Mexiko-Stadt. Im Fall der verschwundenen Lehramtsstudenten von Ayotzinapa hat die unabhängige Expertengruppe (Grupo Interdisciplinario de Expertos y Expertas Independientes, GIEI) der Interamerikanischen Menschenrechtskommission ihren letzten Bericht vorgestellt und gleichzeitig angekündigt, sie werde ihre Arbeit Ende Juli 2023 einstellen.
Auf ihrer Pressekonferenz am 24. Juli zog die 2015 gebildete GIEI ein düsteres Fazit ihrer Arbeit. Obwohl unter der aktuellen Regierung einige Fortschritte erzielt wurden, ist insbesondere das Schicksal von 40 der 43 seit 2014 vermissten Studenten weiterhin nicht aufgeklärt. Bis jetzt sind erst die Überreste von Alexander Mora Venancio (2014), Christian Alfonso Rodríguez Telumbre (2020) und Joshivani Guerero de la Cruz (2021) aufgefunden und identifiziert worden. Von den anderen 40 jungen Männern fehlt bis heute jede Spur.
Vor allem seit 2022 erstmals gegen ranghohe Militärs ermittelt wird, klagte die GIEI über den fehlenden Zugang zu Militärdokumenten, die neun Jahre nach der Tat in Iguala, Guerrero, endlich Licht ins Dunkel bringen könnten. "Alle arbeiteten zusammen, um sie gewaltsam verschwinden zu lassen", und nachher manipulierten und vertuschten sie die Informationen über den Fall, so das Fazit der GIEI.
Der jetzt vorgelegte Bericht enthält eine neue technische Analyse von Mobiltelefondaten und Dokumenten, die mehrere Militärangehörige an Orten lokalisierten, die mit dem Angriff in Zusammenhang standen, während dieser stattfand. "Die jüngsten Enthüllungen erweitern die Perspektive des Falles. Es gibt noch viele Hindernisse, die überwunden werden müssen. Die Herausforderung war monumental. Der Bericht zeigt das unterschiedliche Ausmaß der Beteiligung und Verantwortung der verschiedenen Ebenen des Staates am Angriff auf die 43", erklärte der international anerkannte Jurist Carlos Beristáin, eines der beiden verbliebenen Mitglieder der GIEI.
Die Soldaten wussten nicht nur von den Schießereien, Verhaftungen und Gewalttaten in der Stadt Iguala, sondern waren höchstwahrscheinlich auch "Sekunde für Sekunde" dabei, sagte Angela Buitrago, kolumbianische Anwältin und ebenfalls Expertin des GIEI.
Bekannt ist gemäß Angaben der staatlichen Wahrheitskommission im Fall Ayotzinapa, dass der Kommandant des 27. Infanteriebatallons, José Rodríguez Pérez, sechs der 43 Studenten über vier Tage lebend gefangen hielt, bis er einer Gruppe der organisierten Kriminalität ihre Hinrichtung und ihr Verschwinden befahl. Rodríguez Pérez wurde ein Jahr nach der Tat vom damaligen Präsidenten Enrique Peña Nieto zum General befördert. Seit September 2022 befindet er sich in Untersuchungshaft, ebenso ein weiterer General und zwölf andere Mitglieder der Streitkräfte.
Der ehemalige Generalstaatsanwalt Mexikos, Jesús Murillo Karam, sitzt ebenfalls in Haft, sowie weitere rund 100 Personen. Allerdings wurde bis heute niemand rechtskräftig für die Straftaten im Fall verurteilt, welche sechs Morde und 43 gewaltsam Verschwundene sowie Folter und Vertuschung dieses Staatsverbrechens umfassen.
"Heute sind wir sehr traurig, sehr wütend und besorgt, dass wir nicht zur Wahrheit gelangen", sagte Cristina Bautista, Mutter des verschwundenen Benjamín Ascensio Bautista, auf der Pressekonferenz der Väter und Mütter von Ayotzinapa. Sie unterstützen die Position der GIEI und fordern ein baldiges Treffen mit Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador, der die vollständige Aufklärung des Falls versprochen hatte.
López Obrador seinerseits widersprach der internationalen Expertengruppe und warnte vor einer "ideologisch begründeten Kampagne gegen die Armee".
Während seiner morgendlichen Pressekonferenz im Nationalpalast am Freitag erklärte er, die Streitkräfte hätten nichts zu verbergen und würden bei den Ermittlungen in dem Fall kooperieren. Wenn das, was die GIEI behaupte, wahr wäre, "säßen nicht zwei Generäle wegen des Verschwindens der Jugendlichen aus Ayotzinapa im Gefängnis". Es gebe eine Tendenz, "die Institutionen zu beschuldigen, in diesem Fall die mexikanische Armee, ohne Beweise", fügte er hinzu.
Die Expertengruppe antwortete auf Twitter: "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Lügen nicht zur institutionalisierten Reaktion auf unangenehme Fragen oder Realitäten werden. Zur Klärung dieses Falles ist eine vollständige Zusammenarbeit der staatlichen Institutionen erforderlich".
Der Anwalt der Angehörigen der 43, Vidulfo Rosales, erklärt die Verweigerung der Militärs, den Untersuchungsbehörden weitere Informationen zur Verfügung zu stellen, damit, dass sonst die Korruption der Streitkräfte und ihre Kollaboration mit Strukturen der organisierten Kriminalität offensichtlich würde.
Währenddessen ist die Sonderermittlungseinheit der Bundesstaatsanwalt in den Dörfern Apetlanca und Tianquizolco in der Gemeinde Cuetzala del Progreso in Guerreo mit schwerem Gerät im Einsatz und sucht weiter nach den verschwundenen Studenten.