Haiti: Gefährliche Lage

Sonntag, 31. Januar 2016



(zas, 31.1.16) Letzten Sonntag, am 25. Januar 2015, hätte in Haiti die 2. Runde der Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen. Dazu kam es nicht. Bei Demonstrationen dieser Tage sind drei Menschen umgekommen.
 
Quelle: New Junkie Post, 18.12.15
Blick zurück
Im November 2010 fand die 1. Runde der damaligen Präsidentschaftswahlen statt, mit einem „falschen“ Ergebnis: Jude Célestin, ein gemässigter Oppositionspolitiker, damals Mitglied der Lavalas[i]-Abspaltung Inité, konnte nach der Auszählung zum Stichentscheid antreten. Aussen vor blieb der US-Favorit Michael Martelly. Nicht lange. Noch am Wahltag kritisierte die US-Botschaft das Resultat als „Wahlbetrug“, eine „Nachzählungsmission“ der OAS (Organisation der Amerikanischen Staaten) erklärte 60 % der Célestin-Stimmen für ungültig. Der damalige OAS-Botschafter in Haiti, der Brasilianer Ricardo Seitenfus, erläuterte später die „unglaublichen“ Mechanismen, mittels derer das Exekutivorgan des State Departments in Lateinamerika zu diesem Ergebnis kam (s. dazu das Seitenfus-Interview,  Auszüge daraus auf Deutsch in Correos 177, 28. April 2014). Zu der dabei zur Anwendung gebrachten strikten OAS-Weigerung, Grundlagen der Statistik zu beachten, s. dazu The Elections: Flawed Beyond Repair?, Center for Economic and Policy Research, CEPR, 4.2.2011. 

Was Seitenfus als „stillen Putsch“ bezeichnete, kann auch anders gesehen werden. So wusste die New York Times im durchaus informativen Artikel U.S. Presses for Haiti Runoff Vote Amid Fears of Violence and Fraud, dass „Hillary Clinton, damals Aussenministerin, über den Betrug so entsetzt war, dass sie nach Haiti flog, um die Führung davon zu überzeugen, die Resultate zu ändern.“ Seitenfus beschreibt in seinem Interview Aspekte dieser … Überzeugungsarbeit. Zu den dabei angebrachten Drohungen und Erpressungen meinte Jean-Max Bellerive, damals Premier des abtretenden Präsidenten René Préval: „Wir versuchten, zu widerstehen und taten dies auch bis zum Besuch von Hillary Clinton. Dann begriff Préval, dass es keinen Ausweg gab und akzeptierte“ den OAS-Bericht (CEPR, Revealed: USAID Funded Group Supporting Haitian President in 2011 von Juli 2015, ein Artikel, in dem es um die US-Finanzierung der Partei von Martelly geht.
Sweet Mike, Künstlername Martellys, gewann wie geplant den Ausstich und regiert seither, mit Rückendeckung der „internationalen Gemeinschaft“, wie es einem überzeugten Anhänger der früheren Duvalier-Diktatur gebührt. So haben Wahlen für ihn ihren Reiz verloren, wie der erwähnte Juli-Artikel des CEPR resümiert: „Diese zweite Runde von März 2011 stellte die letzten in Haiti abgehaltenen Wahlen dar. BürgermeisterInnen im ganzen Land, deren Amtszeit Ende 2012 ablief, wurden durch politisch Ernannte ersetzt, die immer noch im Amt sind. 2012 erreichte auch ein Drittel des Senats das Ende seiner Amtszeit; ohne Neuwahlen ist die Kapazität des Senats, das Quorum zu erreichen und zu legislieren, schwer beeinträchtigt. Am 12. Januar 2015, am 5. Jahrestag der Erdbeben, lief die Amtszeit der gesamten Abgeordnetenkammer und eines weiteren Drittels des Senats aus. Seither regiert Martelly per Dekret.“

Mobilisierungen gegen weiteren Wahlputsch
Doch dem Umstand, dass er am 7. Februar 2016 abtreten sollte, konnten sich Martelly und seine internationalen Protektoren nicht verschliessen. Die USA investierten $ 30 Mio. in die Abhaltung von Wahlen mit einem äusserst eigenen Schema: Im August 2015 würde die erste Runde für Parlamentswahlen, im Oktober 2015 die zweite Parlamentsrunde und gleichzeitig erste Runde  Präsidentschafts- und Gemeindewahlen und im Dezember 2015 die zweite Präsidentschaftsrunde laufen. 

