In den letzten Tagen und Wochen zeichnet sich immer mehr eine Regimestrategie ab, die spezifisch auf die Zerschlagung von Oppositionskräften zielt. Neben der allgemeinen Repressionspolitik gegen die Unterklassen (offiziell über 80'000 Menschen wegen angeblicher Maramitgliedschaft im schwarzen Loch der Foltergefängnisse weggesperrt). Sie soll die Bevölkerung einzuschüchtern, so dass sie auch gegen dramatische Notlagen – zusätzlich angefeuert mit dem jetzt abgesegneten Deal mit dem IWF – trotz abnehmendem Support für das Regime nichts unternehme.
Eine neue Stossrichtung
Doch die direkt politisch ausgerichtete Repressionsvariante nimmt zu. Da sind die fünf Compañeros der Comunidad Santa Marta, beschuldigt, als Mitglieder der Guerilla im Bürgerkrieg eine Frau umgebracht zu haben. Real geht es dabei um das mittlerweile per Gesetz offizialisierte Vorhaben Bukeles, den seit Jahren verbotenen Bergbau massiv anzukurbeln (in den Augen des IWF eine der Haushaltstabilisierung dienende «Massnahme»). Santa Marta war Teil des Antiminen-Widerstands im vergangenen Jahrzehnt. Die Fünf wurden nach langer Haft von einem Gericht freigesprochen, doch die Generalstaatsanwaltschaft ordnete ein neues Verfahren an.
Schwerwiegend war die Gefangennahme der gesamten Führung der Alianza Nacional (AN), die primär KriegsveteranInnen beider Seiten für Proteste mobilisieren konnte. letzten Mai. Einen Tag vor dem Antritt zu einer verfassungswidrigen Amtsperiode Bukeles am letzten 1. Juni. Die Compañeros sitzen unter dem Vorwand, sie hätten am 1. Juni Sprengstofffanschläge auf Tankstellen, Märkte und Regierungseinrichtungen geplant. Absurd. Einer der Verhafteten, der ehemalige Guerillakommandant Atilio Montalvo, war nach einer mehrmonatigen schweren Krankheitskrise gerade am Wiedererlernen von Sprechen und Gehen. Die meisten der Verhafteten sind betagt und leiden an schweren, jetzt kaum behandelten chronischen Krankheiten.
Mitte Februar wurde Eugenio Chicas, früherer Präsident des Wahlgerichts TSE und scharfer Regimekritiker, verhaftet. Faktischer Auslöser: Die geplante Zeugenaussage von Chicas im Verfahren gegen Santa Marta. Er war ein Führungsmitglied der Guerillafraktion, die in der Region von Santa Marta operierte. Zudem steht er auf der persönlichen Hassliste von Bukele, da er diesen noch kurz vor seinem ersten Amtsantritt gerichtlich zur Zahlung einer grösseren Geldmenge wegen Verleumdung gezwungen hatte.
Eugenio Chicas bei einer fast verheimlichten Gerichtsvorführung gestern: "Ich bin ein politischer Gefangener". Video: El Mundo
Angriff auf Basiswiderstand
Vor wenigen Tagen wurde Fidel Zavala verhaftet. Sein Leben ist in Gefahr. Er, damals Kleinunternehmer, war kurz vor Ausrufung des Ausnahmezustandes 2022 unter Betrugsverdacht verhaftet worden. Dank seiner Ausbildung bekam er im Gefängnis als Privileg die Aufgabe, jeden Ab- und Zugang in den Massenzellen zu protokollieren. So erlangte er neben der Erfahrung der eigenen physischen Misshandlung einen detaillierten Einblick in die obrigkeitliche Folter- und Mordpraxis in den Gefängnissen im «Ausnahmezustand». Im Prozess wurde er letztes Jahr freigesprochen. In Freiheit legte er aufsehenerregende Zeugnisse über den Terror im Knast ab und identifizierte einen der schlimmsten Folterwärter. Von seinen Erfahrungen erschüttert, wurde er, ein ehemaliger Bukelefan, im Bewusstsein der damit verbundenen Risiken aktives Mitglied der UNIDEHC (Unidad de defensa de los derechos humanos y comunitarios), der Rechthilfestelle des Bloque de Resistencia Popular, des grössten Zusammenschlusses oppositioneller Sozialbewegungen.
