Epidemische
Nierenkrankheit in Zentralamerika – ein Schritt in die richtige Richtung.
(zas, 10.9.13) Endlich! Am 5. September 2013, nach gescheiterten früheren
Ansätzen, verbot eine vom FMLN angeführte Parlamentsmehrheit den Einsatz von 53
Pestizidbestandteilen im Land. Darunter Glyphosat von Monsanto, Endosulfan (ursprünglich
Bayer) und Paraquat von Syngenta (Markenname Gramoxone). Die erste Todesursache
bei hospitalisierten Männern in El Salvador ist die "mesoamerikanische Nierenkrankheit",
wie sie die WHO an ihrer Tagung im letzten Juni in Washington in Abgrenzung zu
anderen chronischen, u.a. mit Diabetes verbundenen Nierenkrankheiten definierte
Prensa Gráfica vom 14. 8. 13). Laut einer gerade veröffentlichten WHO-Studie
weist El Salvador mit 51.8 Toten auf 100'000 EinwohnerInnen im Jahr die
weltweit höchste Todesrate wegen chronischer Niereninsuffizienz (LPG, 28.8.13).
Diese Rate liegt nicht viel unter dem Niveau der Mordrate zu Zeiten des offenen
Bandenkrieges, die das Land berüchtigt gemacht hat. Mesoamerikanisch – von Chiapas
bis Panama – darum, weil diese Nierenkrankheit laut der WHO vor allem hier
auftritt, am meisten in El Salvador.
Auf die Spur kamen ihr engagierte salvadorianische und
kubanische ÄrztInnen schon vor Beginn der aktuellen Reformregierung. Im Gebiet
des von organisierten FMLN-Comunidades bewohnten unteren Lempaflusses
erkrankten auffallend viele Landleute an Nierenkrankheiten. Die Compas holten
sich Rat bei kubanischen ExpertInnen, die erstmals eine seriöse Erfassung des
Problems angingen; eine Arbeit, die nach dem Antritt der neuen Regierung 2009 unter
der Leitung von Carlos Orantes in die Kompetenz des Gesundheitsministeriums
überging. Es waren Biopsien, die zum Durchbruch führten: Die mesoamerikanische
Nierenkrankheit wird nicht, wie bisher von der salvadorianischen Fachvereinigung
der NierenärztInnen, der Agrarkammer Camargo und den rechten Parteien und
Regierungen behauptet, durch zu langes Arbeiten an der Sonne bei geringem Wasserkonsum
verursacht, Faktoren, die nur zu ihrer Entfaltung beitragen, sondern
hauptsächlich durch Pestizide. Speziell wichtig: Gramoxone (Paraquat) des
Basler Multis Syngenta, des weltgrössten Agrochemiekonzerns. Gramoxone wurde
und wird in El Salvador besonders intensiv bei Exportcrops wie Baumwolle oder
Zuckerrohr, aber auch beim Anbau von Grundnahrungsmitteln eingesetzt.
Die Dialyseabteilungen der öffentlichen Spitäler jetzt
völlig überlastet sind, aus zwei Gründen: Mit der Gesundheitsreform der
aktuellen Regierung gelangen viel mehr PatientInnen aus den Unterklassen ins
Spital. Und das kleine Oligopol der Medizinallieferanten um den Ex-Präsidenten
Alfredo Cristiani sabotiert die Belieferung der öffentlichen Spitäler, um das
vom FMLN durchgebrachte Gesetz, welche den astronomischen Medikamentenprofiten
der Pharmaindustrie Limiten setzt, zu sabotieren.
Kurz vor dem Parlamentsbeschluss kam es zu einem besonders
widerlichen Schauspiel: Die Vereinigung von NierenfachärztInnen, der unter den
früheren Rechtsregierungen, als Dialyseapparate aus den öffentlichen Spitälern
in Privatkliniken hinein verschwanden, nie etwas aufgefallen war, meldete sich
gewichtig zu Wort. Die Regierung solle endlich von ihrer unwissenschaftlichen Fixierung
auf Agrogifte ablassen und sich an ihren fachärztlich-wissenschaftlichen
Forschungserkenntnissen orientieren, wonach die gehäufte Niereninsuffizienz
primär mit Dingen wie geringem Wasserkonsum bei der Feldarbeit und kleiner
Körperstatur der ArbeiterInnen zu tun habe.
Und wo geruhte diese wissenschaftliche Kompetenz, sich zu
äussern? In den Räumlichkeiten der Camagro, der Kammer der Agrarkapitalisten.
Die Camagro steuerte zum "Orientierungsanlass"
auch noch gleich einen eigenen Experten bei, dem zufolge Glysophat (Monsantos
Killerpestizid) und Paraquat international als mit geringsten Risiken behaftet
eingeschätzt werden (LPG, . Ein Zynismus, typisch für die Syngenta-Welt. In der
Schweiz und in Europa ist Paraquat, das ein langsames, qualvolles Sterben zur
Folge haben kann, verboten. Syngenta verkauft das Gift in rund hundert Ländern,
alles kein Problem, versichern ihre Sprecher, man müsse sich bloss an die
Schutzkleidung inklusive Schutzbrille (in den heissen tropischen Ländern seit
Jahrzehnten bekannterweise sowieso illusionär) und die (in El Salvador lange,
klein gedruckte englischsprachige) Gebrauchsanleitung halten. (Et encore: Dies würde das Risiko
mindern, nicht eliminieren.)
Die Syngenta-Fans in El Salvador bekunden jetzt, ein
staatliches Verbot würde nur Schmuggel aus Honduras und Guatemala bewirken. Es ist
die alte Kapitalleier vom naturgesetzlichen Widerstand der "Märkte" gegen staatliche
"Fehlanreize". Nun, hoffentlich gewinnt der FMLN die nächsten
Präsidentschaftswahlen und hoffentlich hat er dann die Kraft, die Pestizid
-Bandoleros auszuschalten.
Hinterbliebene trauern um ein Opfer der Nierenkrankheit in San Luis Talpa. Quelle: LPG, 13.8.27 |
Ich hab die Bilder von an dieser Krankheit Gestorbenen an,
von trauernden Hinterbliebenen im Kopf – und, ich schwör's, wenn ich dann lese,
wie die Schweizer Hilfswerkkampagne "Recht ohne Grenzen" bei Syngenta
im Zusammenhang mit Paraguat "Versagen"
konstatiert, das Nichwahrnehmen der "gebührenden Sorgfaltspflicht",
dann kommen Bestürzung und Wut auf. Kann man denn Mörder nie Mörder nennen,
muss man bei ihnen immer um Anerkennung als "kompetente
Gesprächspartner" winseln?
___
Zu Paraquat weltweit, s Kassensturz vom 01.05.2007: www.kassensturz.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2007/05/01/kassensturzsendungsartikel/Exotische-Fruechte-Boese-Nebenwirkungen-fuer-Plantagenarbeiter