Die «neue Demokratie»
der Militärs geniesst den Segen der Märkte. Geht die Reise nun in die NATO? Militärisch
gestählte «Demokratie» statt Militärdiktatur? Und die Linke?
(zas, 2.11.18) In Brasilien existiert die Militaristenzeitschrift
Revista da Sociedade Militar,
von der Gilberto Lopes in Rebelión
schreibt, sie «reflektiert die
dominierende Geisteshaltung» in der Armee.
Lopes zitiert aus dem gerade erschienenen Editorial dieser Revista: «In Kürze werden wir vom PT befreit sein».
Die Armee, so das Editorial weiter, sehe keine neue Militärdiktatur am
Entstehen, auch wenn der Reservegeneral Hamilton Moura, jetzt zum
Vizepräsidenten gewählt, als Kommandant des südlichen Gliedstaats Rio Grande do
Sul der Justiz mit einem Putsch gedroht habe, wenn diese nicht die wegen
Korruption Angeschuldigten verurteile – es ging ihm um die Verhinderung der Kandidatur
Lulas. Ins gleiche Horn stiessen seither mehrere führende Aktiv- und Reserveoffiziere,
hier sei nur Armeechef Villas Bôas erwähnt, der dem Obersten Gericht Orientierungshilfe
gab, Stunden vor dessen Entscheid zur definitiven Einknastung Lulas: : «Ich versichere der Nation, dass das
brasilianische Heer das Verlangen aller guter Bürger nach Ablehnung der
Korruption teilt (…) und seinen institutionellen Missionen nachkommt.»
«Neu Demokratie» -
ohne PT
Doch die Sociedade
Militar lobt die Armeeführung dafür, dem in der Bevölkerung breit abgestütztem
Ruf nach einer Intervention nicht Gehör geschenkt zu haben. Dies hätte nur ein «ewiges Replay» gebracht, in dem die
Militärs die Gesellschaft in Unmündigkeit gehalten hätten. Dafür, fährt die
Sociedade weiter, haben die Streitkräfte erreicht, «dass die Gesellschaft Protagonistin dieses magischen Moments ist, den
wir jetzt erleben. Die brasilianische Gesellschaft – wir sagen es mit grossem
Stolz – ist mehr als ein grosser PT-Fleck, der sich auf Befehl von
Gewerkschaftern und Berufsagitatoren in die eine oder andere Richtung bewegt. Es
gelangen äusserst schwerwiegende Beweise für eine ausländische Finanzierung der
Partei und andere inakzeptable Verbrechen ans Tageslicht, deren Konsequenz die
Annullierung der Partei bedeutet. In
Kürze werden wir vom PT befreit sein.»
Das Editorial dieser Militärvereinigung entspricht genau den
Aussagen des führenden Offiziers, über die wir im Blog berichtet
haben. Inhalt: Die Armee hat Bolsonaro
in den letzten Jahren «aufgebaut» für ein Regierungsmodell, das nicht mehr die
frühere Militärdiktatur repetiert, aber die «passive» Unterordnung der
Streitkräfte unter eine zivile Regierung beendet. Voraussetzung für diese «neue Demokratie» waren die Inhaftierung
Lulas und die Absetzung der PT-Regierung von Dilma Rousseff. In der «neuen
Demokratie», behauptete der Militär, «existiert keine Möglichkeit für einen Putsch,
keine. 1964 gab es kein Facebook, die Welt war anders. Es wird in keinem Fall
einen Putsch geben. Die Presse versteht das nicht, und in der Kampagne hatte
sie eine sehr infantile Analyse.»
Die Homepage der Sociedade
scheint auf den ersten Blick von Delirierenden betreut zu werden. So lesen
wir etwa von «faschistischen Politikern
des PSOL», einer Linkspartei, weil sie eine Siegesparade der Armee in Niterói
(Rio de Janeiro) zum Wahlsieg Bolsonaros kritisiert haben.