Die Generalstaatsanwaltschaft (FGR) begründete seine Verhaftung mit dem Fall der Comunidad La Floresta, einer semiurbanen Wohnsiedlung beim Ort San Juan Opico im Landeszentrum. Dort tauchte plötzlich ein angeblicher Besitzer der seit über 15 Jahren bewohnten Siedlung auf und stellte Strafanzeige wegen Verletzung seines Privateigentums. Die FGR verhaftete im Februar ungefähr 20 BewohnerInnen der Floresta unter dem Vorwand, sie hätten die Siedlung parzellieren und illegal verkaufen wollen. Die UNIDEHC und mit ihr Fidel Zavala haben die BewohnerInnen in ihrem Kampf rechtlich begleitet. Nach einer weiteren Verhaftungsaktion am 26. Februar begleitete Zavala eine Delegation der Comunidad zur staatlichen Menschenrechtsprokuratur. Wenige Stunden später wurde er in den Räumlichkeiten der UNIDEHC verhaftet, wo die Beamten nach einer ergebnislosen Durchsuchung Computer und andere Arbeitsmaterialien der Organisation abschleppten. Gleichzeitig drangen Beamte in das Haus der bekannten UNIDEHC-Anwältin Ivania Cruz ein, wo sich ihre Mutter befand, und beschlagnahmten dort Material eines Bruders der Anwältin. Ivania Cruz und Rudy Joya, ein weiterer mit La Floresta befasster Anwalt der Gruppe befanden sich, was die Staatsanwaltschaft natürlich wusste, zu diesem Zeitpunkt auf Arbeitsreisen im Ausland.
Fidel Zavala befindet sich zurzeit offenbar in Polizeihaft. Wird er in ein Gefängnis eingeliefert, droht ihm eine schwere Rache seitens der Folterwärter. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass die FGR gestern auf X die Sache eskalierte. Sie schrieb unter dem Hashtag RedDeEstafadores (Betrügernetz): «Diese Struktur wird von Anwälten und inexistenten, nicht gewinnorientierten Organisationen gebildet, die das Eindringen in fremdes Eigentum vorantrieben und den Opfern versicherten, sie als legitime Eigentümer dieser Terrains zu akkreditieren, wofür sie eine monatliche Zahlung verlangten.» Noch perverser die folgende FGR-Meldung: «Betrügernetz: Während der Untersuchungen ergab sich, dass die Nichtregierungsorganisation, mit der sie operierten, in den zuständigen Stellen nicht eingeschrieben ist (…), was sie zu einer rechtswidrigen Vereinigung macht, mit der sie versuchten, die Bevölkerung zu täuschen.» (Mit Organisation ist die UNIDEHC gemeint.) «Ilegale Vereinigung» - der Anklagepunkt gegen alle unter dem Ausnahmeregime Eingesperrten. Natürlich ist die UNIDEHC, wie sie sofort auf X antwortete, Teil des Bloque, keine NGO, folglich nicht im NGO-Register. Sie schrieb: «De FACTO eine Organisation zu haben, macht diese nicht zur kriminellen Vereinigung». Das ist der Kernpunkt. Denn die selbst für bukelistische Verhältnisse haarsträubende Argumentation der FGR beinhaltet klar die Drohung, künftig jede missliebige Basisorganisation als kriminelle Vereinigung zu verfolgen.
Im aktuellen Fall geht es um die Leute der Floresta, die UNIDEHC und damit den Bloque. Die Tragweite ist enorm. Die jetzige Eskalationsstrategie des bukelismo ist zum einen als präventive Massnahme gegen eine mögliche Verschärfung der sozialen Rebellion gegen die mafiöse Oligarchie[1] und seine IWF-Politik zu begreifen, und zum andern auch durch das Gefühl der Straffreiheit, das sich aus dem kuschligen Gefühl der Nähe zu der Macht in Washington ergibt. Dennoch und zu Recht insistieren UNIDEHC und Bloque jetzt auf der Notwendigkeit einer auch internationalen Solidarisierung. Aus einem einfachen Grund: Bisher hat das Regime nur Konzessionen auf nationalen und internationalen Druck hin gemacht.
[1] Als Beispiel für diese Charakterisierung: Der Name eines angeblichen Besitzers der Floresta ist bekannt, nur kennt niemand den Mann. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um einen Strohmann. Auf dem Gebiet der Floresta soll eine Siedlung sehr Begüterte entstehen. Das Problem dabei: Selbst in der Umgebung der Hauptstadt hält sich die Kauflust für solche Objekte angesichts der wirtschaftlichen Notlage in Grenzen; wer dafür in der Provinz viel Geld ausgeben will, bleibt ein Geheimnis. Real dürfte es sich um eine Geldwaschanlage für den grossen Drogenhandel handeln, ähnlich wie sich vor Jahren «gehobene» Restaurants und Hotels entlang der Meeresküste aneinanderreihten und regelmässig tolle Gewinne auswiesen, trotz weitgehend kümmerlicher Kundschaft…