salvador das Präsidentenamt gewonnen. Das Volk hat am 15. März den moderaten Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes und den für die Vizepräsidentschaft kandidierenden früheren Guerillakommandanten Salvador Sánchez Cerén mit 51,3 Prozent der Stimmen gewählt. Erstmals seit zwanzig Jahren stellt nicht mehr die rechtsextreme ARENA die Regierung, El Salvador reiht sich damit ein in die links regierten Länder Lateinamerikas. Um den zu erwartenden Wahlbetrug verhindern zu helfen, waren über 3000 internationale WahlbeobachterInnen vor Ort,aAus der Schweiz beobachtete eine vom Zentralamerika-Sekretariat ZAS organisierte Delegation die Wahlen. Ein Mitglied berichtet.
Reto Plattner

Einen Moment im Glück
Der Sieg des FMLN am 15. März ist kein Anlass für Leichtsinn, die anstehenden Probleme sind gewaltig. Doch es hat sich etwas Fundamentales an der Möglichkeit geändert, sie anzugehen. Der gewählte Präsident befleissigt sich zwar eines schon fast traditionellen Politdiskurses, doch wichtiger ist die Dynamik im Volk. Dass zum ersten Mal im Kontinent eine ehemalige Guerilla die Wahlen gewinnt (Nicaragua ist ein Sonderfall), weckt Ahnungen von Gerechtigkeit.
Dieter Drüssel

Was bringt der Wahlsieg des FMLN und was nicht?
Der Autor fasst wenige Tage nach dem Sieg des FMLN einige Punkte zusammen, wie sie in der salvadorianischen Linken diskutiert werden.
Augusto Sención Villalona
auch auf zas-correos.blogspot.com

Uruguay
Steuerparadies versus Werkplatz

Bankgeheimnis hier, Bankgeheimnis in der „Schweiz Lateinamerikas“ – das gleiche böse, chauvinistische Zischen zu seiner Verteidigung.
Raúl Zibechi
auch auf zas-correos.blogspot.com

Mexiko
Aufstandsbekämpfung und „Drogenkrieg“ in Guerrero

Der südmexikanische Bundesstaat Guerrero ist ein Ort voller krasser Gegensätze. Im Hinterland des glamourösen Badeorts Acapulco wird der soziale Protest der verarmten Bevölkerung auf brutale Art und Weise kriminalisiert. Diese Brutalität setzt neue Maßstäbe für Mexiko und weltweit. Die letzten Monate zeigen eine dramatische Entwicklung im „Guerrero bronco“, dem „wilden Guerrero“. Auch der Verteilungskampf der verschiedenen Drogenmafias spielt dabei ein Rolle.Philipp Gerber

So weit weg von Gott, so nah von den USA
Der immer offener zum Debakel werdende Drogenkrieg als Versuch der USA, das Dopebusiness nicht zu verlieren. Die Linke ist gefordert, gegen Mafia und Kapitalismus Alternativen zu erkämpfen. Erste Ansätze gibt es.
Direkte Solidarität mit Chiapas

Guatemala
Das Recht zu wissen

Die Erforschung von Geheimarchiven der Polizei ermöglicht heute das partielle Aufdecken von Kriegsverbrechen in den vergangenen Jahrzehnten. Doch gleichzeitig wird eine prominente Menschnrechtlerin entführt und gefoltert.
Barbara Müller

Paraguay
Katerstimmung in Paraguay

Wandelt sich das Bild des ehemaligen Hoffnungsträgers rasch in das des professionellen Heuchlers? Staatspräsident Lugo greift die Sozialbewegungen an und trifft auf Wohlgefallen in der US-Botschaft.
Reto Sonderegger

Bolivien
Die grosse Lektion

Wie gestaltet sich eine Revolution in der Demokratie? Was brauchen ihre ProtagonistInnen? Welche Chancen hat eine Rechte, die kein Projekt hat, dafür um so mehr auf eine Strategie der Angst setzt?
Mario Rodríguez
auch auf zas-correos.blogspot.com

El Salvador - Wahlresultate seit 1994

Quellen: Wahlen 2009: Homepage TSE; frühere Wahlen: ZAS-Unterlagen

Anmerkung: Unter „Andere“ sind 2009 die Parteiein PCN, PDC, CD und FDR gemeint. Der FDR war verschwindend klein und der CD schaffte gerade noch einen Abgeordnetensitz. Wichtiger sind der PDC und insbesondere der PCN, der sich sowohl bei den Kommunal- wie bei den Parlamentswahlen erneut als dritte Kraft etablieren konnte.

Die grosse Lektion. von Mario Rodríguez

Die grosse Lektion

Wie gestaltet sich eine Revolution in der Demokratie? Was brauchen ihre ProtagonistInnen? Welche Chancen hat eine Rechte, die kein Projekt hat, dafür um so mehr auf eine Strategie der Angst setzt?

Mario Rodríguez*

(18.4.09) Zwei Wahlmeilensteine markieren das Jahr 2009, sein erster und sein letzter Monat. Am 25. fand die Abstimmung über die neue Verfassung statt und am 6. Dezember wird es zu Präsidentschaftswahlen und zur Wahl von SenatorInnen und Abgeordneten für das Plurinationale Parlament kommen. Zwischen den beiden Meilensteinen kommt eine demokratische und kulturelle Revolution langsam in Richtung eines Landes voran, das gerechter, einschliessender, differenter und ausgeglichener sein wird.

Die bolivianische Transition und ihre Phasen

Wir können den bisherigen Transitionsprozess in zwei Phasen unterteilen:

1. Die erste Phase machte die Krise des Staates sichtbar, der im Ökonomischen neoliberal, im Politischen neokonservativ und in all seinen Strukturen kolonial ist. Diese Phase wurde mit dem so genannten „Wasserkrieg“ von 2000 evident mit sienen Blockaden der Nationalstrassen durch die BäuerInnen und die Cocaleros. Sie wurden zum Zünder für den Transitionsprozess, der im Februar und im Oktober 2003 seinen stärksten Ausdruck fand. Es kam zur Polarisierung zwischen jenen, die auf kleine Reformen am alten Staat setzten und jenen, die tiefer greifende Veränderungen anstrebten. Der Wahlsieg des Movimiento al Socialismo (MAS) und von Evo Morales mit 54 Prozent der Stimmen im Dezember 2005 beendete diese erste Phase.