Dabei kam es zu einigen Problemen, die selbst das internationale Medienkartell, wenn auch verzerrt, wahrnahm. Die sensationell tiefe Wahlbeteiligung im August wurde durch eine Serie von Gewalttätigkeiten (bis hin zu Schiessereien und Abbrennen von Wahllokalen durch Cliquen militanter Anhänger von KandidatInnen in 60 % der Wahlbezirke) in den Schatten gestellt. Etwas wenig cool für das Image der doch seit der Besatzung von 2004 segensreich herrschenden UNO-Mission Minustah. Weshalb Washington Martelly anwies, für die 2. Runde im Oktober gepflegter vorzugehen. Und tatsächlich, die offenen Gewaltakte gingen jetzt zurück. Dafür kam eine andere demokratische Errungenschaft zum Tragen: der galoppierende Wahlbetrug. Mit dem richtigen Ergebnis: Martellys Partei Tét Kalé gewann mit Abstand am meisten Parlamentssitze und Jovenel Moïse, sein designierter, bis anhin unbekannter  Nachfolger, belegte den ersten Platz in den Präsidentschaftswahlen vor Jude Célestin. 
Minustah.

Spätestens seit diesem Datum erlebt Haiti einen Zyklus grosser Strassenmobilisierungen gegen das Regime, denen sich in der letzten Zeit nun auch Mobilisierungen von Tét Kalé entgegenstellen. Welche Kräfte real die offenbar landesweiten Proteste organisieren, ist mir unklar. Glauben wir Kim Yves, dem Herausgeber des Haiti Liberté (New York, Port-au-Prince), so ist es gerade nicht das gemässigte Oppositionsbündnis G-8, dem Fanmi Lavalas, auch die Partei des 2004 gestürzten Aristide, angehört, auch wenn der Mainstream das so darstellt. Im Einverständnis mit oder unter Druck der Strassenmobilisierungen gab Célestin bekannt, sich angesichts des offensichtlichen Betrugs nicht an einer weiteren Wahlrunde zu beteiligen, solange die korrupte Wahlbehörde, der CEP (Conseil Electoral Provisoire), und ihre regionalen Vertretungen nicht durch neue ersetzt würden.  Oft zitiert wird sein Spruch: „Ich will mich an einer Wahl beteiligen, nicht an einer Auswahl.“
Unrecht hat er nicht. Die anhaltenden Proteste zwangen Washington etc. dazu, Martelly zu einer Untersuchung der Betrugsvorwürfe zu veranlassen. Damit sollte das Terrain für eine „saubere“ 2. Präsidentschaftsrunde, die vom CEP mehrmals verschoben wurde, zuletzt auf den 24. Januar 2016, geebnet werden. Martelly ernannten eine „unabhängige Kommission“ – so wird sie auch im Mainstream stets bezeichnet – unter Vorsitz von Rosny Descroches, seines Zeichens u. a. Exekutivdirektor  der Initiatve de la Société Civile, eines Zusammenschlusses von Versicherungsgesellschaften, Tourismusunternehmen, Handelskammern u. ä.  Die Kommission erledigte ihren Auftrag:  Sie bestätigte betrügerische Mechanismen, nannte aber keine Verantwortlichen und Profiteure. Und sie hütete sich, die „Resultate“ als solche anzufechten. Angesichts der überwältigenden Betrugsbeweise musste sie ein paar Knochen hinwerfen. So offzialisierte sie laut dem erwähnten Times-Artikel, dass von den 1.5 Mio., die sich an den Oktoberwahlen beteiligt haben sollen, rund 900‘000 Leute waren, die als ParteivertreterInnen an den Wahltischen akkreditiert waren und dort auch ihr Stimmrecht ausüben konnten (eine Neuerung gegenüber August). Die NYT-Journalistin: „Akkreditierungen wurden verkauft und fotokopiert, was Parteimitgliedern erlaubte, in vielen Wahlzentren ihre Stimme abzugeben“. Einige dieser oft armen MehrfachwählerInnen wurden sogar verhaftet, kamen aber kurz dach wieder frei, dank Kautionszahlungen bekannter Politgrössen. (Der Artikel informiert auch über den Parlamentskandidaten Gérald Jean, der dem CEP $ 24‘900 für seinen Wahlsieg zahlte, weniger allerdings als ein Gegenkandidat und Wahlsieger, was letzteres Jean so in Rage versetzte, dass er die Bestechungsquittungen öffentlich vorlegte.) 

