El Salvador: Verschärfung der Repression

Freitag, 28. Februar 2025

 

In den letzten Tagen und Wochen zeichnet sich immer mehr eine Regimestrategie ab, die spezifisch auf die Zerschlagung von Oppositionskräften zielt. Neben der allgemeinen Repressionspolitik gegen die Unterklassen (offiziell über 80'000 Menschen wegen angeblicher Maramitgliedschaft im schwarzen Loch der Foltergefängnisse weggesperrt). Sie soll die Bevölkerung einzuschüchtern, so dass sie auch gegen dramatische Notlagen – zusätzlich angefeuert mit dem jetzt abgesegneten Deal mit dem IWF – trotz abnehmendem Support für das Regime nichts unternehme.

 

Eine neue Stossrichtung

Doch die direkt politisch ausgerichtete Repressionsvariante nimmt zu. Da sind die fünf Compañeros der Comunidad Santa Marta, beschuldigt, als Mitglieder der Guerilla im Bürgerkrieg eine Frau umgebracht zu haben. Real geht es dabei um das mittlerweile per Gesetz offizialisierte Vorhaben Bukeles, den seit Jahren verbotenen Bergbau massiv anzukurbeln (in den Augen des IWF eine der Haushaltstabilisierung dienende «Massnahme»). Santa Marta war Teil des Antiminen-Widerstands im vergangenen Jahrzehnt. Die Fünf wurden nach langer Haft von einem Gericht freigesprochen, doch die Generalstaatsanwaltschaft ordnete ein neues Verfahren an.

Schwerwiegend war die Gefangennahme der gesamten Führung der Alianza Nacional (AN), die primär KriegsveteranInnen beider Seiten für Proteste mobilisieren konnte. letzten Mai. Einen Tag vor dem Antritt zu einer verfassungswidrigen Amtsperiode Bukeles am letzten 1. Juni. Die Compañeros sitzen unter dem Vorwand, sie hätten am 1. Juni Sprengstofffanschläge auf Tankstellen, Märkte und Regierungseinrichtungen geplant. Absurd. Einer der Verhafteten, der ehemalige Guerillakommandant Atilio Montalvo, war nach einer mehrmonatigen schweren Krankheitskrise gerade am Wiedererlernen von Sprechen und Gehen. Die meisten der Verhafteten sind betagt und leiden an schweren, jetzt kaum behandelten chronischen Krankheiten.

Mitte Februar wurde Eugenio Chicas, früherer Präsident des Wahlgerichts TSE und scharfer Regimekritiker, verhaftet. Faktischer Auslöser: Die geplante Zeugenaussage von Chicas im Verfahren gegen Santa Marta. Er war ein Führungsmitglied der Guerillafraktion, die in der Region von Santa Marta operierte. Zudem steht er auf der persönlichen Hassliste von Bukele, da er diesen noch kurz vor seinem ersten Amtsantritt gerichtlich zur Zahlung einer grösseren Geldmenge wegen Verleumdung gezwungen hatte. 


 Eugenio Chicas bei einer fast verheimlichten Gerichtsvorführung gestern: "Ich bin ein politischer Gefangener". Video: El Mundo

 

Angriff auf Basiswiderstand

Vor wenigen Tagen wurde Fidel Zavala verhaftet. Sein Leben ist in Gefahr. Er, damals Kleinunternehmer, war kurz vor Ausrufung des Ausnahmezustandes 2022 unter Betrugsverdacht verhaftet worden. Dank seiner Ausbildung bekam er im Gefängnis als Privileg die Aufgabe, jeden Ab- und Zugang in den Massenzellen zu protokollieren. So erlangte er neben der Erfahrung der eigenen physischen Misshandlung einen detaillierten Einblick in die obrigkeitliche Folter- und Mordpraxis in den Gefängnissen im «Ausnahmezustand». Im Prozess wurde er letztes Jahr freigesprochen. In Freiheit legte er aufsehenerregende Zeugnisse über den Terror im Knast ab und identifizierte einen der schlimmsten Folterwärter. Von seinen Erfahrungen erschüttert, wurde er, ein ehemaliger Bukelefan, im Bewusstsein der damit verbundenen Risiken aktives Mitglied der UNIDEHC (Unidad de defensa de los derechos humanos y comunitarios), der Rechthilfestelle des Bloque de Resistencia Popular, des grössten Zusammenschlusses oppositioneller Sozialbewegungen.