2. Die zweite Phase begann mit dem Amtsantritt von Evo Morales und ist durch den Beginn des Veränderungsprozesses und den Versuch charakterisiert, diesen auf Dauer anzulegen. Die Annahme der Neuen Politischen Verfassung des Staates (spanisches Kürzel: NCPE) beendet diese Phase, denn sie garantiert auf legalem Weg die strukturellen und institutionellen Modifikationen, welche das Land braucht, damit der Veränderungsprozess nicht bloss dem Willen einer Regierung entspreche, sondern den langfristigen legalen und konstitutionellen Rahmen abgebe.

Das Verfassungsreferendum wurde möglich als Ergebnis des Sieges des sozialen Blocks für die Veränderung in den schmerzhaften Kampftagen von August und September 2008. Erinnern wir uns, dass der CONALDE (Zusammenschluss der Präfekten von fünf Departementen und der dortigen berufsständigen Comités Cívicos) damals eine gewalttätige Offensive lanciert hatte in der Hoffnung, die Regierung unterminiere mit Repression ihr internationales Ansehen. Es kam damals zur Besetzung staatlicher Einrichtungen, zu Anschlägen auf Persönlichkeiten des MAS und der sozialen Bewegungen, zu Versuchen, den Gasodukt nach Argentinien zu sprengen, zu Angriffen auf die Büros von Volksorganisationen und zuletzt zum Massaker an fast zwanzig Bäuerinnen und Bauern im Department Pando unter Führung des damaligen Präfekten Leopoldo Fernández.
Die Regierung antwortete nicht mit Repression und den Ausnahmezustand über Pando verhängte sie erst nach dem heimtückischen Massaker. Die sozialen Bewegungen bewiesen eine ausserordentliche politische Reife und Mobilisierungskapazität ohne Notwendigkeit, sich direkt mit den organisierten Gruppen der Rechten zu konfrontieren.
Die selbstmörderische Strategie des CONALDE wurde besiegt. Aus den traurigen Tagen des Septembers kam der Veränderungsprozess gestärkt hervor. Sein Impuls ermöglichte im Oktober den Dialog mit dem Oppositionsblock, um einen Konsens zu Veränderungen an dem von der Konstituente erarbeiteten Vorschlag für die neue Verfassung und deren Vorlage vor das Volk zu finden. Dabei zeigte sich erneut der Willen des CONALDE, den Veränderungsprozess unter Benutzung jeglicher Finte zu blockieren.
Doch der CONALDE hatte an Kraft verloren und der Oppositionsblock zeigte Spaltungserscheinungen. Einer seiner Präfekten, Leopoldo Fernández, sass wegen des Massakers von Pando im Gefängnis; im Kongress suchten einige Oppositionelle die Verständigung mit der Regierung; in den Comités Cívicos kam es zu internen Disputen. Das war die Rechnung für die misslungene und gewalttätige Strategie vom August und September.
Der CONALDE zog sich von den Verhandlungen zurück, doch die Regierung konnte die Unterstützung der Föderation der Gemeindeassoziationen von Bolivien gewinnen. Eben so war ein wichtiger Block oppositioneller Kongressabgeordneter verhandlungsbereit. Das Resultat: eine Anpassung des vorgeschlagenen Verfassungstextes und der Beschluss, über das Referendum am 25. Januar abstimmen zu lassen.

Neuer Sieg mit dem Verfassungsreferendum

Der CONALDE sammelte seine Kräfte und lancierte eine harte Kampagnen gegen die die neue Verfassung (NCPE). Die Manipulationen waren gewaltig, so tönte es „Die NCPE vertreibt Gott aus dem Land“. Worum es ging: Der Staat sollte offiziell nicht mehr katholisch, sondern laizistisch sein und alle Religionen respektieren. Oder: „Die NCPE diskriminiert Städter und Nicht-Indigenas“ – gemeint, dass wir endlich unsere Plurinationalität akzeptieren und das Recht der indigenen Völker auf Differenz in Gleichheit mit den anderen BürgerInnen anerkennen. Oder: „Die NCPE fördert die Abtreibung“, gemeint die Garantierung der sexuellen und reproduktiven Rechte, etc. Ich musste sogar auf dem Höhepunkt der von Haus zu Haus betriebenen Kampagne Stimmen aus dem Volk vernehmen, die ans Absurde grenzten: „Sie sagen, sie nehmen uns unsere Kinder weg, wenn sie zwölf sind und die Regierung wird entscheiden, ob sie studieren oder arbeiten gehen“, oder auch: „Es heisst, sie werden die Kirchen schliessen und man darf nicht mehr an Gott glauben“.
Der radikale Oppositionsblock zählte auf die Unterstützung einiger konservativer Sektoren der katholischen Kirche unter der Führung des Kardinals Terrazas, der ursprünglich von der Befreiungstheologie herkam, sowie einiger radikaler evangelischer Sekten, deren Hauptslogan war: „Wähle Gott, stimm nein!“. Selbstverständlich schlossen sich die konservativen Unternehmermedien, also die grosse Mehrzahl, diesem Kreuzzug an.
Dennoch kann der Sieg des Veränderungsblocks nicht in Frage gestellt werden. 61.43 Prozent stimmten für die neue Verfassung; eben so wie die Mehrheit in fünf der neun Departmente (La Paz, Oruro, Potosí, Cochabamba und Chuquisaca). Das neue Bolivien erhielt seine Geburtsurkunde als „einheitlicher sozialer Staat mit Kommunitärem Plurinationalem Recht, frei, unabhängig, souverän, demokratisch, interkulturell, dezentralisiert und mit Autonomien“. Wir gehen offiziell vom kolonialen zum plurinationalen Staat über.
Die Opposition versuchte, das Resultat als Schwächungszeichen des Veränderungsprozess darzustellen – beim Abberufungsreferendum vom 10. August 2008 hatte Evo Morales mehr als 67 Prozent der Stimmen erhalten. Dessen ungeachtet bewies der Veränderungsprozess mit dieser bemerkenswerten und klar mehrheitlichen Unterstützung seine Stärke. Jene feierten den Sieg, die sich im eigenen Haus nur als geduldet vorkamen, die seit fünfhundert Jahren Ausgeschlossenen. Dennoch dürfen wir nicht übersehen, dass es der Opposition gelang, eine wichtige Stimmenzahl in den städtischen Zentren zu erlangen. Das mindert nicht die Legitimität des Triumphs, aber bedeutet eine Herausforderung für die demokratische Kulturrevolution. Umgekehrt verlor die radikale Opposition auch organische Unterstützung, da sich Sektoren der traditionellen Rechtsparteien, Gemeinden und Berufsvereinigungen von der Strategie der Konfrontation und der Gewalt abgewandt und sogar eine Kampagne für die NCPE gemacht haben. Dies eröffnet neuen, förderlichen Verhandlungsspielraum.
Die NCPE wurde am 7. Februar in der Stadt El Alto in einem Massenakt in Kraft gesetzt. Hier fehlt der Raum, näher auf sie einzugehen. Es soll aber gesagt werden, dass sie bei allen Widersprüchen und Limiten die Fortschritte in Sachen sozialer Einbezug, Gerechtigkeit, soziale Gleichheit, Partizipation und Schutz der Güter des Staates und der Natur ausdrückt.