Die Times-Autorin Frances Robles weiter: „Die Regierungskommission […] untersuchte in einer Stichprobe die Resultatsformulare und fand heraus, dass nur acht Prozent fehlerfrei waren. Dreissig Prozent wiesen WählerInnen auf, die in den WählerInnenlisten nicht vorlamen, und fast die Hälfte der Formulare enthielten WählerInnen mit einer unkorrekten ID-Nummer.“

Orwell sche Interpretation
Ein/e US-Offizielle/r meinte zu den Betrugsmanövern: „Wir sagen nicht, sie haben nicht stattgefunden, nur, dass wir sie nicht selber gesehen haben“  (NYT, s.o.). Washington hatte nicht nur die „Wahlen“ bezahlt, sondern auch 1700 WahlbeobachterInnen im Einsatz. Die OAS begrüsste die Kommissionsarbeit ihres Direktors für Wahlkoordination  so: „Wir gelangten zum Schluss, dass trotz der Unregelmässigkeiten und obwohl der Prozess bedeutend besser sein könnte, die Ergebnisse für die beiden Leute, die in die Stichwahl gelangten, sich nicht verändern“ (NYT, id.)  Dito die EU in einem Kommuniqué: „Es ist jetzt essentiell, den Prozess zu Ende zu führen, um dem Land legitime politische Institutionen zu geben, Ausdruck der freien Wahl der BürgerInnen an den Urnen. Die von der Kommission durchgeführte Auswertung … hat die Resultate der ersten Runde nicht verändert“ (zit. in Haiti Liberté: Les Retombées du rapport de la Commission d'Évaluation Électorale). Auch die „Kerngruppe“ (BotschafterInnen von USA, Kanada, Frankreich, Brasilien, EU, OAS, Minustah) schlussfolgert, dass nun business as usual, also subito die Abschlussrunde der Präsidentenkür, angesagt sei.

Nota bene: Von einem offiziellen WählerInnenuniversum von 5. 8 Mio. Wahlberechtigten beteiligen sich offiziell 1.5 Mio., davon 900‘000 ParteivertreterInnen, von denen ein unbekannt grosser, aber nach allen Angaben beträchtlicher Teil mehrfach gestimmt hat. Ganze 8 Prozent der Resultatsformulare genügen den gesetzlichen Bestimmungen – aber Demokratie ist! Das muss man mit der kolonialistischen Rassismuskotze konfrontieren, mit der die „Mühen“ der Menschen von Haiti mit der Demokratie reflexhaft bedacht werden. Es ist natürlich auch der obsessive Versuch der TäterInnen, nach militärischer Besetzung samt der folgenden Massenmorden in den Armutsquartieren (wir haben das in mehreren Correos-Ausgaben nach 2004 versucht zu dokumentieren) und erneuter Versklavung Haitis ein weiteres Produkt ihrer Brutalität zu negieren.  Das Beschwören eines courrant normal….

Die Spannungen steigen
Nur eben, in Haiti spielen lange nicht alle mit. Stellvertretend für die vielen Mobilisierungen hier ein Auszug aus einem Bericht von Kim Yves in counterpunch.org (Tens of Thousands March on Haiti):
„Am Freitag, dem 22. Januar, marschierten Tausende über zehn Meilen die Delmas-Strasse von Port-au-Prince nach Pétionville und wieder zurück, um Neuwahlen zu fordern und gegen ein Demonstrationsverbot der Regierung ab Mitternacht zu protestieren. Die demonstrierende, skandierende Menge liess die haitische Elite in Pétionville vor Furcht erzittern, als sie lärmend in die exklusiven Strassen der Hügelenklave strömte, während junge Männer Steinbrocken und Telefonmäste auf die Strassen warfen und Autos und Pneus in Brand setzten. Der tumultuöse Tag zwang den Provisorischen Wahlrat von Haiti [….] die dritte, für den 24. Januar vorgesehene Runde auf eine unbestimmtes Datums zu verschieben.“
19.1.16: Demo in Pétionville

Im gleichen Artikel gibt Yves auch Informationen einer anonymen Quelle in der haitischen Polizei wieder, wonach das „Chariot“ genannte Mitglied der polizeilichen Präsidalgarde am 25. Januar Waffen, Geld u. a. erhalten habe, um im Verein mit weiteren Tätern im Riesenslum Cité Soleil und anderswo „für Unruhe zu sorgen“.  Martelly hatte am 28. Januar angekündigt, am 7. Februar, am Ende seiner Amtszeit, nicht zurückzutreten, falls bis dahin keine Lösung gefunden worden sei. „Sie haben einen makabren Plan ausgeheckt, der das Land in eine Situation von Unsicherheit führen soll“, verkündete er  laut Agence Haïtienne de Presse vom 28. Januar. 

Tatsächlich hat das Zusammenspiel von Besatzungsmacht und haitischer Elite eine von der Verfassung nicht vorgesehene Lage gebracht. Die gemässigte Opposition schlägt eine technokratische Übergangsregierung unter Leitung des Präsidenten des Obersten Gerichts vor, während viele an den Demos skandieren: „Wir wollen die Revolution“.  Martelly liess diese Tage auch seine Tét-Kalé-Basis demonstrieren, und ein weiterer Protagonist hatte sich zu Wort gemeldet: Guy Philippe. Haiti Press Network meldete am 25. Januar, Philippe sei zwar mit einer Übergangsregierung einverstanden, aber einer mit angemessener Vertretung aller Landesteile: „‘Der Süden und die Grand’Anse [Department im Südwesten] werden keine Befehle einer nur von politischen raquetteurs in Port-au-Prince bestallten Regierung akzeptieren‘ versichert er, bevor er seinen Beschluss unterstreicht, sich gegen die, wie er sagt, Anarchisten in de haitischen Hauptstadt zu mobilisieren‘“.
Philippe hatte 2004 mit Elemente der aufgelösten Armee aus der Dominikanischen Republik, finanziert vom IRI (US-republikanisches Parteiinstitut, einer der üblichen Kanäle für offizielle Washingtoner-Finanzen in fremde Länder), den Putsch gegen Aristide begonnen, der von der US-französischen Besetzung vollendet wurde. Er hatte sich in die Dominikanische abgesetzt, um einem Strafverfahren wegen Drogenhandels zu entgehen. 1994 hatte die Clinton-Administration Aristide, der zuvor 1991 unter Bush I von der von den USA kreierten Drogenpolizei  weggeputscht worden war, wieder in sein Amt eingesetzt, zu strengen neoliberalen Bedingungen allerdings.  Philippe, der in Ecuador eine Spezialausbildung für Green Berets gemacht hatte, wurde auf Betreiben der USA in die haitische Polizei eingegliedert, in der er einen hohen Posten bekleidete.
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Zwei Nachbemerkungen:

Erstens:
 Es ist sehr schwer, an Informationen über das gesellschaftliche Leben in Haiti und die Kräfte des Widerstandes heranzukommen. U. a., weil sie über fast keinen Internet-Auftritt verfügen, im Gegensatz zur gemässigten Parteienopposition und besonders der „kritischen  Zivilgesellschaft“, die sich heute als Wortführerin der Massendemos geriert. Es sind die gleichen Gruppen, die 2004 den Sturz Aristides von „links“ mitgetragen haben, nur um später erzürnt feststellen zu müssen, dass sie nach getaner Arbeit nicht an die Schaltstellen der Macht geholt werden.
Eine reale Massenorganisation dürfte es schwer haben. Nach dem Erdbeben von 2011 haben rund 10‘000 internationale NGOs Haiti überfallen und über die „kritische Zivilgesellschaft“ klientelistische Kanäle aufgebaut, die die Organisierung realer gesellschaftlicher Alternativkräfte extrem erschweren.  

Dies in einem extrem belastenden sozialen Kontext, der durchaus auch zur Ermattung und Demobilisierung führen kann. Beispiel: Chavanes Jean Baptiste, selber ein irrlichternder Grenzgänger zwischen früher bäuerlichen Sozialorganisation und später vereinnahmter NGO, führte vor wenigen Tagen aus: „Das Land produzierte nur 40 % seiner Nahrungsmittel. 2015 produzierten wir wegen einer sehr schweren Dürre kaum 20 % unserer Nahrung. In einigen Regionen hat es während 11 Monaten nicht geregnet.“
 
