Warum ich manchmal den Radio abstelle

Samstag, 25. Juli 2009

(25.7.09) Morgenstund hat Gold im Mund.

Auch in der heutigen Morgensendung von Radio DRS: „Rund einen Monat nach seiner Entmachtung hat der gestürzte Präsident Zelaya einen zweiten Versuch unternommen, in seine Heimat zurückzukehren. Er weilte aber nur für eine Stunde auf honduranischem Boden und zog sich angesichts der drohenden Festnahme nach Nicaragua zurück. Die USA riefen Zelaya auf, Provokationen zu unterlassen“.

So kurz und konzis informiert, verzichte ich auf Aufklärung zu weiteren Themen und schalte das Radio ab. Obwohl solche Nachrichten ihren Infowert haben: Du weisst jeweils, wie es nicht ist. Aber fortzu belogen werden, schlägt aufs Gemüt.

Ein (masochistischer?) Blick in die heutige, als Kommentar daherkommende Honduras-Hetze in der NZZ und einer auf einen kürzlichen Erguss zum Thema von Sandro Benini im Tagi bestätigen: Die Medienwelt ist gleich beschissen wie gestern. Ich weiss jetzt: Da sucht einer Zoff, spuckt grosse Töne, legt sich mit einem Artgenossen ("Stier, Macho" – so der feine Slang der NZZ für den Präsidenten und den Putschisten) an und verhindert damit die Lösung für Honduras, wie sie Washington doch vorschlägt: „im Kern also eine Rückkehr Zelayas und dessen De-facto-Neutralisierung“ (NZZ). Diesen von Washingtons Laufbursche Arias von Costa Rica vorgelegten „Kompromiss der Vernunft“ stören aber Chávez und Castro und Zelaya ist ihr Komplize. Hier trifft sich der eigentlich nicht wirklich mit dem Putsch glückliche NZZ-Kommentator mit dem Primitivling vom Tagi, der nicht begreift, warum die OAS nicht, statt dumm zu tun wegen Honduras, mit allen Kanonen auf Chávez schiesst.

Das alles bringen die Profis von DRS mit ihren Sätzen auf den Punkt: USA sagen, Zelaya Provokateur, so sein.

Das Wichtige bleibt ausgeblendet
Uns bleibt so unnützer mentaler Ballast erspart. Etwa das Wissen, dass in den Grenzdepartementen ab 12h mittags ein Ausgehverbot herrschte – damit keine Massen an der Grenze ihren Präsidenten unterstützen. Dass unzählige Polizei-und Armeesperren tausende und tausende von DemonstrantInnen aufgehalten haben – unter anderem mit häufigem Gummigeschoss- und Tränengaseinsatz. Dass dennoch einzelne Gruppen auf Gewaltmärschen über die Berge den Weg zum Grenzposten Las Manos gefunden haben, dort aber von der Guardia unterdrückt wurden. Dass die Militärs dabei Tränengas und Gummigeschosse einsetzten, was bei zwei der Angegriffenen Schussverletzungen bewirkte, und zwar mit Kugeln aus einem M16-Sturmgewehr… Wir erfahren auch nichts von der Freude der Leute, die mutig Zelaya begleiteten, als es ihnen gelang, trotz Armeeaufmarsch einige Meter auf honduranischen Boden vorzustossen – kein Anlass für Antinationale, die Nase zu rümpfen, sondern erst mal dazu, zu begreifen zu versuchen, was die Leute bewegt. Wir bleiben verschont von Erwägungen, dass ein gewählter Präsident friedlich versucht, in sein Land zurückzukehren, was Hillary Clinton „unvernünftig“ nennt. Ein Land, aus dem er vertrieben wurde, nicht, wie mainstreammedial im Einklang mit den PutschistInnen gelogen, weil er sich selber an der Macht verewigen wollte, sondern weil die Unterklassen die Gelegenheit wahrnehmen wollten, per Verfassungsreform so entsetzliche Zumutungen durchzudrücken wie Privatisierungsverbot für Wasser, Minderbeachtung der Patentrechte der Pharmamultis gegenüber dem Lebensrecht der Plebs in den öffentlichen Spitäler (Generika aus Kuba) oder erstmals die Anerkennung der Rechte der Comunidades der Indígenas und der Garifunas (schwarz-amerindigene Bevölkerung, entstanden durch die Vereinigung geflohener afrikanischer Ex-SklavInnen und der indigenen Comunidades an der Küste von Belice bis Nicaragua).

