(zas, 14.11.17) Das
Zitat im Titel schmückt eine Grafik im heutigen
Bloomberg-Artikel zum Schritt der Ratingagentur S&P, die venezolanische
Regierung für zahlungsunfähig zu erklären (Default). Und Fitch, eine weitere
der drei berüchtigten, von der US-Börsenaufsicht SEC in den Orakelstand
erhobenen Agenturen, habe gestern festgehalten, dass der staatliche Erdölkonzern
Pdvsa Zahlungen verpasst habe. Die von Maduro auf gestern angesetzten Umschuldungsverhandlungen
seien damit Makulatur.
Bloomberg. |
Was es mit dem Anlass
von gestern auf sich hatte, ist schwer zu beurteilen. Von offizieller
venezolanischer Seite scheint es dazu keine konkreten inhaltlichen Angaben zu
geben, Bloomberg skizziert die Sache als geradezu surreal: Geredet habe dort
während einer halben Stunde einzig Vizepräsident Tareck El Aissami (keine Publikumsinterventionen
zugelassen), der gegen die US-Sanktionen vom Leder gezogen sei, ohne den rund
hundert Anwesenden konkrete Vorschläge zu präsentieren. Es ist allerdings
schwer vorstellbar, dass die Regierung inter/nationale GläubigerInnen einzig
für eine halbe Stunde Politunterricht nach Caracas hat kommen lassen. Dito
dürfte es nicht bloss Provokation oder Dummheit gewesen sein, dass der Anlass
von El Aissami geleitet wurde. Er wird vom US-Finanzministerium als
Drogenhandelscapo auf einer Sanktionsliste geführt, die Übereinkünfte mit ihm,
dem Finanzminister, dem Staatspräsidenten etc. pp. verbietet. An eine „normale“
Schuldenrestrukturierung dachte in Caracas offenbar niemand.
Kompetente Stimmungsmache. |
Am letzten 28. August unterschrieb
Trump einen folgenschweren Präsidialerlass,
der es Unternehmen mit Zahlungsverkehr über die USA (so gut wie alle
international tätige Institute also) untersagt, neue Anleihen der Regierung
oder von Pdvsa zu erwerben oder mit einer Reihe schon früher ausgegebenen Bonds
zu handeln. Am 20. September verlangte das US-Finanzministerium von
Unternehmen mit venezolanischen Wirtschaftsbeziehungen eine verschärfte Prüfung
im Zusammenhang mit möglichen Fällen insbesondere von „Korruption und
Geldwäscherei“. Konkret bedeutet das die Verschärfungen von Situationen, wie
sie Reuters am 11. Oktober beschrieb.
Im Artikel ging es darum, dass ein Pdvsa-Tanker 40 Tage auf seine Löschung
warten musste. Am 9. November echote Reuters
eine neue Warnung des US-Finanzministeriums an Bankhalterinnen, wonach jede
Übereinkunft mit einer auf der Sanktionsliste stehenden Person, also auch mit
El Aissami, verboten sei. In einem weiteren Artikel meinte
die Bloomberg-Journalistin Katia Porcecanski vor wenigen Tagen: Die
US-Sanktionen bedeuten, „dass das Maduro-Regime
bei vielen internationalen Investoren kein Geld aufnehmen kann – und eine
Schuldenrestrukturierung unglaublich kompliziert, wenn nicht unmöglich, wäre.“
Nicht gerade ein schlagender Beweis für „chavistische Misswirtschaft“,
wohl aber für finanzielle Erdrosselung. Bloomberg berichtet im zuletzt
zitierten Artikel, dass die Devisenreserven des Landes auf $ 10 Mrd. gesunken
seien, aber für 2018 Schuldenzahlungen von $ 13 Mrd. fällig wären. Andere Quellen
gehen allerdings von markant niedrigeren Forderungen aus. Wobei unklar ist, ob auch
russische, gerade erst restrukturierte, oder chinesische Forderungen in diese
Zahlen einberechnet worden sind. So oder so, in der Kasse scheint kaum mehr
Kohle zu sein. Deshalb bemüht sich die chavistische Regierung jetzt auch um
eine Schuldenrestrukturierung. Gerade hatte sie noch $ 2 Mrd. Landes- und
Pdvsa-Schulden bezahlt, in den letzten 4 Jahren waren es offenbar insgesamt $
70 Mrd. Dies wohl, wie Bloomberg anmerkt (s. o.), um eine Beschlagnahmung der
Auslandsaktiven von Pdvsa zu verhindern, insbesondere von der für die US-Wirtschaft
wichtigen Raffinerie- und Tankstellenkette Citgo in den USA. Sollte Citgo (an der Pdvsa 51 % hält), in die
Hände von Gläubigern fallen, könnten ihre Raffinerien Schweröl von
nicht-venezolanischen Quellen verarbeiten, was Pdvsa mit ihren immer noch grossen
US-Exporten im Wert von $ 10 Mrd. im Jahr einen weiteren schweren Schlag
versetzen würde.
