El Salvador: Angst- und Mordkampagne im Departement Cabañas

Donnerstag, 30. Juli 2009

Angst- und Mordkampagne im Departement Cabañas

Massaker und Todesschwadronen hatten in Cabañas den linken Widerstand während des Krieges fast ausgelöscht. Caciques herrschen im alten Stil. Das einzige Department, in dem der FMLN bei den letzten Lokalwahlen nicht eine Gemeinde gewann. Doch der Widerstand gewinnt auch hier an Terrain. Zwei Ereignisse liessen aufhorchen – ein Protest gegen den Wahlbetrug und ein zäher Widerstand gegen eine geplante Todesmine. In der Gemeinde San Isidro mussten letzten Januar wegen massiver Strassenproteste die Gemeindewahlen wiederholt werden. Auf den Wahllisten waren zahlreiche honduranische BürgerInnen aufgeführt. Bei der Wahlwiederholung hatte sich an der Wahlliste nichts geändert, dafür aber an San Isidro: Es war von Spezialeinheiten der Polizei regelrecht besetzt. Der amtierende Bürgermeister von ARENA gewann die Wahl. Er ist ein vehementer Befürworter des gescheiterten Minenprojektes des kanadischen Unternehmens Pacific Rim auf dem Gemeindegebiet. Dabei zum Einsatz gekommene Zyanid und Schwermetalle hätten das Grundwasser schwer verseucht. Nun schlagen die Ultras zurück: Marcelo Rivero von der Departementsleitung des FMLN und der nationalen Allianz von Umwelt- und Basisgruppen gegen die Minenprojekte, der Mesa contra la Minería, wird ermordet, linke Journalisten werden bedroht und ein Priester rettet sich mit einem Sprung in eine Schlucht.


„Ich werde jung sterben“

Aus der Tageszeitung Co-Latino, 27. Juni 2009:

Gloria Silvia Orellana

Das Schweigen, welches das Haus von Marcelo Rivera einhüllt, wird vom Telefonklingeln unterbrochen. Ein anonymer Anruf. In einem Brunnen namens El Lagarto im Städtchen Ilobasco „gibt es einen vor einigen Tagen ermordeten Jungen“, eine Tat, für die angeblich die Maras [Strassenbanden] verantwortlich sind. Margarita, die Schwägerin von Marcelo, notiert hastig die Angaben und richtet sie ihrem Mann Miguel aus, der seit acht Tagen zusammen mit einer Gruppe von FreundInnen und Nachbarn nach seinem Bruder sucht.

„Das Verschwinden von Marcelo hängt nicht mit der normalen Kriminalität zusammen“, sagte Margarita, die wie der Rechtsvertreter der Asociación de Amigos de San Isidro, Orlando Velasco, eine eigene „Theorie“ von einem möglichen Auftragsmord verficht. Velasco erinnerte daran, dass Marcelo ihm vor einigen Wochen erzählt hatte, wie eine Gruppe von Minenangestellten die Casa de la Cultura besucht haben. „Er schilderte mir, dass mehrere Männer gekommen waren und ihn beschimpften“. Margarita Pineda schilderte ihrerseits, dass sie gehört hatte, wie Marcelo seinem Bruder gesagt hatte: „’Ich werde jung sterben, noch vor meiner Mutter’, und als ich ihn fragte warum er das sagte, schwieg er. Nie hat er mir gesagt, ob ihn jemand bedroht“. Sie prangerte auch an, dass an einem vom Bürgermeister organisierten Stadtfest von San Isidro ein Pamphlet verteilt wurde, dass seine Ehre und sein Privatleben in den Schmutz zog.

Don Orlando Velasco berichtete seinerseits, dass sie das Verschwinden von Marcelo bei der Polizei von San Isidro, Sensuntepeque (Departementshauptstadt) und Ilobasco angezeigt, aber nur in Ilobasco Hilfe bekommen haben.