Die Autonomien: von der Elitenparole zum Veränderungsprozess

Angesichts Mangels eines eigenen Projekts für das Land bauten sich die konservativen Eliten eine Basis unter dem Slogan der Departementsautonomie und gegen den traditionellen Zentralismus auf. Im Jahr 2008 kam es zu den grössten Offensiven mit den in vier Departementen von der Rechten organisierten und manipulierten Referenden zum Thema „Autonomie“. Doch die dabei an den Tag gelegte vermeintliche Stärke entpuppte sich als Schwäche: Es gelang ihnen nicht, auch nur einen einzigen Schritt dieser Autonomie umzusetzen.
Die Regierung und der Block für die demokratische kulturelle Revolution haben die Lektion gelernt. Von einer fehlgeleiteten Opposition gegen die Autonomie in einer ersten Phase gingen sie dazu über, die Forderung in der neuen Verfassung aufzunehmen und auszuweiten. So wurden vier autonome Regimes vorgeschlagen, welche die Dezentralisierung der Macht und der staatlichen Verwaltung positiv radikalisieren: auf der Ebene des Departements, der Gemeinde, der Region und der Indígenas. Mit der Annahme der NCPE erlangte diese Initiative Rechtskraft. Es kam zur Gründung des Nationalen Autonomierates, um die Gesetze der Verfassung anzupassen. Der CONALDE betrieb im Rat weiter seine Boykottpolitik. Doch der Einbezug der Föderation der Gemeindeassoziationen, von Universitäten aus Regionen mit grossem Gewicht der Opposition, von Sektoren der parlamentarischen Rechten, ganzen Regionen innerhalb von Departementen wie Tarija und zahlreichen regionalen Institutionen machte deutlich, dass es den Eliten nicht um Autonomie geht, sondern um einen Vorwand, um den Veränderungsprozess zu sabotieren. Der Rat hat an Legitimität gewonnen und der Oppositionsblock zeigt immer mehr Spaltungserscheinungen.
Am 6. Dezember wird auch in fünf Departementen darüber abgestimmt, ob sie ihre Autonomie wollen und im Chaco von Tarija wird es um die Etablierung der ersten autonomen Region gehen. Die indigenen Völker schreiten voran in Sachen Kartographierung ihrer Territorien und Umsetzungsnormen für ihre Autonomie. Der Prozess wird im April 2010 enden, wenn die Präfekturen, autonomen Departementsräte und Gemeinderegierung gewählt werden. Die Regierungen der autonomen indigenen Territorien werden nach Sitte und Gebrauch der jeweiligen Kultur gewählt.

Widersprüche und Schwächen

Nach dem Verfassungsreferendum wurde die Korruption in Regierungskreisen zum Thema, insbesondere bei der staatlichen Ölgesellschaft YPFB; in diesem Zusammenhang kam ein hoher MAS-Vertreter, Santos Ramírez, ins Gefängnis. Mit diesem und anderen Vorfällen versuchten die konservativen Medien zu beweisen, dass die Regierung gleich wie ihre Vorgängerinnen sei, um so die Unterstützung für den Wechsel zu unterminieren.
Zu berücksichtigen ist auch, dass die rechten Parteien im Senat die Mehrheit haben und so oft Gesetzesinitiativen blockieren können. Deshalb war die Regierung oft zu Verhandlungen gezwungen und musste die Ansprüche herunterschrauben. Zuweilen, so etwa bei der Bereinigung einiger Artikel der Verfassung im Kongress oder beim transitorischen Wahlgesetz, zu dem wir gleich kommen, finden die sozialen Bewegungen, dass man dem Druck der Opposition zu sehr nachgegeben hat. Dies sorgt für Kritik und Debatten im Block für die Veränderung. Durch diese Faktoren werden Widersprüche und Limiten des Veränderungsprozesses sichtbar. Gleichzeitig kommt es aber auch zu fundamentalen Lernprozessen, wie Revolutionen in der Demokratie zustande kommen.
Die grosse Lektion besteht in der Geduld der Volkssektoren, die wissen, dass die Veränderungen weder von heute auf morgen stattfinden noch dekretiert werden können. Die Veränderungen wurzeln im Alltag, in den Beziehungen und Mentalitäten, in den Modifikationen der institutionellen „Kulturen“ in einem Land, das seine koloniale Vergangenheit nach und nach ablegt, um etwas anderes zu sein. Die Normalität von Ausschluss und Ungerechtigkeit, von schlechter Behandlung und Korruption – jahrhundertealte Konstanten für den bolivianischen Staat – werden nicht an einem Tag abgeschafft. Es geht nicht darum, sich mit dem Gegebenen konformistisch abzufinden, es geht darum, radikal in Sachen Veränderungshorizont und gleichzeitig tief geduldig zu sein. Denn das koloniale und neoliberale System ist tief in den Institutionen und Personen verankert. Es zu dekonstruieren, bedarf eines geduldigen Prozesses der Entkolonialisierung.
Die Geduld bedingt auch das Wissen um die Existenz von Momenten, wo es kein Vorankommen gibt und Verhandlungen Rückschritte mit sich bringen. Wissen auch darum, dass politische Operateure des MAS und der Regierung nichts zur Vertiefung des Fortschrittes beitragen, dass einige soziale Bewegungen ihre Rolle der sozialen Kontrolle der staatlichen Verwaltung geschwächt haben, dass es innerhalb des Blocks für die Veränderungen Auseinandersetzungen und Tendenzen gibt. Dennoch gibt es erwiesenermassen eine sehr grosse Klarheit darüber, dass der Veränderungsprozess über Personen und Parteien hinaus eine Sache des kollektiven Willens der Mehrheit des Landes ist. Debatten und Widersprüche werden angenommen, aber der Veränderungsblock zeigt eine sehr grosse organisatorische Stärke und Reife, angeführt von den indigenen Völkern.
Es gibt Fortschritte im Kampf gegen die Korruption. Tatsachen, wie dass Ramírez im Gefängnis ist oder die Schaffung eines Ministeriums für Transparenz, zeigen das. Die Leute wissen, dass sich ein derart mit der staatlichen Struktur verbundener Fakt nicht über Nacht auflöst. Sie haben Geduld, wenn sie sehen, dass die Verwaltung dagegen vorgeht. Sie sehen das und deswegen geht ihre Unterstützung weiter.

