(zas,
20.11.16) Es hat in den hiesigen Medien keine grosse Wellen geschlagen, nur da
und dort ein leises Wehklagen. Dabei geht es immerhin um ein erstes Abkommen zwischen der
chavistischen Regierung und der Mehrheit des Oppositionsbündnis MUD (Tisch der
demokratischen Einheit). Das Abkommen kam am letzten 12. November unter
Vermittlung des Vatikans, einer von Zapatero geleiteten Gruppe von
Ex-Präsidenten und des lateinamerikanischen Staatenbündnisses Unasur. Sein
Inhalt erklärt die mediale Leisetreterei. Es enthält fünf Punkte, deren erster mit
diesem Satz anfängt:
„Auf sozioökonomischem Gebiet vereinbarten die nationale Regierung und die MUD, gemeinsam daran zu arbeiten, jede Form von Sabotage, Boykott oder Aggression gegen die venezolanische Wirtschaft zu bekämpfen.“
Mit anderen
Worten, die MUD anerkennt das, was sie und ihre Auftraggeber, die Mächte des
Imperiums und deren Medien, bisher durchs Band als lächerliche Schutzbehauptung
einer unfähigen Regierung abgetan haben: die Existenz eines Wirtschaftskriegs.
Noch jede Schreib- oder Schwatzbanause der Mainstreammedien konnte vor
Belustigung ob solch wirrer Ausflüchte des chavistischen Pleiteregimes kaum an
sich halten. Und jetzt … dies! Und auch nicht besser, der nach dem Bekenntnis folgende
Satz geht so:
„Sie beschlossen, kurzfristig die Ergreifung von Massnahmen zu priorisieren, um auf der Basis von Produktion und Import die Versorgung mit Medikamenten und Nahrungsmitteln zu fördern.“
Die
Versorgungskrise im Kontext eines Wirtschaftskriegs, nicht der chavistischen
Unfähigkeit!
In Punkt 2 gibt die Rechte zu, dass das von ihr kontrollierte Parlament das Oberste Gericht anerkennen muss, und nicht, wie geschehen, vom Tribunal wegen mutmasslichem Wahlbetrugs suspendierte KandidatInnen aus dem Gliedstaat Amazonas einfach vereidigen kann:
„Im politischen Bereich kam man überein, in der Überwindung der Situation der Missachtung des Obersten Gerichts seitens des Parlaments voranzukommen. In diesem Sinn wurde vereinbart, die zuständigen staatlichen Instanzen aufzufordern, im Fall Amazonas dringend zu handeln.“
Angesichts
der ziemlich erdrückenden Beweislage kann das eigentlich nur heissen: Neuwahlen
in Amazonas, wie es die chavistische Partei PSUV fordert. Wichtiger aber: Die
Rechte anerkennt ihr illegales Vorgehen im Parlament - das Konstrukt von der
chavistischen Willkür und Diktatur bröckelt.
Punkt 3
beinhaltet eine Erklärung der Einigkeit in Sachen Esequibo (der rechte
Präsident von Guayana erhob unter Anleitung Washingtons Anspruch auf ein
grosses Ölvorkommen); Punkt 4 enthält einen Verweis auf eine gemeinsame
Erklärung („In Frieden zusammenleben“) und Punkt 5 sieht eine paritätische
Erweiterung für die nächste Verhandlungsrunde vor. „In Frieden zusammenleben“ bekräftigt
primär den Entscheid zur friedlichen Konfliktlösung nach Massgabe der
Verfassung und zur Bekämpfung der „kriminellen
Gewalt, der paramilitärischen Banden und der gewalttätigen Gruppen“.
In Sachen
Referendum gab es keine Lösung. Im Obersten Wahlrat werden zwei von fünf
Mitgliedern von der MUD sein (bisher eines).