Das Foto von Marcelo Rivera ist auf den Haustüren im Städtchen angebracht, auf den wichtigen Strassen, an der Casa de la Cultura, wo ein kleiner Altar mit Kerzen hervorsticht und Junge sich auf die am 24. Juni begonnene Mahnwache vorbereiten. Margarita erklärt: „Wir suchen jeden Tag, die Gruppen aus 60, 52 und 22 Personen suchen ihn von Sensuntepeque bis Ilobasco“.
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Mit Tränen verabschieden sie sich von Marcelo Rivera



Redaktion Co-Latino


(15. Juli 2009) San Isidro, Cabañas. Seine Angehörigen, Freunde, Nachbarn. Seine SchülerInnen, Kollegen aus der Asociación. Seine Parteigenossen, seine Mitstreiter im Kampf gegen die Minen… Alle. Vielleicht sogar seine Mörder. Fast immer sind es Angehörige oder nächste Freunde, die einen Verstorbenen mit Weinen verabschieden. Selten sieht man an einer Beerdigung alle Teilnehmenden weinen. Das Begräbnis von Gustavo Marcelo Rivera Moreno ist eine dieser Ausnahmen, ein kollektives Weinen von Hunderten von Kindern, Jungen und Alten, Frauen und Männern.

Marcelo war während drei Wochen verschwunden und wurde dann ermordet, mit Folterspuren, aufgefunden. Vertreter der Umweltschutzbewegung von Cabañas versichern, dass Rivera Moreno in den letzten Monaten Opfer von Verfolgung und Drohungen war, besonders seit den Parlaments- und Gemeindewahlen vom 18. Januar, als er den Protest gegen den mutmasslichen Betrug seitens des ARENA-Bürgermeisters von San Isidro, José Ignacio Bautista, anführte. Seit fünf Jahren war Gustavo Marcelo auch führend im Widerstand gegen die kanadische Minengesellschaft Pacific Rim, die den salvadorianischen Staat vor einem Unternehmensgericht der Weltbank wegen Nichterteilung der Betriebsbewilligung für die Mine El Dorado nur zwei Kilometer ausserhalb von San Isidro anklagt.

Am vergangenen Freitag, dem 10. Juli, bestätigte das Gerichtsmedizinische Institut, dass es sich bei der drei Tage zuvor in einem Brunnenschacht von 30 Meter gefundenen Leiche um die von Gustavo Marcelo handelte. „Es waren zwanzig Tage einer beklemmenden Suche“, sagt Miguel Rivera, der noch nicht dazu gekommen ist, seinen Bruder zu beweinen. Seine Empörung vermag mehr als die Trauer. Ihn ärgert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft voreilig verkünden, „es handelt sich um ein gewöhnliches Verbrechen“, da sich Gustavo Marcelo „mit einer Gruppe von Mara-Mitgliedern unterhalten hat, die ihm nach einer hitzigen Diskussion das Leben nahmen“.

Miguel beharrt darauf, dass Marcelo kein Säufer war, auch kein Raucher, und keine Beziehungen mit Bandenmitgliedern gehabt hat. „Die Untersuchungen müssten von den Drohungen ausgehen, die er wegen seines Widerstands gegen das Minenprojekt und den ARENA-Wahlbetrug in San Isidro erhalten hat“, meint ein anonym bleiben wollender Vertreter einer Menschenrechtsgruppe.

Bewohner von San Isidro bemerken auch, dass Rivera Moreno in offiziellen Mitteilungen der Gemeindeverwaltung von San Isidro angeschwärzt worden ist. „Im Programm des letzten Stadtfestes und in einem Pamphlet, das danach erschienen ist, haben sie jede Menge Beleidigungen gegen ihn vorgebracht“, sagt ein Mitglied des Comité de Búsqueda de Marcelo (Suchkomitee), einer Brigade von Anwohnern, die Strassen, Berge und Flüsse in der Gegend nach ihm durchsucht haben.

Nach der Messe begleiten Hunderte den Lehrer, Umweltschützer, Kulturaktivisten und Politiker auf seinem letzten Gang durch das Städtchen, das er verteidigt hat. Er geht aus der Casa de la Cultura hinaus, wo seine Leiche aufgebahrt gewesen ist, kommt an seinem Haus vorbei und an der ASIC, der Asociación Amigos de San Isidro, die er geleitet hat, und kehrt ins Zentrum zurück, wo ihn eine Gruppe von jungen Leuten mit seinem Lieblingslied „Camarada“ der venezolanischen Gruppe Guaraguo begrüsst.

Vorne im Leichenzug wechseln sie sich beim Tagen des Sarges ab. Dahinter hält eine Gruppe Jugendlicher ein Transparent hoch: „Marcelo. Niemand wird deine Stimme zum Schweigen bringen. Wir verlangen Gerechtigkeit! Sie können die Menschen töten, aber nicht die Ideen“. Danach die Menge. Eine Frau wird ohnmächtig. Man hört Weinen, Stimmen: „Mir gefiel es, wenn er den Cipitío nachmachte“ (mythologische Figur), gesteht ein Mädchen. „Er kam in die Comunidad und öffnete uns die Augen“, sagt eine Frau.

