Washington/Managua. Am 27. Juni vor 37 Jahren hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag die USA wegen ihrer gegen das Völkerrecht verstoßenden Kriegsführung gegen Nicaragua verurteilt. Die Regierung des mittelamerikanischen Landes mahnt nun erneut vor den Vereinten Nationen (UN) die historische Schuld der USA an und forderte die Begleichung der verursachten Schäden.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist das Hauptrechtsprechungsorgan der UN. Seine Funktionsweise und Zuständigkeit sind in der Charta der Vereinten Nationen geregelt
Am vergangenen Dienstag überreichte Nicaraguas Außenminister Denis Moncada einen Brief an UN-Generalsekretär António Guterres, in dem sich das Land über die Nichtbeachtung der Verurteilung der USA durch den Internationalen Gerichtshof für ihre Kriegsführung in den 1980er Jahren gegen das mittelamerikanische Land beschwert. In dem Schreiben wird daran erinnert, dass "es eine historische Schuld gegenüber dem nicaraguanischen Volk gibt, die 37 Jahre später von den USA noch nicht beglichen wurde". Es soll an alle UN-Mitgliedsländer weitergeleitet werden.
In dem Dokument heißt es, es gehe um die Begleichung der direkten menschlichen und materiellen Schäden, der notwendigen Verteidigungskosten des Landes und durch die Wirtschaftsblockade verursachte Verluste.
Für das Sozialversicherungssystem Nicaraguas entstehen laut dem Schreiben viele weitere Kosten infolge des "Contra-Krieges": Immer noch würden Renten an Kriegsverletzte und ihre Familien gezahlt, auch an die konterrevolutionären Kräfte, die von den USA finanziert worden waren. Die US-Regierungen hätten nie die sozialen Kosten ihrer illegalen Handlungen übernommen. Schon im März 1988 waren die Schäden auf zwölf Milliarden US-Dollar geschätzt worden.
Nicaraguas Präsident Daniel Ortega erinnerte daran, dass das Land kurz nach dem Sieg der Revolution gegen eine offene und direkte Aggression des US-Imperiums kämpfen musste: "Es war kein einzelner Angriff, es war ein Krieg, der fast zehn Jahre andauerte und der Tausende Tote, Tausende Krüppel, Tausende Waisen hinterließ, die Wirtschaft unseres Landes ausblutete, den Bau von Straßen, Wasserkraftwerken, Schulen stoppte. Alles, was in der zentralen Zone unseres Landes gebaut werden sollte, wurde zum Ziel der Yankee-Aggression".
Nicaraguas Klage gegen die USA vor dem Internationalen Gerichtshofs (IGH) ging auf die Idee von Pater Miguel d'Escoto zurück. Er war von 1979 bis 1990 im Kabinett von Ortega Außenminister. Die 1984 erhobene Klage erfolgte wegen der Organisation, Ausbildung und Unterstützung der Contra-Kräfte, die Nicaragua fast ein Jahrzehnt lang terrorisierten und dabei den Tod von 30.000 Menschen verursachten. Zusätzlich verminten die USA auch Häfen, zerstörten Erdölanlagen und verhängten eine Wirtschaftsblockade gegen das Land.
Nicaragua erreichte 1986 das Urteil: Die USA wurden für ihre schweren Verbrechen gegen das Land und seine Bevölkerung verurteilt. Der IGH wies die USA an, ihren Krieg einzustellen und Nicaragua für alle Verluste zu entschädigen, die der Krieg verursacht hatte.
Laut dem US-amerikanischen Anwalt und Professor für internationales Recht, Daniel Kovalik, bedeutete die Entscheidung nicht nur einen Sieg für Nicaragua, sondern hätte auch einen Sieg für das Völkerrecht und die UN-Charta sein können. Denn mit der Gründung des IGH sei das Verständnis verankert worden, dass alle Nationen ungeachtet ihrer Größe, ihres Reichtums oder ihrer militärischen Stärke souverän und gleichberechtigt sind.
Die Reaktion der USA auf die Entscheidung des IGH hat sich laut Kovalik aber als große und historische Niederlage für das Völkerrecht erwiesen. Die damalige US-Regierung unter Ronald Reagan hat sich geweigert, die Zuständigkeit und Autorität des IGH anzuerkennen ‒ und das, obwohl die USA an der Ausarbeitung der UN-Charta mitgewirkt hatten, durch die dieser Gerichtshof geschaffen wurde. Zur Begründung hieß es seitens der US-Regierung, dass "eigene Sicherheitsbelange einer Anerkennung des Urteils entgegenstehen".
In Nicaragua hatte die Sandinistische Partei (FSLN) noch 1990 kurz vor ihrer Machtübergabe an die von den USA geförderte Regierung von Violeta Chamorro versucht, das Urteil des IGH für das Land zu konservieren. So entstand das "Gesetz zum Schutz der Rechte Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof", das am 5. April 1990 von der Nationalversammlung verabschiedet wurde und als Gesetz 92 bekannt ist.
Das Gesetz besagt: "Die Entschädigung, die die USA Nicaragua schulden, stellt das unveräußerliche Erbe aller Nicaraguaner dar, das dazu verwendet werden muss, die durch den Krieg verursachten Schäden zu beheben, die Opfer und ihre Familien zu entschädigen". Die Hoffnung darauf hielt nur 14 Monate an: Am 5. Juni 1991 wurde das Gesetz 92 von den Abgeordneten aufgehoben, die die neu gewählte Chamorro-Regierung unterstützten.
Im aktuellen Schreiben an UN-Generalsekretär Guterres betont Nicaraguas Regierung deshalb auch, dass die Nicaragua geschuldete Entschädigung immer noch nicht beglichen ist. Zwar habe das Land das Verfahren vor dem Gerichtshof zur Festsetzung des geschuldeten Betrags eingestellt, aber zu keinem Zeitpunkt auf die Zahlung der Schuld oder auf das Recht auf Entschädigung verzichtet.
Weiter heißt es, Nicaragua nutze diese Gelegenheit, um daran zu erinnern, dass die Urteile des IGH rechtskräftig sind und "unausweichlich" befolgt werden müssen. Die USA seien daher rechtlich verpflichtet, den im Urteil vom 27. Juni 1986 angeordneten Reparationen nachzukommen.