Wie kam es
zum Abkommen, nachdem die Rechte doch wochenlang davon sprach, Maduro aus dem
Präsidentenpalast zu jagen? Zum einen dürften die durchaus eindrücklichen, aber
unter den Erwartuungen gebliebenen Mobilisierungen der Tage vor dem Dialog
ausschlaggebend gewesen sein. Zwar kursieren konträre Behauptungen etwa zum
ausgerufenen „Generalstreik“, doch scheint klar, dass er letztlich ein
Misserfolg war. Aus zwei Gründen: ArbeiterInnen mögen zwar einen ziemlichen
Groll auf die Regierung wegen der Versorgungslage haben, aber viele wissen auch,
dass dafür hauptverantwortlich die Rechte ist. Und der Unternehmerverband
bekundete plötzlich einen Meinungsumschwung hin zur „Neutralität“ in der
Streikfrage, nachdem der Chavismus klar gestellt hatte, dass ein aussperrendes
Unternehmen militärisch besetzt und der Belegschaft übergeben werde. Zum
anderen hat, so jedenfalls einige chavistische KommentatorInnen, das energische
Eintreten von Papst Bergoglio für einen Dialog die gewaltsüchtige Rechte an den
Verhandlungstisch gezwungen.
Allerdings
nicht die ganze MUD: Insbesondere die rechtsradikale, US-finanzierte Voluntad
Popular unter dem Kommando des einsitzenden Leopoldo López schäumt über den
MUD-Verrat. Das weist auf grosse Spannungen innerhalb der Opposition hin. Es
scheint zudem, dass die MUD-Basis zwischen aufpeitschender Sturmrhetorik („Einnahme
von Venezuela“), wiederholt frustrierten Hoffnungen auf den Sieg gegen „die
Affen“ und Spaltung die Orientierung verliert. Mit ein Grund für eine gewisse Melancholie
im Medienmainstream, soweit er sich überhaupt zum Abkommen äussert. Die meisten
ziehen es vor, die Sache schlicht zu verschweigen oder zu verpennen (es kam ja
über die „angesehenen“ medialen Imperiumsinstanzen keine Orientierung, sich der
Sache anzunehmen). So oder so wird die Angriffspropaganda weitergehen.
Nicht nur
die Propaganda, auch der Angriff. Dass relevante Teile des venezolanischen
Antichavismus tatsächlich Hand bieten könnten dazu, jene Wirtschaftssabotage zu
beenden, der sie ihren Sieg bei den Parlamentswahlen von Dezember 2015 hauptsächlich
verdankten, ist zu bezweifeln. Es sei denn, die Regierung Maduro würde die
Unternehmen mit beträchtlichem Entgegenkommen neutralisieren können.
So
zerstritten die MUD auch ist, eine Schwäche der Rechten entspräche nicht
zwangsläufig einer Stärkung der Linken. Das Umfrageinstitut Hinterlaces
ermittelte kürzlich, dass 65 % der VenezolanerInnen die Rechte für gespalten
halten, eine Mehrheit hält eine Abwechslung an der MUD-Spitze für nötig. Das
kann Wasser auf die chavistischen Mühlen sein, kann aber auch bedeuten, dass
eine etwas „gemässigtere“ Rechte absahnen könnte. Ob es zu dieser „Mässigung“
kommt, ist allerdings sehr fraglich – sie wäre kontraproduktiv für den
Wirtschaftskrieg, und das wiederum wäre gefährllich für die Rechte.
Nun der
Krieg ist nicht „rein wirtschaftlich“. Am 25. Oktober 2016 „informierte“
Bloomberg, gestützt auf die üblichen anonymen Quellen, dass die Texas-Justiz
nahe daran sei, in einem Korruptionsverfahren gegen die staatliche
venezolanische Ölfirma Pdvsa, die 95 % der ins Land strömenden Devisen
generiert, zu einer Aktion zu schreiten, die „vielleicht eine der grössten Beschlagnahmungen in der Geschichte der
USA“ wird. Es könne sich um Vermögenswerte von mehreren zehn Millionen
Dollar handeln, die bei „Privaten“ eingezogen würden und nach „einer demokratischen Wahl“ an Venezuela
zurückgegeben würden. Der langjährige Pdvsa-Chef und heutige UNO-Botschafter Rafael
Ramírez bestreitet
die Anschuldigungen eines ähnlich ausgerichteten Berichts einer
parlamentarischen Kommission der Rechten und verweist darauf, dass sämtliche
Pdvsa-Operationen peinlichst genau ausgewiesen worden seien, seit und erst seit
dem Regierungsantritt von Chávez.