Gustavo Marcelo kommt an der Schule vorbei und dann am Polizeiposten, wo man wenig Interesse an der Mordaufklärung zeigt. „Die hiesige Polizei schützt mehr den Bürgermeister als das Volk“, beklagt ein Herr. „Sie muss gesäubert werden“.

Die geprüfte Mutter schafft es bis zum Eingang des Friedhofs. Ihr Sohn ging bis zum Schluss, bis dorthin, wo er sagte, dass er gehen würde. Vor seiner Beerdigung: ein Gesang, ein Gebet, viele Parolen, die Worte eines Angehörigen, ein anderes Lied, ein Gebet, eine Rede des FMLN-Abgeordneten Sigfrido Reyes. Alle wollen Gustavo Marcelo etwas mitteilen, bevor sie gehen.

„Hier bleibt dein San Isidro, dein Fluss Titihuapa, dein von den Minen befreites Gebirge. Hier gehen wir deinen Weg weiter und werden voller Stolz unser Erbe verteidigen, damit wir, wenn wir morgen ein Kind im Schatten eines Baumes am Lesen antreffen, in ihm dein Gesicht, dein lebendes Gesicht, erkennen“
, heisst es in einem der vorgelesenen Briefe.

Danach Tränen und eine anschwellende Parole: „Was will das Volk von San Isidro? Gerechtigkeit!“
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Morddrohungen gegen Journalisten

Aus einem Communiqué vom 27. Juli des Basiskomitees Asociación de Desarollo Económico y Social – ADES Santa Marta im Norden des Departments zu Morddrohungen gegen das regionale Basisradio Victoria:

[Insbesondere] seit dem 23. Juli erhalten die vier Programmmacher telefonische und schriftliche Drohungen, dass sie „die Nächsten“ sind, „auf der Liste“ stehen, sich „vorsehen“ sollen, „da ihr in San Isidro zu viel geredet habt“, ein klarer Hinweis auf den Zusammenhang zwischen diesen Drohungen und dem Verschwinden und der Ermordung des Genossen Gustavo Marcelo Rivera.
Diese neuen Vorfälle stellen eine Gefahr für das Leben der jungen Journalisten dar, von denen einer noch minderjährig ist … Sie belegen die Straflosigkeit, mit der diese Machtgruppen die Bevölkerung im Department einschüchtert.
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Einen Tag später ein weiteres Communiqué von ADES – Santa Marta. Auszüge daraus:

Priester Opfer eines Mordversuchs


Der in der Verteidigung der Menschenrechte engagierte Padre Luis Quintanilla ist am Montag, den 28. Juli 2009, Opfer eines Mord- und Entführungsversuchs geworden. Er fuhr auf der Strasse von Ciudad Victoria nach Sensuntepeque, als ihn vier bewaffnete Maskierte anhielten und ihn zu entführen suchten. Glücklicherweise konnte der Geistliche in eine Schlucht entkommen.

Padre Luis Quintanilla, Marcelo Rivera und die vier Journalisten von Radio Victoria haben eine aktive Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte und der Opposition gegen alle Projekte innegehabt, die gegen die Umwelt und die Demokratie verstossen, wie die Minenausbeutung und der Wahlbetrug in San Isidro. Wie die Programmmacher von Radio Victoria hat der Priester in den letzten telefonische Morddrohungen erhalten. Drohungen wie „mit den verfluchten, als Priester getarnten, Roten aufräumen“ oder „dass er ruhig sein solle, wenn er nicht wolle, dass ihm das Gleiche wie Marcelo zustosse“.

Ultrarechte, mit der Organisierten Kriminalität verbandelte Gruppen wollen die Bevölkerung des Departements Cabañas weiter einschüchtern und verüben Anschläge auf das Leben von sozialen, ökologischen und politischen AktivistInnen. Die Nachlässigkeit von Staatsanwaltschaft und Polizei auf departementaler Ebene fördert und schützt diese Verletzungen. Deshalb verlangen wir von den zuständigen Behörden und der neuen Regierung eine umfassende Untersuchung dieser gravierenden Vorfälle. Von der internationalen Gemeinschaft erbitten wir Wachsamkeit für die politische Verfolgung, welche die SalvadorianerInnen erleiden. Wir bitten darum, Druck auf die salvadorianischen Behörden auszuüben, damit der Rechtsstaat und die Menschenrechte in El Salvador respektiert werden.