Die Generalstaatsanwaltschaft (FGR) begründete seine Verhaftung mit dem Fall der Comunidad La Floresta, einer semiurbanen Wohnsiedlung beim Ort San Juan Opico im Landeszentrum. Dort tauchte plötzlich ein angeblicher Besitzer der seit über 15 Jahren bewohnten Siedlung auf und stellte Strafanzeige wegen Verletzung seines Privateigentums. Die FGR verhaftete im Februar ungefähr 20 BewohnerInnen der Floresta unter dem Vorwand, sie hätten die Siedlung parzellieren und illegal verkaufen wollen. Die UNIDEHC und mit ihr Fidel Zavala haben die BewohnerInnen in ihrem Kampf rechtlich begleitet. Nach einer weiteren Verhaftungsaktion am 26. Februar begleitete Zavala eine Delegation der Comunidad zur staatlichen Menschenrechtsprokuratur. Wenige Stunden später wurde er in den Räumlichkeiten der UNIDEHC verhaftet, wo die Beamten nach einer ergebnislosen Durchsuchung Computer und andere Arbeitsmaterialien der Organisation abschleppten. Gleichzeitig drangen Beamte in das Haus der bekannten UNIDEHC-Anwältin Ivania Cruz ein, wo sich ihre Mutter befand, und beschlagnahmten dort Material eines Bruders der Anwältin. Ivania Cruz und Rudy Joya, ein weiterer mit La Floresta befasster Anwalt der Gruppe befanden sich, was die Staatsanwaltschaft natürlich wusste, zu diesem Zeitpunkt auf Arbeitsreisen im Ausland.

Fidel Zavala befindet sich zurzeit offenbar in Polizeihaft. Wird er in ein Gefängnis eingeliefert, droht ihm eine schwere Rache seitens der Folterwärter. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass die FGR gestern auf X die Sache eskalierte. Sie schrieb unter dem Hashtag RedDeEstafadores (Betrügernetz): «Diese Struktur wird von Anwälten und inexistenten, nicht gewinnorientierten Organisationen gebildet, die das Eindringen in fremdes Eigentum vorantrieben und den Opfern versicherten, sie als legitime Eigentümer dieser Terrains zu akkreditieren, wofür sie eine monatliche Zahlung verlangten.» Noch perverser die folgende FGR-Meldung: «Betrügernetz: Während der Untersuchungen ergab sich, dass die Nichtregierungsorganisation, mit der sie operierten, in den zuständigen Stellen nicht eingeschrieben ist (…), was sie zu einer rechtswidrigen Vereinigung macht, mit der sie versuchten, die Bevölkerung zu täuschen.» (Mit Organisation ist die UNIDEHC gemeint.) «Ilegale Vereinigung» - der Anklagepunkt gegen alle unter dem Ausnahmeregime Eingesperrten. Natürlich ist die UNIDEHC, wie sie sofort auf X antwortete, Teil des Bloque, keine NGO, folglich nicht im NGO-Register. Sie schrieb: «De FACTO eine Organisation zu haben, macht diese nicht zur kriminellen Vereinigung». Das ist der Kernpunkt. Denn die selbst für bukelistische Verhältnisse haarsträubende Argumentation der FGR beinhaltet klar die Drohung, künftig jede missliebige Basisorganisation als kriminelle Vereinigung zu verfolgen.