Die Wahlen vom 6. Dezember

In den vergangenen Wochen kam es bei der Verabschiedung des transitorischen Wahlgesetzes erneut zu harten Verhandlungen mit der Opposition im Kongress. Erneut versuchte die Opposition, jegliche Übereinkunft zu blockieren. Dieses Mal war der Vorwand, das Wahlregister sei nicht vertrauenswürdig, obwohl SIEBEN unabhängige internationale Kommissionen, darunter der EU und der OAS, das Gegenteil gesagt haben. Die Kommission Lateinamerikanischer Wahlexperten (CEEL) sprach dem Register eine Vertrauenswürdigkeit von 97.6 Prozent zu, weit über den Mindeststandards.
Die Regierung gab schliesslich nach. Es wird nur 7 statt der geforderten 14 Sitze für die minoritären indigenen Völker geben, es kommt zu einem neuen biometrischen Register und die uninominalen Wahlkreise werden nicht erweitert. Die Opposition konnte also jene Territorien ein wenig reduzieren, in denen sie sicher verliert (direkte indigene Sitze und uninominale Wahlkreise). Uninominal bedeutet, die Abgeordneten werden im Wahlkreis direkt gewählt, plurinominal, die Stimmen gehen für die PräsidentschaftskandidatInnen bzw. deren Parteien und proportional dazu gibt es Abgeordnetensitze. Aber dafür gelang es, die Einberufung zu den Wahlen am 6. Dezember durchzusetzen. Damit kommt dem aktuellen nationalen Kongress keine Bedeutung mehr zu. Die nötigen Reformen, um die Gesetze in Einklang mit der Verfassung zu bringen, werden vom künftigen Plurinationalen Parlament in Angriff genommen werden.
Die Opposition betreibt schon ihre Kampagne, angeführt vom Kardinal Terrazas und den rechten Präfekten. Aber wichtige Sektoren der katholischen und einiger evangelischen Kirchen unterstützen den Veränderungsprozess, zudem sieht sich der Präfekt von Tarija in seinem Department zunehmend isoliert und mit schweren Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Die Rechte sucht jetzt Kandidaturen, von Figuren früherer neoliberaler Regierungen bis zu vielen Indígenas. Doch bis anhin scheint keiner der genannten Kandidaten über die Statur zu verfügen, um es mit Evo Morales aufzunehmen.
Wichtiger aber: Es zeigt sich, dass dem Oppositionsblock ein grosser Vorschlag für das Land fehlt. Deshalb versucht er, die Unterstützung für die Regierung zu erodieren, um sich als einzige Alternative zu einem Konflikt zu empfehlen. Mehr als über Vorschläge hofft er, über eine Angst der Bevölkerung vor einem lang anhaltenden Konflikt Stimmen zu gewinnen. Seine Wahlstrategie ist klar: ExponentInnen der Regierung möglichst mit Korruption in Verbindung bringen, die Angst der städtischen Sektoren in Sachen Religion oder Hausbesitz anheizen und trotz der Regierungskonzessionen beim neuen Wahlregister die Verlässlichkeit der Wahlen anschwärzen. Es geht den Rechten darum ein Klima der Angst zu schaffen, in dem eine Wiederwahl von Evo Morales gleichbedeutend mit Verlängerung des Konflikts sein soll. Zudem „beten“ sie darum dass die Weltwirtschaftskrise das Land überrolle, um alle Finanzübel der Welt der Regierung anzulasten.
Umgekehrt stehen Regierung und Sozialbewegungen vor der Aufgabe, ihre majoritär Basis zu konsolidieren, bei jeglichen Hinweis von Korruption energisch vorzugehen, die im Einklang mit der Verfassung stehenden Veränderungen energisch, aber auch geduldig anzugehen, die Verwaltungstätigkeit zu verbessern und die Sozialleistungen auszuweiten und schliesslich mit Sektoren der Gesellschaft, die bis anhin negativ zur demokratischen und kulturellen Revolution eingestellt waren, Verständigungsbasen zu finden. Zur Zeit scheint die Wiederwahl von Evo Morales nächsten Dezember gesichert. Es geht aber darum, im Plurinationalen Parlament eine bessere Vertretung als im aktuellen zu erreichen und im April 2010 mehr Departmentsregierungen zu gewinnen.
Wenn die vielfältigen Sektoren und Kräfte, die den Veränderungsprozess unterstützen, weiter die bis jetzt gezeigte politische Reife an den Tag legen, können wir davon träumen, dass wir im Dezember das Jahr mit einem weiteren Sieg abschliessen.

* Der Autor arbeitet in Bolivien und in der Schweiz. Er ist in Bern Mitglied der bolivianischen Kulturgruppe Arbol.

Was bringt der Wahlsieg des FMLN und was nicht? von Augusto Sención Villalona

Was bringt der Wahlsieg des FMLN und was nicht?

Der Autor fasst wenige Tage nach dem Sieg des FMLN einige Punkte zusammen, wie sie in der salvadorianischen Linken diskutiert werden.

Augusto Sención Villalona*

(25.3.09) Der Triumph des FMLN bedeutet einen weiteren Fortschritt für die revolutionären und progressiven Kräfte Lateinamerikas. Für die neue Regierung der USA handelt es sich um eine erste Niederlage, da sie den Rückschlag für die in der Partei ARENA organisierte Ultrarechte nicht vermeiden konnte.

Der Sieg des FMLN verdankt sich dem Zusammenkommen zweier grundsätzlicher Faktoren: dem Entschluss der Volksmehrheit, ARENA zu stürzen, und der Schwäche der US-Regierung, deren Hegemonie in der Welt und besonders in Lateinamerika zurückgeht. Die salvadorianische Rechte – betrügerisch und repressiv – fürchtete das Volk und isolierte sich in Lateinamerika, wo der FMLN von den meisten Regierungen unterstützt wird, darunter auch von vielen liberalen Rechten.

Der Sieg des FMLN gewinnt an Bedeutung, wenn man einbezieht, dass diese Partei ein auf Betrug angelegtes Wahlsystem besiegte. Die Rechte dominiert das Wahlgericht und das (direkt der Regierung unterstellte) EinwohnerInnenregister; sie weigert sich, die Wahlzentren näher an die Wohngegenden der WählerInnen heranzubringen und stattet ausländische Personen mit Wahlausweisen aus. So hat der FMLN offiziell mit 2.6 Prozent Vorsprung gewonnen, doch die politische Wahrheit ist anders, da 60 Prozent der Wählenden diese Partei unterstützen. Der ARENA-Betrug reduzierte die Marge.

Institutionelle Kräfteverhältnisse

Für die Charakterisierung der neuen Regierung, die am 1. Juni ihr Amt antreten wird, ist zu berücksichtigen, dass man jetzt zwar die Exekutive gewonnen hat, die Rechte aber in den anderen Staatsgewalten die Vorherrschaft behält. Im Parlament hat der FMLN 35 von 84 Sitzen, im Gegensatz zu den insgesamt 47 Sitzen der rechten Parteien (ARENA 32, PCN 10, PDC 5). Eine mit dem FMLN alliierte Partei hat einen Sitz und der PCN hat einen gewählten Parlamentarier ausgeschlossen. Von den 15 MagistratInnen des Obersten Gerichts sind 12 von den Rechten. Demnächst wird das rechts dominierte Parlament 5 neue RichterInnen wählen. Obwohl es für eine solche Wahl 56 Stimmen braucht, ist die Rechte im Vorteil: Sie kann notfalls jede Wahl sabotieren und so eine Justizkrise heraufbeschwören, die das Image der neuen Regierung schädigt. [A.d.R.: Das Parlament muss die 5 neuen RichterInnen aus 2 je 15 Vorschläge enthaltenden Listen küren, deren eine in geheimer Wahl von den RechtsanwältInnen und deren andere vom Nationalen Rat für das Richteramt, Consejo Nacional de Judicatura, bestimmt wurden. Den CNJ bestallen VertreterInnen der diversen RichterInnenstufen und RechtsanwältInnen inkl. JuraprofessoreInnen; ihm obliegt die Ausrichtung der richterlichen Laufbahn und eben das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Gerichte. Die Mehrheit der so gekürten KandidatInnen sind nicht ARENA zuzurechnen].

In dem mit fünf MagistratInnen bestückten Obersten Wahlgericht (TSE) wird die Rechte weiterhin drei behalten, denn die Wahl geht so: Drei werden von den drei stimmenstärksten Parteien vorgeschlagen (FMLN, ARENA und PCN) und zwei werden aus einer vom Obersten Gericht vorgelegten Liste vom Parlament gewählt. Einer dieser beiden wird ein Rechter sein. [A.d.R.: Der FMLN vertritt die Position, dass der PCN sich selber für das TSE disqualifiziert hatte, als er sich wie der PDC zugunsten von ARENA von der Präsidentschaftswahl zurückzog. Der Frente schlägt alternativ vor, eine fachlich qualifizierte Person aus dem „zivilen Bereich“ zu wählen. Art. 59 des Wahlgesetzes schreibt vor, dass die VertreterInnen der Parteien von jenen drei Parteien stammen, „die an den letzten Präsidentschaftswahlen am meisten Stimmen erzielt haben“.] Auch der Rechnungshof, der die öffentliche Korruption untersuchen soll, könnte weiter von den Rechten kontrolliert werden, da seine Führung vom Parlament gewählt wird.
Dies bedeutet, dass der FMLN und Präsident Mauricio Funes nur auf den Gebieten wirksam werden können, die von der Exekutive abhängen. Es ist sehr wichtig, sich dies zu vergegenwärtigen, denn schon ertönen ultralinke Stimmen im In- und Ausland, die von der Partei und vom gewählten Präsidenten verlangen, das zu tun, was sie nicht tun können. Man muss sich sehr klar darüber sein, dass die Regierung des FMLN nicht an der Verfassung vorbei regieren wird. Sie kommt ja auch nicht aus einem bewaffneten Kampf, der den alten Staat zerstört hätte.

Kröten schlucken

Die von Mauricio Funes geleitete Regierung wird einen wichtigen Teil des FMLN-Regierungsprogramms umsetzen, den nämlich, der von der Exekutive abhängig ist. Massnahmen, die von anderen Staatsorganen abhängen, werden nicht umgesetzt werden können. Nennen wir einige davon:

1) Die Steuerstruktur modifizieren, insbesondere eine grössere Belastung der Unternehmergewinne; die steuerfreien Lohnbeträge anheben; Zölle für gewisse Luxusimporte erhöhen und einige Regelungen abschaffen, welche die Steuerhinterziehung begünstigen. In Steuerbelangen entscheidet das Parlament mit der einfachen Mehrheit von 43 Stimmen, welche der FMLN nicht hat.

2) Einige Privatisierungen revidieren. Weder das Parlament noch der Justizapparat werden so etwas begünstigen.

3) Das 1993 von Staatspräsident Alfredo Cristiani (ARENA) abgesegnete Amnestiegesetz abschaffen. Das Gesetz wurde zum Schutz von Mitgliedern der Streitkräfte und von ARENA geschaffen, die von der mit den Friedensabkommen geschaffenen Wahrheitskommission als Täter signalisiert worden waren. [A.d.R.: Menschenrechtsgruppen verweisen aber auf andere justizielle Mittel, um unter einer fortschrittlichen Regierung Kriegsverbrecher belangen zu können.]

