(zas, 30.5.13) Vor einer Woche trafen sich im kolumbianischen Cali die Staatschefs der azifikallianz, eines 2011/12 lancierten US Freihandelszusammenschlusses mehrerer lateinamerikanischer Staaten unter faktischer US-Ägide. In den Mainstream-Medien gilt diese Allianz als Gegengift zum bolivarischen Ansatz in Lateinamerika. Da ist auch einiges Pfeifen im Wald dabei. Infos zur „Wunderallianz“.
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Ein neuer neoliberaler Club
José Fortique*
Der VII. Gipfel der Pazifikallianz in Cali hat die Debatte über die
verschiedenen Herangehensweisen in Lateinamerika an die die Regionalen
Kooperationsabkommen belebt. Die Worte des Gastgebers Juan Manuel Santos
[Präsident von Kolumbien] lassen die Absicht erkennen, mit den
Vorläufermodellen zu brechen und das zu installieren, was er den neuen „Motor“
der regionalen Wirtschaft nannte. Die von Mexiko, Chile, Peru und Kolumbien
gegründete Allianz hat an diesem Gipfel Costa Rica als Vollmitglied aufgenommen;
mit Beobachterstatus nahmen, neben weiteren pazifischen Delegationen, auch
Uruguay, Spanien, Kanada und Guatemala teil.
Peña Nieto (Mexiko), Santos (Kolumbien), Piñera (Chile), Humala (Peru) in Cali |
In den am Gipfel zirkulierenden Reden war die Absicht zu erkennen, den
Prozess der Zollverhandlungen zu vertiefen, um so das angestrebte Ziel eines
freien Marktes zu erreichen, zu Lasten der sozialen Forderungen und ungeachtet
der Asymmetrien zwischen den beteiligten Wirtschaften. Kurzfristig geht es um
die wenig diskriminierende Liberalisierung von 90 % der Zölle und um einen zu
schaffenden Markt von 216 Millionen Menschen, die Beobachterländer nicht mit
eingerechnet. Einen Markt mit der Tendenz zur staatlichen Deregulierung
strategischer Sektoren: Agrarbereich oder Rohstoffe; Rückkehr zu einem Prozess
der neoliberalen Restrukturierung, wie er von den 70er bis in die 90er Jahre
dominierte (die goldene Zeit der Chicago
Boys); als Alternative zum Cepalismus von Prebisch gehandelt, der mit dem
Modell der Industrialisierung via Importsubstitution als protektionistisch
angegriffen wird. [Cepal: UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und
Karibik; Raúl Prebisch, argentinischer Ökonom, leitete früher die CEPAL].
Der Gipfel korrespondiert mit der wichtigen wirtschaftlichen Rolle
Lateinamerikas in der Agenda der Obama-Administration. Es fanden in der Region
diverse hochrangige Gipfeltreffen mit der Teilnahme von Vizepräsident Biden
statt; Obama selbst besuchte kürzlich Zentralamerika und Mexiko. Einige
Fachleute für Geopolitisches verwiesen darauf, dass die neue Freihandelsvertrags-Strategie
der USA darauf zielt, China einzudämmen, auf globaler Ebene diplomatische
Stärke zeigt. Die wachsenden chinesischen Investitionen in Lateinamerika gehen
in die Minen- und Energiebewirtschaftung; aber sie diversifizieren sich auch in
die Infrastruktur und einen finanziellen Überfluss, der es einigen Ländern
erlaubt hat, sich von der Hegemonie des IWF bei der Mittelbeschaffung zu
emanzipieren.
Der neue neoliberale Klub rekurriert in Sachen Regionale
Kooperationsabkommen auf die neorealistische Formel der Freihandelsverträge, im
Gegensatz zum letzten Jahrzehnt, als Vorschläge wie der von ALBA eine Agenda
des Bruchs in den Beziehungen mit den Multis bestimmten, indem sie die
Staatsbeteiligung privilegierten und die Möglichkeit für die Teilnahme der sozialen
Bewegungen eröffneten. Der Putsch in Honduras brachte den ersten Riss in der
„souveränen“ Integration Zentralamerikas, dem jener in Paraguay folgte. Beide zielten
darauf ab, einen Export des von Chávez vertretenen Modells zu verhindern. Im
Fall von Paraguay geht es auch darum, den Beitritt Venezuelas zum Mercosur zu
blockieren, der immer noch von der paraguayischen Rechten bedroht ist. Die
Mehrheit der Mitglieder der Pazifikallianz ist bilateral über
Freihandelsabkommen an die ISA gekoppelt, so dass sie im Kontinent als
„Brückenkopf“ dienen können. Zudem haben sie den Segen Washingtons für einen
Beitritt zur Trans Pacific Partnership, Satelliten bei der
geostrategischen Kontrolle des asiatischen Pazifiks [s. u.].