Video Niterói |
Aber warum «faschistisch»? Weil, so werden wir belehrt, «der Faschismus die Verstaatlichung
predigte». Ein «Argumentationsmuster» des Ultraflügels in Brasilien, das
einfach die Realität umkehrt. Fascho ist, wer die Hetze gegen Linke, Landlose,
Schwule, Indigene, Schwarze, Feministinnen oder Gewerkschaften bekämpft. Auf
einen zweiten Blick erkennen wir rationale Tendenzen dieses
Militaristenvereins. Vor und nach dem Wahlsieg Bolsonaros lässt er etwa
Meldungen verbreiten, dass die vom Pentagon seit Jahren geplante, aber von den
PT-Regierungen blockierte US-Militärbase im Länderdreieck
Brasilien/Argentinien/Paraguay (in der Gegend eines der weltweit grössten
Süsswasserreservoirs!) demnächst Wirklichkeit werden könne.
Die «neue Demokratie»
im Trend
Die Eingliederung der «neuen Demokratie» ins imperiale
Projekt ist offenkundig. Für dieselbe Tendenz steht die Ernennung des
ultrareaktionären Bankiers Paulo Guedes zum Superwirtschaftsminister. Er ist
eine Neuausgabe der Chicago Boys aus den Pinochet-Zeiten (Guedes an der
Universität von Chicago, dem zentralen Ideologielieferanten für die
Wirtschaftspolitik des chilenischen Regimes, Ökonomie studiert. Er war übrigens
Mitgründer der Bank BTG Pactual, die lange mit der UBS und anderen Akteuren des
Schweizer Finanzmarktes zu tun hatte.) Nach der Wahl wusste er Folgendes mitzuteilen:
«Der Mercosur war bei seiner Gründung
total ideologisch. Er ist ein kognitives Gefängnis, nichts für die Leute. Im Sinn,
dass man nur mit Leuten mit bolivarischer Tendenz Geschäfte macht». Jetzt
werde das Land «mit der Welt Handel
treiben, mit mehr Ländern. Wir werden nicht Gefangene ideologischer Beziehungen
sein.» Unmittelbar aber betont Guedes ein altes Anliegen: «Wir brauchen eine Rentenreform», also Pensionierungsalter
erhöhen, Renten drücken etc. Damit ist die Putschregierung Temer in einem Parlament
ins Stocken geraten, dessen rechte Mehrheit das aggressive Geschäft doch lieber
nach der Parlamentswahl tätigen wollten. Jetzt ist das Parlament noch weiter
nach rechts gerückt. Weitere wichtiger Punkt auf der Agenda: staatliche
Sparprogramme, Budgetdefizit in Rekordzeit auf null drücken, Staatsbereiche
privatisieren.
Erinnern wir uns an die Faschismus-Begründung der Sociedade Militar: Der Faschismus will
verstaatlichen. Umkehrschluss: Der Antifaschismus will privatisieren. Wir
verstehen, warum schon nach dem 1. Wahlgang, als Bolsonaro als mutmasslicher
Präsident feststand, die Börsenkurse in die Höhe schossen. Nach dem klaren Sieg
Bolsonaros in der 1. Runde meinte die Journalistin Julia Leite in Bloomberg Markets: «Die Märkte reagieren wirklich gut. Sie
haben eine klare Präferenz für Bolsonaro, dessen Wirtschaftsberater [Guedes]
sehr liberal ist, der alles privatisieren will … Für die Märkte ist die Sache
wirklich klar. Sie wollen Bolsonaro.»
Der Chicago-Boy |
Da und dort lassen hiesige SympathisantInnen des weissen
Putsches in Brasilien jetzt eine Distanz zu Bolsonaro erkennen. In der NZZ etwa
war dieser Tage zu lesen, da seine Regierung militärlastig sei und die Armee dem
Wirtschaftsnationalismus huldige, gebe es trotz Guedes Fragezeichen zur Wirtschaftskompetenz
der neuen Regierung. Es wäre realitätsnah, diese MitläuferInnen würden zur
Erkenntnis gelangen und diese auch aussprechen, dass ihre betonte Wirtschaftsweisheit
in Zeiten der Krise bei den Militärs bestens aufgehoben ist. Wie schon bei
Pinochet. Es gibt zwar reale Differenzen: Der Guedes-Flügel will die staatliche
Erdölindustrie sofort verdealen, die Armeeführung scheint zu sagen: «Petrobras
gehört uns». Aber an der Ausrichtung der Militärs auf die nicht-staatliche
Kapitaldominanz ändert das wenig. Und umgekehrt braucht die Regierung die bewaffnete
Macht, um ihre geplanten Angriffe abzusichern.
