Bild: The Intercept |
David Brooks und Jim Cason*
„Die Wahl von Donald Trump ist ein Tsunami für EinwandererInnen“, kommentiert der Einwanderungsanwalt José Pertierra die fast unmittelbaren Auswirkungen des Sieges des einwanderungsfeindlichsten Kandidaten der Neuzeit. Er berichtet, dass noch am selben Mittwoch, an dem Trumps Triumph verkündet wurde, KlientInnen anriefen oder in sein Büro in Washington kamen und ihn besorgt und ängstlich fragten, einige unter Tränen, was mit ihnen geschehen würde, sobald Trump ins Weisse Haus einzieht.
Der Einwanderungsanwalt mit mehr als 40 Jahren Erfahrung, der sich auch mit den Beziehungen der USA zu Lateinamerika und der Karibik befasst, sagte in einem Interview mit La Jornada, dass die Menschen ohne Papiere „sehr gut wissen, was das bedeutet, nämlich dass ihnen verschiedene Schutzmechanismen genommen werden [um eine Abschiebung bis zur dauerhaften Legalisierung zu vermeiden], dass es sehr schwierig wird, Asylverfahren zu führen, und dass Trump versprochen hat, alle abzuschieben, die keine Papiere haben“.
Angesichts dessen sind diejenigen, die nur übergangsweise Schutz geniessen, wie das Temporary Protected Status Program (TPS) oder das sogenannte DACA für diejenigen, die als Minderjährige in einem bestimmten Zeitraum eingereist sind, oder jene, deren Legalisierungs- oder Asylfälle pendent sind, „entsetzt und wollen wissen, was getan werden kann. Sie fragen mich, ob dieser Schutz aufgehoben werden kann, und ich muss ihnen sagen: 'Nun, ein Präsident, der das Weisse Haus, den Kongress und den Obersten Gerichtshof und viele BundesrichterInnen, die er ernannt hat, kontrolliert, kann TPS oder DACA' mit einem Federstrich abschaffen“. Diese Programme laufen dank eines Exekutivdekrets und können daher durch ein anderes Exekutivdekret aufgehoben werden.
Als er gestern an einer Autowaschanlage ankam, kamen etwa 20 Salvadorianer heraus, nachdem ihn einer erkannt hatte - Pertierra ist unter den EinwanderInnen in Washington, DC, sehr beliebt und hat auch eine wöchentliche Sendung auf Univision, in der er Fragen zu Fragen des Einwanderungsrechts beantwortet -, um ihn zu fragen, was er erwartet, welche Rechtsmittel zur Verfügung stehen und was mit ihren Familien geschehen wird.
Im Büro fragte ihn ein papierloser Vater, was er tun könne, da er eine dreijährige Tochter hat, die in den USA geboren wurde, nun aber Angst hat, dass Trump ihn abschieben wird und er nicht von ihr getrennt werden möchte. Das sind die Fragen, die ihm ständig gestellt werden, und das Schlimmste für Pertierra ist, dass er nichts sagen kann, um sie zu beruhigen, denn sie alle sind bedroht, weil die wenigen bestehenden Schutzmassnahmen aufgehoben werden.
Diese Angst ist Teil von Trumps Strategie, sagt er. „Es herrscht bereits ein Klima des Schreckens unter den MigrantInnen, die wissen, was sie erwartet“, und wiederholt: ‚Es ist ein Tsunami für sie‘. Trump versuche, diese Angst mit einem bestimmten Ziel zu nähren: „Er verspricht Massenabschiebungen, aber das wird mit dem System, das er hat, ein bisschen schwierig sein. Aber was er tun kann, ist den Menschen TPS, DACA, Arbeitserlaubnisse wegzunehmen, Razzien durchzuführen, dann, denkt er, werden die Leute von selbst gehen. Das ist die Idee.»