Im aktuellen Fall geht es um die Leute der Floresta, die UNIDEHC und damit den Bloque.  Die Tragweite ist enorm. Die jetzige Eskalationsstrategie des bukelismo ist zum einen als präventive Massnahme gegen eine mögliche Verschärfung der sozialen Rebellion gegen die mafiöse Oligarchie[1] und seine IWF-Politik zu begreifen, und zum andern auch durch das Gefühl der Straffreiheit, das sich aus dem kuschligen Gefühl der Nähe zu der Macht in Washington ergibt. Dennoch und zu Recht insistieren UNIDEHC und Bloque jetzt auf der Notwendigkeit einer auch internationalen Solidarisierung. Aus einem einfachen Grund: Bisher hat das Regime nur Konzessionen auf nationalen und internationalen Druck hin gemacht.



[1] Als Beispiel für diese Charakterisierung: Der Name eines angeblichen Besitzers der Floresta ist bekannt, nur kennt niemand den Mann. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um einen Strohmann. Auf dem Gebiet der Floresta soll eine Siedlung sehr Begüterte entstehen. Das Problem dabei: Selbst in der Umgebung der Hauptstadt hält sich die Kauflust für solche Objekte angesichts der wirtschaftlichen Notlage in Grenzen; wer dafür in der Provinz viel Geld ausgeben will, bleibt ein Geheimnis. Real dürfte es sich um eine Geldwaschanlage für den grossen Drogenhandel handeln, ähnlich wie sich vor Jahren «gehobene» Restaurants und Hotels entlang der Meeresküste aneinanderreihten und regelmässig tolle Gewinne auswiesen, trotz weitgehend kümmerlicher Kundschaft…

Die Medien versäumen es, dies als das zu bezeichnen, was es ist: ein Staatsstreich

Sonntag, 16. Februar 2025

Robert Reich *

Ich möchte heute über die Berichterstattung der Medien über den Trump-Vance-Musk-Putsch sprechen.

Ich beziehe mich dabei nicht auf die Berichterstattung der durchgeknallten rechten Medien von Rupert Murdochs Fox News und ihrer Nachahmer.

Ich beziehe mich auf die Mainstream-Medien in den USA - die New York Times, die Washington Post, die Los Angeles Times, The Atlantic, The New Yorker, National Public Radio - und die Mainstream-Medien im Ausland, wie die BBC und The Guardian.

Indem sie es nicht als Staatsstreich bezeichnen, versäumen es die Mainstream-Medien, die Schwere des Geschehens zu vermitteln.

Die gestrige Stellungnahme des Redaktionsausschusses der New York Times ist ein erbärmliches Beispiel dafür. Sie räumt ein, dass Trump und seine führenden Mitarbeiter „die Verfassung und die Nation in einem Mass auf die Probe stellen, wie es seit dem Bürgerkrieg nicht mehr der Fall war“, fragt dann aber: „Befinden wir uns bereits in einer Verfassungskrise?“ und antwortet, dass das, was Trump tut, «als ein Warnzeichen verstanden werden sollte».

Warnzeichen?


 

Die Einmischung von Elon Musk in den Regierungsapparat ist Teil des Putsches. Musk und seine Bisamratten haben kein Recht, in das Zahlungsverkehrssystem des Bundes oder eines der anderen sensiblen Datensysteme einzubrechen, in die sie eindringen und weiterhin Computercodes sammeln.

Diese Daten sind das Lebenselixier unserer Regierung. Sie werden für die Zahlung der Sozialversicherung und von Medicare verwendet. Mit ihnen werden Inflation und Arbeitsplätze gemessen. Die AmerikanerInnen haben unsere privaten Informationen professionellen Beamten anvertraut, die gesetzlich verpflichtet sind, sie nur für die vorgesehenen Zwecke zu verwenden. In den falschen Händen, ohne rechtliche Befugnis, könnten sie zur Kontrolle oder Irreführung der AmerikanerInnen verwendet werden.

Indem sie den Begriff „Staatsstreich“ nicht verwenden, spielen die Medien auch das Einfrieren praktisch aller Bundesmittel durch das Trump-Vance-Musk-Regime herunter und suggerieren, es handle sich dabei um normales politisches Gezerre. Dem ist nicht so. Der Kongress hat die alleinige Befugnis, Gelder zu bewilligen. Ihr Einfrieren ist illegal und verfassungswidrig.

