Nicaragua: US-Eskalation

Donnerstag, 29. November 2018


(zas, 29.11.18) Es ist wieder so weit. Erneut bedroht Nicaragua die nationale Sicherheit der USA. Wie in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die USA ihre Marines gegen Sandino und seine „kleine, verrückte Armee der freien Menschen“ schicken mussten. Wie danach in den 80-er Jahren, als die Administration Reagan gezwungen war, mit ihrer Söldnerarmee und (und Spezialkommandos der CIA) Terror und Not im Land zu verbreiten, unterstützt von den internationalen Finanzinstituten (IFIs) wie IWF oder Interamerikanische Bank, die dem Bedrohlichen den Zugriff auf Kredite versperrten. Wie heute, wo sie offen auftreten müssen, nachdem ihre lokalen Vasallen von der  Umsturzclique es nicht geschafft haben, Ortega etc. wegzublasen.
Vorgestern erliess Trump ein sehr weitreichendes Präsidialdekret gegen Nicaragua, das US-Finanzministerium verhängte weitere Sanktionen, der US-Senat verabschiedete den Nica Act (Nicaragua Investment Conditionality Act), dessen Kern in einer erneuten Finanzblockade durch die IFIs besteht.
Rückblick auf den letzten 1. November: US-Sicherheitsberater John Bolton redet in einem CIA-kubanischen Zentrum in Miami und sagt: „Die Wahlen neulich von gleichgesinnten Führern in Schlüsselländern wie Yvan Duque in Kolumbien und letztes Wochenende Jair Bolsonaro in Brasilien sind positive Zeichen für die Zukunft der Region“, denn sie „zeigen ein wachsendes regionales Engagement für Freihandelsprinzipien“. „Der Troika der Tyrannei in dieser Hemisphäre –Kuba, Venezuela und Nicaragua  - tritt man endlich entgegen. Wir sind ungeduldige Leute und es ist Zeit, dass die Leute dieser drei Länder freie Regierungen bekommen.“
Bolton gibt ein Präsidialdekret Trumps vom gleichen Tag gegen Venezuela bekannt und sagt: „Unmittelbar werden die neuen Sanktionen US-Personen davon abhalten, mit Akteuren und Netzwerken zusammenzuarbeiten, die an korrupten oder trügerischen Transkationen mit venezolanischem Gold beteiligt sind.“ (US-Personen meint u. a. in den USA wohnhafte Personen, aber etwa auch nach US-Recht konstituierte Unternehmen.) Hintergrund: Aufgrund der faktischen US-Sperre für (staatliche) venezolanische Dollartransaktionen versucht das Land auf seinen riesigen Goldbodenschatz auszuweichen. Im Visier zuvorderst der Goldhandel mit dem Regime Erdogans, das bei entsprechenden US-Sanktionen klar verletzlich wäre. Doch es geht nicht ums Gold allein. Wie Bloomberg weiter schreibt: „Während zu Beginn der Fokus auf dem Gold [von Venezuela] liegen wird, geben die Anordnungen Trumps dem Finanz- und dem Aussenministerium die Befugnis, in Zukunft weitere Wirtschaftszweige ins Visier zu nehmen.“ (Das wird uns eine weitere Welle von … Analysen der chavistischen Misswirtschaft bringen.) Eine executive order (Präsidialdekret) Trumps gegen Kuba steht noch aus. Immerhin durfte Bolton in Miami schon Sanktionen gegen mehr als zwei Dutzend angeblich mit Armee und Geheimdienst von Kuba verbandelten Unternehmen bekanntgeben.
