(zas, 11.5 24) Nicht alles läuft wie verordnet. So stimmte das tumbe Volk für eine 13. AHV-Rente, wo man ihm doch erklärt hatte, seine Betagten seien grossmehrheitlich richtig reich. Und das erst noch ziemlich genau nach Klasseninteresse – je ärmer die Leute, desto massiver das Ja. Und Salz in die Wunde: Die Abstimmenden verweigerten sich überdeutlich dem Ansinnen der jungen Herren und Damen des Freisinns, die fordern, dass BüetzerInnen, da sie im Schnitt älter werden, auch länger für sie malochen sollen. Nun, wer nicht hören will, muss fühlen.
Das konkretisieren jetzt die Leitungen von FDP und SVP mit der GLP im Schlepptau. Sie wollen nichts wissen vom Vorschlag des Bundesrates – etwas groggy nach der klaren Abstimmungsniederlage. Der sieht für die Deckung der Mehrausgaben auch Mehreinnahmen vor: neben der antisozialen Mehrwertsteuer auch Lohnabgaben (da sind aber – abscheulich - paritätische Zahlungen der Unternehmerseite inbegriffen!) Sie haben eine brillantere Lösung: Die Mehrkosten deckt der Ausgleichsfonds der AHV. Der saust dann bergab, und die ersehnte Verlängerung der Lebensarbeitspflicht wird «unumgänglich». Dazu fasst die NZZ am 4. Mai das Kalkül des Jungunternehmers und FDP-Politikers Andri Silberschmidt, Wortführer der abgelehnten Initiative für ein höheres Rentenalter, zusammen: «Dahinter steht auch die Überlegung, dass man die Bevölkerung bei der zentralen Frage des Rentenalters erst von der Notwendigkeit einer Erhöhung überzeugen kann, wenn sie sieht, dass die AHV tatsächlich Verluste macht, dass ihre Reserven effektiv sinken.» In der sog. «Sozialkommission» des Nationalrats hatte sich nämlich eine Mehrheit gegen eine «einseitige Finanzierungsvorlage für die 13. Rente» ausgesprochen. Ausgeglichen würde sie nämlich, so die FDP, in eine unausweichliche grosse Rentenreform – Kernpunkt: länger schuften – münden. Einer der Kommissionshengste hinter dieser Offensive: Besagter Silberschmidt. Er findet, es brauche jetzt ein Ende der «Pflästerlipolitik» - also Geld ausgeben für Soziales statt für Armee oder Steuergeschenke nach oben. «Dahinter steht auch die Überlegung», so einfühlsam die NZZ, «dass man die Bevölkerung bei der zentralen Frage des Rentenalters erst von der Notwendigkeit einer Erhöhung überzeugen kann, wenn sie sieht, dass die AHV tatsächlich Verluste macht, dass ihre Reserven effektiv sinken. In Silberschmidts Worten: Der Leidensdruck sei wohl noch nicht hoch genug.»
Gestern vom gleichen Schreiber ein weiterer Beitrag zum Thema: «Nach diesem Plan würde die AHV in den ersten Jahren Defizite schreiben, und am Ende fiele die Umverteilung zulasten der jüngeren Generationen noch grösser aus. Für die Älteren indes ist es verlockend, die Finanzierung aufzuschieben, sie müssen sich dann – wenn überhaupt – weniger lang daran beteiligen.» Die alte Litanei von der Rentenlast der Jungen (die niemals alt werden), für die Alten. Diese nämlich wollen den AHV-Fonds ausbluten, nicht SVP und FDP. Doch hoppla, «Dissens» im bürgerlichen Lager! Der Fraktionschef der Mitte-Partei warnt davor, in Sachen AHV weiter «am Volk vorbei» zu politisieren. Und FDP-Ständerat Mathias Müller meint, das Ausbluten des AHV-Fonds, der grundsätzlich die jährlichen AHV-Ausgaben abdecken müsse, sei gesetzeswidrig. Er plädiert für eine bis Ende 2029 befristete Gegenfinanzierung der 13., und zwar hauptsächlich über Mehrwertsteuer. Die kurze Frist sei zwar «sportlich», aber «der zeitliche Druck ist wichtig (…) Es soll niemand auf die Idee kommen, die nächste Reform hinauszuschieben.»
Konsens also im Ziel – ausgedehntere Verwertung der Leute – aber ohne diese mit unbedachter Stürmerei zu gefährden.
Das Gleiche auf Argentinisch
Zur Regierungspolitik, die Rezession dort mit aller Kraft anzuheizen, um die Wirtschaftskrise, die darin besteht, dass ein paar Brosamen mehr unnötig für die Mehrheit abfallen, zu «korrigieren», zitiert die argentinische Tageszeitung Página/12 einen Berater von Präsident Javier Milei, den Unternehmer Eduardo Battista Harriet, vorgestellt als «eine Schlüsselfigur» in der Milei-Kampagne: «Die Aufgabe der Korrektur ist sehr schwierig und muss in Angriff genommen werden, und je länger sie aufgeschoben wird, desto schlimmer wird es. Alle Massnahmen, die Sie zur Stabilisierung ergreifen, sind rezessiv. Der einzige Weg ist eine jahrelange Rezession". Auch Battista ist ein Abziehbild des jungdynamischen Idols des Unternehmers, der kreativ zerstört, um Tolles aufzubauen. Was einem hiesigen Exemplar «Pflästerlipolitik» im Sozialbereich ist, ist einem dortigen eine Wirtschaftspolitik, die nicht ganz auf Massnahmen zugunsten des Konsums der Unterklassen verzichtet. Wo es doch darum geht, die Unterklassen kirre zu machen, eben mit Rezession. Damit die Leute ihre «Anspruchsmentalität» - auch das ein Lieblingsbegriff in dieser Szene – aufgeben.
Erinnerung an die Gegenwart
Das gehört zu altem Wissen, brav im einschlägigen Elternhaus oder in der einschlägigen Wirtschaftsfakultät weitergegeben. Die italienische marxistische Ökonomin Clara E. Mattei forscht an der linken New School for Social Research in New York. Sie hat 2022 das Buch The Capital Order: How Economists Invented Austerity and Paved the Way to Fascism (italienische Ausgabe: Operazione austerità. Come gli economisti hanno aperto la strada al fascismo) veröffentlicht. Sie belegt mit Zitaten aus zahlreichen britischen und italienischen Regierungs- und Parlamentsprotokollen, wie nach dem 1. Weltkrieg in diesen beiden Ländern mit Sparprogrammen gezielt schwer Rezensionen herbeigeführt wurden, um die Not rebellischer ArbeiterInnen zu steigern und sie damit zu unterwerfen. Keynes und der Rest der britischen Crème der «Wirtschaftswissenschaft» hatten mit ihren italienischen Counterparts standen mit ihren italienischen Counterparts, darunter auch Luigi Einaudi, nach dem 2. Weltkrieg als liberaler Staatsvater und Staatspräsident gefeiert, in engem Kontakt. Sie stimmten beide zumindest in den ersten Jahren des Faschismus in Italien Mussolinis entschlossener Durchsetzung der «ökonomischen Vernunft» zu, auf italienischer Seite teilweise auch gleich mit der Besetzung von Leitungsfunktionen im Wirtschaftsministerium. Kapitalistischer Liberalismus und Faschismus – welch Zufall, geht heute beides wieder auf Tuchfühlung. Das Buch ist eine klarsichtige frappante «Erinnerung an die Gegenwart».