Bolsonaro hatte am Tag nach der Wahl im Interview mit dem
Sender RecordTV seiner ultrareaktionären evangelikalen Kirche als
Wunschkandidaten für das Amt des Justizministers den Richter Sérgio Moro ein «Symbol für den Kampf gegen Korruption» genannt.
Moro hat schon zugesagt. Er ist der Richter, der unter dem Vorwand der
Korruptionsbekämpfung die relevanten Justizverfahren seit Jahren
ausschliesslich auf das Ziel der Zerschlagung des PT ausgerichtet hat, unter
krasser Verletzung von Legalität und Menschenrechten (s. dazu: Brasilien/Argentinien:
Korruption – Washington weiss es besser). Er hat Lula im Knast versenkt. Und
er ist Dauergast bei den international ausgerichteten Eliten-Thinktanks in den
USA. Wikileaks hatte ein Kabel der
US-Botschaft in Brasilia vom 30. Oktober 2009 veröffentlicht (Brazi: Illicit
Finance Conference uses the «T» Word, Successfully). Es brachte vor neun
Jahren die heute als lawfare – US-geleiteter
Justizkrieg gegen kontinental führende ExponentInnen der progressiven Kräfte in
Lateinamerika - bekannte Praxis auf den Punkt. Das Kabel beschreibt einen
US-Kursus für brasilianische Mitglieder von Justiz und Sicherheitskräften als
durchschlagenden Erfolg. Vorallem aus folgendem mehrmals betonten Grund: Bisher
habe für die Botschaft bei den meisten Planungen mit brasilianischen
Gegenparteien «das Mantra gegolten, das
Wort ‘Terrorismus’ zu vermeiden und euphemistisch den weniger kontroversen
Begriff der ‘transnationalen Kriminalität’ für alles, was mit organisierter
Gewalt und Bedrohung zu tun hat, zu gebrauchen». Doch die den Kurs einleitende
US-Antiterrorexpertin «redete offen von
Terrorismus und verbotener Terrorismusfinanzierung, (…) die eine globale
Behandlung erforderten. Statt diese Aussagen zu hinterfragen, was beim Verkehr
mit der Regierung oft der Fall ist, fanden die Vertreter des Justizapparats an
der Konferenz dies extrem wichtig (…) ». Sergio Moro hatte die Ehre, im
Kabel zusammen mit der US-Antiterrorexpertin als einziger der ReferentInnen
namentlich genannt zu werden.
Moro zu Gast beim Wilson Center. |
Wir können die «wilden» Drohungen Bolsonaros, das MST und
das MSTS (Bewegungen der Land- bzw. der Obdachlosen) wegen Terrorismus
einzuknasten, im «rechtsstaatlichen» imperialen Raster einordnen; wir sehen den
Zusammenhang, wenn jetzt, nach der Wahl, das noch amtierende alte Parlament
sich daran macht, ein Antiterrorismusgesetz um jene gegen soziale
Organisationen gerichteten Komponenten zu «ergänzen», die von Präsidentin Dilma
Rousseff noch mit einem Veto belegt worden waren. Das Gesetz hatte Dilma selber
initiiert, um den Anforderungen der «internationalen Gemeinschaft» bzgl.
«Geldwäscherei» nachzukommen. (Ein neues Antiterrorgesetz in Nicaragua folgt
genau den gleichen transnationalen Vorgaben zum Thema Geldwäscherei. Nur gilt
für dieses Land derzeit als «Repressionsinstrument», was sonst als
rechtstaatliche Transparenz gewürdigt wird.)