Die MigrantInnen wissen, dass Trump genau das will. „Wenn man mich zum Beispiel fragt: 'Wenn ich kein TPS mehr habe, gibt es dann noch Hoffnung für die Zukunft?', kann ich nur antworten: 'Ich weiss es nicht’. Das Problem, nicht nur für mich, sondern für alle EinwanderungsanwältInnen, besteht darin, dass sie uns die Möglichkeit nehmen, unsere MandantInnen zu verteidigen. Wenn wir nicht die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen, wenn wir kein TPS haben, das die Leute schützt, während wir das Problem auf andere Weise lösen, womit können wir dann eine Abschiebung aufhalten?“, erklärte Pertierra.
Ausserdem wird es schwieriger werden, Einwanderungsfälle vor Gericht zu verhandeln. Er erinnerte daran, dass Trump „einen Haufen Bundesrichter überall in den Vereinigten Staaten ernannt hat, nicht nur am Obersten Gerichtshof, und sie gehören zu denen, die die Einwanderungsfälle überprüfen“, nachdem es eine Entscheidung der spezialisierten MigrationsrichterInnen gibt. Zu sagen, dass diese (nicht die BundesrichterInnen) „RichterInnen seien, wäre eine Lüge“, da sie eigentlich Angestellte des Justizministeriums sind und für dessen Chef, den Generalstaatsanwalt, arbeiten. Sollten sie nicht im Sinn der Politik der Exekutive urteilen, können ihre Beschlüsse aufgehoben und sie selber entlassen werden. Um gegen ihre Entscheidungen in Einwanderungsfällen Einspruch zu erheben, muss man sich daher an die Bundesgerichte wenden, von denen jedoch viele von Trump ernannt wurden.
„Ich fühle mich wie die Christen, die die Römer in den Kampf gegen die Löwen schickten, nur nackt“, sagt er abschliessend.
Derzeit sind 863’880 Ausländer aus 16 Ländern vorübergehend durch TPS geschützt. Etwa 530’000 junge Menschen werden durch DACA unterstützt, obwohl es insgesamt 3.6 Millionen sogenannte „Dreamers“ gibt, die Anspruch auf Schutz durch DACA haben, wie das Immigration Forum berechnet hat.
In der Zwischenzeit riefen Einwandererorganisationen im ganzen Land MigrantInnen dazu auf, sich rechtlich beraten zu lassen, und versprachen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Gemeinschaften gegen die Offensive zu schützen, die sie mit Trumps Einzug ins Weisse Haus am 20. Januar erwartet.
· La Jornada, 8.11.24: Triunfo de Trump, un tsunami para los inmigrantes
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Prozente waschen weiss
(zas, 10.11.24) Natürlich ist der prozentuale Pro-Trump-Anteil von Ladinos oder AftroamerikanerInnen im Vergleich zu den Wahlen 2020 gewachsen. Das wird rundherum als Beleg dafür präsentiert, dass die working class mit «bösen» MigrantInnen und progressivem Emanzipationsgeschwafel nichts am Hut hat. Der Feind des Arbeiters sei der Hilfsarbeiter. Das ist praktisch: Über die reale Basis des White-Power-Faschismus kann hinweggesehen werden. Sicher, auch Eingewanderte oder früher Versklavte machen dabei mit. Aber nicht als treibende Kraft. Mehr als neues «Yeah, Massa».
Laut Reuters kam Donald Trump gestern Samstag auf 71.5 Mio. Stimmen, Kamala Harris auf 67.5 Mio. Zusammen also auf 139 Mio. Noch wird gezählt, in Kalifornien und anderswo. Biden machte 2020 81.2 Mio. Stimmen, Trump 74.2. Zusammen: 155 Mio. Heute sind die meisten Staaten zu 97-99 % ausgezählt. Dass Trump in den bevölkerungsreicheren Staaten mit tieferen Auszählungsquoten noch 3 Mio. oder mehr Stimmen erhält, gilt nach linken US-Medien als möglich, aber wenig wahrscheinlich. So oder so: Einen stimmenmässigen Vorwärtssturm hat sein Lager nicht hingelegt. Er stagniert. Doch die Dems sind eingebrochen. Das vergrössert automatisch den Stimmenanteil aus «minorities», den Trump schon 2020 hatte.
Natürlich haben die demokratische Parteielite und Administration die unten immer wieder verkauft. Hier ist nicht der Platz, das auszuführen. Eindeutig ist: Dieses Mal hat die Erpressungsformel «’Wählt uns, sonst…’) nicht funktioniert. Auch das mit gefährlichen Folgen.
Noch ist vieles offen. Aber den Rückgang der Dems sofort und unbekümmert den Ladino-Männern etc. zuzuschreiben, ist erkennbar Propaganda, «subtiler» Rassismus. Der Eindruck soll festgeklopft werden, dass die unten vor einer Migrations-liebenden und «woken» Elite Schutz bei einer «währschaften» Rechten suchen. Wir kennen das hier vom Blick auf die «Sorgen der Bürger». Wenn’s um Hetze gegen noch Schwächere geht, dann – und nur dann – werden Existenznöte der Unterklassen erwähnt. Als moralischen Input in die Treibjagd.
Arabischstämmige US-BürgerInnen haben die Dems eindringlich gewarnt: Wenn ihr am Genozid in Gaza weiter mitmacht, verliert ihr unsere Stimme. Nicht nur sie. Entgegen dem propagierten Herrschaftsnarrativ von den Armutsklassen, die sich zunehmend an die Ultrarechten klammern, erkennen natürlich afroamerikanische Communities u. a. im Leid der anderen ihr eigenes. Das soll verhindert werden, deshalb das erwähnte Propagandanarrativ.
Carol Anderson fasst die Wahldynamik so zusammen: «Die Konföderierten haben gewonnen.» Die Sklavenhalter hatten 1865 den brutalen Bürgerkrieg verloren und ihre NachfolgerInnen hielten hundert Jahre später dem Druck der Civil Rights- und Black Power-Bewegungen nicht stand. Anders als viele Medienschaffende hat die afroamerikanische Erforscherin der afroamerikanischen Geschichte nicht begriffen, was die Prozentanteile so klar sagen: Schuld an der Misere, an der rassistischen und klassistischen Raserei sind die Schwarzen und ihresgleichen.
Carol Anderson. |
(zas, 6.11.24) In Teil 1 geht es um Finanzpolitik und Widerstand dagegen, in Teil 2 um eine anscheinend im Ausmass weltweit neue Zugabe zum alten Schlager der neokolonialen Politik der «Entschuldung» für hehre Zwecke.
1.
Ende September konkretisierte Präsident Nayib Bukele seine Drohung vom 1. Juni, dem Beginn seiner zweiten, natürlich verfassungswidrigen Amtszeit. Damals hatte Gott ihm das Gebot einer «bitteren Medizin» zwecks wirtschaftlicher Gesundung mitgeteilt, im September folgte der Haushaltsplan 2025. Kurzzusammenfassung: Das Budget von 14 von 16 Ministerien und von 70 Behörden wird gekürzt. Das Budget von $ 9.7 Mrd. sieht Erhöhungen nur für die Armee (um $ 56 Mio.) und das Präsidentenamt um ($ 16 Mio.) vor. 11’000 Staatsangestellte werden auf die Strasse gestellt. Die Kürzungen betreffen Ministerien wie Gesundheit ($ 155 Mio.; auch für alle Spitäler), Erziehung ($ 34 Mio.), Landwirtschaft ($ 68 Mio.) und so weiter. Dafür steigt der Schuldendienst im Vergleich zum Vorjahr – rund 30 % des Budgets - um $ 640 Mio. Im staatlichen Gesundheitsbereich werden die Löhne eingefroren (ungeachtet der massiven diesjährigen Inflation), im Erziehungswesen dito. In Gesundheit werden offiziell 1119, in Erziehung 781 Stellen gestrichen. Weitere Hiobsbotschaften wie etwa, trotz schwerer Wasserkrise, die Budgetkürzung von $ 1.1 Mio. in der Wasserbehörde verdeutlichen das Bild.
Am Rand eines Abgrunds – der IWF solls richten
Finanzpolitischen hat sich die Lage im Land seit früheren Blogeinträgen (hier und hier) noch verschärft. Seit zwei Jahren verhandelt das Regime mit dem IWF um einen $ 1.3-Milliarden-Kredit, um dank damit signalisierter Rückzahlungsfähigkeit wieder relevant Geld auf den internationalen Märkten aufnehmen zu können. (Und nicht zu Wucherkonditionen wie letzten April bei der Umschuldung von $1 Mrd. zum Zins von 12 %, der, falls bis 2026 kein Fondsabkommen steht, auf 16 % steigt.)
