Argentinien: Ärger in der Regierungskoalition wegen Abkommen mit dem IWF
Buenos Aires. Der Vorsitzende der stärksten Abgeordnetenfraktion im argentinischen Parlament, "Frente de Todos" (Bündnis von allen, FdT), Máximo Kirchner, ist zurückgetreten. Die FdT vertritt im Parlament die Regierungskoalition. Kirchner gab seinen Rücktritt bekannt, nachdem Wirtschaftsminister Martín Guzmán ein neues Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verkündet hatte. Er teile weder "die Verhandlungsstrategie" mit dem IWF noch ihre Ergebnisse, erklärte der 44-Jährige in einem Kommuniqué.
Der Kongress muss der Übereinkunft mit dem IWF noch zustimmen. Es geht dabei um die Rückzahlung von 44 Milliarden US-Dollar. Argentinien wurde hierfür mehr Zeit eingeräumt. Als Gegenleistung darf der IWF vierteljährlich die Staatsfinanzen überprüfen, bevor es zu Zahlungen kommt. Das südamerikanische Land muss außerdem sein Haushaltdefizit bis 2024 reduzieren und die Inflation, die bei 50 Prozent liegt, senken. Außerdem verpflichtet sich Argentinien dazu, die staatlichen Energiesubventionen abzubauen. Letzteres könnte die privaten Haushalte besonders treffen.
Der Rücktritt Kirchners wirft die Frage auf, wie er sich auf die Entscheidung der Legislative auswirken wird. Máximo Kirchner, Sohn des verstorbenen früheren Präsidenten Néstor Kirchner und der aktuellen Vizepräsidentin Cristina Fernández, ist Mitgründer und Anführer der innerparteilichen Gruppe "La Cámpora”, der weitere 16 Abgeordnete der Regierungsfraktion angehören. Ohne deren Unterstützung ist die erforderliche Zustimmung der Abgeordnetenkammer kaum zu erreichen.
An seine Stelle trat German Martínez, der nun versucht die Risse zu kitten und mit den Unzufriedenen verhandelt, um eine Einigung zu finden. Kirchner hatte den Abgeordneten seiner Gruppe empfohlen, "nach eigenem Gewissen" abzustimmen. Die Vizepräsidentin hielt sich zum Thema bedeckt. Die Opposition erwartet, dass sie sich enthält oder sogar zustimmt.
Das Abkommen wurde von Regierungsvertretern als Erfolg bezeichnet, weil die ausgehandelten Bedingungen milder als bei anderen IWF-Übereinkünften sind. Präsident Alberto Fernández selbst äußerte jedoch, dass "es nichts zu feiern gebe". Das Abkommen sei aus der Not heraus abgeschlossen worden, um ein drohendes Default zu vermeiden und um Investitionen zu sichern, die sonst nicht getätigt worden wären. Fernández trat kurz danach eine Reise nach Russland und China an. Mit beiden Ländern sollten mehrere Finanzabkommen geschlossen werden. Diese erforderten ebenfalls eine Einigung mit dem IWF.
Die Regierung hofft darauf, dass das derzeit stabile Wirtschaftswachstum anhält und ermöglicht, die Verpflichtungen einzuhalten, ohne größere Einschnitte machen zu müssen. Die argentinische Wirtschaft wuchs letztes Jahr trotz anhaltender Inflation mit zehn Prozent um doppelt so viel, wie von den Wirtschaftsinstituten vorausgesagt.
Von Kritikern wird bemängelt, dass das irreguläre Zustandekommen des enormen IWF-Darlehens während der Präsidentschaft von Mauricio Macri nicht ausreichend berücksichtigt wurde und die Verantwortlichkeiten nicht geklärt sind. Máximo Kirchner wies zum Beispiel darauf hin, dass das Verhandlungsteam nur aus Wirtschaftsfachleuten bestand, obwohl es eindeutig eine politische und juristische Komponente gibt.
Ex-Präsident Macri hatte 2018 die IWF-Hilfe ohne Zustimmung des Parlaments beantragt. Der IWF unter Christine Lagarde hatte das bis dato größte Darlehen in der Geschichte der Organisation genehmigt, ungeachtet der Tatsache, dass Argentinien unter den damaligen Umständen eine so hohe Summe unmöglich zurückzahlen konnte. Zudem gab es keine ausreichenden Kontrollen zur Vermeidung der Verwendung dieser Mittel in der Finanzspekulation.
Eine interne Untersuchung des IWF war im vergangenen Jahr zu dem Schluss gekommen, dass ein großer Teil der Gelder über irreguläre Kanäle abgeflossen war und die Ziele des Darlehens verfehlt wurden. Macri selbst hatte kürzlich erklärt, dass das Geld an die Banken ging, die das Land verlassen wollten.
Kritisiert wurde auch, dass das Darlehen eindeutig zur Unterstützung einer politischen Partei dienen sollte, wie Mauricio Claver-Carone, aktueller Präsident der Interamerikanischen Entwicklungsbank und früheres Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA, in einem Interview einräumte. Laut Claver-Carone hatte die Regierung von Donald Trump den IWF dazu gedrängt, alle finanziellen Grenzen zu überschreiten und der Regierung Macri eine historisch einmalige Summe von 55 Milliarden Dollar zu leihen, um sie im Wahlkampf zu unterstützen.
Aber nicht nur innerhalb der Regierung gibt es Unzufriedenheit mit dem neuen IWF-Deal: Soziale Organisationen haben für kommenden Freitag zu einer Demonstration dagegen aufgerufen.
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(zas, 10.2.22) Am 8. Februar demonstrierten landesweit offenbar Hunderttausende gegen den Deal mit dem IWF. In Córdoba - hier gewannen linke Kräfte (ein Mix aus Sozialbewegungen und trotzkistischen Parteien) die Parlamentswahlen letzten November – demonstrierten 30'000 Menschen. «Parapolizeiliche» bewaffnete und maskierte Kräfte griffen die Demonstration an, wie die OLP (Organizaciones Libres del Pueblo) in einem Communiqué festhält. Mehrere Verletzte sind die Folge, darunter ein Fünfzehnjähriger von der Organisation Barrio de Pie mit gravierenden Schnittverletzungen. Die OLP setzt dies in den Kontext einer seit November verschärften Polizeirepression unter dem Kommando der macristischen Regionalregierung. Insgesamt, so die DemoorganisatorInnen, soll der Widerstand auf der Strasse gegen das IWF-Diktat in der kommenden Zeit weitergehen. Zu beachten ist ferner, dass, wie Página/12 heute schreibt, der genaue Text des Memorandum of Understanding zwischen IWF und argentinischer Regierung noch erarbeitet wird… Und falls die im A21-Artikel angeführte Quelle, das Wirtschaftsblatt El Cronista, die Sache richtig wiedergibt, ist ein IWF-Arrangement zum Beispiel für Moskau Voraussetzung für weitere Investitionen-«Hilfe», darunter im Gespräch der Bau eines AKWs. Das zeigt, wie mächtig die US-imperialistische Finanzarchitektur ist. Die Regierung von Alberto Fernández windet sich seit ihrem Beginn zwischen links und rechts. In der aktuellen Erpressungssituation kommt ihr Kniefall vor dem Syndikat IWF nicht wirklich überraschend. Eine Alternative können nur die Kämpfe gegen das verbrecherische Diktat weisen, ein Diktat, das nur aufgrund des seit jahrzehntelangen Widerstands nicht noch brutaler ausgefallen ist. Wirtschaftspolitisches Argumentieren kann diese nicht ersetzen, allenfalls ihnen dienen.