Der Klimawandel verstärkt die gesellschaftliche Gewalt. In den 80er Jahren war Haiti in Sachen Reisversorgung autark. Dann kam der IWF. Das Land „liberalisierte“ seine Importzölle und importierte auf transnationales Geheiss massiv subventionierten US-Reis. Die haitischen BäuerInnen konnten unmöglich mithalten. Nun, 1998 produzierten sie noch 47 % des konsumierten Reis, 2008 nur noch 15 % (Quelle: Radio Métropole, 21.4.2010: Haïti: Le mea culpa de Bill Clinton). Weiterer Grund: Die Nahrungsmittelhilfe. Dies bezüglich befleissigte sich Bill Clinton einer realen Selbstkritik: „Es war ein Fehler, zu dem ich beigetragen habe. Ich muss jeden Tag mit den Folgen davon leben, dass Haiti seine Fähigkeit, den Reis für die Ernährung seiner Bevölkerung zu produzieren, verloren hat, wegen dem, was ich und niemand sonst gemacht habe.“  Das war 2010. Ein Jahr später, nach den Erdbeben, übernahm Clinton den Vorsitz der neoliberal-kolonialen Interim Haiti Recovery Commission. Gegen die Verlockungen der Macht schien die Einsicht nicht gewappnet.

Ebenfalls auf US-Kommando liquidierte Haiti 1982/83 seinen gesamten Bestand an einheimischen, schwarzen Schweinen, angepasst an die lokalen Verhältnisse. Diese kleinen Wunderviecher hatten zwei Jahre zuvor eine aus der Dominikanischen Republik eingeschleppte Seuche des Schweinefiebers fast problemlos überstanden, doch Washington konstatierte eine hygienische Bedrohung. Nun mussten die haitischen BäuerInnen erbärmlich unangepasste US-Schweine kaufen, deren Unterhalt die haitische kleinbäuerische Landwirtschaftlich nachhaltig und enorm verarmte und limitierte. Das bittere Bonmot, dass die Schweine jetzt besser lebten als ihre BesitzerInnen, wurde zum Allgemeingut.

Vom Schweinefieber und Klimawandel über die „Republik der NGOs“ zu den Todesschwadronen – das sind die Probleme, die sich denen stellen, die in Haiti den Aufbruch wagen.

Zweitens:
 Wir verstehen, warum die „internationale Gemeinschaft“ in Venezuela den Wahlbetrug voraussagte, nachdem sich die Regierung Maduro geweigert hatte, die OAS als Wahlentscheidungsinstanz einzuladen. Nach dem verheerenden Ergebnis vom 6. Dezember 2015 ist diese Hetzte kurzfristig eingestellt worden, sang- und klanglos.


[i] Lavalas, Partei des reformorientierten Armenpriesters Jean-Bertrand Aristide, den Anfang 2004 eine von der Bush-Administration geleitete Kombination von Putsch durch Kräfte der aufgelösten haitischen Armee und Invasion durch US- und französische Truppen stürzte.

