John Dillinger, der Gangster, und der gesunde Menschenverstand

Samstag, 12. August 2023

 

(zas, 12. 8. 23) Jon Schwartz, Wirtschaftsredaktor bei The Intercept, schreibt in The Big Myth About “Free” Markets That Justified History’s Greatest Heist vom 4. August:   

«Der Bankräuber John Dillinger gehört zu den berühmtesten Dieben der Geschichte; er verschwand mit $ 7 Millionen zum heutigen Wert. Man würde denken, wenn jemand auf 7 Millionen Raubzügen jeweils $ 7 Millionen gestohlen hätte, hätte man davon gehört. Oder? Nur läge man damit falsch.

2020 veröffentlichte der im kalifornischen Santa Monica domizilierte Think Tank RAND Corporation eine Studie mit dem nichtssagenden Titel «Trends in Income from 1978 to 2018». RAND selber residiert im Zentrum des amerikanischen Establishments. In den Jahrzehnten nach ihrer Gründung dem 2. Weltkrieg wurde sie hauptsächlich dem militärisch-industriellem Komplex finanziert und diente diesem zu. Daniel Ellsberg arbeitete in der RAND, als er die Pentagon Papers leakte, zu denen er Zugang hatte, da die RAND mehrere Kopien davon besass.

Fast unglaublicherweise beschreibt dieses langweilig klingende Paper, was vielleicht der grösste materieller Diebstahl seit Beginn der Geschichte ist. Es untersucht eine einfache Frage: Wäre die Einkommensungleichheit bis 2018 auf dem Level von 1975 geblieben, dann hätten die untersten 90 Prozent der AmerikanerInnen in dieser Zeit wieviel mehr Geld eingenommen? Andersrum: Wieviel mehr Reichtum floss in diesen 43 Jahren dank zunehmender Einkommensungleichheit zu den obersten 10 Prozent? Halt dich fest: Die Antwort lautet $ 47 Billionen [trillions].

Diese riesige Zahl übersteigt die menschliche Auffassung. In der Milchstrasse gibt es nur ein paar hundert Billionen Sterne. $ 47 Billionen entsprechen rund dem zweifachen US-Bruttoinlandprodukt.

Das führt zu einer offensichtlichen Frage. Normalerweise erforderte eine derartige Reichtumkonzentration ein Massenmassaker. Wie schafften es Amerikas Eliten, das durchzuziehen, ohne Tausende von uns in den Strassen niederzumähen?»

Die Antwort findet Schwartz im Buch “The Big Myth: How American Business Taught Us to Loathe Government and Love the Free Market» von der Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes und dem Historiker Erick M. Conway. Sie hatten früher ein Buch über die Leugnung des Klimawandels wider besseres Wissen durch WissenschaftlerInnen in den 80er Jahren geschrieben. Diese seien MarktfundamentalistInnen gewesen, für die als staatliche Regulierungen wie die Einführung von bleifreiem Benzin zum Stalinismus führen. Und die Entwicklung ab 1975, weg vom sozialdemokratischen New Deal? Schwartz schreibt, der «Big Myth» beschreibe sie detailliert:

«Es geht um eine mitreissende Erzählung dessen, was eine der erfolgreichsten Propagandakampagnen seit je sein muss, eine, die den intuitiven gesunden Menschenverstand – was alle ‘wissen’, ohne darüber nachzudenken – sowohl der amerikanischen Eliten wie auch der gewöhnlichen Leute verändert hat. Man kennt die Tour. Die Senkung der Steuern von Milliardären wird ihre wunderbare Kreativität entfesseln und uns alle auf die Länge reicher machen. Mindestlöhne schaden den gewöhnlichen Leuten und dürfen nicht raufgehen. (Unglaublicherweise ist der Bundesmindestlohn seit 1968 nicht mehr gestiegen; er ist heute inflationsbereinigt weniger wert als 1950). Lähmende Umweltregulierengen sind schuld, dass dir dein Boss den Lohn nicht erhöhen kann. Social Security war ein Fehler und wird verschwinden.»

Diese Kampagne wurde nicht vom «freien Markt» durchgesetzt, sondern, resümiert Schwartz, gestützt auf The Myth, mittels «enormer Zuschüsse aus corporate America».

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Ein aktuelles Beispiel für Verwandtes aus der Schweiz: