Peru: Putsch, Widerstand

Freitag, 16. Dezember 2022

In Momenten wie diesen, wo in Peru die Massen auf den Strassen kämpfen und bluten, ist das eh inakzeptable Gewäsch der meisten Medien unerträglich. Der Dorfschullehrer, also der am 7. Dezember weggeputschte Präsident Pedro Castillo, «hat es nicht gebracht», war unfähig etc. Und hat einen missglückten Selbstputsch versucht. Weshalb die US-Botschaft in Lima den Putsch, genannt die Wiederherstellung der Demokratie, von Beginn weg unterstützte, wenn nicht dirigierte.

Das verbreiten die üblichen «besorgten Stimmen», die jede Sorte von Putsch in Lateinamerika der letzten vielen Jahre als rechtsstaatlich absegneten – den Sturz Aristides in Haiti, von Mel Zelaya in Honduras, von Dilma Rousseff in Brasilien, von Lugo in Paraguay u. a. – egal, ob mit direkter Militärgewalt oder kaschiert, wie heute in Peru, als institutionelle Handlung. Quatsch. Ja, Castillo hatte am 7. Dezember die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen «verfügt» und damit wohl seine Kompetenzen überschritten. (Der Präsident kann u. W. allgemeine Neuwahlen nur anordnen, wenn das Parlament seinem Kabinett zweimal das Misstrauen ausspricht.) Wie immer Castillos Vorgehen zu bewerten ist, es stellte eine Antwort auf die seit seinem Wahlsieg vor anderthalb Jahren von der ultrarechten Opposition nonstop vorangetriebenen Umsturzversuche. Parlament, Medien, Armee, Bischofskonferenz etc. fest in der Hand der extrem rassistischen Oligarchie und Washingtons. Andauernd Versuche des vom Fujimorismus dominierten Parlaments, Castillo wegen «moralischer Unfähigkeit» etc. abzusetzen (einem neuen Anlauf wollte Castillo mit seinem Dekret Paroli bieten).

Ja, Castillo machte schon kurz nach Amtsantritt eine klägliche Rolle, als er seinen Premier von der Linkspartei Perú Libre, also der Partei, für die er, ein früherer LehrerInnengewerkschafter aus dem Hochland, angetreten war, auf Druck der Rechten entliess. Die damals grösste Parlamentsfraktion, jene von Perú Libre, hatte sich danach zum Gaudi der Diktaturfans gespalten. In der Folge sah sich Castillo in einer stetigen Abwärtsspirale genötigt, sein Kabinett immer wieder auszuwechseln, teilweise unter Einbezug von widerlichen Figuren aus dem pro-oligarchischen Establishment. Von der von den indigenen Kräften heiss ersehnten Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zwecks Abschaffung der Fujimori- Verfassung, Kernversprechen seiner Kampagne, war kaum mehr was zu hören. Schon gar nicht ein ernsthafter Versuch dazu, der viele Menschen mobilisiert hätte. Es liegt an den realen Kräften des Widerstands in Peru, diese verworrene Dynamik zu bewerten.

Eines ist diesen Leuten allerdings brennend klar: Die aktuelle Putschdynamik will das Ancien Régime wieder ungebremst wüten lassen. Es scheint aber, dass Washington und die Oligarchie ihren Widerstand, ihr Wissen und ihre Intelligenz wieder einmal fundamental falsch eingeschätzt haben. Nicht nur, dass die Putschpräsidentin Boluarde Neuwahlen stets mehr in die nähere Zukunft rücken muss (aber darüber entscheiden wird das Parlament, dessen Mitglieder sich angesichts einer laut Umfragen bei 7 Prozent liegenden Popularitätsrate ihre Wiederwahlchancen ausrechnen können). Viel wichtiger ist, dass sich die Unruhen trotz Ausnahmezustand und Armeeeinsatz auszuweiten und zu vertiefen scheinen. Offiziell haben die Sicherheitskräfte bisher 14 Menschen erschossen und sehr viele andere verletzt. In grossen Teilen des Landes kommt es zu Demonstrationen und militanten Aktionen wie Flughafenbesetzungen oder einer Stilllegung einer Fabrik eines Oligarchen. Heute gab es in Lima  eine Grossdemo von Gewerkschaften gegen den Putsch.

 


Hauptbasis des Widerstands sind nach allgemeiner Einschätzung die indigen-bäuerischen Comunidades mit ihren Verlängerungen in die städtischen Unterklassen. Ihr Feind: die extrem rassistische Oligarchie und Washington. (Trumps Aussenminister Mike Pompeo machte 2020 Lisa Kenna zur Botschafterin in Lima. Pompeo war zuvor CIA-Chef, Kenna selber neun Jahre lang Agentin dieses Geheimdienstes und danach Kader im Pentagon, im State Department sowie im Weissen Haus als Leiterin des Irak-Büros. Kenna hatte sich am 6. Dezember mit dem Verteidigungsminister (Ex-Brigadier), auch er eine «glückliche» Wahl Castillos, getroffen, der am folgenden Tag Castillo als Putschisten bezeichnete. Ein «Putsch» ohne Armee, ohne Justizapparat, ohne Business, ohne Meiden, ohne Macht … S. dazu diesen Artikel.)

Einen Eindruck, was abgeht, vermitteln die beiden folgenden Kurzvideos.

 https://twitter.com/Soy_DelCallao/status/1603524555108237315?t=auCkVyyM8R654IqHlmDtTg&s=08

und


  

Zum Schluss noch diese Strophe aus dem Lied «Cholo soy» des peruanischen Musikers Luis Abanto Morales:

“Cholo soy y no me compadezcas,

que esas son monedas que no valen nada

y que dan los blancos como quien da plata.

Nosotros los cholos no pedimos nada,

pues faltando todo, todo nos alcanza”

 

(Cholo ist eine herabsetzende Bezeichnung für Indigene oder afro-indigene MestizInnen)

«Ich bin Cholo und hab kein Mitleid mit mir,

denn das sind Münzen, die nichts wert sind,

und die die Weissen geben, wie wenn sie Geld geben,

Wir, die Cholos, bitten um nichts,

denn da es an allem fehlt, genügt uns alles.»