Brasilien: Marktfreundliche Gesichter der Realität

Dienstag, 28. Juni 2016



Am 21. Juni wurde die Leiche von Nilce Magalhães gefunden, in den Tiefen des Sees 400 m entfernt von ihrem Heim in Porto Velho im Einzelstaat Rondônia. Sie war eine Leaderin des Movimento dos Atingidos dos Barragens (MAB, Bewegung der Staudammbetroffenen). Sie war bekannt wegen ihres Widerstands gegen die Menschenrechtsverletzungen der Staudammbetreiberin ESBR.
Sie wurde letzten Januar ermordet, ihre Hände und Füsse waren gefesselt, am Seil war ein Stein befestigt. Ihr Mörder hatte gestanden und ist seit zwei Monaten flüchtig.
Nilce Magalhães
Gestern hat das technische Personal des Senats öffentlich gemacht, dass die gestürzte Präsidentin Dilma Rousseff die für ihr Impeachment angeführten Budgetdelikte nicht begangen hat. Das könnte ihre definitive Absetzung, die für August geplant ist, etwas erschweren. Putschpräsident Temer und die Finanzelite wissen das. Also wollen sie Pflöcke einschlagen, die nicht mehr einfach rückgängig zu machen sind.  Parallel zur Veröffentlichung des technischen Befunds gaben Temer und Kabinett eine wahre Flut von Privatisierungsorders bekannt. Wie Página/12 heute schreibt: „Der neue Befehl des Interimpräsidenten ist radikal: alles privatisieren. Alles meint alles. Sofort, Autobahnen, Häfen, Flughäfen, Strom, Wasserversorgung und Abwassersysteme. Nicht ausgesprochen, aber implizit befindet sich auch Petrobras auf der Liste.
Es soll viele Nilce Magalhães geben.

Berta Cáceres auf Todesliste des Militärs in Honduras ?

Samstag, 25. Juni 2016

https://amerika21.de/2016/06/155036/berta-caceres-todesliste

Berta Cáceres
Berta Cáceres
London/Tegucigalpa. Die international bekannte Menschenrechtsaktivistin Berta Cáceres aus Honduras ist nach Angaben des ehemaligen Soldaten Rodrigo Cruz vom Militär ermordet worden. Dies meldete am Dienstag die britische Zeitung The Guardian.
Der frühere Angehörige der im Norden des Landes operierenden Spezialeinheit Xatruch, aus Sicherheitsgründen unter dem Pseudonym Rodrigo Cruz genannt, sagte gegenüber dem Blatt: "Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass Bertha Cáceres vom Militär ermordet wurde." In Militärkreisen kursierten Listen, auf denen die Namen und Fotos dutzender Menschenrechtsaktivisten aufgeführt seien, die ermordet werden sollen. Eine weitere Liste sei an die Sondereinheit der Militärpolizei "Fusina" gegangen, die im gesamten Land tätig ist. Cruz berichtete zudem von einem Folterraum und dass er in der Nacht Plastiksäcke mit Leichenteilen entsorgt habe. Die Details seines Berichtes erinnern an die 1960er bis 1980er Jahre, als Todesschwadrone, Verschwindenlassen und geheime Folterzentren weit verbreitete Strategien bei Militär und Polizei in Lateinamerika waren.
Die renommierte indigene Menschenrechtsaktivistin Cáceres ist im März dieses Jahres in ihrem Haus in La Esperanza ermordet worden. Sie hatte sich zuletzt gegen den Bau des Wasserkraftwerkes Agua Zarca gestellt. Einer der bisher inhaftierten Tatverdächtigen ist Mariano Díaz, der zum damaligen Zeitpunkt aktives Mitglied der honduranischen Streitkräfte war. In der Vergangenheit hatte er mit US-amerikanischen Truppen an einer Militäroperation im Irak teilgenommen.
Die Militärherkunft des Hauptfeldwebels Cruz wurde von mehreren Stellen als glaubwürdig eingestuft. Cruz fürchtet derweil um sein Leben und hält sich versteckt. Der Kommandeur seiner Einheit sei desertiert und weitere Soldaten verschwunden. Die Sondereinheit Fusina wurde im vergangenen Jahr von 300 US-Marinesoldaten und FBI-Agenten trainiert. Seit 2010 sind schätzungsweise 200 Milionen US-Dollar in Polizei und Militär für deren Aktivitäten im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und die "irreguläre Migration" geflossen. Darüber hinaus wurden Honduras von der US-Regierung Millionenbeträge durch die "Allianz für Wohlstand" in Aussicht gestellt.
Im Pressegespräch des US-Außenministeriums vom Mittwoch fragten Journalisten nach einer Stellungnahme zu dem Guardian-Bericht. Sie verwiesen dabei mehrfach auf die Ausbildung von Eliteeinheiten durch das US-Militär und unterstrichen, dass reguläre Streitkräfte in Fälle von Menschenrechtsverletzungen verwickelt seien. Außenamtssprecher John Kirby beteuerte hingegen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt "keine spezifischen glaubwürdigen Behauptungen über grobe Menschenrechtsverletzungen" vorlägen. Weder in diesem noch in anderen Fällen wären Sicherheitskräfte involviert, die Hilfen seitens der US-amerikanischen Regierung erhalten. Das Ministerium hatte sich jedoch zugleich in seinem Menschenrechtsbericht 2015 besorgt über die "ungesetzlichen und willkürlichen Tötungen und andere kriminelle Aktivitäten von Angehörigen der Sicherheitskräfte" geäußert.
Der honduranische Verteidigungsminister Samuel Reyes wies den Guardian-Bericht erwartungsgemäß zurück. Die "Geschichte" sei falsch, denn sie deute an, dass es in Honduras eine gegen die Bürger gerichtete staatliche Politik gebe.
Da die honduranische Justiz zu schwach sei und in Abhängigkeit zur Regierung stehe, fordern zahlreiche Menschenrechtsorganisationen aus Honduras und anderen Ländern eine unabhängige internationale Untersuchungskommission zum Mordfall Cáceres.