Letzten August traf Bolsonaros rechtsradikaler Sohn und
frisch gewählter Abgeordneter, Eduardo, mit Steve Bannon zusammen, der sich
dabei «enthusiastisch» zu Papas
Kandidatur geäussert hatte. Der Sohn twitterte
zu Bannon: «Wir bleiben auf jeden Fall in
Verbindung, um die Kräfte zu bündeln, speziell gegen kulturellen Marxismus».
Gemeint feministische Kämpfe, Widerstand gegen Rassismus, Homophobie etc.
Bannon war bekanntlich Mitgründer von Cambridge Analytica, die z. B. die
gestohlenen Daten von 50 Millionen Facebook-Usern für individualisierte
Trump-Wahlpropaganda per Social Media einsetzte. Tatsächlich war ein Element
für den Erfolg Bolsonaros der gigantische Einsatz von auf Zielgruppen
gerichtete Whatsapp-Botschaften wie jener, dass eine neue PT-Regierung vorhabe,
Lutschbonbons in Penisform an den Schulen zu verteilen, um schon kleine Jungs
auf Schwulsein zu trimmen. Reuters berichtete
zwei Tage vor der Wahl: «’Er ist eine
Figur wie Trump’, sagte Bannon von Bolsonaro. Es war die Finanzkrise von 2008,
die ‘die Explosion mit der Kandidatur von Donald Trump und seiner
Präsidentschaft bewirkt hatte (…) Brasilien durchläuft zur Zeit diese Sorte von
Krise.’»
Vermutlich hatte die Obama-Seilschaft nicht an einen
Bolsonaro gedacht, als sie die langjährige lawfare-Aggression
in Brasilien lancierte bzw. entsprechende Energien brasilianischer Eliten
bündelte. Aber Lula war in Washington schon vor Obamas Amtsantritt in Ungnade
gefallen, weil er bei allen schlimmen Fehlern (insbesondere einem «naiven»
Glauben an einen funktionierenden demokratischen Rechtsstaat) sich letztlich nicht
gegen Bewegungen von unten instrumentalisieren liess, weder in Brasilien noch
in Lateinamerika. Dass jetzt ein Bolsonaro aus den Umtrieben herausspringt,
gefällt nicht allen «Eliten», ist aber, wie Bannon andeutet, Ergebnis eines
Klassenkampfs von oben, wenn sich die Widersprüche in der kapitalistischen
Gesellschaft zuspitzen.
Gestern meldete sich mit Thomas Shannon ein pensionierter
US-Spitzendiplomat in
BBC Brasil zu Wort. Shannon’s Karriere war klassisch bipartisan, er diente sowohl in republikanischen wie demokratischen
Administrationen, zuletzt als Übergangsaussenminister zu Beginn der
Administration Trump. Unter Obama war er zwei Jahre Botschafter in Brasilien. Von
BBC nach seiner Meinung zu Diskussionen im Bolsonaro-Lager über eine mögliche
NATO-Integration des Landes gefragt, meinte er: «Ich halte das für eine gute Idee.» Unter Verweis auf die letztes
Jahr erfolgte NATO-Integration Kolumbiens führte Shannon weiter aus, dies würde
für Brasilien «Chancen eröffnen, nicht
nur in Bezug auf militärische Fragen und die beiden Armeen, sondern generell in
allem, was mit nationaler Sicherheit und mit globaler Sicherheit zu tun hat.»
Faschistische
Energien
Es gibt die «symbolischen» Aspekte. Bolsonaro hatte als
Abgeordneter 2016 sein Votum für den Parlamentsputsch gegen Präsidentin Dilma
Rousseff dem berüchtigten Folterobersten Carlos Brilhante Ustra gewidmet, den
er als «Schrecken von Dilma» lobte.
