(zas, 24.5.22) Am nächsten Sonntag sollen 39 Millionen kolumbianische
Wahlberechtigte den künftigen Präsidenten des Landes wählen. Erreicht in diesem
Durchgang niemand mehr als die Hälfte der Stimmen, kommt es am 19. Juni zur
Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten, mutmasslich Gustavo Petro vom
linkszentristischen Bündnis Pacto Histórico und dem radikal rechten Federico «Fico»
Gutiérrez vom Bündnis Equipo por Colombia oder dem ebenfalls rechten Kandidaten
Rodolfo Hernández von der Liga de Goberantes Anticorrupción. Fico, wie
Gutiérrez genannt wird, war Bürgermeister von Medellín und intim verbandelt mit
der dortigen mächtigen paramilitärisch-mafiösen Organisation Oficina de
Envigado. Er ist Wunschkandidat des amtierenden Präsidenten Duque und dessen
Chefs Álvaro Uribe. Der schwerreiche Hernández seinerseits war Bürgermeister der
Stadt Bucaramanga. Seine Spezialität ist, sich als Exponent einer als
Wahlvehikel gegründeten «unabhängigen» Bewegung, aktuell eben der «Antikorruptionsliga»,
zu präsentieren. Laut Umfragen liegt er nur noch 6 Punkte hinter Fico.
Den Umfragen zufolge haben Petro und die afrokolumbianische Feministin
und Sozialkämpferin Francia Márquez, die als Vizepräsidentin kandidiert, eine Chance,
sich im ersten Wahlgang durchzusetzen. Auch in diesem Fall wäre das
parlamentarische Kräfteverhältnis für die Linke ungünstig, auch wenn sie die
zahlenmässig grösste Fraktion stellt. Von der Armee und den
Wirtschaftsmächtigen ganz zu schweigen. Die Linke in Kolumbien und in der
Migration fiebert dennoch diesem Sieg entgegen, für die Rechte inklusive USA wäre
er ein historischer Tiefschlag. Ein Wahlsieg von Petro/Márquez wäre eine enorme
Ermutigung für die seit Jahren auf den Strassen kämpfenden Bewegungen, für
indigene und afrokolumbianische Comunidades, die FeministInnen, die Kräfte, die
Friedensabkommen mit der Guerilla umgesetzt und nicht mit einer enormen
Mordstrategie ausgehebelt sehen wollen oder die enorm vielen Opfer des jahrzehntelangen
Staatsterrorismus. Die Hoffnung des rechten Lagers erstreckt sich auf einen
zweiten Wahlgang, um dann, hermetisch geschlossen, Petro doch noch zu besiegen.
«Natürlich» wird die Rechte weit über den Stimmenkauf hinaus
einen massiven Wahlbetrug versuchen, so wie er schon in den Parlamentswahlen
vom letzten März durchgezogen, dann aber zumindest teilweise entlarvt und schadlos
gemacht werden konnte (700'000 Stimmen konnten gerettet werden). Das linke
Lager will Betrugsmanöver an den Wahltischen mit gutausgebildeten
VertreterInnen oder mit Kontrolle der Wahl-IT-Prozesse begegnen und setzt ferner
auf eine internationale Wahlbeobachtung (s. dazu eine aktuelle
Meldung
auf a21). Das einschlägige Klima
vermittelt
stellvertretend für ähnliche Drohungen der Unternehmer Sergio Aráujo, Mitgründer
der jetzigen Regierungspartei:
«[Einer
meiner) Angestellter, der Petro wählt, hat keinen Platz in meinem Unternehmerprojekt
und muss schlicht gehen». Möglich sind in diesen Tagen auch von angeblich en
«Narkoguerillas» begangene unerträgliche Massaker oder andere
Einschüchterungsoperationen der Paramiltärs. Ernstzunehmende Morddrohungen
gegen Petro und Márquez verschärfen die Spannung. Petro
dazu:
«Viele alternative Präsidentschaftskandidaten
wurden ermordet, und ich bin den Umfragen zufolge der, der die grössten
Siegeschancen hat.»
