«Ich gebe weissen Sklavenhaltern nicht die Hand»

Montag, 27. Januar 2025

 

(zas, 27.1.25) Trump sagt es, also übernehmen die Mainstreammedien seine Fakten, unisono. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro wollte, so wird gesagt, keine aus den USA Deportierten aufnehmen und untersagte deshalb einer anfliegenden Air-Force-Maschine die Landung. Daraufhin diktierte Trump Zölle von 25 Prozent auf Importe und einen Visumsentzug für Offizielle aus Kolumbien sowie die Schliessung der Visumsabteilung der US-Botschaft in Bogotá. Präsident Gustavo Petro hat darauf ebenfalls 25 Prozent Zoll auf Importe aus den USA beschlossen. Doch spät am Sonntag gab Trumps Presssprecherin Katherine Leavitt bekannt, Kolumbien «hat allen Bedingungen von Präsident zugestimmt», inklusive Deportationen per Air Force.[1] Die Sprecherin weiter: «Die heutigen Ereignisse machen der Welt klar, dass Amerika wieder respektiert wird (…) Präsident Trump wird weiter die Souveränität unserer Nation energisch schützen und erwartet von allen Nationen volle Kooperation, indem sie die Deportationen illegal in den USA anwesender Bürger akzeptieren.»   

Diese Sicht der Dinge übermitteln die internationalen Mainstreammedien inklusive ihrer Schweizer Ableger. Es gibt dabei nur ein Problem: Sie stimmt nicht.

Die Washington Post schreibt im zitierten Artikel, dass Kolumbien im Rahmen eines bilateralen Abkommens seit Jahren zwei Flüge mit Deportierten akzeptiert hat. Warum also erliess Petro dieses Mal ein Landeverbot? Zum einen, weil es sich um zwei Militär-, nicht zivile Flugzeuge handelte. Und weil er wusste, dass die Deportierten angekettet fliegen würden. Woher wusste er das? Easy. Trumps Pressesprecherin hatte am Freitagmorgen Fotos von Menschen verteilt, die gefesselt und bewacht von Soldaten ein Flugzeug der Air Force nach Guatemala bestiegen. In Manaus, Brasilien, war Freitag nachts eine Air-Force-Maschine mit gefesselten Deportierten gelandet, die Filmaufnahmen machten Furore. Hier ein Video von CNN Brasil:

 


 Petro hatte auf X getweetet:

«Ein Migrant ist kein Krimineller und sollte mit der Würde behandelt werden, die ein menschliches Wesen verdient. Deshalb habe ich die US-Militärflugzeuge, die kolumbianische Migranten transportierten, zurückgeschickt. Ich kann nicht machen, dass Migranten in einem Land bleiben, das sie nicht haben will; aber wenn dieses Land sie zurückschickt, sollte es dies mit Würde und Respekt für sie und für unser Land tun. Wir werden unsere Staatsangehörigen in zivilen Flugzeugen aufnehmen, ohne sie als Kriminelle zu behandeln. Respekt für Kolumbien!”

Kurz, natürlich nimmt Petro Deportierte auf. Darum geht es nicht. Sondern um eine Reaktion auf das Kriegsgebrüll in Washington, das Migration als eine militärisch zu lösende Invasionsproblematik verkündet. Und wegen der unmenschlichen Bedingungen, die Trump & Co. dabei durchsetzen. Die Zeitung Brasil de Fato etwa zitierte den 31-jährigen, nach sieben Monaten Gefangenschaft deportierten Informatiker Edgar Da Silva Moura so: «Die Leute, an Handgelenk, Gürtel und Bein gefesselt, bekamen kein Wasser, sie baten um einen Gang auf die Toilette und bekamen keine Erlaubnis, es war sehr heiss, Leute wurden ohnmächtig». Die Maschine musste in Manaus wegen eines Turbinenausfalls notlanden. Petro hatte noch mitgeteilt, dass er das Präsidentenflugzeug in die USA fliegen lassen werde, um die Leute «würdig» nach Kolumbien zu bringen.