Indem sie es nicht als Staatsstreich bezeichneten, suggerieren die Medien den AmerikanerInnenInnen auch, die Weigerung des Regimes, den Anordnungen der Bundesgerichte Folge zu leisten, sei eine - wenn auch extreme - politische Reaktion auf Gerichtsentscheidungen, die den Wünschen des Präsidenten zuwiderlaufen.

Nichts in der Weigerung des Regimes, sich von den Gerichten zurückbinden zu lassen, befindet sich innerhalb der Grenzen einer akzeptablen Politik. Unser Regierungssystem gibt der Bundesjustiz das letzte Wort darüber, ob Massnahmen der Exekutive legal und verfassungsgemäss sind. Die Weigerung, sich an Bundesgerichtsurteile zu halten, zeigt, wie schurkisch dieses Regime wirklich ist.

Anfang dieser Woche rügte ein Bundesrichter das Regime, weil es sich nicht an den „klaren Wortlaut“ seines Erlasses von letztem Monat hält, um Milliarden von Dollar an Bundeszuschüssen freizugeben. Vizepräsident J.D. Vance erklärte, vermutlich als Reaktion darauf, dass „Richter nicht die legitime Macht der Exekutive kontrollieren dürfen“.

Vance hat dieselbe juristische Fakultät absolviert wie ich. Er weiss, dass er aus seinem Hinterteil spricht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Missachtung des Regimes von Gesetzen und Verfassungsbestimmungen über den Zugang zu privaten Daten, die Beschlagnahmung von durch den Kongress bewilligten Mitteln und die Weigerung, sich an richterliche Anordnungen zu halten, auf eine Machtübernahme unserer Demokratie durch eine Handvoll Männer hinausläuft, die dazu rechtlich nicht befugt sind.

Wenn das kein Staatsstreich ist, dann weiss ich nicht, was es ist.

Die Mainstream-Medien müssen dies als das bezeichnen, was es ist. Damit würden sie nicht in einer politischen Auseinandersetzung „Partei ergreifen“. Sie würden vielmehr die düstere Notlage, in der sich Amerika derzeit befindet, genau beschreiben.

Solange die AmerikanerInnenInnen die Situation nicht als Ganzes sehen und verstehen, was sie ist, sondern als Infohäppchen, die „die Zone überschwemmen“, aufnehmen, können sie unmöglich auf die gesamte Situation antworten. Das Regime unternimmt so viele ungeheuerliche Initiativen, dass das grosse Ganze nicht sichtbar wird, ohne es klar und einfach zu beschreiben.

Solange die AmerikanerInnen nicht verstehen, dass es sich hier tatsächlich um einen Staatsstreich handelt, der in höchstem Masse illegal und grundlegend verfassungswidrig ist - nicht nur, weil dies zufällig die Meinung von Verfassungswissenschaftlern oder Rechtsprofessorinnen oder die Ansichten von Trumps politischen Oppositionellen ist, sondern weil es sich objektiv und real um einen Staatsstreich handelt -, können sich die AmerikanerInnenInnen nicht als die klare Mehrheit erheben, die wir sind, und die Wiederherstellung der Demokratie fordern.

·        commondreams.org, 14.2.25: Corporate Media Failing to Call This What it is: A Coup

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(zas, 15.2.25) Die Professorin Kim Lane Scheppele von der Princeton University erklärte am 12. Februar 25 in einem Interview auf Democracy Now unter Bezug auf Project 2025, das Programm, das kapitalistische Machtgruppen während Jahren für die zweite «Amtszeit» Trumps vorbereitet hatten:

«Was wir sehen, seit Trump an die Macht gekommen ist, mit seinem Blitz, seinem Project 2025, formuliert von privaten Akteuren in der Zeit, als er nicht an der Macht war, ist, dass er die Nervenzentren der amerikanischen Regierung angreift.  Ich denke, etwas, das wir übersehen haben, ist, dass Elon Musk als erstes in das Office of Personal Management ging, und so alle Bundeangestellten kontrolliert; ins Finanzministerium, und so alle Zahlungen kontrolliert, welches Geld geht raus - welches kommt rein; und drittens in die General Services Administration, die alle Gebäuden und Einrichtungen kontrolliert, aber auch die IT. Sie gingen also zuerst in diese Nervenzentren, und wir wissen immer noch nicht, was genau sie da taten.»