Korkenknallen
Bei welchem Putsch haben die Korken in den Redaktionsstuben rund um die „freie Welt“ so richtig geknallt? Richtig, April 2002, Venezuela. Unvergessen, wie sie eifrig den Militärstiefel leckten, die Klugen, die ExpertInnen, die besonders Demokratischen, die Welterziehungsberufenen, Stiefel, von denen sie wussten, dass sie in der richtigen Richtung marschierten. Die ganze antrainierte Demokratieleier wie weggeblasen von der überbordenden Freude, dass ein währschafter Mann den Chávez zum Teufel spediert hatte (ein Demokrat, der alsogleich alle gewählten Instanzen im Land absetzte und die Truppen zum Schiessen in die Volksquartiere jagte). Zwei Tage später kam damals der grosse Katzenjammer, als der Putsch scheiterte. Die Lektion ist heute gelernt, doppelt: a) Man soll den Tag nicht vor dem Abend oder den Putsch nicht vor seinem Gelingen loben. b) Man verstecke die MittäterInnenschaft hinter „neutraleren“ Formulierungen. Man befürworte die Stossrichtung des Putsches bei Washington-geeichtem democracy-Formalismus: eben der „Rückkehr Zelayas und [ihrer] De-facto-Neutralisierung“.

„Vermittlung“ gegen die Volksbewegung
Der imperialistische Druck auf Zelaya für eine Fortführung der „Vermittlung“ des costaricanischen Präsidenten Arias wird zunehmen. Was Arias in seinem ersten Anlauf präsentierte, war genau die von der NZZ gefeierte „De-facto-Neutralisierung“ dessen, wofür die Regierung Zelaya stand. Zelaya sagte „ja“ dazu, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Das postulierte Prinzip der Regierung der „nationalen Einheit“ müsse auf allen Ebenen gelten, also auch in bisher geschützten Putschbereichen wie dem Wahlgericht oder dem aus PolitjuristInnen der beiden reaktionären Grossparteieien bestallten Obersten Gericht. Zelaya gab unter Druck zweifellos viel preis, vielleicht zuviel – aber vergessen wir nicht, dass die Bewegung sich nach wie vor auf ihn bezieht.

Den Gorilettis stiess beim Arias-Vorschlag aber auf, dass Zelaya überhaupt im Spiel bleiben sollte und sie sagten nein. Worauf Clinton ihnen sagte, sie sollten sich künftig benehmen, sonst werde man sauer (Streichung von Hilfe. Arias stieg auf das Gorillaspiel ein – Zeit gewinnen, Zeit gewinnen für den Putsch – und präsentierte einen weiteren, noch katastrophaleren Vorschlag, in dem die Rückkehr Zelayas weit hinten im Text in einer aseptischen Formulierung verpackt wurde. Worauf das Zelaya-Lager fand, es sei die Zeit fürs Handeln gekommen und eben den Rückkehrversuch startete. Clinton will Zelaya unbedingt von der eigentlichen Macht, die dem Putschdesign im Weg steht, entfremden, der demokratischen Volksbewegung. Zehntausende von Menschen haben sich diese Woche an Demos und Blockadeaktionen beteiligt, die vor allem das Kapital als putschtreibende Kraft trafen. Etwa an den Strassensperren zwischen der Maquilazone östlich der Industriemetropole San Pedro Sula und dem wichtigen Handelshafen Puerto Cortéz am Atlantik. Viele der Beteiligten haben die Nächte an den Blockaden und Sammelpunkten verbracht, auch als Schutz gegen die zunehmenden Verhaftungsaktionen – auch von Verschwundenen ist die Rede. Natürlich droht der Bewegung stets ein bisher ausgebliebenes Blutbad massiven Ausmasses. Ausgeblieben, nicht der Demokratiediskurs bei den lokalen und transnationalen „Eliten“ wirklich Spuren hinterlassen hätte, sondern viel mehr wegen der Einschätzung, mit einem Massaker in Honduras erst recht den lateinamerikanischen Befreiungskräften („Populismus“) in die Hände zu spielen.


Der Putsch als vermeintliche, die Partizipation als reale Gefahr
Also zurück zu Arias, sagen Clinton und die mediale Politkorruption. Arias war als Vermittler übrigens nicht zufällig auch von Goriletti ins Spiel gebracht worden war (Washington Post, 8.7.09, Juan Forero und Glenn Kessler: Costa Rican to Be Honduras Mediator). Der ehemalige US-Botschafter in Honduras, Crescencio Arcos, weiss: „Die USA haben [mit der Ernennung Arias zum Vermittler] die Chance genutzt, die ganze honduranische Krise dem spürbaren Einfluss der Südamerikaner, also von Chávez, Kirchner, Correa zu entziehen und sie regionaler Schiedsgerichtbarkeit zu unterstellen. Das ist jetzt weniger ideologisch“ (id.). Der Ex-US-Botschafter Jeffrey Davidoff erklärt uns das mit „weniger ideologisch“: „Die Bedrohungen der Demokratie in Lateinamerika, und ich will in keiner Weise minimalisieren, was in Honduras geschah … kommen nicht aus Militärputschen, sondern eher von Regierungen, welche die Checks and Balances ignorieren und andere Regierungselemente aushebeln“ (WP, 6.7.09, Mary Beth Sheridan: For U.S. and OAS, New Challenges to Latin American Democracy). Davidoff fungierte anlässlich des „Amerikagipfels“ vom letzten April als Obamas Lateinamerikaberater. Die Bedrohung ist nicht der Putsch, sondern zum Beispiel eine Verfassung, die das Recht auf Privateigentum nicht mehr als über allem anderen stehend institutionell verankert.