Notstandsdekret zu öffentlicher Sicherheit in Argentinien erlassen

Dienstag, 26. Januar 2016

https://amerika21.de/2016/01/141641/macri-notstand-sicherheit

26.01.2016 

Notstandsdekret zu öffentlicher Sicherheit in Argentinien erlassen

Präsident Macri umgeht weiterhin das Parlament. Adolfo Pérez Esquivel: "Totalitarismus mit einem neoliberalen Reorganisationsprojekt"
Macri im Gespräch mit argentinischen Journalisten beim Weltwirtschaftsforum in Davos
Macri im Gespräch mit argentinischen Journalisten beim Weltwirtschaftsforum in Davos
Lizenz: CC by 2.5
Buenos Aires. Das kürzlich von Argentiniens neuem Präsidenten Mauricio Macri verfügte Dekret über den "Notstand der Öffentlichen Sicherheit" gerät immer stärker in die Kritik. Das Dekret enthält verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels im Land. Laut der argentinischen Sicherheitsministerin Patricia Bullrich handelt es sich um eine notwendige Reaktion auf die zunehmende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.
Künftig soll beispielsweise die Kontrolle des argentinischen Luftraums verstärkt werden. Die "Regeln zum Schutz des Luftraums" erlauben den Abschuss "feindlicher" Flugzeuge. Weitere Maßnahmen sind unter anderem der Aufbau eines Einsatzkommandos zur Verstärkung des Grenzschutzes, die zeitlich lückenlose Überwachung der nördlichen Grenze mit Radartechnik, die Materialbeschaffung zur besseren Überwachung der Wasserwege und Häfen, die Aufstockung des Polizeipersonals mit pensionierten Beamten, der verbesserte Informationsaustausch zwischen Justiz und Polizei sowie der Aufbau eines zentralen Archivs zur Sammlung von Kriminalstatistikdaten. Die Maßnahmen gelten vorerst für ein Jahr.
Das Dekret ist ein dem argentinischen Präsidenten vorbehaltener Rechtsakt in Form einer Verordnung, der keiner Konsultation des Kongresses bedarf, trotzdem aber Gesetzeskraft besitzt. Gemäß der Verfassung kann dieses präsidiale Sonderrecht zur Anwendung kommen, wenn "außergewöhnliche Umstände es verunmöglichen, die ordentlichen, vorgesehenen Amtswege zum Erlass von Gesetzen zu befolgen". Macri hat seit Beginn seiner Amtszeit am 10. Dezember 2015 bereits eine große Anzahl von Dekreten verabschiedet, weshalb oppositionelle Kräfte ihm vorwerfen, undemokratisch vorzugehen. Allein an seinem zweiten Amtstag hat er 29 Dekrete erlassen. Dazu gehörten beispielsweise die Freigabe des Wechselkurses, die Neuorganisation des Wirtschaftsministeriums, die Besetzung des Obersten Gerichtshofes mit neuen Richtern oder der Steuererlass für die Agrarproduzenten.
Insbesondere die Autorisierung des Abschusses "fremder" Flugzeuge sorgt für große Entrüstung in der Öffentlichkeit. Auf Twitter kritisierten verschiedene Politiker der Linkspartei Frente de Izquierda unter dem Hashtag #leydederribo (Abschussgesetz), dass es sich dabei um eine "Todesstrafe ohne vorherigen Gerichtsprozess" handeln würde und unschuldige Opfer getroffen werden könnten. Augustín Rossi, Ex-Verteidigungsminister Argentiniens, bemängelt hingegen den fehlenden demokratischen Prozess: "Es ist eine Frechheit, so etwas ohne Debatte und ohne gesetzliche Grundlage des Kongresses zu dekretieren". Zudem warnt Rossi davor, für Probleme der inneren Sicherheit die Luftwaffe beizuziehen. Dies sei ein gewaltiger Rückschritt in der Geschichte Argentiniens. Ähnlicher Meinung ist auch Margarita Stolbizer, die Vorsitzende der Mitte-links-Partei Generación para un Encuentro Nacional: "Die Staatspolitik betreffend Sicherheit und gegen den Drogenkrieg sollte nicht per Dekret beschlossen werden". Adolfo Pérez Esquivel, argentinischer Friedensnobelpreisträger bezeichnet die Einmischung des Militärs in innenpolitische Angelegenheiten als "Totalitarismus mit einem neoliberalen Reorganisationsprojekt".
Ministerin Bullrich reagierte indes bei einer Pressekonferenz auf die Vorwürfe. Sie versicherte, dass die oberste Priorität der verordneten Maßnahmen dem Kampf gegen den Drogenhandel gelte. Die verstärkte Kontrolle des Luftraums sei eine Notwendigkeit, da es in Argentinien jährlich 400 illegale Flüge von Verbrechern und Drogenhändlern gebe. Der Abschuss eines Flugzeuges sei das letzte Mittel und würde nur in Ausnahmefällen angewendet. Weiter hat die Regierung darauf hingewiesen, dass das Abschussgesetz einem internationalen Standard entspreche und von der Vorgängerregierung bei speziellen Anlässen wie dem Iberoamerikanischen Gipfel 2010 in Mar del Plata ebenfalls angeordnet wurde. Schließlich sagte sie zu, in der Sitzungsrunde des Kongresses ab dem 1. März 2016 eine Debatte über das Dekret zu führen.
Der Drogenhandel und die damit verbundene Kriminalität haben in Argentinien seit 2008 stark zugenommen. Die international agierenden Drogenkartelle haben das Land in den vergangenen Jahren als neue Destination entdeckt. Die argentinischen Banden agieren innerhalb dieses Systems hauptsächlich als Geldwäscher und Zwischenstationen für den Handel. Der Kampf gegen den Drogenhandel war eines der wichtigsten Wahlversprechen von Macri.