«Aber Leute versuchen, das rauszufinden, und es scheint, dass sie nicht nur Daten stahlen, sondern auch Sachen machten wie Spionagesoftware in den Computer des Finanzministeriums zu installieren, so dass sie alles überwachen können, was diese Leute tun. Sie installieren eine Art zentralisiertes Dashboard, das vom Weissen Haus kontrolliert wird und es dem Präsidenten, oder Musk, den X-Präsidenten, den Leuten im Weissen Haus erlaubt, direkt alle Bundesagenturen zu überwachen, ohne irgendwelche Intermediäre, ohne vom Senat bewilligten Ernennungen oder checks and balances des Systems.»

Scheppele erkennt darin die Vorgehensweise von Viktor Orbán in Ungarn. Zu seiner «Säuberung» des Justizapparates «schafften es Jahre später europäische Gerichte, zu sagen: ‘Das hätte nicht geschehen dürfen. Dies verletzt europäisches Recht.’ (…) Er geht dann zum Gericht und sagt: ‘Willst du, dass ich alle neuen RichterInnen feure?’, worauf die EU-Kommission sagt: ‘ «Nun, das wollen wir wirklich nicht, dass du die neuen RichterInnen feuerst. Gib ihnen einfach die Sicherheit, dass dies nicht wieder geschehen kann.»

Die Frage der Interviewerin, ob Trump mit seinem Verordnungsstakkato nicht Schwäche zeige statt sich ans Parlament mit seiner trump’schen Mehrheit zu wenden, beantwortet die Frau von Princeton negativ: «Trump versucht, die Dinge schnell zu zerbrechen, so dass, wenn ihn dann die Gerichte einholen, wenn die Kräfte der Gewaltenteilung sich neu gruppieren und einen Gegenstoss überlegen, ist das Ding schon zerbrochen. Ich denke, Trump hat gelernt, und ich glaube, Orbán hat es ihn auch gelehrt, sich die Regierung als Aquarium vorzustellen. Wenn du einen Mixer im Fischaquarium gebrauchst, um Fischsuppe zu machen, wirst du das Aquarium nicht mehr retten können, auch wenn es Gerichte anordnen.»

In dieser Hinsicht hat die Professorin wohl eine realistischere Vorstellung als Reich, der ehemalige Arbeitsminister von Bill Clinton, der offenbar alle Hoffnung auf die Justiz setzt. Beide sind liberals, er bestimmt mit sozialer Tendenz, aber ohne reale Kampfperspektive gegen das gerade den Durchmarsch probende Ultra-Regime führender Kapitalgruppen. Dennoch sollten Linke Leuten wie ihnen genau zuhören. Sie verstehen etwas vom konkreten Handwerk der Machtausübung, und ihr Entsetzen über das, was sie sehen, spricht Bände, weit über die paar in den Medien gehandelten Banalitäten zum Thema hinaus. (Gilt nicht für solche wie die NZZ. Die estimiert das lovelove von US-Vize JD Vance mit der AFD und freut sich, wenn Phantasy-Kreuzritter Hegseth als Pentagonboss für Europa eine weitere extreme Steigerung der Rüstungsausgaben anordnet (trotz angedrohter möglichenr Restriktionen im Ukrainekrieg). Diese Sorte von Kampforganen sorgt sich allenfalls, ob man den Bogen nicht zu früh überspannt.)