 

Shock and Awe, aber auch Widerstand

Die martialisch aufgezogenen Razzien in den USA, die perverse Tour, migrantische Eltern abzufangen, wenn sie ihre Kinder aus den Schulen abholen (s. Los Angeles: Die Angst geht um), die miese Prahlerei von Leavitt (schaut, wer befiehlt!) dienen auf jeden Fall  zwei Absichten: Angst unter den MigrantInnen und in anderen Nationen zu erzeugen und die eigene Basis für brutales Durchgreifen aufzuheizen. Es scheint noch unklar zu sein, ob die medial atemlos dargestellte Hatz auf MigrantInnen bisher die weniger kriegerisch dahergekommene Praxis unter Biden übertrifft oder nicht. Immerhin kann sich Genocide Joe damit schmücken, mehr Menschen deportiert zu haben als Trump in seiner ersten Amtszeit. Zu befürchten ist allerdings, dass die Verfolgung nicht nur medial aufgeblasen, sondern deutlich zunehmen wird.

Dafür sind auch die fast durchgehend uniformen Mainstreamberichte mit ihrer Botschaft «Trump zeigt den Meister» funktional.

Natürlich ist Petro machtmässig dem Gangster im Weissen Haus deutlich unterlegen. Die Berichte übernehmen auch, was die wirtschaftliche Seite der Zölle betrifft, einheitlich die Darstellung der Amcham (US-Handelskammer in Kolumbien), wonach Kolumbien in Chaos und Elend stürzen würde, sollte Petro sich nicht gefügig zeigen. Wieweit die von ihm im unten übersetzten Tweet angedeutete BRICS-Alternative binnen nützlicher Frist realisiert werden kann, ist wohl offen. Petro redet auch nicht zufällig von der Möglichkeit seiner Ermordung im US-Auftrag und den Putschkräften im eigenen Land, die jetzt ihr Kesseltreiben gegen seine Regierung intensivieren. Eine nicht zu übersehende Schwäche stellt zudem der Fakt dar, dass in seiner Regierung klar reaktionäre Kräfte operieren, wie etwa sein Aussenminister, den Petro zusammen mit dem Botschafter in Washington mit einer diplomatischen Lösungssuche beauftragt hat. Dies alles vor dem Hintergrund, dass Trump gedenkt, die Zollsanktionen auf Zusehen auszusetzen, aber in Sachen Visa schweigt.

Auf der andere Seite ist Petros Vorgehen auch ein Weckruf an lateinamerikanische Regierungen und Kräfte. Brasiliens Aussenministerium verlangt von Washington eine Erklärung für «die Missachtung der fundamentalen Rechte» der 88 in Manaus gelandeten Migranten, denen die brasilianischen Behörden natürlich sofort die verschiedenen Fesseln abgenommen haben. Die honduranische Präsidentin Xiomara Castro, derzeit Vorsitzende der CELAG, der lateinamerikanischen und karibischen Staatengemeinschaft, hat für nächsten Donnerstag ein Dringlichkeitstreffen einberufen. Reuters berichtet, US- und mexikanische Offizielle hätten übereinstimmend von einer Landeverweigerung für Air-Force-Flüge mit Abgeschobenen geredet.

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Petro an Trump:

Trump, ich reise nicht so gerne in die USA, es ist ein bisschen langweilig, aber ich gebe zu, dass es dort lohnende Dinge gibt. Ich gehe gerne in die schwarzen Viertel von Washington, dort habe ich voll einen Kampf zwischen Schwarzen und Latinos mit Barrikaden gesehen, was ich für Schwachsinn hielt, denn sie sollten sich vereinigen.

Ich gestehe, dass ich Walt Withman und Paul Simon und Noam Chomsky und Miller mag.

Ich gestehe, dass Sacco und Vanzetti, die von meinem Blut sind, in der US-Geschichte unvergessen sind und ich ihnen folge. Sie wurden, da Arbeiterführer, auf dem elektrischen Stuhl ermordet, von Faschisten, die es in den USA wie in meinem Land gibt.

Ich mag Ihr Öl nicht, Trump, er wird die menschliche Spezies aus Gier auslöschen. Vielleicht können wir eines Tages bei einem Schluck Whisky, den ich trotz meiner Gastritis akzeptiere, offen darüber reden, aber das ist schwierig, weil Sie in mir eine minderwertige Rasse sehen, und das bin weder ich noch ein anderer Kolumbianer.