Die beiden bisherigen internen Melkstationen für die Regierung versiegen. Bei weiteren namhaften Anleihen bei nationalen Banken droht diesen ein Crash, die Geldentnahmen aus dem Rentenfonds der beiden privaten Rentenkassen (AFP) werden immer riskanter. Der Kern dieser AFP-Schulden liegt in der Ende der 90-er Jahre durchgesetzten Privatisierung des staatlichen Rentensystem mit Zwangsübertritt der jüngeren Jahrgänge in das private System. Ergebnis: Das staatliche Rentensystem hat heute noch etwas über 1000 Beitragszahlende, muss aber Pensionen an 88'000 RentnerInnen auszahlen. Das fehlende Geld dafür besorgt sich der Staat seit 2006 bei den AFP. Ebenso für die gesetzlich vorgegebenen Ausgleichzahlungen an jene obligatorisch in die AFP eingetretenen Pensionierten, die von der Pensionskasse weniger als die gesetzlich festgelegte Minimalrente von $304/Monat erhalten. Die Kassen halten laut Zentralbank noch etwas über $ 1 Mrd. in ihrem Fonds, ungefähr so viel, wie sie letztes Jahr Bukele ausliehen. Von Januar bis September dieses Jahres haben die AFP dem Regime $ 824 Mio. «ausgeliehen», wobei für die erwähnten gesetzlich bestimmten Zwecke weniger als die Hälfte nötig war. Wofür wurde der «Rest» verwendet? Unbekannt. Heute beträgt die Staatsschuld bei den zukünftigen Pensionierten – der Fonds gehört nicht den AFP - $ 10.3 Mrd. Bukele hat die von mehreren früheren Regierungen angehäufte Schuld in einer einzigen Regierungsperiode verdoppelt. Klar, jedes Jahr müsste diese Verschuldung bei Beibehaltung des absurden Systems aus demographischen Gründen steigen, aber der herrschende Clan zockt rasend immer mehr Geld für andere, also illegale Zwecke ab. Letztes Jahr verbuchte er dabei den Superrekord von 1. Mrd. und wird diesen heuer mutmasslich übertreffen. Barclays und die internationale Föderation der Pensionskassen FIAP äusserten einen entsprechend Verdacht – schlechte Propaganda für das schmucke Anliegen. Aber nicht hyperventilieren: Dafür, dass sie von 2023 bis 2027 auf die laufenden Rückzahlungen der Regierung verzichten, dürfen die Kassen ihre Kommission auf die laufend einbezahlten Lohnanteile erhöhen. 2023 wiesen sie im Vergleich zum Vorjahr einen verdoppelten Gewinn aus.
Und natürlich der IWF
Am 3. Oktober zeigte sich der IWF dem Regime von seiner freundlichen Seite. Der Fonds beharrte lange klar auf der Forderung nach der schlichten Abschaffung des bukelistischen Bitcoingesetzes. Denn Bitcoins als Währungsdevise im Staatshaushalt, deren Wert extrem von Spekulation abhängt, sind dem Fonds, der seine «Stabilisierungsmassnahmen», also wie viel noch aus der Bevölkerung herauszupressen sei, genau beziffert mag, eigentlich ein Fluch.
Doch nun sprach IWF-Kommunikationsdirektorin Julie Kozack plötzlich so: «Was die Details zu Bitcoin betrifft, so haben wir empfohlen, den Anwendungsbereich des Bitcoin-Gesetzes einzuschränken, den Regulierungsrahmen und die Aufsicht über das Bitcoin-Ökosystem zu stärken und das Engagement des öffentlichen Sektors in Bitcoin zu begrenzen.» Das wird im Land oft als möglicher Vorbote eines Deals des Regimes mit dem Fonds gedeutet. Im nächsten Satz dann Zustimmung: «Zu den anderen Bereichen kann ich sagen, dass der kürzlich vorgelegte Haushalt 2025 ein Schritt zur Stärkung der öffentlichen Finanzen ist.» Ein Schritt, denn noch fehlt die Erhöhung der Mehrwertsteuer um etwa drei Punkte, was den «Investoren» per Schuldentilgung pro Jahr mehrere hundert Millionen bringen könnte.