Zu einem Wahlbetrug äussert sich auch Washington, auf
typische Weise. Am 12. Mai warnt
US-Botschafter Philip Goldberg vor «Wahleinmischung
von Russen, Venezolanern und Kubanern (…) Wir arbeiten mit Kolumbien zusammen,
um den Wahlprozess vor kybernetischen Angriffen oder Desinformation aus dem
Ausland zu schützen.» Francia
Márquez antwortete,
es sei «offensichtlich, dass er sich auf
unsere Kandidatur und unseren politischen Wahlkampf bezieht". 2008
hatte Evo Morales Goldberg, damals US-Botschafter in Bolivien, wegen aktiver
Koordination beim blutigen Sezessionsversuch der reichen Gebiete der «media
luna» des Landes verwiesen. Während des Kriegs in Ex-Jugoslawien war Goldberg US-Missionschef
im Kosovo und koordinierte, so die BBC,
Anfang der Nuller Jahre in Kolumbien den US-Plan Colombia. Dieser medial als
Antidrogenpolitik verkaufte und vom damaligen Senator Joe Biden mitentworfene Plan
kam unter Goldberg mit einer endlosen Serie von Massakern und Landvertreibungen
«in Schwung».[i]
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Philip Goldberg
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Das US-Dispositiv gegen einen Wahlsieg Petros hat Joe Biden
gestern weiter aktiviert. Nur so lässt sich sein nicht zufällig wenige Tage vor
der Wahl veröffentlichtes Schreiben
interpretieren, in dem er die im März angekündigte Ernennung Kolumbiens zum Major Non-NATO Ally der USA
offizialisiert. Dieser Status, den global ca. 17 Länder haben – darunter Israel,
Australien, Südkorea oder Pakistan – dient Nicht-NATO-Ländern zu einer verstärkten
Integration in die US-Rüstungsgeschäfte, in NATO-Manöver und anderes. Insbesondere
aber dient dieser Status so wie die 2017 besiegelte offizielle NATO-Anbindung
des Landes einem neuen
Plan Colombia, wie ihn Präsident Duque im März als Ergebnis eines Besuchs beim
US-Präsidenten gefeiert hat.
Dass ein Linker, noch dazu ein Ex-Guerillero des M19,
Präsident werde, ist im US-Schema nicht enthalten. Liesse es sich nicht
vermeiden, wäre unter dem Vorwand der russisch-kubanisch-chavistischen
Einmischung schon eine Basis für eine Destabilisierung der neuen Regierung
gelegt, die zum Beispiel durch ein «Fehlverhalten» Petros in Sachen US-Militärbasen
im Land ausgelöst würde. Offiziell sind das sieben, real dürften es zwischen
40 und 50 sein. Nicht zufällig fand sich der Oberkommandierende der
kolumbianischen Streitkräfte, General Luis Navarro, kurz nach den «beunruhigenden»
Parlamentswahlen im März in Miami am Sitz des US-Südkommandos ein. Dort besprach
er mit dessen Kommandantin, Generalin Laura Richardson, Fragen der
US-kolumbianischen Verteidigungskooperation.
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Laura Richardson, Luis Navarro im Southcom.
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Letzten Freitag denunzierte
Petro an einer Wahlveranstaltung in Cali: «In
geheimen Sitzungen konspirieren sie schon, um zu schauen, wie die Wahlen zu
suspendieren seien (…) Der absolut delirierende Teil der uns regierenden
Korruption versucht, eine gewaltsame soziale Explosion zu entfachen, um den
Vorwand zu haben, die Wahlen definitiv zu suspendieren und sich weiter an der
Macht zu halten.» Für den Fall eines Putsches rief Petro die Menschen zu
Ruhe auf. Am folgenden Sonntag dementierte
Präsident Duque die Nachricht: «Wir haben
eine alte Demokratie, gefestigte, solide Institutionen, niemandem kann es in
den Sinn kommen, die Wahlen zu suspendieren oder dass es Staatstreiche gebe.» Sein
Lob auf die kolumbianische Demokratie gab Duque am WEF in Davos zum Besten. Allerdings
hat Andrés Pastrana, ein weit rechts stehender Ex-Präsident des Landes, langjähriger
Verbündeter des Uribimus und Präsident des Partido Conservador, die Warnung von
Petro ernst genommen. Auf Twitter schrieb
er ebenfalls am Sonntag: «Kandidat Petro.
Ihre Anklage ist höchst gravierend und das nahe Bevorstehen eines Staatsstreichs
lässt uns keine Zeit, bis Montag zu warten. Ich lade Sie heute Nacht bei mir
zuhause oder alternativ zu einem Zoom-Treffen ein, um sofort, gemeinsam und
patriotisch dieser Bedrohung der Demokratie zu begegnen.»
Was immer es genau mit dieser Sache auf sich hat, eine Suspendierung
der Wahlen, war sie tatsächlich konkret ins Auge gefasst worden, dürfte mit
dieser Öffentlichkeit hinfällig geworden zu sein. Anderes nicht.
[i] Goldberg koordinierte 2009/10 die UN-Sanktionen
gegen Nordkorea. Biden ernannte den Anti-Pjöngjäng-Falken zum Botschafter in
Südkorea; der Senat segnete das soeben einstimmig ab.