Wenn Sie also jemanden kennen, der stur ist, dann bin ich es, Punkt. Ihr könnt mit eurer wirtschaftlichen Stärke und eurer Arroganz versuchen, einen Staatsstreich zu inszenieren, wie sie es mit Allende getan haben. Aber ich sterbe für mein Recht, ich habe der Folter widerstanden und ich widerstehe Ihnen. Ich will keine Sklavenhalter auf der Seite Kolumbiens, wir hatten schon viele und haben uns selbst befreit. Was ich auf der kolumbianischen Seite will, sind Freiheitsliebende. Wenn Sie mich nicht begleiten, gehe ich woanders hin. Kolumbien ist das Herz der Welt, und Sie haben es nicht verstanden, dies ist das Land der gelben Schmetterlinge, der Schönheit von Remedios, aber auch der Obersten Aurelianos Buendia[2], von denen ich einer bin, vielleicht der letzte.

Du kannst mich töten, aber ich werde in meinem Volk überleben, das vor deinem in den Amerikas war. Wir sind Völker der Winde, der Berge, des karibischen Meeres und der Freiheit.

Wenn Sie unsere Freiheit nicht mögen, okay. Ich gebe weissen Sklavenhaltern nicht die Hand. Ich gebe den weissen, freiheitlichen Erben von Lincoln und den schwarzen und weissen Bauernjungen der USA die Hand, vor deren Gräbern ich auf einem Schlachtfeld weinte und betete, zu dem ich kam, nachdem ich die Berge der italienischen Toskana durchwandert und mich vor Covid gerettet hatte.

Sie sind die USA und ich knie vor ihnen nieder, vor niemandem sonst.

Legen Sie mich um, Präsident, und Amerika und die Menschheit werden antworten.

Kolumbien hört jetzt auf, auf den Norden zu schauen, es schaut auf die Welt, unser Blut stammt vom Blut des Kalifats von Cordoba, der Zivilisation jener Zeit, von den lateinischen Römern des Mittelmeers, der Zivilisation jener Zeit, die in Athen die Republik, die Demokratie gründeten; unser Blut hat die widerständischen Schwarzen, die von euch zu Sklaven gemacht wurden. In Kolumbien ist das erste freie Territorium Amerikas, vor Washington, von ganz Amerika, dort decken mich seine afrikanischen Lieder zu.

Mein Land ist ein Land der Goldschmiedekunst, das schon zur Zeit der ägyptischen Pharaonen existierte, und der ersten Künstler der Welt in Chiribiquete[3].

Du wirst uns niemals beherrschen. Dagegen steht der Krieger, der durch unser Land ritt und die Freiheit rief und der Bolivar genannt wird.

 Unsere Völker sind etwas ängstlich, etwas schüchtern, sie sind naiv und freundlich, liebevoll, aber sie werden wissen, wie man den Panamakanal gewinnt, den ihr uns mit Gewalt genommen habt. Zweihundert Helden aus ganz Lateinamerika liegen in Bocas del Toro, dem heutigen Panama, dem ehemaligen Kolumbien, die ihr ermordet habt.

Ich hisse eine Fahne, und, wie Gaitán[4] sagte, selbst wenn ich allein bliebe, würde sie weiterhin mit lateinamerikanischer Würde gehisst werden, die die Würde Amerikas ist, die Ihr Urgrossvater nicht kannte, meiner aber schon, Herr in die USA immigrierter Präsident.

Eure Blockade macht mir keine Angst, denn Kolumbien ist nicht nur das Land der Schönheit, sondern auch das Herz der Welt. Ich weiss, dass Sie die Schönheit genauso lieben wie ich, respektieren Sie sie nicht und sie wird Ihnen ihre Süsse anbieten.

KOLUMBIEN IST OFFEN FÜR DIE GANZE WELT, MIT OFFENEN ARMEN, WIR SIND BAUMEISTER DER FREIHEIT, DES LEBENS UND DER MENSCHLICHKEIT.

Wie ich höre, erheben Sie einen Importzoll von 50 % auf die Früchte unserer menschlicher Arbeit, und ich tue dasselbe. Möge unser Volk den Mais anbauen, der in Kolumbien entdeckt wurde, und die Welt ernähren.



[1] Diese Aussage wird von den kolumbianischen Behörden bestritten. Geflogen werde in der Präsidentenmaschine und die Einhaltung der Menschenrechte sei garantiert.

[2] Rebellische Figur aus «Hundert Jahre Einsamkeit» von Gabriel García Márquez.

[3] Nationalpark in Kolumbien.

[4] 1948 ermordeter Präsidentschaftskandidat. Der von der CIA mitgetragene Mord löste einen militanten Volksaufstand – el bogatazo – aus.

