(zas, 19.7.25) 1979, am 19. Juli, zog die sandinistische Guerilla siegreich in Managua ein. Die von den USA geleitete Somoza-Diktatur war besiegt.
Die Revolution riss viele von uns aus Europa, USA und anderswo mit. Auch wir vibrierten mit der nicaraguanischen Hoffnung auf ein besseres Leben, eine andere Gesellschaft. Eine Hoffnung, die lebt, wirksam wird, aus der Kraft der kollektiven revolutionären Veränderung heraus. Wir haben es bei uns erlebt und bei andern: später beim Mitgehen mit den Zapatistas oder mit der basisrevolutionären Bewegung der Appo in Oaxaca, Mexiko, heute und gestern mit den Kämpfenden in Kurdistan – mit dem geschärften Bewusstsein, dass der Kampf «dort» auch der «hier» ist. In all diesen Momenten der Geschichte riskieren manche, auch Dazugestossene, im Alltag ihr Leben – einige verlieren es.
Es gab die Momente, wo ich mich in Nicaragua so frei fühlte wie noch nie im Leben. Trotz US-Krieg, Contra-Terror. Ich fühlte das, weil es so war. Wir alle spürten so etwas.
Ein zentrales Ziel des «Kriegs niederer Intensität», wie die Täter ihre Mordstrategie nannten, besteht in Hoffnungslosigkeit statt Hoffnung. In Nica begriff ich das. Francisca hatte mir das klar gemacht. Sie war vor dem Sieg «correo», hat Meldungen von einem Guerillaposten zum anderen überbracht. Nach dem Sieg baute sie die Frauenorganisation AMNLAE in Estelí mit auf, für die Revolution, und speziell für die Frauen. Immer bereit, neben ihrem Haushalt mit den vielen Töchtern Aufgaben für die Revolution zu übernehmen. Ihr Haus war lange ein Zentrum freudigen Aufeinandertreffens und manchmal diskreter Absprachen. Es lebte, vibrierte sandinistisch.
Doch dann gab es immer mehr Beerdigungen von Compas, aus der Nachbarstadt, aus der Stadt, aus dem Bekanntenkreis, die im Contrakrieg Reagans starben. Irgendwann, nach Jahren, brach es einmal aus ihr heraus: «Ich halte das nicht mehr aus. Immer an die Beerdigungen der Compas zu gehen. Und es hört nicht auf!» In diesem Moment begriff ich, was low intensity-Krieg war. Warum du viel weniger als früher dieses in lächelnde und erwartungsfreudige Gesichter blickst. Dass dabei zynische Planung umgesetzt wird, gespiesen aus anderen Massenmorderfahrungen, systematisiert von einer Armada in Academia und Institutionen, propagiert per Medien und «Zivilgesellschaften» der Herrschenden. Dass die Zerstörung der neuen Schule im Weiler, des kleinen Gesundheitszentrums, der Kooperative, stets zusammen mit der Ermordung daran Beteiligter, die Seele verletzten. Deine, meine. Unsere.
Und irgendwann taten viele, was Ronald Reagan von ihnen verlangt hatte: «cry uncle», «wir geben auf». Sie hofften nicht mehr, gaben ihre Stimme der Kandidatin der USA.
Das sorgte für eine aufgeräumte Stimmung auch in Schweizer Medien und Politmanagementkreisen. Die Demokratie hat sich durchgesetzt!
Und dann ging es weiter abwärts. 16 Jahre neoliberaler Sozialterror. Dafür neu Reklame im vorher davon befreiten Land. Ein Mann trinkt Whisky, raucht Camel und fährt GM oder Chrysler. Die tolle Sofa- und TV-Kombination (internationale Sender!) lässt die Familie erblühen. Und alle Schulbücher werden radikal umgeschrieben, so dass sich der Santo Padre in Rom (er hiess Woytila) nicht mehr sorgen muss. Auch nicht el hombre in Washington. Dafür erwürgen wir die Kooperativen und pflückst du Kaffee, dann den deines Herrn.
