(27.7.22) Also, das war so: «Russischer Weizen unterliegt keinen Sanktionen, er könnte eigentlich frei gehandelt werden. Westliche Firmen wie Banken, Versicherer und manche Händler üben allerdings Zurückhaltung. Geld mit russischem Weizen zu machen, kann das Image einer Firma beschädigen» (NZZ, 18.7.22: Exportieren oder untergehen). Zudem drohe die Gefahr, unwissentlich von Russland in der Ukraine gestohlenen Weizen zu verhökern, da gäbe es dann Sanktionen. Die «Zurückhaltung» deutscht Renate Dillmann in der Jungen Welt mit einem Zitat eines russischen Diplomaten so aus: «Wir sprechen über ein Verbot der Einfahrt ausländischer Schiffe in russische Häfen, die Einfahrt und Wartung russischer Schiffe in ausländischen Häfen, eine Rückkehr zur Schifffahrtsversicherung, kostenlose Banküberweisungen.» Auch wenn russischen Äusserungen zum Ukrainemassaker das gleiche Vertrauen wie Aussagen westlichen Personals entgegengebracht werden kann, klang das angesichts des üblichen westlichen Lügendrehs bei den Sanktionen (s. Das Biest ist los) plausibel: Russisches Getreide ist nicht sanktioniert, nur das, was mit seinem Handel zu tun hat.
Und so klingt das jetzt: «Der EU-Ministerrat hat in einem Erlass Ende letzter Woche erstmals schriftlich und explizit festgehalten, wonach landwirtschaftliche Erzeugnisse und Lebensmittel von den gegen Russland beschlossenen Sanktionen ausgenommen sind. Damit räumte Brüssel eine Unsicherheit aus dem Weg, die den Handel mit russischem Getreide seit fünf Monaten weitgehend zum Erliegen gebracht hatte. Zwar galt es von Anfang an als Konsens, dass Agrarrohstoffe von den Sanktionen gegen Russland ausgenommen seien. Trotzdem wollte kein Rohstoffhändler und kein in den Handel involviertes Finanzinstitut das Risiko eingehen, mit Getreide aus Russland zu handeln. Zu gross schien die Gefahr, aufgrund der vagen Formulierung in den entsprechenden Bestimmungen als Sanktionsbrecher gebrandmarkt und gebüsst zu werden (…) Noch vor der EU hatten die USA für Klarheit gesorgt: Vor zehn Tagen hielt das amerikanische Finanzdepartement in einem Merkblatt explizit fest, dass der internationale Handel mit russischen Agrarrohstoffen – und auch mit russischen Düngemitteln – erlaubt sei. Dasselbe gelte für Versicherungen, die den Transport und die Verschiffung der Ware finanziell absicherten» (NZZ, 27.7.22: Genfer Handel mit russischem Getreide).
Kurz: Es ging immer nur um einen putativen Reputationsschaden. Um diesem zu begegnen, haben Washington und Brüssel nach ein paar Monaten indignierten Ignorierens russischer Darstellungen jetzt die Sache geklärt. Aus der NZZ vom 25. Juli erfahren wir, dass sich die fünf im Genfer Raum domizilierten Nahrungsmitteldealer, die den globalen Markt der Agrarrohstoffe zu 80 Prozent beherrschen (ADM, Bunge, Luis Dreyfus, Cargill und Cofco), über ihren Schweizer Interessenverband (STSA) in Sachen «Klärung» «stark engagiert» hatten. Business first.
Haben EU-Chefin Ursula von der Leyen, haben die hegemonialen Medien also monatelang gelogen, wenn sie Moskau des zynischen Spiels mit dem Hunger auf der Welt bezichtigt haben? Nur auf ihre gewohnte Weise. So ist durchaus plausibel, dass die russische Armee in der Ukraine Getreide stiehlt. Das entspräche der von Putin Anfang Juni unter Verweis auf Peter den Grossen verkündeten Doktrin der «Heimführung» der Ukraine. So wie es umgekehrt der NATO-Politik in Kiew entspricht, von der wir in einem empörten Artikel zum russischen Agrardiebstahl in der Ukraine nebenbei Folgendes mitbekommen: Auf der Krim «liegt die Landwirtschaft (…) praktisch brach, da die Ukraine nach der Annexion durch Russland den wichtigen Kanal blockiert hat, der das Gebiet mit Wasser versorgte» (NZZ, 14.7.22: Wie Russland ukrainisches Getreide stiehlt…). Dieses «Detail» verdiente seine Erwähnung dem Umstand, dass es zu untermauen galt, dass Russland die Türkei vermutlich mit gestohlenem Getreide und nicht etwa mit auf der Krim produzierten beliefert habe.
Die aktuelle Hungersnot hat, das ist eigentlich bekannt, nicht mit Mangel an Esswaren, sondern mit ihrer von Monopol- und Spekulationsgewinnen gespiesenen enormen Verteuerung. Zu den Herren des Hungers gehören auch die oben erwähnten Genfer 5. Die Basis dafür ist die seit Jahrzehnten von westlichen Institutionen wie IWF oder Weltbank durchgesetzte Zurichtung grosser Teile der Welt auf die agrarpolitischen Interessen der dominanten Sektoren in den Metropolen.
Ein Wort noch zu NZZ, New York Times und ähnlichen Medien: Sie beherrschen die Kunst, bei ihrer Verbreitung von Dauerlügen auch eigentlich kritische Momente so einzustreuen, dass sie im Dauergebrüll praktisch untergehen. Wie jetzt die «Präzisierungen» zum Sanktionsregime oder das Beispiel mit der Wasserblockierung für die Landwirtschaft in der Krim. Ein enormes Verbrechen eigentlich. Notiert von denen, die fürs Geschäfte- und Politikmachen ein paar dienliche Hinweise verlangen. Für Viele weggespült mit der permanenten Kriegspropaganda.
Was stoppt diese Hungerpolitik? Mit Bestimmtheit nicht das Drehen an der Sanktionsschraube. Entscheidend sind Dynamiken wie in Sri Lanka und vielen anderen Ländern, auch in Lateinamerika (aktuell Ecuador, Argentinien, Panama). Nur eine globale Revolte des Basta ya kann die Hungernden schützen. Der Kampf geht weiter.