El Salvador: Schnipsel zur Wahlkatastrophe

Montag, 8. März 2021

 

(zas, 8.3.21) Die Ergebnisse der Gemeinde- und Parlamentswahlen vom 28. Februar sind niederschmetternd. Nach definitiver Auszählung von 95 % der Akten hat Nayib Bukeles Partei Nuevas Ideas (NI) im Verbund mit der Rechtspartei GANA 77 % oder rund 1.7 Millionen der Stimmen geholt. Von offiziell rund 5.8 Millionen Wahlberechtigten sind 51 % wählen gegangen. Die früher regierende Rechtspartei ARENA folgt mit rund 307'000 Stimmen (auch sie mit Koalitionen). An dritter Stelle rangiert der FMLN mit 175'000 Stimmen (kümmerlichen 6 %), gefolgt von diversen Rechtsparteien.

Auch bei den Gemeindewahlen hat Bukeles Partei NI abgeräumt. Mit Koalitionen erzielte sie beim Stand von 96 % der Akten rund 1.2 Millionen Stimmen, ARENA etwa 480'000, Gana 289'000 und FMLN 280’000. Sie regiert die Hauptstadt und die umliegenden bevölkerungsreichen Vorstädte und bis auf eine die restlichen 13 Departamentshauptorte. Der FMLN regiert bloss noch in 31 kleineren bis kleinen Gemeinden und hat auch in seinen Stammlanden Gemeinden verloren. Ähnliches Bild beim zentralamerikanischen Parlament Parlacen, wo der FMLN von den 20 Abgeordneten nur eine stellen wird.

Die Folgen sind düster. Mit der satten Parlamentsmehrheit kann der Bukele-Clan in absehbarer Zeit die Justiz an die Leine legen (Oberstes Gericht, Generalstaatsanwaltschaft) und weitere staatliche Instanzen beherrschen (Rechnungshof, Menschenrechtsstelle, Wahltribunal TSE u. v. m.). Mit einer notfalls durch Zukauf einiger Abgeordneten zu arrondierenden 3/4-Mehrheit im Parlament können fundamentale Verfassungsteile praktisch beliebig «suspendiert» werden. Sowieso sind jetzt Verfassungsänderungen in Griffnähe gerückt.

Vieles ist noch unklar, aber leider nicht der Durchmarsch des diktatorialen Regimes auf Wahlebene.

Wohin die Reise gehen soll, ist klar. In der ganzen Vorwahlzeit hat die Regierung über NI und Armee massenhaft Nahrungsmittelpakete verteilt – ein offen zelebrierter Stimmenkauf par excellence. Sie hat dafür zum Beispiel die von der Verfassung vorgeschriebenen Auszahlung von Steuereinnahmen an die (grossmehrheitlich oppositionell regierten) Gemeindeverwaltungen schlicht verweigert. Am Wahltag selbst versuchte eine Reihe führender Kabinettsmitglieder selbstherrlich und aggressiv in die Stimmenauszählung in den Wahlzentren einzugreifen. Bei der diese Woche erfolgenden definitiven Überprüfung der Wahlakte unter Oberaufsicht des Wahlgerichts TSE kam es zu weiteren erfolgreichen Gesetzesbrüchen. Nicht-akkreditierte Regimegrössen ohne rechtliche Autorisierung, überhaupt vor Ort zu sein, machten an den Arbeitstischen Radau. Daraufhin folgte eine Dreier-Mehrheit des TSE dem Wink und erliess einen Erlass, der NI über die gesetzlich vorgeschriebene Limite Zugang zu den Arbeitsprozessen gewährte. Laut Wahlgesetzt hätte es dafür vier der fünf MagistratInnen bedurft, aber die reale Macht war erneut stärker als die legale Fiktion. Faktisch hat sich das TSE als irgendwie unabhängige Instanz aufgelöst.