Unter Ustras Befehl war Dilma gefoltert worden, der Oberst hatte ihr gesagt,
sie werde «mit dem Mund voller Ameisen
sterben». Dilma hatte würdig auf Bolsonaros Perversität reagiert:
«Ich bin stolz auf den Schrecken vor
ihnen». General Mourõa, Bolsonaros Vize meinte,
angesprochen auf Ustras erwiesene Morde: «Meine
Helden starben nicht an einer Overdose und Ustra war mein Kommandant, als ich
als Sergeant diente (…) Es herrschte Krieg. Es gab Exzesse. Helden töten». Ustra
war berüchtigt dafür, dass er gefolterten Frauen Ratten in die Vagina oder den
Anus einführen liess.
Schon nach der ersten Wahlrunde kam es zu schweren Angriffen
auf PT-Leute, Schwule oder Transmenschen durch Täter, die dabei Bolsonaro hochleben
liessen. Drei Transfrauen wurden so noch vor der Stichwahl ermordet. Meldungen
von brutalen Überfällen auf der Strasse auf häuften sich in diesen Tagen. So
etwa wurde ein Junge mit PT-Leibchen erst zusammengeschlagen, danach ritzten
ihm die Täter ein Hakenkreuz in die Brust. Am Tag vor der Stichwahl wurde ein 23-Jähriger
am Rande einer ruhigen PT-Kundgebung von einem Mann erschossen, der aus seinem
Wagen stieg, feuerte und dabei den Namen Bolsonaros rief. Diese Eskalation
physischer Gewalt begleiteten die Wahlbehörden auf ihre Weise. In mindestens 20
Universitäten beschlagnahmten polizeiliche Grossaufgebote Aufrufe gegen den
Faschismus («unerlaubte Wahlpropaganda») und teilweise auch Harddisks. Die Druckausgabe
der linken Zeitung Brasil de Fato wurde wegen «falschen Anschuldigungen» gegen
Bolsonaro auf Geheiss des Wahlgerichts beschlagnahmt. Die Wahlbehörden verbaten
einem katholischen Bischof in seiner Predigt Stellungsnahmen gegen die
Hasskampagne des Bolsonaro-Lagers. Auf eine Siedlung der Landlosenbewegung MST
im Gliedstaat Matto Grosso do Sul verübten Bolsonaro-Fans in der Nacht auf die
Stichwahl einen Brandanschlag. Und vieles mehr in der Art.
Seither geht die Einschüchterungsstrategie weiter. Ein
Grossaufgebot der Polizei nahm letzten Dienstag in der Universität der Stadt Patos
(PB) eine Dozentin gefangen, wegen eines Polizei-kritischen Posts auf Instagram.
Eine Gruppe Studenten der Wirtschaftsuniversität FEAS-USP (in São Paulo) trat am
Tag nach dem rechten Wahlsieg bewaffnet im Campus auf und, schreibt
der Journalist Lucas Vasques, «fotografierte
Aulen und machte eine Art Performance, in der sie die Ankunft einer ‘neuen Ära’
ankündigte.»
Mehrere indigene Gemeinschaften sind in diesen Tagen angegriffen worden. So griff eine paramilitärische Gruppe noch am Tag der Stichwahl die Leute im Reservat des Bororo-Volkes in Matto Grosso do Sul an, verfeuerte Gummi- und Murmelnkugeln und verletzte damit 10 Menschen. Die indigene Organisation Articulação dos Povos Indígenas do Brasil (APIB) hatte schon am 22. Oktober davor gewarnt, dass Bolsonaro die indigenen Schutzzonen dem transnationale Agrobusiness ausliefern will. Mehrfach hatte er, wie Cimi, die engagierte Organisation der Bischofskonferenz für indigene Belange, schrieb, diese Schutzzonen verleumdet; sie stünden «im Dienst von Interessen anderer Länder und würden das nationale Interesse verletzen».
Mehrere indigene Gemeinschaften sind in diesen Tagen angegriffen worden. So griff eine paramilitärische Gruppe noch am Tag der Stichwahl die Leute im Reservat des Bororo-Volkes in Matto Grosso do Sul an, verfeuerte Gummi- und Murmelnkugeln und verletzte damit 10 Menschen. Die indigene Organisation Articulação dos Povos Indígenas do Brasil (APIB) hatte schon am 22. Oktober davor gewarnt, dass Bolsonaro die indigenen Schutzzonen dem transnationale Agrobusiness ausliefern will. Mehrfach hatte er, wie Cimi, die engagierte Organisation der Bischofskonferenz für indigene Belange, schrieb, diese Schutzzonen verleumdet; sie stünden «im Dienst von Interessen anderer Länder und würden das nationale Interesse verletzen».