Los Angeles: Die Angst geht um

Sonntag, 26. Januar 2025

 

(zas, 26.1.25) Mündliche Mitteilung eines Emigranten in Kalifornien:

In Los Angeles und anderswo hat die Hatz auf MigrantInnen begonnen. Besonders bei Schulen, wo die Eltern ihre Kinder abholen kommen. Eine lähmende Angst geht um. Viele getrauen sich kaum mehr auf die Strasse. Die Angst wird von der Regierung angestrebt. Aber auch das: Gruppen von MigrantInnen, die beraten, wie am besten der Terror unterlaufen werden kann.

Palästina/Israel: «Unsere Kleider waren getränkt von unseren verfaulenden Körpern»

Freitag, 24. Januar 2025

 

(zas, 24.1.25) Als die 69 palästinensischen Geiseln im Austausch für die drei israelischen Geiseln freikommen sollten, gab es eine Verzögerung: Statt wie vorgesehen am Nachmittag kamen sie erst nach Mitternacht aus dem Ofer-Gefängnis in der Westbank raus. Eine Qual für die zum Ort der Übergabe der Gefangenen durch das IKRK angereisten Angehörigen. Aber nicht für die IDF. Die Gefangenenanwältin Tala Nasir von der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Addameer in Ramallah berichtete am 20. Januar in Democracy Now: «Gestern war schlimm. Die israelischen Besatzungskräfte begannen die Leute mit Lärmbomben, Gas, Gummigeschossen und scharfer Munition zu beschiessen. Es gab viele Verletzte vor dem Ofer-Gefängnis.» Sie sagte weiter, Ähnliches habe sich in Ost-Jerusalem abgespielt.[1]

 In einem weiteren Gesprächsteil sagte sie, angesprochen auf die ebenfalls freigelassene Feministin und PFLP-Aktivistin Khalida Farrar, früher Mitglied des palästinensischen Parlaments: «Khalida kam gestern ebenfalls frei. Sie war jetzt während vier – fünf Monaten von der Aussenwelt totalisoliert. Sie kam in einem entsetzlichen Zustand frei aufgrund der Isolation, der mindestens gegen sie und andere gefangene Frauen verhängten Aushungerung, des Fehlens persönlicher Hygienemittel, der Beschlagnahmung von Kleidern, der Verweigerung medizinischer Betreuung. Sie war wirklich in einer schlimmen Lage. Weltweit haben Menschen Bilder von ihrer Freilassung gesehen. Und es geht nicht nur um Khalida Jarrar, sondern auch um andere weibliche Gefangene, die in einem sehr schlechten Zustand freikamen. Sie waren verschiedenen Folter- und Misshandlungsmethoden ausgesetzt, die zu ihrem schweren Gewichtsverlust führten. Sie wurden im Gefängnis ausgehungert.»

Khalida Farrar, nach ihrer Befreiung. Ihre Familie fuhr sie nach einem kurzem Statement der bekannten Genossin ab Feiernde und Presse zu einer medizinischen Untersuchung.

 

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 Am 16. Januar veröffentlichte Haaretz den Bericht «The Floor Was Covert With Blood». Lest ihn. (Trotz Paywall gibt Haaretz ein paar Artikel im Monat gratis ab.) Eine schwierige Lektüre, die schmerzt, verfasst vom Anarchisten Jonathan Pollack. Er fängt so an: «Als ich nach meiner Verhaftung an einer Demo im Dorf Beita und danach folgendem langem Gefängnis und Hausarrest wieder in die West Bank ging, war sie völlig anders, als ich sie gekannt hatte. Das Töten von ZivilistInnen, im Verbund mit der Armee erfolgende Angriffe der Siedler, grossräumige Verhaftungen. Angst und Terror hinter jeder Ecke. Und ruhig, erschaudernd ruhig.»