Wohlverstanden: Die verheerenden Wahlresultate hatten alle Parteien schon nach der Schnellauszählung anerkannt. Das Regime hätte sich, wie es so heisst, im Sieg als konziliant und mit Manieren zeigen können. Doch seine Message bleibt: zertreten, wer sich nicht fügt. In diesem Zusammenhang ein weiteres Beispiel für die Machtbesoffenheit des Bukele-Lagers. Neben den Regimegrössen pöbelten auch Equipen der Regimemedien in den für sie theoretisch, also laut Gesetz verschlossenen Auszählräumlichkeiten herum. Darunter ein gewisser Roberto Silva, akkreditiert für das Bukele-Blatt Diario El Salvador, das von der staatlichen Stromgesellschaft finanziert wird. Als er der akkreditierten, jungen FMLN-Vertreterin Daniela Genovez ansichtig wurde, ermannte er sich, lief ihr hinterher, pöbelte lautstark über ihren «Arsch» und stellte gleich ein Video von seiner Aktion der neuen Selbstverständlichkeit in die Social Media. Als ihn dann doch ein Polizist hinderte, in den Auszählraum zu platzen, drohte er erst mit dessen Vorgesetzten (er publizierte auch ein Fraternisierungsbild seiner selbst mit dem nationalen Polizeichef ins Netz) und versuchte dann die gleiche Tour bei einer ARENA-Vertreterin zu wiederholen. Daniela Genovez erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, was den Typen nervt, wie er in einem weiteren Video bekundet. Er liebe nun mal «Frauenärsche», teilte er der interessierten Öffentlichkeit mit. Bukeles Journalist ist kein unbeschriebenes Blatt: Er war in mehrere Fälle von sexuellen Übergriffen und Drohungen verwickelt, war wegen Kinderpornographie schon in Haft und stellt in seinem Videounternehmen Material für NI (früher für ARENA) her. Und er war NI-Vorkandidat fürs Parlament.

Gestern Sonntag gab es eine Frauendemonstration zum 8. März gegen die im Land zunehmenden Fälle von schwangeren Mädchen ab einem Alter von 10 Jahren, für das Recht auf Abtreibung, gegen Feminizide und gegen den von Bukele geschürten Hassdiskurs. Auch Figuren wie Roberto Silva wurden dabei thematisiert. Es gab aber auch Kritik am parteiischen Diskurs der Feministinnen seitens massenhaft auftauchender Einheiten von Polizei und Armee. Glücklicherweise hatte sich die Demo schon aufgelöst. (Wie dabei nicht an die Leistung der grünen Stadträtin Karin Rykart in Zürich vom Vortag denken, mit dem Einsatz ihrer Polizeimänner gegen die sich auflösende Demo zum 8.  März? Trotz aller evidenter Unterschiede…) 

Schlusskundgebung zum 8. März vor der Kathedrale.

 
Kritiker der Frauendemo.

Es ist zu früh für eine Analyse, geschweige denn das Skizzieren von Perspektiven. Wichtige Informationen fehlen oder sind ungenau. Am Wahltag kam es zu verdächtigen Episoden, in denen NI-Grössen mit rabiaten Methoden die Stimmabgabe von herangekarrten Menschen durchsetzten. Es zirkulieren etwa noch unbestätigte Berichte und Aussagen, wonach in vielen Gebieten, die von mit NI liierten Maras kontrolliert werden, viele Leute unter Aufsicht der Mareros haben wählen müssen. Tatsächlich gab es in Wahllokalen in klassischen Mara-kontrollierten Zonen extrem hohe Resultate für NI, eine genaue statistische Untersuchung steht aber noch aus. Es ist zu hoffen, dass in den nächsten Tagen Gerüchte von Fakten getrennt werden können. Mit Bestimmtheit lässt sich sagen, dass so allenfalls die Dimension des Bukele-Sieges gemindert werden könne, nicht aber der Sieg an sich.

Was bedeutet der massive Rückgang des FMLN? Liegt das an einem über Maras vermittelten Terrorregime, wie einige Compas sagen, oder daran, wie andere Frente-Leute aus Mara-kontrollierten Zonen resigniert meinen, dass die Leute wegen grober Fehler des FMLN schlicht die Hoffnung auf eine linke Alternative verloren haben? Kann sich der FMLN von dieser Niederlage erholen? Sicher ist: Den inneren Krieg wird das Regime jetzt noch intensivieren, mit Hetze, mit juristischer Repression, mit Mara-Unterstützung. Ein Teil seiner Basis steht aufgeheizt bereit, i der Straflosigkeit so gewiss (wie der erwähnte Silva). «Populistische» Seelenmassage – etwa Angriffe wegen Steuerbetrug auf mit dem Bukele-Clan konkurrierende Kapitalgruppen – wird nicht fehlen und etwas Entscheidendes zu übertünchen suchen. Für die kommenden Jahren deutet alles auf eine massive, existentielle Wirtschaftskrise für die Unterklassen hin. Just nach den Wahlen gibt das Regime bekannt, mit dem IWF in Kreditverhandlungen zu stehen. Der Sozialangriff ist angelaufen. Der FMLN in einer Existenzkrise, soziale Bewegungen teilweise blosses Wunschdenken – das wird hart werden.