Gegen Nicaragua erliess Trump vorgestern eine weitreichende executive order. Das Land wird darin als „ungewöhnliche und ausserordentliche Bedrohung der nationalen Sicherheit und der Aussenpolitik der USA“ bezeichnet, und erhält damit den gleichen Rang wie Venezuela seit dem infamen Dekret Obamas von 2015. Eine erste Konkretisierung, aber noch nicht mehr, erhielt das Dekret gleichentags mit den Sanktionen des US-Finanzdepartements gegen Vizepräsidentin Rosario Murillo und Daniel Ortegas Privatsekretär Ricardo Moncada Lau. Darüber berichteten auch hiesige Medien, wie gewohnt mit dem falschen Fokus auf in den USA befindlichem, zu beschlagnahmendem Vermögen der Sanktionierten. Nun ist es nicht so wahrscheinlich, dass z. B. Murillo oder chavistische Grandes ihr Geld auf Konten von Banken in Miami deponiert haben oder ihre Ferien unbedingt in den USA verbringen wollen. Hinter der „individuellen“ Sanktion steckt in diesen Fällen anderes. Die Pressemitteilung des Finanzdepartements gibt uns, unter Berufung auf das Präsidialdekret, einen Hinweis: „Als Resultat der heutigen Massnahmen muss jedes Eigentum oder jede Eigentumsbeteiligung von [vom zuständigen Finanzministeriumsorgan OFAC] Genannten unter US-Jurisdiktion oder im Transit, so wie jeder Besitz oder jede Kontrolle einer US-Person blockiert und OFAC rapportiert werden. Allgemein verbieten die OFAC-Regulierungen alle Transaktionen in den USA oder im Transit, bei denen Verhältnisse von Besitz oder Teilbesitz durch die designierten [sanktionierten] Personen existieren. Dies betrifft auch Entitäten, die zur Hälfte oder mehr im Besitz der designierten Personen sind.“ Entitäten – mit solchen Sprachregelungen blockieren die USA z. B. den Kauf von Medikamenten durch staatliche Institutionen in Venezuela.
Finanzminister Mnuchin ist einer der Gangster, die sich an den Zwangsevakuierungen von kleinen HausbesitzerInnen in den USA nach dem Ausbruch der „Subprime“-Krise eine goldene Nase verdient haben. Er weiss ideelle Werte zu schätzen. Die Pressemitteilung seines Ministeriums zitiert ihn so: Er will „garantieren, dass Insider des Ortega-Regimes keinen Zugang zum US-Finanzsystem bekommen, um auf Kosten des nicaraguanischen Volks zu profitieren.“ Murillo sei mit Organisationen verbandelt, die „grosse Menschenrechtsverbrechen“ begangen haben, konkret die Sandinistische Jugend und die Polizei. Letztere war „nach öffentlichen Berichten Teil von ‚Todesschwadronen‘, die aussergerichtliche Hinrichtungen begangen und gefoltert und entführt haben“. Egal, was die Sandinistas gemacht und vor allem, was nicht sie, wohl aber die amigos der USA gemacht haben – die letzten, die dazu irgendetwas zu sagen haben, sind die Folterbosse in Washington.
Nur sehen die das nicht so. Im Gegenteil. In einer Mitteilung des State Departments vom 27. November zu den Sanktionen lesen wir: „Jetzt ist es Zeit für die in der Regierungspartei, ihr Verhalten zu ändern und für den Privatsektor, ihrer Stimme für demokratische Reformen und ein Ende der Gewalt Gehör zu verschaffen.“ Die erste Satzhälfte zielt natürlich auf Spaltung ab, auf welcher Basis dies erfolgt, wäre interessant zu wissen. Der zweite Teil ist spannend: Natürlich haben die Grossunternehmerverbände seit April ihrer Putschstimme Gehör verschafft – und wie! Das kann es nicht sein, was Mr. Pompeo stört. Eher vielleicht ein etwas unklarer Vorgang in der Rechten, in dessen Verlauf die sog. Alianza Cívica, das Dach über Patronvereinen, US-finanzierten NGOs, AktivistInnen der Partei MRS, weiteren rechten Parteien u.a., Anfang letzten Oktober der Gründung einer breiteren Formation, der Unidad Nacional Azul y Blanco (UNAB, Blauweisse Nationaleinheit) zustimmte. Neu bei der UNAB scheinen zwei Sachen zu sein: Zum einen ist der „linke“ Flügel der Regime-Change-Kräfte um die sog. Articulación de Movimientos Sociales jetzt auch formal mit an Bord, zum anderen firmieren die Grossunternehmerverbände trotz des UNAB-Bekenntnis zum freien Markt nicht mehr als Einzelmitglieder. Via Alianza üben sie allerdings weiter beträchtlichen Einfluss aus. Nachdem Ende Juni/Juli die schnelle Machtergreifung gescheitert war, scheinen Teile der Unternehmen – so einige Einschätzungen aus Nicaragua - ihr Engagement für weitere Gewalteskalation reduziert zu haben. Dies könnte die seltsame Mahnung des State Departments an ihre Adresse erklären.
Wenig Erklärungsbedarf weist dafür dieser Satz des State Departments auf: „Die, die [zu den sandinistischen Menschenrechtsverletzungen] schweigen oder sonst wie beteiligt sind, können beträchtliche Folgen gewärtigen...“
 Vielleicht entdeckt die Trump-Administration auch ihre Anti-Missbrauchsseite. Der letzte Satz des Communiqué des Finanzministeriums lässt aufhorchen: „In mindestens einem Fall arbeitete Moncada [der sanktionierte Privatsekretär] mit Präsident Ortega, um Ortegas sexuelles Verhalten mit einer/m Minderjährigen zu verschleiern.“ Es ist zu erwarten, dass da mehr kommt: über das Feindbild „Schwein Ortega“ eine Reihe von Brutalitäten gegen die Bevölkerung legitimieren. Dafür bietet sich der Mann leider an. Ende der 90-er Jahre machte seine Stieftochter Zoilamérica Narváez öffentlich, dass sie vom Comandante mehrmals vergewaltigt worden sei. Den Sachverhalt bestätigte danach auch eine vertrauliche Quelle aus der damaligen FSLN-Führung. Und indirekt die Mutter der Angegriffenen, Rosario Murillo, als sie, neben ihr der schweigend zuhörende Gatte, an einem Grossanlass das sandinistische Volk um Verzeihung für ihre schlechte Tochter bat, die den vom Volk geliebten Comandante in den Dreck gezogen habe. Seither hat sie ihre Macht in Partei und Staat unerträglich ausgebaut. Vereinzelt haben rechte Medien und zuletzt im persönlichen Kontakt eine Führungsfigur des „linken“ Regime-Change-Flügels Aussagen über anhaltende Sexualmissbräuche Ortegas gemacht.
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Vorgestern, gestern, heute: national security. Aber „history is no mystery, blast the past“, wie einst übermütig die US-Dichterband Fugs behauptete, und darum muss man aus der Geschichte auch nichts lernen. Zum eskalierenden Wirtschaftskrieg per Sanktionen sagt die Alianza Cívica: „Es sind extreme Massnahmen wegen extremer Akte der Ungerechtigkeit. Für diesen Konflikt und seine zukünftigen Folgen ist einzig die Regierung verantwortlich, die die Verfassung, (…und) die Menschenrechte verletzt und die Korruption gefördert hat“. Copy paste aus den 80-er Jahren.
In unseren Breitengraden wird dazu auch eine „linke“ Variante zu hören sein: US-Sanktionen no good, besser solche „von unten“. In Deutschland etwa lobbyieren Nicaragua-Gruppen koordiniert dafür, transnationale, aber irgendwie möglicherweise „Orteguismus“-anfällige Machttentakel wie den Bundestag oder das Auswärtige Amt auf anti-„orteguistische“ Linie zu bringen. Wie gesagt: „blast the past“. Vergiss, wo du gestanden bist. Mim dafür Antistalinismus und vorwärts Marsch in den Irrgarten!
Reagan, Obama, Trump - "no mystery".

