Kolumbien: 4000 Gemeinschaftsgräber mit 5638 Leichen in 8 Jahren

Freitag, 12. Juni 2015



Esperanza Sumpaz
In acht Jahren hat die Staatsanwaltschaft mehr als 4000 Gemeinschaftsgräber mit 5638 Leichen gefunden – gegraben von den Paramilitärs.
Verschiedene Paramilitärs kommen dieser Tage dank eines Straflosigkeitsgesetzes in Freiheit, das der kolumbianische Staat für sein paramilitärisches Instrument angefertigt hat: zwischen 5 und 8 Jahren Gefängnis, wenn sie Angaben zu einigen ihrer Verbrechen machen. Unter diesem Gesetz wurde etwa Julián Bolívar am 22. Mai 2015 freigelassen. Dieser Paramilitär hatte eine Folterschule gegründet und ist verantwortlich für Morde, Massaker, Folter, Vergewaltigungen und gewaltsames Verschwindenlassen. Dennoch kam er nach einem Kurzaufenthalt im Gefängnis mit allen Privilegien, die ihm sein Reichtum verschaffte, frei. Die Folterschule wurde in den Llanos gegründet, um die Paramilitärs zu lehren, wie die Campesinos und Campesinas am schrecklichsten zu foltern sind, vor den Comunidades, um sie einzuschüchtern und ihr Land für die Grossgrundbesitzer und Multis rauben zu können. Alle Opfer der Folterschule wurden Experimenten mit extremen Schmerzen unterzogen.
Das Projekt des Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden [Spezialgesetz für die „Demobilisierung“ der Paras] ist von Menschenrechtsgruppen und überlebenden Opfern mit seinem Strafmass von 5 bis 8 Jahren für Verbrechen gegen die Menschheit und schwere Delikte wie Massaker, Zerstückelung, Aufspiessen auf Pfählen, Vergewaltigungen, Folter, gewaltsames Verschwindenlassen etc. als zu grosszügig kritisiert worden. Lächerliche Strafen für geständige Paramilitärs. Die UNO kritisierte, dass nicht ein umfassendes Geständnis die Voraussetzung für ein Verfahren unter diesem Gesetz bildete, sondern im Prinzip eine Art freie Version der kriminellen Aktivitäten der „demobilisierten“ Paramilitärs genügte. 
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 (zas, 12.6.15) Monatelang hatten die FARC in mehreren zunehmend dringlicher werdenden Communiqués vor den Konsequenzen aus ihrer zunehmend enger werdenden Umzingelung durch die Armee gewarnt. Ihr seit Dezember anhaltender einseitiger Waffenstillstand werde dadurch immer prekärer. Präsident Santos solle die kriegstreibenden Kräfte um den Ex-Präsidenten Uribe in seiner Regierung und den Streitkräften mässigen. Vergeblich. Mitte April begannen sich die FARC zu wehren und griffen eine der immer näher an ihre Stellungen rückenden Armeeeinheiten an. Daraufhin bombardierte die Luftwaffe zwei Lager der FARC der Folge einer beträchtlichen Anzahl Toter auf Seiten der Guerilla. Die FARC hoben danach ihren Waffenstillstand auf.
Natürlich kolportierten die grossen Medien sofort, wer schuld am neuen Kriegstreiben sei: die „Terroristen“. Mehrere einseitige Waffenstillstände der FARC, der letzte unbefristet (auch nach ihrer Verteidigungsoperation Mitte April hatte die Guerilla den Waffenstillstand nicht beendet.) Fortwährende und prahlerisch verkündete Armeeoperationen gegen die Guerilla, zuletzt die Bombardierungen  –für die transnationalen Regimemedien und ihre Vorkäuer konnte der Schluss nur lauten: Die FARC sind immer noch friedensuntauglich.
Nun ja, wir wissen, dass die Massenkommunikationsmittel Mittel zur Zurichtung der Massen sind. Und doch verschlägt die biedere Selbstverständlichkeit des herrschenden Zynismus einem zuweilen die Sprache. Wenn die medialen Kopiermaschinen der transnationalen Gemeinschaft auf das Thema Frieden in Kolumbien eingehen, dann monoton unter dem Blickwinkel, dass die „Terroristen“ nicht bereit sind, nach einem allfälligen Friedensschluss für ihre Verbrechen im Gefängnis zu sühnen. Dies, so der Refrain, zögere den Friedensschluss hinaus und gefährde ihn.
Das „kleine Detail“: Auch in Kolumbien ist die übergrosse Mehrheit der Fälle von Menschenrechtsverletzungen in den letzten 60 Jahren direkte Folge und direktes Ziel der Kriegsführung des Regimes. Dies hält bis heute an. Eine Studie der Nationalen Universität von Kolumbien be­legte 2011: 80 % der Menschenrechtsver­letzungen und 87 % der Bevölkerungsver­treibungen finden in Gebieten statt, die an Minen- und Energiemultis konzessioniert sind, ebenso 78 % der Anschläge auf Ge­werkschaftsmitglieder. Die „demobilisierten“ Paramilitärs, die heute bacrim heissen, kriminelle Banden, machen meist das Drecksgeschäft.
Angefangen hatte der Paramilitarismus vor der Gründung überhaupt der Guerillaorganisationen. 1962 examinierte der US-General William P. Yarborough die kommunistischen Tendenzen in Kolumbien und verschrieb dem Land den special warfare. Der General war ein Vertrauter des damaligen US-Präsidenten Kennedy und leitete das Special Warfare Center der US-Streitkräfte. Kennedy wollte keinen Krieg mit der Sowjetunion wegen Kuba, dafür verschrieb er sich ganz der „unkonventionellen Kriegsführung“ überall im Trikont. Zu seinem Vermächtnis gehören etwa die Zwangsumsiedlungen in Südvietnam von 5 bis 10 Millionen Bäuerinnen und Bauern, einem Viertel bis die Hälfte der Bevölkerung, in die fürchterlichen Wehrdörfer. Yarborough, damals einer der einflussreichsten Militärs in den USA, verschrieb Kolumbien als dringende Kur gegen die sozialen, kommunistischen Bewegungen den Einsatz von paramilitärischen Organisationen vor.
Das ist keine paranoide Behauptung. Es lohnt sich sehr, z. B. das Buch Instruments of Statecraft (1992) von Michael McClintock, der für Organisationen wie Amnesty, Human Rights Watch und später Human Rights First geforscht hat, zu lesen. Ein Werke über die Entwicklung der US-Doktrin und Praxis des „irregulären Kriegs“ im globalen Süden. Für Kolumbien s. dazu das Kapitel The Heart of Doctrine.
Historische Gerechtigkeit, das hiesse, die Promotoren des Paramilitarismus in Kolumbien zu benennen. Und jene, die dieses Projekt heute noch hochhalten (von Multis wie Glencore, Nestlé oder Drummond bis zur US-gestützten Armeespitze in Kolumbien) zur Verantwortung zu ziehen.