Mexiko: Unterdrücken für die Wirtschaftszone

Montag, 20. Juni 2016



(zas, 20.6.16) Einen Hintergrundbeitrag zum Verständnis der aktuellen Kämpfe in Oaxaca und anderswo in Mexiko enthält der Artikel Las Zonas Económicas Especiales y la represión a la CNTE von Agustín Ávila Romero, der an der Universidad Intercultural de Chiapas lehrt. Der Kampf der LehrerInnengewerkschaft CNTE geht gegen das neue neoliberale Erziehungsgesetz, das unter dem Vorwand von Professionalisierung des Lehrkörpers insbesondere auch dessen Verbundenheit mit den kommunitären Strukturen der indigenen Bevölkerungen tilgen will. Es ist kein Zufall, so der Autor, dass dieser Kampf besonders im Südosten Mexikos eine breite Unterstützung findet.
Denn hier plant die Regierung im Verbund mit Weltbank und Interamerikanischer Entwicklungsbank (IADB) die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen (ZEEs, Zonas Económicas Especiales); das entsprechende Gesetz wurde am letzten 1. Juni im Amtsblatt publiziert. Betroffen ist ein Riesengebiet, das von der Atlantikküste des Staates Veracruz nach Chiapas an den Puerto Chiapas am Pazifik und von dort nach Norden bis zum Puerto Lázaro Cárdenas in Michoacán reicht. Hierher sollen internationale Investitionen fliessen. 

In einem dem Autor zugänglichen Dokument des Finanzministeriums werde

„klar gefordert, dass in den Staaten Chiapas, Oaxaca, Guerrero und Michoacán energische Massnahmen für die Herstellung von Sicherheit und sozialer Stabilität ergriffen werden.“

Weshalb die involvierten Ministerien

„mit dem Sicherheitskabinett zusammenarbeiten, um jegliche soziale Manifestation, die die Verwirklichung der Sonderwirtschaftszonen erschweren könnte, einzugrenzen und aufzubrechen“.

Ávila Romero schreibt weiter:

„Denn diese Zonen werden nicht nur ausländischen Unternehmen ausgehändigt, sondern sie verändern vorallem das bäuerliche und indigene Leben, das sich in diesen Staaten unseres Landes konzentriert. In diesem Sinn sind Lehrerinnen und Lehrer, die kollektive Werte, Verbundenheit mit dem Territorium und kulturellen Praktiken der ethnischen Selbstbehauptung und einer harmonischen Beziehung mit der Natur fördern, FeindInnen. Sie widersetzen sich diesem neuen Prozess der Kolonialisierung und der Einhagung der Commons, der von der Bundesregierung und ihren transnationalen Partnern organisiert wird.“

Nicht nur die Weltbank hat mit Knowhow zur Sonderzonen-Offensive beigetragen, wie sich aus dem Dokument des Finanzministeriums ergibt, sondern vorallem die IADB. Diese unterstützt demnach

„nicht nur den Planungsprozess der Sonderwirtschaftszonen in Bereichen wie städtische Entwicklung und begleitende Politmassnahmen, sondern sie hat eine Strategie der gesellschaftlichen Stabilität erarbeitet, die den Investitionsfluss in die ZEEs garantieren soll.“

Hier haben wir den Hintergrund für die aktuelle Strategie der Destabilisierung und enormen Kriminalisierung der sozialen Bewegungen.

„Zu beachten ist, dass die Sonderwirtschaftszonen auch die territoriale Neuordnung von bäuerlichen Comunidades nahe der Küste von Chiapas, der Landenge von Tehuantepec und des Hafens von Lázaro Cárdenas impliziert. [Im Dokument] werden klar gemischte Landeigentumsformen behandelt für die Bereiche Agroindustrie, Bergbau, Wasserkraft und Infrastruktur, die im Süd-Südosten schon erkennbar sind. Und die diese Regionen der extraktivistischen Strategie unterordnen, um ihre Erze, Erdöl, Wasser und Arbeitskräfte zu plündern.“

Eine Organisation wie die CNTE mit ihrer Verbundenheit mit der Armutsbevölkerung wird hier zum Angriffsobjekt.