Werfen wir einen Blick auf einen von mehreren die US-Sanktionen ergänzenden
Finanzangriffe auf das chavistische Venezuela, das sog. Länderrisiko. Das meint
primär den Aufpreis auf staatliche Anleihenzinse je nach Defaultrisiko des
Landes. Wie misst sich dieses Risiko? Wirtschaftlich etwa nach dem Verhältnis
Auslandsverschuldung im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung BIP. Aber
auch nach politischen Kriterien, etwa dem Risiko einer Enteignung. Bezeichnend
nun für den Charakter der „chavistischen Misswirtschaft“ sind folgende Zahlen:
Brasilien hatte nach den letzten Angaben des CIA-Factbooks Ende 2016 eine
geschätzte Staatsverschuldung von 70 % (brasilianische Banken gingen
letzten April von 80 % aus); Mexiko eine auf Ende 2016 geschätzte
Staatsverschuldung von 51 % und Venezuela von 39.3 %. Mexiko hatte Ende letzten
April eine Nettoauslandsverschuldung
von 18.37 %. Für Venezuela berechnete die UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika
CEPAL die Auslandsschulden Ende 2016 auf 21.9 % . Vermutlich
ist bei dieser letzten Zahl die Verschuldung von Pdvsa nicht einberechnet. Dennoch
erstaunt, wie andere Berechnungen wie etwa jene der bekannten Torino Capital des
ehemaligen Kaders der Bank of America, Francisco Rodríguez, auf eine
Aussenverschuldung von rund 70 % des BIP kommen,
also auf $ 139 Mrd. Das Finanzministerium hatte die Aussenverschuldung der
Regierung laut der von der Deutschen Welle interviewten Analystin Pilar Navarro
vom viel zitierten rechten Consultingunternehmen Ecoanalítica für Ende 2016 mit
rund $ 47 Mio. angegeben
(das entspricht etwa den CEPAL-Zahlen), während Reuters für Pdvsa für den
gleichen Zeitpunkt deren Angaben von einer gesamten Unternehmensverschuldung von $ 41. Mrd. wiedergibt
(also inkl. der Inlandverschuldung, die wohl in US-Dollars denominiert ist). Das
macht zusammen etwa 2/3 der Angaben von Torino Capital aus, ein signifikanter
Unterschied. Zurück nun zur „Misswirtschaft“: Der Risikoaufschlag liegt heute
laut Berechnungen von JP Morgan für Mexiko
bei 188, für Brasilien
bei 251 Punkte und für Venezuela
3980 Punkten.
Für die lateinamerikanischen Länderrisiken gilt der auf emerging markets spezialisierte EMBI-Index
von J.P. Morgan als relevant. Die gleiche Bank hatte schon Ende 2016 eine
dringende Default-Warnung gegen Venezuela herausgegeben, da das Land angeblich
seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sei. In Wirklichkeit hatte die
Citibank venezolanische Bondzahlungen blockiert. Eine kalkulierte Fehlmeldung,
um den venezolanischen Schuldendienst zu verteuern. J.P. Morgan bzw. ihr
Unternehmen Euroclear spielt auch eine wichtige Rolle bei der jetzigen Defaultausrufung
durch S&P. Euroclear ist laut Wikipedia das weltgrösste Clearing-Unternehmen.
Der ebenfalls laut Wikipedia zu den zehn grössten Treuhandunternehmen zählende Wilmington
Trust gab am 9. November bekannt, an diesem letzt möglichen Termin keine
Überweisungen des staatlichen venezolanischen Stromwerks Corpoelec an AnleihenhalterInnen
erhalten zu haben, was S&P wie voraussehbar zur sofortigen
Default-Ausrufung motivierte. Dass wenige Stunden nach dem Wilmington-Statement
Corpoelec bekannt gab, die korrekt getätigte
Zahlung sei bei der mit der Abwicklung beauftragten Euroclear „wegen Veränderungen in der Operativität“
hängen geblieben, interessierte die auf Default-Adrenalin operierende
internationale Finanzpresse nicht. Einmal mehr führten die US-Sanktionen zu
einer „Zahlungsverzögerung“, dieses Mal zum ersten „Default“. (Gleich
operierten die USA, als sie das kirchneristische Argentinien für im Default
befindlich erklären liessen. Die Citibank hatte inm Wirklichkeit auf Geheiss
der US-Justiz die argentinischen Zahlungen an internationale Gläubiger einbehalten.)
Nochmals zum „stolzen“ Unterschied zwischen dem Länderrisiko von
Venezuela im Vergleich zu Ländern mit mindestens ähnlichen wirtschaftlichen
Grunddaten. Drängt sich da nicht die Vermutung auf, die „chavistische
Misswirtschaft“ sei weniger ein ökonomisches Problem denn Chiffre für eine
politische Feinderklärung? Nehmen wir nochmals die Bloomberg-Journalistin Katia
Porcecanski (s. o.) zur Zeugin: „Investoren
glauben, eine neue Regierung (…) ist eine notwendige Bedingung für eine
Restrukturierung.“
In kurzer Zeit werden
wir klarer sehen, wie es weitergeht. Zurzeit dominieren Spekulationen, z. B. These
1: Venezuela wird Opfer von Geierfonds, die darauf spezialisiert sind, Bonds
von abstürzenden Unternehmen oder Länder zum Schrottpreis zu erwerben und sich
danach, geschützt von der internationalen US-Justiz, fürstlich auszahlen zu
lassen vs. These 2: Venezuela kauft selber bzw. China kauft die Bonds und
entzieht sie somit der Verfügung Washingtons. Generell scheint der Faktor
Russland/China wenig in die aktuellen Zahlungsunfähigkeitsdiskurse
einkalkuliert zu werden, sicher auch aus Mangel an Daten, aber wohl auch, um des
paint it black willen.