 

Mexiko: Drei indigene Aktivisten in Oaxaca ermordet

Samstag, 15. Februar 2025

 https://amerika21.de/2025/02/273874/mexiko-morde-aktivisten

Aufruf von sozialen Bewegungen zum Stopp der Gewalt in der Region
Aufruf von sozialen Bewegungen zum Stopp der Gewalt in der Region

San Juan Mazatlán. Im südmexikanischen Oaxaca sind am Donnerstag drei indigene Aktivisten erschossen worden. Laut der Union der Indigenen Gemeinschaften der Nördlichen Zone des Isthmus (Ucizoni) stehen die Morde an Wilfrido Atanasio, Victoriano Quirino und Abraham Chirino im Zusammenhang mit einem Grenzkonflikt zwischen den Gemeinden Santo Domingo Petapa und San Juan Mazatlán. 

Die drei Aktivisten befanden sich auf dem Weg in ihren Heimatort El Platanillo, als sie in einen Hinterhalt gerieten und ermordet wurden. Einen Tag zuvor hatten die lokalen Behörden von San Juan Mazatlán vor einer gewaltsamen Eskalation der Grenzstreitigkeiten gewarnt

Aktivisten und zahlreiche soziale Organisationen, darunter auch die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung im benachbarten Bundesstaat Chiapas, fordern Gerechtigkeit für die "gefallenen Brüder" und die Anerkennung der Autonomie der indigenen Gemeinschaften. Zudem verlangen sie von den mexikanischen Behörden, die Sicherheit der Bevölkerung von El Platanillo zu gewährleisten.

Der Mord an den Aktivisten reiht sich in eine Welle der Gewalt ein, die den Isthmus von Tehuantepec seit einigen Jahren erschüttert. In einem der jüngsten Vorfälle wurde Ende Januar Arnoldo Nicolás Romero ermordet. Romero war Gemeindevertreter von San Juan Guichicovi, einem Ort in unmittelbarer Nähe zu El Platanillo

Die mexikanische Regierung treibt am Isthmus mit dem sogenanten Interozeanischen Korridor ein gewaltiges Entwicklungsprojekt voran. Der Korridor verbindet mit einem Schienennetzwerk Häfen am Pazifik und Atlantik und wird von der Regierung als Alternative zum Panama-Kanal beworben. Soziale Organisationen, darunter auch Ucizoni, kritisieren die fehlende Konsultation der indigenen Gemeinden über das Vorhaben, das auch zahlreiche Industrieparks mit Steuerbegünstigungen für Investoren vorsieht (amerika21 berichtete). 

Der Korridor soll auch direkte Auswirkungen auf die Eskalation der Gewalt in der Region haben. El Universal berichtet, dass seit der Ankündigung des Projekts das Interesse an Grundstücken in strategischen Lagen stark gestiegen ist. In der Folge habe die Zahl der Landkonflikte, Vertreibungen und Morde erheblich zugenommen.

 

Mexiko: Die US-Waffen und die Kartelle

Mittwoch, 12. Februar 2025

 

(Oder: von sich wiederholenden US-Mustern in Mexiko und Haiti)

(zas, 12.2.25) Am 7. Februar antwortete die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum auf ein Communiqué des US-Justizministeriums[1], das die Vernichtung der mexikanischen Kartelle ankündet, ohne dass, wie sie betont, ersichtlich sei, wie genau dies vor sich gehen solle: «Und gibt es dort [USA] keine Kartelle oder organisierte Kriminalität? (…) Sie haben viel in den USA zu erledigen. Wer betreibt dort die Verteilung der Drogen? Wer verkauft die Droge, die soviel Unheil anrichtet? Wohin geht das Geld aus dem Verkauf dieser Droge?» Sie fügte an: «Wie kommt es, dass einzig für die US-Armee bestimmte Waffen in Mexiko sind? Wer verkaufte sie? Wie gelangten sie in unser Land? Es gibt einen wichtigen Teil, den sie erledigen müssen.» In einem am folgenden Tag erschienenen Artikel wird sie um eine Präzisierung zur mündlichen Übereinkunft mit Trump befragt, wonach Mexiko die Anstrengungen gegen die Fentanyl schiebenden Kartelle und die USA ihre gegen den Waffenhandel mit genau diesen Organisationen verstärken wollen. Sie antwortete: «Ich habe ihn auf dieses Thema angesprochen. Er kannte es wirklich kaum. Ich sagte ihm: ‘Also, wie ist es möglich, dass ein Raketenwerfer für ausschliesslichen Gebrauch der US-Armee in Mexiko bei einer Gruppe der organisierten Kriminalität beschlagnahmt wird?’»