Der FSLN machte weiter. Es gab die grossen Kampfzyklen, an den Unis, bei den Busfahrern, mit den KaffeepflückerInnen. Das mochten besonnene, demokratische Kräfte im Frente aber nicht leiden. Denn «heute müssen wir alle zusammenspannen und alte Manien ablegen». Sie sassen für den Frente im Parlament und durften da den Anschluss an die Moderne suchen. Der Frente spaltete sich bzw. die Reaktionäre verliessen das vermeintlich sinkende Schiff. Die Leute blieben bei FSLN.
Nur, da gab es andere Widersprüche. Einige bereicherten sich, wie die Austretenden auch, an früherem Gemeineigentum. Den sexuellen Missbrauch Daniel Ortegas an seiner Stieftochter machte diese publik. Ihre Mutter, Ortegas Gattin Rosario Murillo, entschuldigte sich an einer Grosskundgebung bei den FSLN-AktivstInnen für ihre «schlechte Tochter». Die Partei schloss die Reihen um Daniel Ortega und neu auch seine Gattin, die seither an stets Macht zulegt. Vielleicht der Moment, der den Abstieg des Frente von einer Kraft für Emanzipation zu was anderem markiert.
Ich war dann wieder bei Francisca zu Besuch. Sie hatte die letzte ihrer Töchter Danielita genannt, zu Ehren des Comandante. Und jetzt? «Das ist ein Bruch. Ich bin Mutter. Nie kann ich das Daniel verzeihen.» Sie machte wieder, immer noch, Basisarbeit. Jetzt ohne FSLN. Ein kleines Frauenkollektiv in Estelí. Was machte es? Die compañeras gingen in die Kaffee- und anderen Plantagen, um die Arbeiterinnen zu massieren. Denn diese hatten oft Rückenschmerzen wegen der Arbeit.
Francisca wurde krank, unheilbar. Als der Frente die Wahlen 2006 gewann, schöpfte sie trotz «Daniel und seiner Geschichte» wieder etwas Hoffnung. Kurz darauf starb.
Heute feiern sie wieder den 19 de julio in Nicaragua. Letztes Jahr gab es den offiziellen 19 de julio. Ich hatte mir danach eine Videoübertragung angesehen und erstarrte dabei. Da war eine kleine Menge – alles Geladene, wie ich später erfuhr -, deren Sitzreihen dank der Aufmerksamkeit der Ko-Präsidentin Murillo in Form eines Herzens angelegt waren. So tief, so kosmisch – nur, wo waren die Leute? Am 19. vibrierten allein in Managua jeweils Zehntausende, es war pueblo, pueblo! Und jetzt? Nicht in Sicht.
Dann hörte ich, dass es - sí! - viele Feste zum 19 gab, in den barrios. Inoffizielle, keine Prominenz. Aber die Compas feierten ihren 19.
Es gab zwei 19 - einen «privatisierten», so ein Freund, und den der Leute, mit Freude, Leben.
Wie es weiter geht in Nicaragua, wissen wir nicht. Wie immer - eines zeigte letztes Jahr 19.: in vielen Köpfen und Herzen lebt die Revolution weiter. Auch wenn sie vom offiziellen Sandinismus mittlerweile choreographisch traktiert wird.
Und noch etwas: Die westliche Feindschaft zu Daniel Ortega hat wenig damit zu tun, was er macht oder nicht macht. Wie beschissen diese Führung manchmal – nicht immer - auch daher kommt, die koloniale Arroganz der Macht hat viel, enorm viel, zu tun mit dem, was sie angeblich kritisiert. Wir sahen es im Krieg der 80-er Jahre. Wie viele Krokodilstränen flossen da nicht im Medienstrom hierzulande, wie wurden doch das Leid der kriegsmüden Menschen bejammert und gleichzeitig der Krieg geölt.
Und heute: Die Starre, die Verbote, die «Kultur» der Nichtdiskussion (die sandinistische Angst vor dem offenen Wort – niemand will «Contra» sein), die nicht hinnehmbaren Akte wie etwa das «Aberkennen» der Staatsbürgerschaft von Oppositionellen (die tatsächlich meist mit «dem Yankee» gehen) – reflektiert die umfassende Gewalt der Umzingelung. Unabhängig von der bleibenden Verantwortung der entscheidenden Akteure im Land. Das sollten vielleicht jene ein wenig reflektieren, die heute praktisch nachreden, was die westliche Herrschaft von sich gibt.
Wie gesagt, noch tanzen die Leute an ihrem 19.
Managua, in der Nacht auf den 19.