(Oder: von sich wiederholenden US-Mustern in Mexiko und Haiti)
(zas, 12.2.25) Am 7. Februar antwortete die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum auf ein Communiqué des US-Justizministeriums[1], das die Vernichtung der mexikanischen Kartelle ankündet, ohne dass, wie sie betont, ersichtlich sei, wie genau dies vor sich gehen solle: «Und gibt es dort [USA] keine Kartelle oder organisierte Kriminalität? (…) Sie haben viel in den USA zu erledigen. Wer betreibt dort die Verteilung der Drogen? Wer verkauft die Droge, die soviel Unheil anrichtet? Wohin geht das Geld aus dem Verkauf dieser Droge?» Sie fügte an: «Wie kommt es, dass einzig für die US-Armee bestimmte Waffen in Mexiko sind? Wer verkaufte sie? Wie gelangten sie in unser Land? Es gibt einen wichtigen Teil, den sie erledigen müssen.» In einem am folgenden Tag erschienenen Artikel wird sie um eine Präzisierung zur mündlichen Übereinkunft mit Trump befragt, wonach Mexiko die Anstrengungen gegen die Fentanyl schiebenden Kartelle und die USA ihre gegen den Waffenhandel mit genau diesen Organisationen verstärken wollen. Sie antwortete: «Ich habe ihn auf dieses Thema angesprochen. Er kannte es wirklich kaum. Ich sagte ihm: ‘Also, wie ist es möglich, dass ein Raketenwerfer für ausschliesslichen Gebrauch der US-Armee in Mexiko bei einer Gruppe der organisierten Kriminalität beschlagnahmt wird?’»
Dieser Teil des Telefongesprächs Sheinbaum/Trump, in dessen Folge Washington die Verhängung von Importzöllen auf Waren aus Mexiko suspendierte, geht in den Medien meist unter. Zwar lässt sich die Waffenhilfe aus den USA an die Kartelle nicht mehr durchs Band verdrängen – schliesslich laufen genau dagegen in den USA seit 2021 zwei von Mexiko angestrengte Gerichtsverfahren, eines vor einem erstinstanzlichen Gericht, das andere vor dem Supreme Court. Doch im Einklang mit Trump beschäftigt die meisten Medien (nicht aus Mitgefühl mit MigrantInnen) fast einzig die Frage: Spurt Mexiko jetzt an der Grenze oder nicht?
Daten des Ministeriums
Im Juni letzten Jahres konnte die Gruppe «Stop US Arms to Mexico» sich dank eines FOIA-Gesuchs Zugang zu Daten der ATF (Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives), eine Sektion des US-Justizministeriums, erstreiten, die sie im Bericht The Iron River of Weapons to Mexico: Its Sources and Contents kommentierte. Die ATF konzentriert sich bei den in Mexiko von kriminellen Strukturen beschlagnahmten Waffen plus der geringeren Zahl von beim Schmuggel nach Mexiko sichergestellten Waffen insbesondere auf deren Herkunft, soweit ermittelbar. Wir lesen: «ATF identifiziert weiterhin mehr als zwei Drittel dieser Waffen als aus den USA stammend, dort hergestellt oder importiert in die USA und über die Grenze USA/Mexiko gehandelt. Ungefähr die Hälfte des verbleibenden Drittels ist von unbekannter Herkunft, so dass der Anteil von Waffen aus den USA vermutlich sogar noch höher liegt.»
«Nur eine kleine Zahl der nach Mexiko gehandelten Waffen werden dort beschlagnahmt. Die beste Analyse der 2010 bis 2012 aus den USA nach Mexiko gehandelten Schusswaffen – damals betrugen die Herstellung oder der Import in die USA von Schusswaffen rund die Hälfte des Jahres 2022 – schätzte, dass in den USA 253'000 Waffen pro Jahr zwecks Export nach Mexiko erworben werden.[2] Pro Jahr werden in Mexiko rund 20'000 Waffen beschlagnahmt und zur Ermittlung ihrer Herkunft vorgelegt.»
Die ATF ermittelte im Fiskaljahr 2023 die Herkunft von 1’392 in den USA sicher gestellten Schusswaffen. Für die Periode 2015-2022 ermittelte sie die Herkunft von 133'558 in Mexiko und von 40’978 in Honduras, El Salvador und Guatemala beschlagnahmten Waffen.[3] Für Mexiko kam das US-Ministerium auf 952 Waffenhersteller, wobei allein die vier Unternehmen Smith & Wesson, Colt, Glock und Beretta für 30 % der Befunde stehen. Dabei geht es auch um hochpotente Waffentypen:
«Mexiko beschlagnahmte von 2015 bis 2022 siebenhundert Gewehre vom Kaliber .50 und allein die mexikanische Armee stellte 2023 weitere hundert dieser Waffen sicher. Die meisten dieser Gewehre vom Kaliber 0.50 werden von Barrett Firearms in Tennessee hergestellt. Das Unternehmen ist ebenfalls angeklagt im mexikanischen Verfahren gegen Hersteller. Diese Gewehre können Ziele in einer Entfernung von fast einer Meile genau treffen und Polizeihelikopter abschiessen. Wegen ihrer Reichweite gibt es in den USA fast keine Übungsgelände. Für Communitymitglieder gibt es dafür in den USA keinen legitimen Gebrauch –auch nicht in Mexiko, wo die kriminellen Organisationen sie als bevorzugte Waffe (…) gebrauchen.»