Dieser Teil des Telefongesprächs Sheinbaum/Trump, in dessen Folge Washington die Verhängung von Importzöllen auf Waren aus Mexiko suspendierte, geht in den Medien meist unter. Zwar lässt sich die Waffenhilfe aus den USA an die Kartelle nicht mehr durchs Band verdrängen – schliesslich laufen genau dagegen in den USA seit 2021 zwei von Mexiko angestrengte Gerichtsverfahren, eines vor einem erstinstanzlichen Gericht, das andere vor dem Supreme Court. Doch im Einklang mit Trump beschäftigt die meisten Medien (nicht aus Mitgefühl mit MigrantInnen) fast einzig die Frage: Spurt Mexiko jetzt an der Grenze oder nicht?

 

Daten des Ministeriums

Im Juni letzten Jahres konnte die Gruppe «Stop US Arms to Mexico» sich dank eines FOIA-Gesuchs Zugang zu Daten der ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives), eine Sektion des US-Justizministeriums, erstreiten, die sie im Bericht The Iron River of Weapons to Mexico: Its Sources and Contents kommentierte. Die ATF konzentriert sich bei den in Mexiko von kriminellen Strukturen beschlagnahmten Waffen plus der geringeren Zahl von beim Schmuggel nach Mexiko sichergestellten Waffen insbesondere auf deren Herkunft, soweit ermittelbar. Wir lesen: «ATF identifiziert weiterhin mehr als zwei Drittel dieser Waffen als aus den USA stammend, dort hergestellt oder importiert in die USA und über die Grenze USA/Mexiko gehandelt. Ungefähr die Hälfte des verbleibenden Drittels ist  von unbekannter Herkunft, so dass der Anteil von Waffen aus den USA vermutlich sogar noch höher liegt.»

«Nur eine kleine Zahl der nach Mexiko gehandelten Waffen werden dort beschlagnahmt. Die beste Analyse der 2010 bis 2012 aus den USA nach Mexiko gehandelten Schusswaffen – damals betrugen die Herstellung oder der Import in die USA von Schusswaffen rund die Hälfte des Jahres 2022 – schätzte, dass in den USA 253'000 Waffen pro Jahr zwecks Export nach Mexiko erworben werden.[2] Pro Jahr werden in Mexiko rund 20'000 Waffen beschlagnahmt und zur Ermittlung ihrer Herkunft vorgelegt.»

Die ATF ermittelte im Fiskaljahr 2023 die Herkunft von 1’392 in den USA sicher gestellten Schusswaffen. Für die Periode 2015-2022 ermittelte sie die Herkunft von 133'558 in Mexiko und von 40’978 in Honduras, El Salvador und Guatemala beschlagnahmten Waffen.[3] Für Mexiko kam das US-Ministerium auf 952 Waffenhersteller, wobei allein die vier Unternehmen Smith & Wesson, Colt, Glock und Beretta für 30 % der Befunde stehen. Dabei geht es auch um hochpotente Waffentypen:

«Mexiko beschlagnahmte von 2015 bis 2022 siebenhundert Gewehre vom Kaliber .50 und allein die mexikanische Armee stellte 2023 weitere hundert dieser Waffen sicher. Die meisten dieser Gewehre vom Kaliber 0.50 werden von Barrett Firearms in Tennessee hergestellt. Das Unternehmen ist ebenfalls angeklagt im mexikanischen Verfahren gegen Hersteller. Diese Gewehre können Ziele in einer Entfernung von fast einer Meile genau treffen und Polizeihelikopter abschiessen. Wegen ihrer Reichweite gibt es in den USA fast keine Übungsgelände. Für Communitymitglieder gibt es dafür in den USA keinen legitimen Gebrauch –auch nicht in Mexiko, wo die kriminellen Organisationen sie als bevorzugte Waffe (…) gebrauchen.»