Correos 183, 23. Dezember 2015 - Inhaltsverzeichnis

Mittwoch, 20. Januar 2016




183 Inhaltsverzeichnis

S. 3-7 Venezuela
Korrekturen für den Chavismus
Luis Britto García

Venezuela, das gesellschaftliche Beispiel: Und was jetzt?
Aham Aharonian

Der Hass des Feindes
Dieter Drüssel

Wirtschaftskrieg gegen die kollektive Psyche
Warum der Mainstream einer obskuren Homepage in einem US-Steuerparadies aus der Hand frisst.
Franco Vielma

S. 8 Nicaragua-Solidarität
Einladung zur Brigada Internacionalista in Nicaragua 2016

S. 9-10 Argentinien
Wie dem liberalen Vormarsch zu begegnen ist
Ohne Zweifel stellt das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen einen schweren Rückschlag für die fortschrittlichen Kräfte nicht nur in Argentinien, sondern im ganzen Südkontinent dar. Auch der unterlegene «kirchneristische» Gegenkandidat hätte gegenüber dem bisherigen Status quo eine Rechtswende eingeleitet, allerdings weniger weitgehend als die jetzt bevorstehende. Dies der Hintergrund für die folgende Analyse des Autors, der an der Universität von Buenos Aires als Historiker arbeitet.
Guillermo Caviasca

S. 11-12 Feminismus
Ein für den Kampf der Völker nützlicher Feminismus
Adriana Guzmán Arroyo

S. 13-14 Lateinamerika
„Das Imperium benutzt jetzt härtere Bandagen“
Stedile, Führungsmitglied der brasilianischen Landlosenbewegung MST, analysiert die Aufgaben
der gesellschaftlichen Bewegungen in Lateinamerika in einem Moment der verschärften
imperialistischen Gegenoffensiven.
Joáo Pedro Stedile

S. 15-16 Guatemala
Kopf oder Zahl im guatemaltekischen "Frühling"?
Als "Kopf" ist das Erwachen der guatemaltekischen Gesellschaft gegen Korruption zu deuten, ebenso wie die Niederlage von Manuel Baldizón in der ersten Wahlrunde. "Zahl" ist das Resultat der zweiten Wahlrunde: Ein Komödiant als neuer Präsident, unterstützt vom Militärsektor. Welche Bilanz ziehen? Die grosse Herausforderung für die "empörte" Bevölkerung ist es, auch weiterhin der Regierung auf die Finger zu schauen.
Juan Hernández Pico

S. 17-18 USA/Zentralamerika
„Zentralamerikanischer Frühling“
Die „Bekämpfung“ der Korruption als trojanisches Pferd.
Dieter Drüssel

S. 19 Armutslüge
'Mit falschen Zahlen beruhigt'
Der Forscher Thomas Pogge wirft den Vereinten Nationen vor, Statistiken zur Armut zu beschönigen. Auch die Definition der Armut sei verzerrend. Das habe für die Betroffenen verheerende Folgen.
Interview von Sacha Batthyany

S. 20 - 24 Mexiko
Staatsfeind Nr. 1
Die CNTE ist Zielscheibe staatlicher Diskreditierung und Repression in Mexiko. Diese oppositionelle Strömung der mexikanischen LehrerInnengewerkschaft SNTE weist zahlreiche interne Widersprüche auf. Dennoch ist sie die gesellschaftliche Speerspitze gegen neoliberale Reformen und Verteidigerin der Rechte der armen Bevölkerung, besonders die Sektion 22 im Bundesstaat Oaxaca. Seit der Verabschiedung einer “Bildungsreform” steht sie besonders unter Druck.
Philipp Gerber

Guerrero: Die Regierung heizt die Gewalt an
Ein Bericht aus der Zeitschrift Proceso über den Widerstand indigen-bäuerischer Comunidades in den Bergen von Guerrero gegen den Terror der Drogenorganisationen und der staatlichen Repressionsorgane.
Ezequiel Flores Contreras

S. 25-27 El Salvador
Die Rolle der Verfassungskammer
Der Verfassungskammer des Obersten Gerichts kommt zweifellos eine besondere Rolle bei der Bekämpfung emanzipatorischer Umwälzungen in der Gesellschaft zu. Eine lokale Variante im kontinentweiten Versuch des Rollbacks. Das kommt in einem Gewand daher, das demokratische Illusionen wecken soll.

Dieter Drüssel

Der gottesfürchtige Weg nach oben

Mittwoch, 13. Januar 2016

Werbung in der Rhätischen Bahn:


El Salvador: "Sucht sie!"