Die Demo, die Kündigungen
Allerdings wird auch Bukele mitgeschnitten haben, dass IWF-Offensiven in der letzten Zeit in manchen Ländern auf erbitterten Strassenwiderstand gestossen sind. Die Fitch-Ratingagentur ortete bei den «ambitiösen [Budget-] Massnahmen Umsetzungsrisiken.» Im Parlament werde das problemlos durchkommen, «aber der Präsident wird wachsam auf Zeichen von Volksunmut achten». Das tut er, auf gewohnte Weise.
Auf den 19. Oktober hatte eine Reihe von Gewerkschaften aus dem Gesundheits- und dem Erziehungsbereich zur Protestdemo gegen Kahlschlag, Stellenabbau. Lohneinfrierung und Verweigerung des escalafón, der im Gesundheits- und im Erziehungsministerium gesetzlich alle paar Jahre nach Dienstjahren und Verdienst festgelegten Lohnerhöhung. Dies würde die erste grosse gewerkschaftliche Hürde für Bukele werden. Nun, am 18. Oktober sagten die LehrerInnengewerkschaften, insbesondere die früher beim FMLN beheimatete Andes 21 und die heute grösste, als «Widerstand» gegen FMLN-Reformismus gegründete Bases Magisteriales ab. Wegen Gesprächsbereitschaft der Regierung. Einzig der kleinere Frente Magisterial blieb bei der Mobilisierung des Gesundheitssektors. Bald wurde bekannt, wie der Sinneswandel zustande kam. Carolina Recinos, die Bevollmächtigte Bukeles für «knifflige» Angelegenheiten, nach dem Krieg in den FMLN eingetreten und bald für Korruption bekannt, war am letzten Vorbereitungstreffen der LehrerInnen präsent und ordnete Demoabsage im Tausch für präsidiale Gesprächsbereitschaft an. Kurz, diese Gewerkschaften liessen sich mit vorderhand unklaren Versprechen kaufen.
Dennoch demonstrierten am 19. Oktober ca. 2000 – 2500 GewerkschaftlerInnen, vor allem aus dem Gesundheitssektor, aber auch einige Basismitglieder der gekauften Gewerkschaften. Diese Zahl mag hierzulande als vernachlässigbar gelten, aber in einem Land, in dem es aus Angst vor dem Ausnahmeregime wieder Usanz geworden ist, die eigene politische Meinung nur im vertrauten Kreis zu äussern, und in dem für eine Demobeteiligung mit der Kündigung gerechnet werden musste, war diese gewerkschaftliche Manifestation signifikant.
Demo am 19. Oktober |
Auf jeden Fall wurden unmittelbar nach der Demo viele DemonstrantInnen (auch Idalia Zúniga) entlassen - die Berichte gehen von Dutzenden bis weit mehr als hundert Fälle in den beiden Ministerien.
Der Sozialzusammenschluss Bloque de Resistencia Popular organisierte am 31. Oktober, dem «Tag
des Gewerkschafters», eine kleine Solidaritätsdemo und legte einen alternativen, sozial ausgerichteten Haushaltsplan vor. Wie weit die Entlassungskeule des Regimes wirkt, wird sich aber am 23. November weisen. Die nicht-gekauften Gewerkschaften rufen, unterstützt vom Bloque, auf diesen Tag zu einem neuen Protest auf. Sehr viele Augen werden die Entwicklung genau verfolgen.