Am Gipfel im argentinischen Mar de Plata 2005 verlangten die sozialen
Bewegungen am Gegengipfel die Beerdigung des neoliberalen Modells, das Bush mit
der kontinentalen Freihandelszone FTAA durchzudrücken versuchte. Der Widerstand
der progressiven Regierungen stoppte die Demontage des Staates und verhalf
ihnen zur Kontrolle der natürlichen Ressourcen. Und jetzt - ein Wiederauferstehen der FTAA? Die
Kontrolle Mexikos via das Freihandelsabkommen mit den USA, die militärische
Intervention in Kolumbien, die fast totale Bevormundung Zentralamerikas über
das regionale Freihandelsabkommen CAFTA mit den USA beleuchten die Robustheit
der militärischen und politischen Kontrolldispositive der USA in einigen
Regionen des Kontinents. Aber diese Gesundheit droht zu verkümmern, sobald die
Dekadenz des angelsächsischen Kapitalismus die Freihandelsvorteile zu leeren
versprechen macht. Die Chimäre des Wachstums dank freiem Markt macht aus den
Worten des kolumbianischen Präsidenten Santos in Cali dünnen Optimismus. Santos
ist ein Peon im geopolitischen Schach zwischen den USA und China; er lässt in
seinem ökonomischen Rätselraten die vitale Rolle Brasiliens in der Region aus.
* alainet.org, 27.5.13: Nuevo club
neoliberal
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Pazifisches
(zas, 30.5.13) Seit es sie gibt, erfreut sich die Pazifikallianz in den
Medien des Imperiums einer gedeihlichen Behandlung. Auch in „seriösen“ Blättern
wurde dazu purer Stuss verbreitet, etwa, dass die vier ursprünglichen
Vollmitglieder mit ihrer Wirtschaftsleistung den Mercosur (Brasilien, Uruguay,
Argentinien, Paraguay, Venezuela, demnächst wohl Bolivien und Ecuador) in den
Schatten stellten. Allein das brasilianische BIP ist immer noch grösser als
jenes der ursprünglichen Allianz (45% des lateinamerikanischen BIP zu 35% der
Allianz). Aber allzu sehr um Details geht es in der jetzigen Phase nicht,
sondern um eine Offensive auch auf ökonomisch-gesellschaftlicher Ebene gegen
den Prozess der relativen lateinamerikanischen Verselbstständigung. Ins
Propagandahorn bläst natürlich auch die NZZ, allerdings vordergründig weniger
irreführend. Sie „konzediert“ die führende Wirtschaftsleistung Brasiliens, um
aber klarzustellen: „Doch mit der wachsenden Integration im Westen
Lateinamerikas könnte die Pazifik-Allianz Brasilien den Rang ablaufen. Peru,
Chile, Kolumbien und Mexiko wachsen seit Jahren schneller als Brasilien. Seit
2005 legten sie jährlich rund 4,7% zu. Alle vier Staaten eint ihre
investitionsfreundliche Wirtschaftspolitik, was sie von Nachbarländern wie
Argentinien oder Venezuela unterscheidet … Nicht umsonst vereinen sie zwar nur ein
Drittel des Bruttoinlandprodukts der Region auf sich, sind aber für die Hälfte
des Aussenhandels Lateinamerikas verantwortlich“ („Pazifik-Allianz
nimmt Fahrt auf“, 23.5.13). Eine eigenartige „Allianz“: Ihr Handel untereinander
beträgt ganze 3.9 % ihres Gesamthandels von mehr als $1 Mrd.auf, der krass von
den Wirtschaftsbeziehungen mit den USA dominiert wird (El Nuevo Heraldo,
28.5.13: „Alianza
del Pacífico, otro sueño que da a hablar“). Doch es sind gerade die
„inspirierenden“ Gesamtexportzahlen, die in der Berichterstattung als Beleg für
künftige Stärke hervorgestrichen werden. Gemeint: die rasante Zunahme der Ausbeutung
von Bodenschätzen u. ä. in diesen Ländern durch die Multis. Also genau das
Unheil, von dem loszukommen so schwierig ist, wie die Dynamik in den
Alba-Ländern zeigt. Kine Allianz füreinander, sondern für die imperialen Multis.
Die spanische Nachrichtenagentur EFE beginnt einen Bericht so: „Die junge
Pazifikallianz … liess in Cali den Geist des FTAA [gescheitertes US-Projekt
einer kontinentalen Freihandelszone] wieder aufleben. Denn in dieser
kolumbianischen Stadt folgten sich die Loblieder auf die Marktöffnung, unter
der Annahme, dass dieses Modell den Weg zu Entwicklung und
Arbeitsplatzschaffung weist – alles eingebettet in eine grosse Exaltiertheit
über den Freihandel“ (CNN, 24.5.13: „La
Alianza del Pacífico resuscita el ALCA“).