(zas, 13.1.16) José Guillermo García ist ein Killer. Der Militär war Anfang der 80er Jahren Kriegsminister in El Salvador und setzte sich nach seiner Ablösung durch Vides Casanova in die USA ab. Lange Jahre blieb er unbehelligt, obwohl er einer Hauptverantwortlichen für die bestialischen Massaker jener Jahre der Diktatur war. Doch Folteropfern, Opferangehörigen und der Menschenrechtsorganisation Center for Justice & Accountability (CJA) gelang es schliesslich, den Mann vor die US-Justiz zu bringen. Die US-Migrationsjustiz verurteilte ihn 2014 wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen zur Deportierung nach El Salvador. García appellierte dagegen, unterlag aber definitiv letzten Dezember. Am 9. Januar 2016 musste der Mann mit anderen Deportierten ein von der US-Migrationsbehörde ICE gemietetes Flugzeug für den Flug nach El Salvador besteigen.  Hauptgrund für den Schuldspruch: Mitwisserschaft und Mittäterschaft bei Folter (neben migrationstechnischen Elementen). 
Kampf gegen die Straflosigkeit. Quelle: CJA
 Die Deportierung freut, trotz einem bitterem Nachgeschmack.  Es ist ausgerechnet die Justiz jenes Landes, die die Kriegsverbrecher damals nicht nur finanzierte, sondern ausbildete und ihr „Wirken“ kontrollierte, die jetzt herausfindet, was damals wider alle Evidenz vom US-Staat stets bestritten wurde, dass nämlich US- local assets systematisch Verbrechen begangen haben. Wie im Fall seines letztes Jahr ebenfalls aus den USA nach El Salvador deportierten Amtsnachfolgers Vides Casanova und in anderen Fällen, in denen sich die US-Justiz mit den Kriegsverbrechen in El Salvador befasst, taucht selbstredend nicht der Hauch einer Ahnung von aktiver US-Verantwortung dafür auf. Das dürfte der Preis für den Eintritt in die neue transnationale „humanitäre“ Justiz sein.
García ist also am 9. Januar in sein Land zurückgekehrt, wo ihm kaum Ungemach droht. Die salvadorianische Justiz weigert sich bisher systematisch, Menschenrechtsverbrechen zu ahnden. García trifft in El Salvador auf eine Menge Komplizen. Etwa auf die für die Ermordung der Jesuitenpadres 1989 direkt verantwortliche Armeeführung. Ein Fall, der die salvadorianische Öffentlichkeit weiter aufwirbeln könnte. Denn der erzreaktionäre spanische Richter Eloy Velazco vom Staatsgerichtshof Audiencia Nacional hat erneut die Gültigkeit eines Auslieferungsbegehrens gegen die damalige Armeeführung bestätigt, obwohl Spanien unter dem PP die Zuständigkeit seiner Justiz für Verbrechen gegen die Menschheit drastisch eingeschränkt hat. Einige der ermordeten Jesuiten waren spanische Bürger. Die Mörder laufen in El Salvador frei herum. (Selbst vom rechten Amnestiegesetz, das oft als Haupthinderungsgrund angeführt wird, wären die Jesuitenmorde nicht gedeckt.) Chato Vargas, Mitglied der damaligen Armeeführung und heute Parlamentarier der rechten Partei ARENA,  wusste zum spanischen Auslieferungsansinnen Folgendes anzumerken: Das sei, „wie wenn ein salvadorianisches Gericht 4000 Spanier wegen all der [ermordeten] Indios holen würde.“  In die gleiche Kerbe hieb auch Jorge Velado, Chef der rechten, früher regierenden  ARENA-Partei :  „Wie ist es möglich, dass Spanien, das den Richter Baltasar Garzón sanktionierte, weil er vergangene Fälle des tragischen spanischen Bürgerkriegs wieder beleben wollte, jetzt Vorfälle im salvadorianischen bewaffneten Konflikt wieder aufwärmen will und so unsere nationale Souveränität verletzt“? Fast schon hackt eine Krähe der anderen ein Auge aus.
García weiss, wohin er zurückkehrt. Am Flughafen, wo ihn auch eine eiligst zusammengetrommelte Gruppe von überlebenden Opfern und MenschenrechtsaktivistInnen erwartete und mit dem Ruf „Mörder“ empfing, wiederholte er nur permanent: „Que viva El Salvador!“  Doch einmal liess sich der heute 83-Jährige sich zu einer weiteren Aussage bewegen, als ihn die Compas mit der Frage bedrängten, wo ihre Verschwundenen seien. Höhnisch warf er hin: „Sucht sie!“
García am Flughafen: "Sucht sie!"