Wenn Israel die Geiseln missbraucht, die es gefangen hält

Montag, 25. Dezember 2023

 

https://www.haaretz.com/opinion/2023-12-23/ty-article/.premium/when-israel-abusesthe-hostages-that-it-holds/0000018c-97ef-da81-a1bc-dfffe6f80000

Gideon Levy

23. Dezember 2023 11:38 pm IST

Jeden Sonntag und Dienstag betreten israelische Wachen die Zellen palästinensischer Gefangener, legen ihnen Handschellen an und schlagen sie mit Schlagstöcken.

Laut freigelassenen Gefangenen ist das ihre wöchentliche Party. Vier Gefangene sind seit Beginn des Krieges am 7. Oktober gestorben, mit ziemlicher Sicherheit durch Schläge. Gegen neunzehn Wärter, die an diesen kranken Partys teilgenommen haben, wird wegen des Verdachts ermittelt, den Tod eines Gefangenen verursacht zu haben. 

Das israelische Ofer-Gefängnis in der Westbank. Bild: Ha'aretz.
Hunderte von Palästinensern, die im Gazastreifen inhaftiert waren, wurden 24 Stunden am Tag gefesselt und mit verbundenen Augen gehalten, und sie wurden ebenfalls brutal geschlagen. Einige, vielleicht sogar die meisten, haben keine Verbindung zur Hamas. Einige von ihnen - niemand hat sich die Mühe gemacht, darüber zu berichten, wie viele - sind in der Gefangenschaft auf dem Stützpunkt Sde Teiman gestorben.

Etwa 4’000 Arbeiter aus dem Gazastreifen, die am 7. Oktober in Israel verhaftet wurden, obwohl sie nichts verbrochen haben, werden ebenfalls unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten. Mindestens zwei von ihnen sind bereits verstorben. Über die Entkleidung der Gefangenen und die erniedrigenden Fotos ist bereits mehr als genug geschrieben worden.

In diesem schrecklichen Wettbewerb um das Ausmass des Bösen gibt es keine Gewinner, nur Verlierer. Aber es ist unmöglich, Tag und Nacht über die Gräueltaten der Hamas zu reden - Schriftsteller wetteifern miteinander, wer die abfälligsten Begriffe für die Organisation prägen kann - und dabei Israels Böses völlig zu ignorieren.

Es gibt auch keine Gewinner, sondern nur Verlierer im Wettstreit darüber, wie viel Blut vergossen wird und wie es vergossen wird. Aber es ist unmöglich, die entsetzlichen Mengen an Blut zu ignorieren, die im Gazastreifen vergossen wurden. An diesem Wochenende wurden in zwei Tagen etwa 400 Menschen getötet, die meisten von ihnen Kinder. Am Samstag sah ich die Bilder des Wochenendes aus Al-Bureij und Nuseirat, darunter auch Kinder, die auf dem Boden des Al-Aqsa-Krankenhauses in Deir al-Balah starben, und sie sind entsetzlich.

Die Weigerung Israels, die Menge an humanitärer Hilfe, die in den Gazastreifen gelangen darf, zu erhöhen und damit einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates zu missachten, zeugt ebenfalls von einer Politik des Bösen.

Und als ob das alles noch nicht genug wäre, haben die Stimmen des Bösen in Israel die Messlatte für satanische Vorschläge höher gelegt. Der Journalist Zvi Yehezkeli befürwortet die Tötung von 100’000 Bewohner:innen des Gazastreifens durch einen Erstschlag. Generalmajor (a.D.) Giora Eiland[1] hat es sich anders überlegt und schlägt nicht mehr vor, Krankheiten in Gaza zu verbreiten, sondern die Bewohner:innen auszuhungern.

Selbst der neue Märchenprinz der Linken, Yair Golan, der derzeit in den Umfragen 12 Knesset-Sitze von Leuten gewinnt, die sich selbst als die schönen Israelis sehen, sagte in einem Interview mit der Tageszeitung Yedioth Ahronoth zu den Bewohnern des Gazastreifens: "Was uns betrifft, könnt ihr verhungern. Das ist völlig legitim."

Und doch halten wir nach all dem die Hamas für das einzige Monster in der Region, ihren Anführer für den einzigen Psychopathen und die Art und Weise, wie sie Israelis als Geiseln hält, für unmenschlich. Es ist unmöglich, bei dem Gedanken an das Schicksal unserer Geiseln, insbesondere der Kranken und Alten unter ihnen, nicht entsetzt zu sein. Aber es ist auch unmöglich, nicht entsetzt zu sein über das Schicksal der Palästinenser, die wir seit Wochen und Monaten gefesselt und mit verbundenen Augen festhalten.

Israel hat kein Recht, Massstäbe für das Böse zu setzen, wenn auch seine Hände mit Bösartigkeit befleckt sind. Vergessen Sie das Töten, das Verhungern und die Massenvertreibung. Unsere Behandlung der palästinensischen Gefangenen sollte die Israelis besonders beunruhigen, und sei es nur wegen der Gefahr für die von der Hamas festgehaltenen Israelis. Was wird ein Hamas-Mitglied, das eine/n Israeli als Geisel hält, denken, wenn es hört, dass seine Kameraden gefesselt und ununterbrochen geschlagen werden?

Wir können vorsichtig feststellen, dass zumindest einige der von der Hamas festgehaltenen Israelis besser behandelt werden als die von Israel festgehaltenen Palästinenser:innen. Als die befreiten Geiseln Chen und Agam Goldstein am Freitagabend in den Channel 12 News über ihre Behandlung durch die Hamas berichteten und darüber, wie ihre Geiselnehmer sie während der israelischen Luftangriffe mit ihrem eigenen Körper schützten, wurden sie in den sozialen Medien heftig angegriffen. Wie können sie es wagen, die Wahrheit zu sagen?

Die Hamas hat am 7. Oktober einen barbarischen Angriff verübt. Sie tötete und entführte wahllos. Es gibt keine Worte, um ihre Brutalität zu beschreiben, auch weil sie Dutzende von Senioren, Kranken und Kindern monatelang unter unerträglichen Bedingungen als Geiseln hielt.

Aber ist es deshalb legitim für uns, ähnlich zu handeln? Vergessen Sie die Moral. Wird Israels Brutalität im Krieg und in den Gefängnissen seinen Zielen dienlich sein? Wird die Hamas ihre Geiseln schneller freilassen, wenn Israel die Palästinenser, die es als Geiseln hält, misshandelt?

 



[1] A.d.Ü.: Ex-Chef des Nationalen Sicherheitsrats.