4) Andere Massnahmen wie die Umkehrung der Dollarisierung oder die Annullierung des Freihandelsvertrages mit den USA wurden weder vom FMLN im Regierungsprogramm vorgeschlagen noch wären sie durchführbar. Die „Entdollarisierung“ würde die Annahme eines Gesetzes implizieren, welche die Zentralbank zur Herausgabe einer eigenen Währung ermächtigen und die Privatbanken dazu zwingen würde, ihre Dollars der Zentralbank zu überweisen. Dieses Gesetz bedarf im Parlament 43 Stimmen. Der Freihandelsvertrag kann nur im gemeinsamen Einverständnis der Regierungen der USA und von El Salvador annulliert oder modifiziert werden.

Aber manches ist machbar

Nachdem wir einige der Limiten der neuen Regierung benannt haben, wenden wir uns jetzt dem zu, was sie machen kann – und das ist nicht wenig:

1) Die Steuerflucht kontrollieren. Das Grosskapital betreibt sie im Wert von ungefähr $2 Milliarden pro Jahr, was 60 Prozent des Budgets entspricht. Würde die Regierung dabei Erfolg haben, könnte sie ihre Einnahmen beträchtlich erhöhen. Vermutlich wird sie einen Steuerpakt mit den Grossunternehmern anstreben, doch es ist wenig wahrscheinlich, dass diese darin einwilligen, einen beträchtlichen Teil ihrer Schuldigkeit zu bezahlen. Deshalb sollten sich die Steuerpakt-Verhandlungen zum Szenarium eines nationalen Kampfes um das Thema Steuerflucht transformieren. Das Volk muss darauf drängen, dass die hinterzogenen Beträge öffentlich werden und die Unternehmer ihren gesetzlich vorgeschriebenen Beitrag zahlen. Der kommt ohnehin hauptsächlich aus indirekten Steuern, die sie dem Volk auferlegen [A.d.R.: Die Mehrwertsteuern werden beim Verkauf eingezogen, aber nicht an den Staat abgeliefert.]

2) Einige Preise und Tarife von Grundgütern und -leistungen kontrollieren.

3) Die Löhne im staatlichen und privaten Sektor erhöhen.

4) Mit einem Teil der Mehreinnahmen einige Basisdienstleistungen subventionieren.

5) Einen Teil des nationalen Budgets in den staatlichen Banken anlegen und die Agrarförderungsbank BFA in eine Entwicklungsbank wandeln, welche der kleinen bäuerischen – individuellen oder kooperativen – Produktion und den städtischen Mikro- und Kleinunternehmen Kredite garantiert. Auch die Einlagen der FMLN-Gemeindeverwaltungen, der sozialen Organisationen und der Bevölkerung, welche die Regierung unterstützt, müssen in die staatliche Bank kanalisiert werden. [A.d.R.: Während alle Privatbanken in ausländische Hände übergegangen sind, gibt es noch zwei kleine Staatsbanken, neben dem theoretisch auf Agrarfragen spezialisierten BFA noch den Banco Hipotecario. Beide sind aufgrund der kriminellen und auf die Oligarchie ausgerichteten Geschäftsführung verschuldet, stellen aber ein wichtiges Instrument für eine neue Wirtschaftspolitik dar.]

6) Eintritt in Petrocaribe, um vorteilhafte Bedingungen für das aus Venezuela gelieferte Öl zu erlangen.

7) Beitritt zu ALBA (Venezuela, Kuba, Bolivien, Nicaragua, Dominicana, Honduras), um von den darin enthaltenen Kooperationsprojekten zu profitieren.

8) Substantielle Erhöhung der öffentlichen Gelder für das Fraueninstitut und Verabschiedung und Umsetzung von Politikmassnahmen zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit.

9) Diplomatische Beziehungen mit Kuba aufnehmen und die Beziehungen mit den Ländern Südamerikas, insbesondere mit den wichtigsten Wirtschaften (Brasilien, Argentinien und Venezuela), stärken.

10) Die produktiven Einheiten von Tausenden von Bäuerinnen und Bauern legalisieren, die über keine Landtitel verfügen. Diese Massnahme liegt in der Kompetenz des Agrartransformationsinstitut ISTA.

11) Enteignung aller Ländereien über 245 ha, wie es Verfassungsartikel 105 vorschreibt. Viele Grossgrundbesitzer verletzen das Gesetz mit Unterstützung der Regierung. Dieses Land und einige staatliche Ländereien könnten der bäuerischen Bevölkerung zugesprochen werden, die etwa 300'000 Personen umfasst. Sie widmen sich hauptsächlich der Produktion von Grundnahrungsmitteln (Mais, Sorghum, Bohnen und Reis) und in geringerem Ausmass der Erzeugung von Saisonprodukten (Gemüse, Früchte etc.) und der Aufzucht von Tieren, vor allem für den Eigenkonsum. Ein Teil der BäuerInnen (64'000 Personen) ist in Kooperativen organisiert, die Grundnahrungsmittel produzieren. In einigen werden auch Kaffee und Zuckerrohr hergestellt.

12) Die Budgets für die Ministerien für Landwirtschaft und die Umwelt erhöhen, um die Landwirtschaft anzukurbeln und das gravierende Umweltproblem anzugehen.

13) Mit interner und internationaler Unterstützung ein Programm zur Reaktivierung der ländlichen Ökonomie entwickeln. Dafür müsste der Staat Ländereien übergeben, Subventionen ausrichten, über seine Bank Kredite erteilen, billige Produktionsmittel, Landwirtschaftsmaschinerie und technische Hilfe bereit stellen (dies könnte in Kooperation mit Brasilien, Argentinien und Venezuela erfolgen) und Garantiepreise für die KleinproduzentInnen festlegen. Gleichzeitig könnte mit Hilfe von Kuba ein Alphabetisierungsprogramm lanciert werden, um wie in Venezuela und Bolivien den Analphabetismus auszurotten. Auch ein breit angelegtes Gesundheits-, Wasser- und Sanierungsprogramm wäre mit öffentlichen Mitteln und der internationalen Kooperation möglich.

14) Die Wiederankurbelung der Landwirtschaft würde erlauben, die Nahrungsimporte zu reduzieren und sich dem Wettbewerb mit der Agrarproduktion der USA zu stellen, die subventioniert ist und aus dem Freihandelsvertrag Vorteile zieht. In einer Zeit, wo die Krise in den USA den Rückgang der salvadorianischen Exporte und der ins Land fliessenden Heimüberweisungen der Emigrierten provoziert, ist es unabdingbar, die Importe zu reduzieren, um einer möglichen Dollarknappheit entgegen zu wirken. Überdies würde die Wiederankurbelung der Landwirtschaft Arbeitsplätze schaffen und die Versorgung mit billigen Nahrungsmittel ermöglichen. In drei Jahren würde die Verbesserung der Lebensbedingungen auf dem Land (40 Prozent der Gesamtbevölkerung) einen schweren Schlag für die Rechte darstellen, die einen guten Teil ihrer Gemeindeverwaltungen verlieren würde.