Der Bericht «Iron River…» hält noch Folgendes fest: «Mexiko ist in Lateinamerika der bei weitem grösste Importeur von Schusswaffen aus den USA. Unter einer neuen, vom Commerce Department im April 2024 bekanntgemachten Regel für Schusswaffenexporte würde Mexiko trotz der wachsenden Gewalt, die eine militarisierte Sicherheitspolitik nicht reduzieren konnte, einen privilegierten Status bekommen.» Während anderswo US-Waffenexportlizensen neu jährlich erneuert werden müssen, bleibt es für Mexiko bei allen vier Jahren.
Weiter ist zu lesen: «Im März 2024 hat Mexiko nach US-Handelsdaten mehr als 14'000 Militärgewehre in den USA erworben – mehr als der gesamte Rest der Welt in diesem Monat. Es kaufte im Februar in den USA auch 414 Maschinengewehre. Diese Handelsdaten enthalten keine Angaben zu den Endbenutzern, aber der Gebrauch dieser Waffentypen ist nur für Militär und Polizei bestimmt.»
Auch in Haiti
Verschiedene Mainstreammedien, darunter CNN, berichteten um den 10. Februar von unter Trump massiv ausgedehnten Spionageflügen der US Air Force entlang der mexikanischen Grenze. Diese Medien stellen unisono einen Zusammenhang mit der Grenzmilitarisierung gegen die migrantische «Invasion» und mit möglichen US-Militärschlägen gegen Kartelle und dem damit verbundenen Risiko einer massiven Zuspitzung der ohnehin angespannten Beziehungen mit Mexiko her. Dass diese Kunde herumgeht, dürfte sehr wohl dem Interesse des Rechtsradikalismus in Washington dienen. (Trump wurde in seiner ersten Amtszeit daran gehindert, ein paar Raketen auf mexikanische Kartelle abzufeuern.) Übereinstimmend auch die Einschätzung, dass der sog. Antidrogenkampf und damit zusammenhängend der Grenzschutz immer mehr der Armee zufallen, nicht mehr wie bisher mehr oder weniger zivilen Apparaten.
In Haiti, wo die USA nicht lockerlassen, brutale Statthalteregimes ein- und nach Verschleiss abzusetzen, kommen bekanntlich die meisten Waffen der paramilitärischen Banden aus den USA. Das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) hatte schon im März 23 einen diesbezüglichen Bericht herausgegeben. Die UNODC-Delegierte für Zentralamerika und die Karibik, Silvie Bertrand, sprach von «kriminellen Netzwerken in den USA», die den Schmuggel kontrollieren. Während es den USA gelingt, mit UNO-Zuspruch Besatzungstruppen auf der Insel einzusetzen, sieht man sich back home ausser Stande, auch nur einige Waffenschieber dingfest zu machen. Letztere operieren laut UNODC oft aus Florida. Dort war Trumps Justizministerin (die ihr oben erwähntes Dekret mit «Total Elimination» der Kartelle betitelt) Generalstaatsanwältin. Krimineller Terror in Haiti, in Mexiko, anderswo, der geradezu nach einer starken militärischen US-Hand ruft… Wie das Tom Homan, der «Grenzzar» Trumps, im erwähnten CNN-Artikel ausdrückt: «Ich denke, die Kartelle wären dumm, es mit der Armee aufzunehmen, aber wir wissen, sie haben es mit der mexikanischen Armee aufgenommen, aber jetzt haben wir die US-Armee (…) Erwarte ich eine Gewalteskalation? Absolut.»
[1] S. dazu; https://www.dlapiper.com/en-us/insights/publications/2025/02/attorney-general-memos-on-cartels-and-joint-task-force
[2] Bezieht sich auf eine Untersuchung des Trans-Border Institute der University of San Diego von 2013.
[3] Die ATF-Datenbank hält für El Salvador im Jahr 2015 auffallend viele beschlagnahmte Waffen fest, 4161, und 2844 im Folgejahr. Dank sank die Zahl auf deutlich unter 2000. 2015 war der Höhepunkt des Kriegs der Maras gegen die damalige FMLN-Regierung und damit einhergehend der enorm hohen Mordrate im Land.