Kolumbien und die NATO-Süderweiterung

Sonntag, 20. März 2022

 

(zas, 19.3.22) Letzten 13. März fanden in Kolumbien Parlamentswahlen und gleichzeitig Primärwahlen zur Kür der matchentscheidenden Präsidentschaftskandidaturen der drei grossen Koalitionsblöcke statt. Im progressiven Pacto Histórico gewann wie erwartet Gustavo Petro die Präsidentschaftskandidatur mit 4.5 Millionen Stimmen vor der afrokolumbianischen Sozialkämpferin Francia Márquez (800'000 Stimmen), was diese an sich zur Kandidatin für die Vizepräsidentschaft machte, wäre da nicht der Rassismus. Scheinbar denken viele im progressiven Lager, resigniert oder eifrig, mit einer Schwarzen als Vize seien die Wahlen verloren. Andere warnen, eine Brüskierung der Compañera würde als Verrat an der Sache des Feminismus und Antirassismus verstanden werden und zu einem beträchtlichen Wahlboykott und damit zur sicheren Niederlage führen.  So oder so, um die Präsidentschaftswahlen im 1. Durchgang zu gewinnen, bräuchte Petro wohl rund 10 Millionen Stimmen – jetzt hat der Pacto Histórico 5.7 Millionen gemacht. Bei einer Stichwahl stünden die Chancen auf einen Sieg schlecht, da sich dann rechts alles von der sogenannten Mitte bis zum Faschismus des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe gegen «den Kommunismus» zusammentun würde.

13. März: Gustavo Petro und Francia Márquez
 

Der Pacto verdoppelte in den Primärwahlen seine Stimmenzahl, die mehr als jene des «Zentrums» und der Ultras zusammen beträgt. Die offiziellen Zahlen für die Parlamentswahlen zeigen eine deutlich weniger markante Polarisierung zwischen links und rechts. Uribes eigene Partei, der Centro Democrático, geriet deutlich ins Hintertreffen, allerdings soll der Ex-Präsident faktisch den «zentristischen» Federico Gutiérrez favorisiert haben, der aus den Primärwahlen als klarer Favorit des «Anti-Petronismo» hervorging. Während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Medellín tat sich Gutiérrez u. a. mit einer Cyberschmutzkampagne gegen Oppositionelle und mit der Nähe zur Oficina de Envigado hervor, einer Organisation, die aus dem kriminellen Auftragskillertum und dem Kartell von Medellín hervorgegangen war.  Petro hatte am 14. März denunziert, dass in rund einem Viertel der Urnen Pacto-Stimmen nicht gezählt worden seien. Bei der laufenden Nachzählung verbessert sich anscheinend die Parlamentsposition des progressiven Lagers. 

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Am 10. März war der kolumbianische Präsident Iván Duque, unter dem das Ermorden von SozialkämpferInnen und linken Oppositionellen explodiert ist, zu Gast im Weissen Haus. Beim gemeinsamen Presseauftritt sagte Biden:

«Welcome, folks. Ich bin geehrt, heute Präsident Duque hier willkommen zu heissen. Er ist mein Freund. Wir kennen uns seit langem. Und wie Sie wissen, Herr Präsident, ich bin seit langem stark engagiert in der Beziehung mit Kolumbien, das geht mehr als 20 Jahre auf diesen alten Plan Colombia zurück (…) Ich bin stolz, dass wir haben zusammenarbeiten können und weiter das gestärkt haben, was ich als die unverzichtbare Partnerschaft in dieser Hemisphäre betrachte. Kolumbien ist die Achse in der ganzen Hemisphäre, Norden und Süden. Ich meine das wirklich.»

«Heute rufe ich zu einem neuen Rahmen auf, in dem die Nationen der Region kollektiv die Migration managen (…) Unser Ziel ist, im Juni in Los Angeles, wenn die USA den Amerikas-Gipfel ausrichten, eine regionale Erklärung zu Migration und Schutz zu unterschreiben.»

Das mit dem Schutz ist schön. In seiner Wahlkampagne hatte Biden versprochen, die infame Remain in Mexico-Politik Trumps abzuschaffen. Nach der Wahl fiel ihm dann ein, dass das Corona-Virus zirkuliert, weshalb die Trump-Politik gegen MigrantInnen weiter in Kraft ist – noch verschärft. In Los Angeles geht es um

«weit grössere Unterstützung für Länder wie Kolumbien, die den Löwenanteil an Flüchtlingen und MigrantInnen bewältigen. Das ist eine Verpflichtung für uns alle, nicht nur Kolumbien.»