USA: Weisse Rache

Freitag, 23. November 2018


(zas, 23.11.18) Christine Jordan ist 92. Und schwarz. Die Cousine von Martin Luther King. Seit 50 Jahren wählt sie in Atlanta, der Hauptstadt des Bundesstaates Georgia. Bei jeder Wahl. Als sie meinte, dieses von der Civil Rights Movement errungene Recht auch dieses Mal ausüben zu können, bekam sie Probleme. Denn sie war nirgends im Wahlregister drin. Gelöscht. Sie wollte einen provisorischen Wahlzettel, doch die WahlfunktionärInnen verweigerten ihr diesen. Wäre da nicht das Team von Greg Palast gewesen, das mit Anwaltsmobilisierung mindestens dieses Recht durchsetzen konnte. In ihrem Fall, in anderen Fällen. Aber nicht in allen. 
Christine Jordan, Greg Palast

Die Wahlbehörde von Georgia ist republikanisch dominiert. Rechtsextrem. Bei der Wahl trat die schwarze Stacey Abrams, Senatorin im Staat, gegen Brian Kemp, Republikaner, an. Sie wollte die erste schwarze Gouverneurin in den USA werden. Kemp hatte vorgesorgt. Er war vor der Kandidatur Secretary of State in Georgia gewesen, so was wie Chefminister. Wie in anderen republikanisch regierten Gliedstaaten hatte er das WählerInnenregister gesäubert. Um mehr als eine halbe Million Stimmberechtigte. Wer zwei Mal nicht an Wahlanlässen erschienen war, galt als mutmasslich weggezogen. Und erhielt eine Postkarte von Kemp, mit der Aufforderung, seine/ihre Adresse zu bestätigen. Funny thing: Die Postkarte sah wie einer dieser in den Briefkasten geschmissenen Werbeprospekte aus. Nicht alle antworteten. Greg Palast konnte dank des Freedom of Information Act die Liste der halben Million „Weggezogener“ von Kemp rauspressen, liess sie von führenden ExpertInnen überprüfen – und siehe, ihrer 340‘000 waren nicht weggezogen. Die Zahl ist mittlerweile gerichtlich bestätigt. Schwarze, Hispanics, Arme – wie es der Zufall will. Palast veröffentlichte die Liste der 340‘000, damit sich die Leute gegen die „Falschlöschung“ wehren konnten. Nur: Er hatte die Liste der raus Gesäuberten erst kurz vor dem Wahltermin erhalten- Kemp hatte sich monatelang geweigert – und konnte die Liste der Nicht-Weggezogenen nur Tage vor dem Wahltermin veröffentlichen.
Christine Jordan war gerade nicht auf Draht gewesen und nicht ins Wahlbüro zwecks Korrektur ihrer Registerlöschung gerast. Aber sie hatte immerhin den provisorischen Wahlzettel erhalten. Es gibt den Help America Vote Act, das nach dem Florida-„Debakel“ von 2000 verabschiedeten Gesetz, um zu verhindern, dass Folgendes nochmals geschehe: Der Supreme Court hatte eine Nachzählung der Stimmen in Florida verboten, da diese „dem Kläger George W. Bush einen nicht wiedergutmachbaren Nachteil“ gegenüber seinem Konkurrenten um das Präsidentenamt, Al Gore, „verursachen“ würde (nachdem Bush ins Weisse Haus eingezogen war, wurde definitiv klar, dass Gore die Wahl in Florida gewonnen hätte). Laut HAVA waren die Wahlbehörden verpflichtet, das Wahlrecht derer, die „provisorisch“ wählten, nachträglich sofort zu überprüfen. Laut der Realität mussten dies aber die „Provisorischen“ tun. Die das meist nicht wussten oder dann Problemen gegenüber standen wie Christine Jordan, die am Tag nach der Wahl stundenlang im Wahlbüro Schlange stehen sollte. Resultat dieser und anderer Finessen: Die „provisorischen“ Stimmen wurden und werden höchst selten gezählt. Sie sind keine Stimmen.
Der Supreme Court hat Kemps Registersäuberungsprozedur abgesegnet. Und Kemp ist nicht allein. Seit 2000, als Florida mit dem Wahlausschluss von nicht-weissen Menschen den Anfang gemacht hatte, werden primär in republikanisch dominierten Staaten immer mehr Unterklassenleute ausgeschlossen. Kein Wunder, kommt es zu Protesten. Denn die Leute merken, was gespielt wird, im Gegensatz zur medialen „No-Fake“-Journaille. Diese freut sich wieder mal über die funktionierende Demokratie und ihre phantastischen Checks and Balances: Reps machen im Senat vorwärts, Dems im Repräsentantenhaus. Auch in Georgia kam es zu einem Protest im Georgia State Capitol: „Zählt jede Stimme“. Stacey Abrams beobachtete mit SenatskollegInnen den Anlass. Die Bullen beobachteten sie, die einzige Schwarze in der Gruppe. Sie verhafteten sie, fesselten sie, verbrachten sie auf den Posten. Dort sollte sie sich ausziehen und vaginal auf Deliktisches untersuchen lassen. Die amtierende Senatorin und US-weit bekannte Gouverneurskandidatin. Sie konnte das dann vermeiden, wurde sogar freigelassen. Blöde Frage: Was, sie wäre nicht super-prominent gewesen?
Stacey Abrams, Christine Jordan – zwei von unzähligen Nachkommen von SklavInnen, die, so der herrschende Trend, wieder ihren Platz einzunehmen lernen müssen.

Quellen:

Georgia Senator Nikema Williams: Black, Female and Under Arrest

92-Year-Old Georgia Voter Blocked