 

Prügelregime

Jonathan trifft alte Freunde, die in israelischen Gefängnissen gefoltert worden waren. Sie berichten ihm ihre schlimmen Erlebnisse. Vom Alltag mit systematischen Prügeln und Verwundungen. In Gefängnis wie dem Ofer, dem «notorischen Russischen Lager in Jerusalem» oder dem Megiddo, wo sein enger Freund Nazar noch vor dem 7. Oktober in «Administrativhaft», also Geiselhaft, sass. Der Betriff bedeutet, dass weder die Gefangenen noch ihre Rechtsvertretung je über Haftgründe informiert werden. Tawfiq war im Gilboa-Gefängnis eingesperrt. Anlässlich eines behördlichen Inspektionsrundgangs wünschte ein Insasse Hofgang. Die Antwort: «Du willst einen Hofgang? Sei froh, dass du nicht in den Hamas-Tunnels in Gaza bist.  Während der nächsten zwei Wochen wurden die Insassen in den Hof geführt und mussten dort zwei Stunden auf dem kalten Boden liegen, auch bei Regen. Während sie dort lagen, gingen die Wärter rum. Manchmal liefen die Hunde zwischen den Gefangenen, manchmal über sie.» Jedes Treffen mit einem Anwalt hatte seinen Preis. Tawfiq: «Ich wusste, jeder Gang vom Besuch zurück würde mindesten drei weitere Prellungen bringen. Aber nie verweigerte ich den Besuch. Du weisst nicht, was eine Zelle mit 12 Menschen ist, die schon mit sechs überfüllt war».

Munther Amira ist der Einzige, der sich mit richtigem Namen zitiere lässt. Die anderen haben alle Angst vor Repressalien, sobald sie den Mund aufmachen. Munther war im Ofer. Administrativhaft. Er kam raus, ohne zu wissen wieso. «Er erzählte mir, dass eines Nachts eine Wärtereinheit mit zwei Hunden in die Zelle stürmte. Sie befahlen den Insassen, sich bis auf die Unterhose auszuziehen und sich auf den Boden zu legen. Dann schnüffelten die Hunde an ihren Körpern und Gesichtern. Anschliessend wurden sie, wieder angezogen, in eine Dusche gebracht und dort, bekleidet, mit kaltem Wasser abgeduscht.»

 

«Wir sind dort keine Menschen, sondern verfaulendes Fleisch.»

 «Munther verlor in der dreimonatigen Haft 33 kg. Ich weiss nicht, wie viel Khaled vorher wog – er war immer dünn -, aber auf dem Bild, das mir [gleich nach seiner Entlassung] geschickt wurde, sah ich die Skelettüberreste einer Person. Später zeigten die Deckenlampen in seinem Haus zwei tiefe Krater, wo einst seine Wangen waren. Seine Augen waren rot umrandet, wie von jemandem, der während Wochen nicht geschlafen hat. Die schlaffe Haut, die von seinen dünnen Armen runterhing, sah aus wie künstlich angemacht, wie eine Folie.»

Alle berichten Jonathan von minimalsten Essensrationen, die nicht «ungenügend» waren, sondern angelegt auf ein Kaputtmachen. Und oft roch die Nahrung schlecht.  Nazar sagte: «Es geht nicht nur um die Quantität. Was sie bringen, ist auch nicht geeignet für menschlichen Verzehr. Der Reis ist nur halb gekocht, fast alles ist verdorben. Und weisst du, da gab es richtige Kinder, die noch nie in einem Gefängnis gewesen waren. Wir versuchten, für sie zu schauen. Aber wenn du auch nur einen Bissen von deinem Essen weggibst, ist das wie Selbstmord. In den Gefängnissen herrscht jetzt Hungersnot. Nicht wegen einer Katastrophe, sondern wegen der Politik des Israelischen Gefängnisdienstes.»

Es geht nicht nur um Essen. «Zum Beispiel ist es den Insassen verboten, mehr als ein Kleidungsset zu besitzen. Ein Hemd, eine Unterhose, eine Hose, ein T-Shirt. Das ist alles, für die ganze Haftdauer. Ich erinnere mich, dass einmal, als Munthers Anwältin Riham Nasra, ihn besuchte, er barfuss in den Besuchsraum kam. Als sie ihn fragte, warum er barfuss sei, sagte er nur: ‘Es gibt keine.’ Einem Gerichtsstatement des Gefängnisdienstes zufolge leidet etwa ein Viertel der Gefangenen an Krätze. Um die Zeit von Nazars Entlassung war seine Haut schon am Heilen. Die Wunden bluteten nicht mehr, aber noch bedeckten Krusten einen Grossteil seines Körpers.»