Konkrete Lage
Die Zustände im Gesundheitsbereich sind oft erschreckend. Der miserable Strassenzustand diente dem Volksmund als Erklärung für Bukeles Kauf eines Privatjets für eine halbe Milliarde. Für die Zustände im Schulbereich nur diese Erläuterung von Idalia Zúniga: «Letztes Jahr gaben sie uns den Unterhaltszuschuss gegen Ende des Schuljahres. Dieser Zuschuss von $ 3000 fürs ganze Jahr reicht nicht für eine Schule mit 1000 SchülerInnen. Als Schulleiterin dachte ich, dass wir die Armut verwalten. Wir haben die Schule, wir haben die Kinder der Comunidad, aber nicht die Ressourcen des Erziehungsministeriums, obwohl das die Pflicht des Staates wäre. Also zahlen wir und zahlen die Eltern. Letztes Jahr musste eine Lehrerin auf das Dach klettern, um die Wellbleche zurechtzurücken, damit es nicht mehr reinregnet. (…) Vor 20 Jahren hatten wir landesweit 1.85 Millionen SchülerInnen. Heute kaum 1.1 Millionen. Da spielen viele Faktoren ein Rolle: Die Geburtenrate ist zurückgegangen, aber das Ausnahmeregime hat auch zum Schulabgang beigetragen. Es hat zur Migration von Kindern beigetragen. Und auch verursacht, dass viele Kinder arbeiten müssen, weil Papi und Mami nicht mehr da sind. Auch die Zunahme der Armut ist ein wichtiger Faktor bei der Verringerung der SchülerInnen.»
Zur Lage der Lehrenden sagt Zúniga weiter: «An den öffentlichen Schulen sind 85-90% des Lehrkörpers Frauen. Frauen und Haushaltvorstände. Wenn sie uns also die Lohnerhöhung nehmen, bedeutet das (…) mehr Knappheit. Wir werden den Grundwarenkorb kaum mehr kaufen können. Die Löhne sind prekär und zudem müssen wir einen Teil des Unterrichtsmaterials aus dem eigenen Sack bezahlen. (…) In El Salvador wird die öffentliche Schule demontiert (….) Weil uns der Staat die nötigen Mittel nicht gibt, um die Erziehung zu entwickeln.»
Oktober 2024: Eltern bitten die Regierung, die Schule ihrer Kinder nicht zu schliessen. Bild: LPG.
Wir verstehen die Zufriedenheit der IWF-Sprecherin. Der IWF
befleissigt sich zwar mit Blick auf wachsende
Revolten gegen seine Wallstreet-Diktate der verlogenen Rhetorik, seine Strukturanpassungen
dürften nicht die Ärmsten treffen. Doch wie fasste
der Ökonom Michael Roberts kürzlich eine Oxfam-Studie zu 17 IWF-Programmen
zusammen? So: «Für jeden Dollar, den für
sozialen Schutz auszugeben der IWF diese Länder ermutigt, weist er sie an, 4
Dollars einzusparen.»
2
Klimarhetorik …
Die Biden-Administration hat ihre anfängliche Abneigung gegen das bukelistische Regime weitgehend ad acta gelegt. Ihr Botschafter William Duncan fällt schon lange mit grosser Empathie für Bukele auf. So gaben Bukele und er Mitte Oktober einen neuen Schuldendeal in der Höhe von rund $ 1 Mrd. bekannt. Es geht um einen Swap, also Tausch alter mit neuen Schulden. Und zwar einen Swap der besonderen Art: «Schulden für Klima». Nun, die US-Grossbank JP Morgan leiht das Geld zu einem niedrigerem Zinssatz als jenem der alten Anleihen. Dabei springen $ 350 Mio. raus. Davon sollen die salvadorianischen Regierungen über die nächsten 20 Jahre $ 200 Mio. für die «Erhaltung, Wassersicherheit und Restaurierung des Ökosystems des Einzugsgebiets des Río Lempa» ausgeben. Zwei Drittel der Bevölkerung hängen vom Lempa-Wasser ab. Und $ 150 Mio. fliessen in eine Stiftung, die das Geld lukrativ zwecks weiterem Umweltschutz nach Projektende investieren soll. Wichtig: Die US-Agentur Financial Development Corporation, eine auf Business-Förderung im globalen Süden getrimmte Behörde, bürgt für $ 1 Mrd., falls El Salvador sie nicht zahlen zurückzahlen sollte. Und interessant: Das Communiqué bezeichnet den von EX-CS-Bankern lancierten Kreditfonds ArtCap Strategies als «globalen Koordinator der Transaktion».