Oaxaca, Mexiko: Heftige Kämpfe



(zas, 20.6.16) Laut Mitteilung von La Jornada gestern Nacht (heute früh Schweizer Zeit) bestätigte der Gouverneur von Oaxaca, Gabino Cué, dass es im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden der LehrerInnengewerkschaft CNTE (Sektion 22, Rückgrad schon der APPO-Revolte 2006) und ihrer Basis in der Bevölkerung zu 6 Toten,  94 Verletzten und 21 Verhaftungen gekommen sei. Die Bullen sei erst ganz am Schluss, nachdem sie von Bewaffneten beschossen worden seien, mit Waffen aufgefahren, vorher bloss mit Helm und Schild. Eine krasse Lüge.
Im Folgenden eine kleine Zusammenstellung von Medlungen eines Compañero in Oaxaca (mexikanische Zeitangaben). 


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Video Massaker in Nochixtlán
3 Tote scheinen bestätigt.
Ausserdem scheint ein Journalist v. El Sol (PRI) erschossen worden zu sein, als er in Juchitan die Barrikade fotografierte (möglicher Provo-Akt). Ein Video zirkuliert, wo Polizei-Karawane aus Istmo zurück nach Chiapas fährt, unbestätigt.

17:30 Uhr:
Seit einer halben Stunde greift die Polizei nun erneut die Stadt an, Einfahrtssstrasse von Mexiko Stadt her, bei Hacienda Blanca, wir hören ununterbrochen die Tränengasbomben. Ein Anwalt informiert uns, dass auch weit entfernt von der Strasse Tränengas hingeschossen wurde, auf eine evangelische Kirche, wo Leute aus dem Gottesdienst kamen, aus dem Helikopter. Auch der Gesundheitsposten des Vororts wurde eingegast, wo sich die Verletzten des ersten Angriffs befanden. Hier ein Video:

https://twitter.com/OaxacaInformada/status/744666679796338688

Alle Lokalradios der Region rufen nun auch die gesamte Bevölkerung auf hinzugehen. Die Gefahr ist wohl real, dass die Polizeikarawane irgendwann in den nächsten Stunden ausgeschossen ist... was dann? Wieder scharfe Schüsse?
Im 2006 gab es Verhandlungspersonen der APPO. Im Gegensatz dazu sind heute die Lideres der CNTE in Haft...

20 Uhr
Nach dreistündigen Auseinandersetzungen hat die Polizei sich bei Hacienda Blanca zurückgezogen und versucht auf Umwegen, in die Innenstadt zu kommen. Drei weitere Flugzeuge der Policía Federal sind gelandet, also rund 600 weitere Polizisten. In Hacienda Blanca wurde auch eine Gesundheitsstation angegriffen, hier das Foto dazu:
 "Wir sind medizinisches Personal und werden angegriffen. Bitte verbreiten!"https://pbs.twimg.com/media/ClWpQ3DUgAA7mqW.jpg  
Das Ziel scheint klar der Zocalo zu sein, wo sich das Lehrercamp befindet. Wird eine lange Nacht.
Zu Juchitán, es wird berichtet, dass eine zweite Person starb, diese war nicht Reporter, aber der Bruder eines Medienschaffenden. Ein dritter ist schwer verletzt. Die Umstände  sind NICHT geklärt, aber viele Medien kennen schon die Täter: die CNTE.
Kommentar zu Juchitáan: Seit Anfang Jahr sehr gewalttätig, Abrechnungen zwischen Mafias, die trotz massiv erhöhter Polizeipräsenz weitergeht. Teilweise Verbrechen mit bis zu fünf Toten, in den ersten 3 Monaten gab es 40 Morde in dem Zusammenhang.
Auch im Falle von Nochixtlán ist der Krieg um die Wahrheit in vollem Gange. Die Regierung dementiert den Gebrauch von Schusswaffen. Der Film ist jedoch von Jornadajournalist, und AP dementiert Dementi. Die Lokale Polizei SSP, die von Cousin vom ehemaligen stockrepressiven Gouverneur Ulises Ruiz geführt wird (hübsches gobierno de cambio...), twitterte schon am Morgen, dass 6 Polizisten durch Schüsse verletzt worden seien. Bestätigt sind hingegen die Toten auf der Seite der Bevölkerung.

21 Uhr
Regierung bestätigt 6 Tote in Nochixtlán. Unbestätigt ein Toter in Hacienda Blanca.
Die Gefahr einer Räumung des Zócalo von Oaxaca-Stadt besteht weiterhin. Barrikaden in verschiedenen Orten, nicht nur im Zentrum. Teilweise Strassen ohne Licht. Radio Universidad besetzt und Informationspunkt zus. mit Radio Planton (letzteres auch auf Internet).