Migration, Flucht – ein Thema der Sicherheit, weiss Biden: 

«Und wir werden unsere seit langem bestehenden Sicherheitsarrangements zur Bekämpfung der transnationalen kriminellen Aktivitäten in dieser Hemisphäre verstärken. Ich bin stolz darauf, heute mitzuteilen, dass ich beabsichtige, Kolumbien zu einem Major Non-NATO-Alliierten zu erklären, denn genau das seid ihr: ein Major Non-NATO-Alliierter.»

Zwei Kumpels.

 Nach dem Treffen mit Biden feierte Duque in einem Interview mit dem kolumbianischen Medium Semana als Resultat der verstärkten Beziehungen «eine neue Phase dessen, was seinerzeit der Plan Colombia war – der binationale Plan Bicentenario Colombia–Estados Unidos». Biden konnte es auch am Treffen nicht unterlassen, mit seiner Rolle bei der Ausarbeitung des Plan Colombia zu bluffen, der angeblich der Drogenbekämpfung dienen sollte, das natürlich nicht tat – im Gegenteil – dafür als Blaupause für den unter Uribe eskalierenden Staatsterrorismus fungierte. In ihrer gemeinsamen Erklärung übten sich die beiden mit «Angaben» zu den Zielen dieses Plan Colombia II wie Drogen-«Prävention, Behandlung (…) Angebotsreduktion illegaler Drogen (…) Sicherheit und Entwicklung auf dem Land (… Friedensumsetzung und Versöhnungsprogramme» in gewohnten, deswegen nicht weniger unerträglichem Zynismus.

Wikipedia zählt unter dem Begriff des Wichtigen Nicht-NATO-Alliierten viele «Vergünstigungen» für diese Länder, die hauptsächlich mit mehr Zugang zu US-Rüstungsindustrie und militärischer Ausbildung oder Kreditverwendung für militärische Zwecke zu tun haben. Kolumbien hat nun diesen Status, den in Lateinamerika schon Argentinien und Brasilien haben. Kolumbien ist zudem seit 2017 als erstes Land in Lateinamerika offizieller Globaler NATO-Partner (2021 folgte Bolsonaros Brasilien), unter anderem, laut der zitierten NATO-Quelle, zum «Schutz von Kindern und Zivilpersonen in bewaffneten Konflikten». Zur Einordnung dieser Äusserung ein Zitat aus einem amerika21-Artikel zum Bericht der internationalen Untersuchungskommission SOS Colombia über die Repression gegen die Demonstrationen letztes Jahr: Ihre «Recherche ergab, dass die Polizei während der Demonstrationen die gleichen Mittel anwendete wie für die Bekämpfung bewaffneter Gruppen (…) Zeugenaussagen und Berichten zufolge wurden die Opfer inmitten der Proteste oft willkürlich festgenommen und ‘verschwanden’. Viele von ihnen wurden Tage oder Monate später tot aufgefunden.»

Am Tag vor dem Präsidententreffen reichten die demokratischen Senatoren Bob Meléndez und Tim Kaine im US-Senat das mutmasslich bald verabschiedete Gesetzesprojekt US-Colombia Strategic Partnership Act of 2022 ein. Es verdeutlicht, was mit dem Plan Colombia II kommen soll. Unter dem Titel Strengthening Security Cooperation wird ein Sicherheitskonsultativkomitee USA-Kolumbien postuliert, das sich in den Bereichen «Antiterrorismus und Aufstandsbekämpfung, Bekämpfung des Drogenhandels und anderer illegaler Handelsformen, Cyberverteidigung und Cyberverbrechen, Grenz- und Meeressicherheit und Luftverteidigung und Stabilisierung» engagieren soll. «Die US-Aussen- und Verteidigungsminister werden [das Komitee] spätestens 180 Tage nach Inkrafttreten dieses Gesetzes installieren, das die Regierung von Kolumbien einbezieht, um gemeinsam eine Strategie zu für die Stärkung der der kolumbianischen Institutionen für Nationale Sicherheit und Verteidigung zu entwickeln». Man kann nicht sagen, die Formulierung deute auf speziell intensive Verrenkungsübungen im Kontext des anlässlich der Ukraine entflammten Enthusiasmus für die nationale Souveränität anderer Staaten als der USA hin. Dafür soll das Komitee, dem je nach Arbeitsthema verschiedene US-Dienste integriert werden, herausfinden, was «böswillige staatliche Akteure in der Andenregion», primär Venezuela, die wieder bewaffneten FARC-Gruppen, die Guerilla des «ELN, das Golfkartell und andere kriminelle kolumbianische Gruppen» machen. Das Komitee ist zu regelmässiger Berichterstattung vor den verschiedenen zuständigen US-Senatsausschüssen verpflichtet.

Die NATO wird auch in dieser Region vermehrt «Verteidigungsbereitschaft» an den Tag legen, auch gegen das «böswillige» Agieren Chinas. Der neue Plan Kolumbien kündigt neues Blutvergiessen an.