Real hat Washington also die Zügel in der Hand. Davon profitiert das Bukele-Regime. Denn dieser Swap bringt wie schon der erwähnte vom letzten April einen grossen Vorteil: Die Gefahr eines Defaults im Jahr 2027, in dem Zahlungen für viele der nun umgetauschten Obligationen fällig geworden wären, ist damit um Jahre verschoben worden. Zwei Drittel der Bevölkerung hängen vom Lempa-Wasser ab. 75'000 ha seines Einzugsgebiets sollen z. B. mit Aufforstung verbessert werden. Das wäre dringend nötig. Das Projekt wird vom Catholic Relief Service (CRS, Caritas in den USA) und von FIAES, ein nach Kriegsende von den USA in El Salvador gegründeter Treuhandfonds mit Vertretung der beiden Regierungen, umgesetzt. Die CRS-Direktorin für Lateinamerika und die Karibik, Carla Fajardo, lässt sich so zitieren: «Wir sind begeistert, Teil dieses transformativen Programms in El Salvador zu sein, das in Sachen Ausmass und Langzeitfinanzierung neue Standards setzt, die es braucht, um kritische Wasserressourcen für die jetzige und kommende Generationen wiederherzustellen und zu schützen. Dieses Programm kam dank mutiger Führung und einer kollektiven Aktion eines dynamischen und diversen Teams zustande.»
Auch CRS-Landesverantwortlicher John Briggs ist beschwingt. Nicht nur solle das Projekt «die Agrarproduktivität erhöhen», sondern «im Kontext der sozialen und ökologischen Krise können wir wirksamere, relevantere und nachhaltigere Lösungen entwickeln.» CRS und FIAES wollen 2025 Nöte der Lempa-Comunidades eruieren.
Río Lempa - schwer kontaminiert.
… und Fakten
Für die salvadorianische Seite sitzt das Umweltministerium im FIAES. Es brilliert seit Bukeles Regierungsantritt 2019 mit unbesehenen Umweltplazets für Megaprojekte der Oligarchie inklusive Bukele-Clan. Zum Beispiel für eine Grossüberbauung für Topverdiende (Valle del Ángel), die die Wasserversorgung für den armen Norden der Hauptstadtregion weiter einschränkt.
Im Bajo Lempa, dem unteren Teil des Flussgebiets, wollen mafiöse Unternehmer, Bukeles Aussenministerin und andere «Investoren» die bäuerischen Comunidades zunehmend enteignen, um touristische Megaprojekte und Monokulturanbau zu ermöglichen. So werden etwa die von den Comunidades selber gebauten Flussuferverstärkungen (Schutz gegen Überschwemmungen) seit zwei Jahren von einem regimenahen Unternehmen zerstört, um Sand für Bauprojekte zu gewinnen. Straflos, ohne einen Mucks etwa des Umweltministeriums. Dazu gib es repressive Aktionen von Polizei und Armee gegen die lokale Bevölkerung. Das weiss man im State Department und in der US-Botschaft. Das gleiche (transnationale) Regime soll jetzt aber, via FIAES und einem US-Hilfswerk, Massnahmen zugunsten der Comunidades angehen.
Zweifel am Wunsch, die «Wassersicherheit» herzustellen, sind angesichts der dramatischen Lage wohl fehl am Platz. Und sicher. Das Projekt kann Arbeitsplätze generieren. Die Frage ist schlicht: Sicherheit für wen? Die Täterschaft wird besagte «Sicherheit» zum Beispiel für touristische Megaprojekte priorisieren - für die Plebs gibts, was übrigbleit. Zwar soll es ein siebenköpfiges Leitungsdirektorium geben (je eine Vertretung für die USA und El Salvador, fünf NGO-Delegierte). Doch wer glaubt, dass die NGO-Vertretung die beiden Regierungen –die Projektschwergewichte - zu Wohlverhalten anhalten könnte? Ein Wiederaufforstungsprojekt der FMLN-Regierung war bescheidener (nix JP Morgan & Co.), dafür besser aufgegleist: mit den Comunidades als Subjekte, nicht als Befragungspopulation. Ohne US-Leitung.