Nazar sagte: «Der Gestank in der Zelle lässt sich nicht in Worte fassen. Es ist wie Fäulnis, wir sassen herum und verfaulten – unsere Haut, unser Fleisch. Wir sind dort keine Menschen, sondern verfaulendes Fleisch. Aber wie könnte das anders sein? Meistens gibt es überhaupt kein Wasser, gewöhnlich nur eine Stunde am Tag und manchmal tagelang keines. Es gab immer wieder Wochen am Band, wo ich nicht duschen konnte. Es dauerte mehr als einen Monat, bis ich eine Seife erhielt. Wir sitzen da, immer in den gleichen Kleidern, weil niemand andere hat, und sind von Blut und Eiter bedeckt. Und es gibt einen Gestank – nicht von Abfall, sondern von Tod. Unsere Kleider waren getränkt von unseren verfaulenden Körpern.»

 

Sexuelle Gewalt

Jonathan schreibt: «Vergewaltigungen und sexuelle Angriffe werden meist als Gerüchte berichtet, als etwas, das anderen geschehen ist. Nur Burhan, der im Ketziot-Gefängnis im Negev einsass, sprach deutlich darüber. Bei einer Razzia in seinem Flügel nahmen die Wärter einen nach dem anderen aus der Zelle. Als er wartete, hörte er Hilferufe und Schmerzensschreie und von Seiten der Wärter Fluche. Als er an die Reihe kam, wurde er in an eine allgemeine Stelle gebracht. Er sah seine Zellengenossen liegen, einer auf dem andern, nackt und blutend. Ein Wärter entkleidete ihn, verband ihm die Augen und warf ihn dann unter Fluchen und Prügel auf den Boden. Sie wurden, erzählt er, geschlagen, als sie nackt und mit verbundenen Augen dalagen, während Hunde sie beschnüffelten. Irgendwann spürte er einen starken Schmerz im Rektum, als ein Objekt hineingestossen wurde.»

«Zurück in der Zelle sassen sie alle nur da und starrten vor sich hin. Niemand sagte ein Wort.»

Berichte von Vergewaltigungen sind tabu und werden kaum erwähnt. Aber sexuelle Demütigung ist für alle erkennbar. Videos von nackten Insassen, die von Gefängnispersonal geführt werden, wurden in den sozialen Medien veröffentlicht. Das konnten nur die Wärter selber dokumentieren, die stolz auf ihre Taten waren.»

Als Mann habe er, schreibt der Autor, natürlich keine direkten Berichte von Vergewaltigungen von Frauen gehört, doch werde oft von Mangel an Menshygiene und von Leibesvisitationen gesprochen. Eine Frau berichtete ihm, dass ihre Harnwege bei ihrer Entlassung nach einer Periode unter diesen Bedingungen schwer entzündet und infiziert waren.

 

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Hält der Waffenstillstand?

Zur Frage, ob der derzeitige Waffenstillstand tatsächlich bis in die entscheidenden Phasen 2 und 3 halten werde, gibt es viele Meinungen und Beiträge. Die Wahrscheinlichkeit, dass USA/Israel es nicht dazu kommen lassen, ist leider gross. Hier sei auf den Artikel There will be no ‘Trump effect’ when it comes to U.S. policy toward Palestine von Mitchell Plitnick vom 22. Januar verwiesen. Die Analysen von Plitnick, der u. a. ehemaliger Leiter des US-Büros der Menschenrechtsorganisation B’Tselem und Co-Direktor der Jewish Voice for Peace war, sind in der Regel ein Fundus für kluge, ehrliche und gut informierte Analysen.

 



[1] Das israelische Onlinemedium 972.mag betont in diesem Zusammenhang den Versuch der israelischen Sicherheitskräfte, das Verbot von Freudenkundgebungen bei den Freilassungen in der Westbank und in Ostjerusalem durchzusetzen. Over Ziv schreibt im Magazin, Tausende seien zusammengeströmt, um die Ex-Gefangenen zu empfangen. Zwar habe die israelische Armee die Freizulassenden extra nicht nach Ramallah gekarrt, wo es bei den letzten Freilassungen zu grossen Festen gekommen sei, sondern ins Dorf Beituna vor Ramallah, doch «vergeblich. Sobald die israelischen Kräfte, die das Rote Kreuz begleitet hatten, sich zurückzogen, nachdem sie versucht hatten, die Menge mit Tränengas zu vertreiben, worauf palästinensische Jugendliche sie mit Steinen bewarfen, kam es sofort zu grossen Feiern. Feuerwerk erhellte den Himmel, die Leute skandierten nationalistische Parolen und schwenkten palästinensische und Hamas-Fahnen.»