15) Auch die Lebensbedingungen der unterprivilegierten Bevölkerung in den Städten werden sich verbessern, falls die Regierung mit der Wiederankurbelung der Landwirtschaft und der Verbilligung der Nahrung Erfolg hat, sie den Analphabetismus ausrottet, Projekte für Volkswohnungen lanciert, die Wasserversorgung verbessert, die Spitäler mit Medikamenten versorgt und den Mikro- und Kleinunternehmen Kredite beschafft. Dies wäre möglich dank öffentlicher Gelder und internationaler Kooperation. Deshalb ist es wichtig, die Steuerflucht zu kontrollieren, ALBA beizutreten und Kooperationsabkommen mit den wichtigsten Ökonomien Südamerikas abzuschliessen. Auch aus China kann Unterstützung kommen. Es geht natürlich nicht darum, dass die ausländischen Mittel zur Basis für die Wirtschaftsankurbelung und die sozialen Verbesserung werden. Es handelt sich bei ihnen aber um eine wichtige Ergänzung, vor allem in den ersten Regierungsjahren. Sie könnten sogar während der ganzen Zeit der Regierung Funes aufrecht erhalten werden, wenn man davon ausgeht, dass diese Regierung nur die erste Phase in einem beginnenden Umwälzungsprozess darstellt.

16) Ein Programm zu den Strassenbanden umsetzen, das Arbeitsplätze, Stipendien und andere Mittel der sozialen Wiedereingliederung beinhaltet.

17) Die Nationale Zivilpolizei und die Organe der Staatssicherheit säubern, um die Kriminalität und das Klima der Unsicherheit für die Bevölkerung zu reduzieren. Die Polizei muss in eine Institution im Dienste der Bevölkerung umgewandelt werden. Der FMLN hat den Vorteil, dass er einen Teil seiner demobilisierten KombattantInnen in die Polizei eingegliedert hat, von denen einige mittlere Kommandoposten besetzen. In der neuen Regierung wird der FMLN die wichtigsten Befehlsstrukturen inklusive das Präsidium kontrollieren.

18) Einen Teil der Werbemittel in die nicht von den Grossunternehmern kontrollierten Medien (Zeitungen und Radios) leiten. Dies entspricht nicht nur einem Gebot der Gleichbehandlung, sondern auch der Notwendigkeit, die Rechte politisch und ideologisch zu bekämpfen.19) Die Schulbücher, insbesondere im Geschichtsbereich, umschreiben, um die Verantwortlichen für die Militärdiktaturen und die Todesschwadronen zu bekämpfen. Im Geschichtsunterricht muss neben vielem Anderen die Todesschwadron-Herkunft der ARENA-Partei und die Verantwortung ihres Gründers (D’Aubuisson) für den Mord an Erzbischof Arnulfo Romero dargestellt werden.

Dies sind einige der Massnahmen im Kompetenzbereich der Exekutive. Um sie wirksam zu machen, müsste das Volk adäquat orientiert und seine Unterstützung erreicht werden. Dies gilt vor allem für all jene Massnahmen, die auf heftigen Widerstand des Grosskapitals stossen werden wie die Kontrolle einiger Preise und der Steuerflucht, die Umverteilung der Werbemittel der Regierung, die Deponierung eines guten Teils der Regierungsgelder in der Staatsbank und die Enteignung überschüssiger Ländereien.

Wie die Lage zu verstehen ist

Was in El Salvador beginnen wird, ist eine fortgeschrittene reformistische Regierung, die Reichtum umverteilen, die Lebensbedingungen der unterprivilegierten Bevölkerung und der Mittelschichten verbessern, den Staat demokratisieren und vor allem mit einen unabhängigen Aussenpolitik die politische Abhängigkeit reduzieren kann. Gelingt dies, ist ein wichtiger Schritt in der Transformation des Landes getan. Der FMLN könnte in den Gemeinde- und Parlamentswahlen von 2012 weiter vorankommen, 2014 die Präsidentschaftswahlen wieder gewinnen und sein Programm in den folgenden Jahren vertiefen.
Die von Funes geleitete Regierung wird eine des Übergangs sein, der Akkumulation, um in den folgenden Jahren voranzuschreiten. So muss man das verstehen. Es ist keine antisystemische Regierung, sondern eine der Sozialreformen und der Konsolidierung des FMLN.
Die lokale Rechte und die US-Regierung werden die neue Regierung stark bekämpfen und ultralinke Haltungen stimulieren, um die Basis des FMLN zu schwächen. Wenn sie einige Massnahmen der Regierung ablehnen, werden sie das sehr hartnäckig tun. Und gleichzeitig werden sie sagen, dass Funes gute Absichten verfolgt, aber die FMLN-Leitung ein orthodoxes Programm anstrebt. Da die Regierung reformistisch sein wird, kann das bei radikalisierten Leuten in und vor allem ausserhalb der Partei für Unmut sorgen.
Um der Taktik der Rechten zu begegnen, müssen die Mitglieder des FMLN und die linken Sozialkräfte Fallen vermeiden. Es wäre ein Fehler, von der Rechten Passivität zu erwarten oder von der Regierung zu verlangen, was sie nicht leisten kann. Man muss die Einhaltung der Versprechen verlangen, aber sich auch der Beschränkungen der nächsten Regierung und der Notwendigkeit, sie zu unterstützen, bewusst sein.

* Dominikanischer Ökonom, lebt in Venezuela und El Salvador.

Steuerparadies versus Werkplatz von Raúl Zibechi

Steuerparadies versus Werkplatz

Bankgeheimnis hier, Bankgeheimnis in der „Schweiz Lateinamerikas“ – das gleiche böse, chauvinistische Zischen zu seiner Verteidigung.

Raúl Zibechi

Am 2. April veröffentlichte die OECD eine aus Costa Rica, den Philippinen, Malaysia und Uruguay bestehende schwarze Liste von Steuerparadiesen. Sie tat dies auf Verlangen der gleichentags in London versammelten G20, um via Bekämpfung des Steuerbetrugs die laufende Wirtschaftskrise zu mildern. Tags darauf wurde Uruguay aus der besagten Liste entfernt, nachdem es die Normen für die Beschränkung und eventuelle Aufhebung des Bankgeheimnisses akzeptiert hatte. Vier Tage später akzeptierten die anderen drei Länder die Verpflichtung auf die globalen Standards zum Bankgeheimnis. Es bleiben 42 Länder auf der grauen Liste, welche die internationalen Fiskalregeln akzeptiert, aber noch nicht umgesetzt haben. Aus Lateinamerika figurieren darauf Chile, Panamá, Guatemala, Belice und Dominicana, zusätzlich zu Uruguay und Costa Rica.
Der Vorfall schlug in Uruguay wie der Blitz in die auf vollen Touren laufenden Wahlkampagne ein und brachte die beiden wichtigsten Kandidaten der Linken gegeneinander in Stellung: die Senatoren José Mujica und Danilo Astori. Einige Wochen vor dem G20-Treffen hatte sich Mujica, ehemaliger Landwirtschaftsminister und Kader der Tupamaros, gegen das Bankgeheimnis gewandt und betont, es sei notwendig, das Thema mit Argentinien und Brasilien zu verhandeln, den Hauptleidtragenden am Steuerparadies an ihren Grenzen.
Die Kritik liess nicht auf sich warten, angefangen beim Präsidenten Tabaré Vázquez bis zur rechten Opposition. Astori sagte, das Thema nur schon zu erwähnen, sei gefährlich. Doch als die OECD Uruguay auf die Liste setzte, waren die Reaktionen masslos. Als Erstes wurden wie üblich Argentinien und in geringerem Mass Brasilien zu Sündenböcken gemacht. Als Zweites erbat man die Vermittlung eines früheren ultraliberalen Wirtschaftsministers und eingefleischten Feindes der Linken, aber mit guten Connections zur globalen Finanzwelt, um dem Land aus der Klemme zu helfen. Und als Drittes wurde wieder Mujica angegriffen.
Astori sagte, der Entscheid der G-20 stelle eine Ungerechtigkeit für Uruguay dar und das Ende des Bankgeheimnisses könne negative Auswirkungen auf den Fluss von Investitionen nach Uruguay haben. Er erwähnte bezeichnenderweise nicht, dass die angeblichen Investitionen aus Kapitalien bestehen, die aus Argentinien und Brasilien zwecks Steuerhinterziehung ab- und in die Luxusimmobiliengeschäfte in Punta del Este, in den spekulativen Landkauf oder in das Finanzsystem hinein fliessen. Diese nationalistische Attitüde verdient Beachtung in einem Land, in dem 25 Prozent des Bodens Ausländern gehört. Eben so wie fast die gesamte Kühl- und Reisindustrie – Hauptexportbranchen -, um nicht von der Zellulosenproduktion der Multis zu sprechen.
1982, zu Zeiten der neoliberalen Morgenröte, plante die Militärdiktatur das Land in einen Finanzplatz zu konvertieren und führte das Bankgeheimnis ein. Seine Verletzung zieht drei Jahre Gefängnis nach sich. Das Land wandelte sich in Refugium für schmutziges Geld, das vor den Steuern in seinen Herkunftsländern flüchtet, ermutigt durch die Regierungen der 90er Jahre, welche die Geheimpflicht auf die Zentralbank selbst, ihre Funktionäre und das gesamte, mit dem privaten Finanzsystem verbundene Personal ausweiteten. Aber die Krise von 2002 höhlte mit ihrer massiven Kapitalflucht aus-, aber auch inländischer Provenienz den Finanzplatz aus. Die Regierung Tabaré Vázquez liberalisierte ab 2006 die Information über Darlehen und Debitoren der Staatsbanken und die Steuerreform beinhaltete die Aufhebung des Bankgeheimnisses bei Verdacht auf Steuerhinterziehung, auch wenn man damit die Betrugsrate nicht gross senken konnte, die bei 25 Prozent liegt.
Das erste Problem für die uruguayische Linke besteht darin, dass sie bis jetzt keine Debatte über das anzustrebende Modell des Landes geführt hat. Denn der Vorschlag des Landes als Werkplatz, mit dem sie 2004 die Wahlen gewann, ist kaum mehr als ein abstraktes Thema, das von spekulativen Unternehmungen wie der Gentechsoja zum polemischen Aufforstung/Zellulose-Komplex reicht, die das Land zum Exporteur von commodities mit geringster Wertschöpfung relegieren. Die Debatten über die Art des wünschenswerten Wachstums, den Widerspruch zwischen endogener und exogener Entwicklung und der Unmöglichkeit, zu einer gerechten und egalitären Gesellschaft mitten in einem Steuerparadies zu kommen, sind ausstehend. Im Wahlkampf will niemand diese Bringschuld abbauen. Und währenddessen stellt das uruguayische Kapital im Ausland ein Drittel des BIP dar.
Die zweite Schwierigkeit besteht in der hartnäckigen Unfähigkeit, sich in die Lage der Nachbarn zu versetzen. Uruguay ist das Refugium für Kapitalien, die vor den Steuern im Mercosur flüchten. Anders gesagt, von diesem Land aus verübt man Anschläge auf die Stabilität der Partner (vor allem Argentinien, aber auch Brasilien). Es ist unsolidarisch und inkohärent, heute von der regionalen Integration profitieren zu wollen, aber gleichzeitig die Türen für schmutziges Geld aus der Region zu öffnen.
Und schliesslich präsentierte die traditionelle Classe Politique, ob rechts oder links, die Debatte über das Bankgeheimnis als eine Frage der Seriosität und des Verantwortungsbewusstseins. Man griff Mujica wegen des angeblichen Vergehens an, die Stabilität des Landes zu gefährden. In Wirklichkeit geht es darum, auf den Kandidaten einzuprügeln, der am meisten im Einklang mit den Volkssektoren tickt und nicht das finanzielle und unternehmerische Establishment verkörpert. Einer, der trotz vieler Wenn und Aber das Wachstum nach innen sucht, im Einklang mit den Ländern der Region, die versuchen, aus dem neoliberalen Modell abzuhauen. Das mag mittelmässig erscheinen, aber für ein Land der Mittelklassen wie Uruguay kommt das einem Wechsel am nächsten.

* aus La Jornada (Mexiko), 10.4.09