Der Bericht «Iron River…» hält noch Folgendes fest: «Mexiko ist in Lateinamerika der bei weitem grösste Importeur von Schusswaffen aus den USA. Unter einer neuen, vom Commerce Department im April 2024 bekanntgemachten Regel für Schusswaffenexporte würde Mexiko trotz der wachsenden Gewalt, die eine militarisierte Sicherheitspolitik nicht reduzieren konnte, einen privilegierten Status bekommen.» Während anderswo US-Waffenexportlizensen neu jährlich erneuert werden müssen, bleibt es für Mexiko bei allen vier Jahren.

Weiter ist zu lesen: «Im März 2024 hat Mexiko nach US-Handelsdaten mehr als 14'000 Militärgewehre in den USA erworben – mehr als der gesamte Rest der Welt in diesem Monat. Es kaufte im Februar in den USA auch 414 Maschinengewehre. Diese Handelsdaten enthalten keine Angaben zu den Endbenutzern, aber der Gebrauch dieser Waffentypen ist nur für Militär und Polizei bestimmt  

 

Auch in Haiti

Verschiedene Mainstreammedien, darunter CNN, berichteten um den 10. Februar von unter Trump massiv ausgedehnten Spionageflügen der US Air Force entlang der mexikanischen Grenze. Diese Medien stellen unisono einen Zusammenhang mit der Grenzmilitarisierung gegen die migrantische «Invasion» und mit möglichen US-Militärschlägen gegen Kartelle und dem damit verbundenen Risiko einer massiven Zuspitzung der ohnehin angespannten Beziehungen mit Mexiko her. Dass diese Kunde herumgeht, dürfte sehr wohl dem Interesse des Rechtsradikalismus in Washington dienen. (Trump wurde in seiner ersten Amtszeit daran gehindert, ein paar Raketen auf mexikanische Kartelle abzufeuern.) Übereinstimmend auch die Einschätzung, dass der sog. Antidrogenkampf und damit zusammenhängend der Grenzschutz immer mehr der Armee zufallen, nicht mehr wie bisher mehr oder weniger zivilen Apparaten.

In Haiti, wo die USA nicht lockerlassen, brutale Statthalteregimes ein- und nach Verschleiss abzusetzen, kommen bekanntlich die meisten Waffen der paramilitärischen Banden aus den USA. Das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) hatte schon im März 23 einen diesbezüglichen Bericht herausgegeben. Die UNODC-Delegierte für Zentralamerika und die Karibik, Silvie Bertrand, sprach von «kriminellen Netzwerken in den USA», die den Schmuggel kontrollieren. Während es den USA gelingt, mit UNO-Zuspruch Besatzungstruppen auf der Insel einzusetzen, sieht man sich back home ausser Stande, auch nur einige Waffenschieber dingfest zu machen. Letztere operieren laut UNODC oft aus Florida. Dort war Trumps Justizministerin (die ihr oben erwähntes Dekret mit «Total Elimination» der Kartelle betitelt) Generalstaatsanwältin. Krimineller Terror in Haiti, in Mexiko, anderswo, der geradezu nach einer starken militärischen US-Hand ruft… Wie das Tom Homan, der «Grenzzar» Trumps, im erwähnten CNN-Artikel ausdrückt: «Ich denke, die Kartelle wären dumm, es mit der Armee aufzunehmen, aber wir wissen, sie haben es mit der mexikanischen Armee aufgenommen, aber jetzt haben wir die US-Armee (…) Erwarte ich eine Gewalteskalation? Absolut.»



[2] Bezieht sich auf eine Untersuchung des Trans-Border Institute der University of San Diego von 2013.

[3] Die ATF-Datenbank hält für El Salvador im Jahr 2015 auffallend viele beschlagnahmte Waffen fest, 4161, und 2844 im Folgejahr. Dank sank die Zahl auf deutlich unter 2000. 2015 war der Höhepunkt des Kriegs der Maras gegen die damalige FMLN-Regierung und damit einhergehend der enorm hohen Mordrate im Land.