Bei so viel good vibes gesellten sich als „Beobachter“ unter anderem
die Staatschefs von Kanada, Spanien, Guatemala, Costa Rica, Panama und
Ministerialdelegationen etwa aus Australien, Japan, Neuseeland, El Salvador und
– bemerkenswert – Uruguay dazu. Uruguay, vertreten durch den neoliberalen
Vizepräsidenten Danilo Astori, ist Mitglied des Mercosurs, zu dessen
Grundsätzen es gehört, dass seine Mitglieder anderen Bündnissen nur en bloc
beitreten können. Glaubt man Astori, ist Uruguay nächstens mit dabei in der
Pazifikallianz, die stets als Konkurrenz zum Mercosur begriffen wird. Dies reflektiert auch die Schwierigkeiten im
Mercosur, der bis anhin von den beiden Giganten Argentinien und Brasilien,
zulasten der Wirtschaften der kleinen Mitglieder, dominiert wurde.
Die in Cali versammelte Gang will das Steuer in Lateinamerika zurückdrehen
und erhält dafür schönfärberischen Support im Mainstream. Ich rieb mir die
Augen, als ich las, in Cali sei eine tolle Förderung des Allianz-internen Handels
beschlossen worden: Eine ganze Million Dollars wollen die beteiligten
Regierungen dafür ausgeben! Nichts, nada! Oder … halt! Das reicht vermutlich
gerade für die Bezahlung der Washingtoner Consultingbude, die in jedem
Mitgliedland bestimmen wird, welche „schädlichen“ Bestimmungen abzuschaffen
sind, da potenziell den Multi-internen Waren- und Finanzverkehr zwischen seinen
Filialen in den Allianzländern behindernd.
Wiederholt wird die real doch eher shaky Pazifikallianz zwecks
grösseren Glanzes als lateinamerikanisches Bindeglied zur Trans-Pacific
Partnership (TPP) dargestellt. Dieser ursprünglich auf New Zealand, Chile,
Singapur und Brunei beschränkte Freihandelsverein ist von Washington unter die
Fittiche genommen worden und gilt allgemein als ökonomisches Gegenstück zur
erklärten geostrategischen Priorisierung des asiatischen Pazifiks durch die
Obama-Administration. Die Verhandlungen über die TPP erfolgen mit grösster
Diskretion; bekannt ist, dass etwa viel längere Laufzeiten für medizinische
Patente oder die Stärkung der „Investorenrechte“ gegenüber staatlichen
Anmassungen wie einer Kontrolle der Finanzspekulation angepeilt sind. Etwas
verdattert lässt Ron Wyden, Chef des für die TPP zuständigen Komitees des
US-Kongresses, verlauten: „Die Mehrheit des Kongress wird bei der Substanz
der TPP-Verhandlungen im Dunkeln gelassen, während die VertreterInnen von
US-Unternehmen wie Halliburton, Chevron, PhaRMA, Comcast und Motion Picture
Association of America konsultiert und mit den Details des Abkommens vertraut
gemacht werden“ (globalresearch.ca, 2.4.13: „The
Trans-Pacific Partnership (TPP), An Oppressive US-Led Free Trade Agreement, A
Corporate Power-Tool of the 1%“. Leider scheint es kaum brauchbare linke
TPP-Analysen zu geben; auch die zitierte Quelle verfällt in einen zum Thema
offenbar grassierenden Verschwörungswahn, wonach es bei TPP wie bei anderen
vergleichbaren Entwicklungen um eine
internationale Machenschaft vor allem gegen die Souveränität der USA gehe.)
Südkorea: Protest gegen TPP |
Die Pazifikallianz oder eben die um einige Schuhnummern grössere TPP sind ernst zu nehmen als Teil einer globalen Herrschaftsoffensive, in Lateinamerika klar gegen den Aufbruch von kämpfenden Sozialbewegungen und linken Regierungen. Ernstnehmen heisst aber nicht, auf die teilweise plumpe Propaganda der Gegenseite hereinfallen. Ernstnehmen heisst, solche Tendenzen im Zusammenhang mit militärischer Eskalation des Imperialismus, vielfältigen Destabilisierungsschemas, aber etwa auch mit den permanenten Versuchen, im bolivarischen Lager sozialtechnokratische Momente zu fördern, zu sehen. Ihr Erfolg oder Misserfolg hängt mit Bestimmtheit nicht von irgendwelchen Exportzahlen oder Ähnlichem ab, sondern vielmehr von der Stärkung oder Schwächung der emanzipatorischen Umgestaltung im gesellschaftlichen Alltag in den umkämpften Zonen des Kontinents.