Und der Widerstand?
Linke Erklärungsansätze für das Desaster in Brasilien gibt
es viele. Das geht von verräterischer Wahlborniertheit des PT über Zuwenig
Basisarbeit bis zu Analysen des religiösen Fundamentalismus und der Social
Media als Waffe des Imperiums. Je nach Analyse lauten denn auch die Aufrufe
oder Ratschläge zum Widerstand verschieden. Es liegt an der Linken vor Ort, die
richtigen Schlüsse zu ziehen.
Verschiedentlich kam es zu Strassenmobilisierungen gegen das
Bolsonaro-Lager, zuerst aus der Frauenbewegung, danach vorallem aus
universitären und künstlerischen Kreisen. Insgesamt scheinen diese Mobilisierungen,
die auf einem grossen Quantum Mut beruhen, eher klein gewesen zu sein. Für die
kommenden Tage organisiert das MAB (Bewegung der Staudammgeschädigten) mehrere
Mobilisierungen zum 3. Jahrestag des katastrophalen Dammbruchs des Minenunternehmen
Samarco im Besitz der Multis BHP Billiton (UK, Australien) und Vale (Brasilien).
Fürs erste kann uns ein Interview
mit Edson Bagnara von der Leitung des MST (Landlosenbewegung) orientieren, das
die venezolanische Basisorganisation Corriente Revolucionaria Bolívar y Zamora
diese Tage gemacht hat. Auf die Frage nach Perspektiven nach dem Wahlsieg
Bolsonaros sagt er: «Die Linke hat sich
in diesem Prozess gestärkt, wir haben eine Schlacht verloren, aber wir sind für
den Krieg besser gerüstet. Erstens, weil es in der Linken eine Säuberung gab; wir
haben ein klareres Verständnis vom Feind und manche OpportunistInnen sind weggegangen.
Wir sind jetzt mehr mit dem Volk verbunden, stehen weiter links und sind uns
des linken Projekts besser bewusst als vorher. Jetzt müssen wir diese Energie
benutzen, um uns gegen die kommenden Angriffe zu verteidigen und eine breite
Wiederaufbauarbeit zu entwickeln, ein Wiederanknüpfen an jene Sektoren, die wir
unterwegs verloren haben.»
«In Bezug auf die
Regierung Bolsonaro glaube ich, müssen wir ein wenig warten. Es gibt Positionen
wie die von Boulos[i]
oder dem PSOL (s. Anm. 1), die sagen, Strassenmobilisierung jetzt. Heute ist
nicht der Moment, um Haut und Kragen zu riskieren, denn wir würden uns
überreissen. Ich denke also, wir müssen abwarten, um zu schauen, mit was der
Feind kommt. Klar, wenn sie anfangen, uns umzulegen, werden wir uns
verteidigen; aber vielleicht wird es nicht dazu kommen. Möglicherweise kommt es
zu einer gewissen Mässigung. Generell finde ich, wir haben uns gestärkt, wir
haben eine grössere Einheit als vorher, eine grössere Klarheit und warten jetzt
ein wenig, um unsere Kräfte neu zu gruppieren. Eines ist klar. Es braucht
Basisarbeit, Verbindung mit dem Volk.»
Ein breiter Konsens unter den grossen linken Kräften scheint
darin zu bestehen, dass die erste grosse Aufgabe sein wird, die anvisierte
Rentenkonterreform zu bekämpfen.
[i] Guilhermo
Boulos ist Chef der Obdachlosenbewegung MSTS und war in der 1. Wahlrunde Präsidentschaftskandidat
der kleineren, aus dem Trotzkismus kommenden Partei PSOL, die für die Stichwahl
den PT-Kandidaten Haddad unterstützt hat