Wahrscheinliches Szenarium: „Gegenputsch“

Mittwoch, 15. Juli 2009

Guido Eguigure

(15.7.09)Worin die Leute heute, am fünfzehnten Tag des Putsches, übereinstimmen, ist dass das Fass voll ist. Das meint, dass weder der Widerstand noch das nichtorganisierte Volk, auch nicht die Privatunternehmer, die internationale Gemeinschaft und die Regierung im Widerstand die Lösung des Putschproblems weiter hinauszögern können. Ob der gewählte Präsident Zelaya zurückkehrt oder nicht, eine Lösung muss her. Der massive Widerstand der Bevölkerung im Innern und die internationale Verurteilung draussen konfigurieren eine nicht von vornherein zu verneinende Lösung.

Wie vorausgehen, kam der angekündigte Dialog in San José zwischen den putschistischen Kriminellen und dem demokratisch gewählten Präsidenten dort an, wo er hinführen musste: nirgends. Der Schuss der Putschisten ging nach hinten los und sie erhielten keine internationale Unterstützung ausser seitens der gusanos von Miami {wörtlich Würmer, traditionelle Bezeichnung für die CIA-kubanische Mafia} und des zwischen Präsident Zelaya und der Aussenministerin Clinton vereinbarten „Dialogs“. Ohne diesen könnten sie sich nicht einmal ausser Landes begeben, da ihnen eine Gefangennahme wegen Verletzung des internationalen Rechts und der Wiener Konvention wegen der Entführung von Botschaftern drohen würde.

Die Lösung muss also rasch kommen. Die Privatunternehmen fallen unter ihrem eigenem gewicht. Sie haben ihren Königszug gemacht, als sie ihre Angestellten bezahlt und bedroht haben, damit sie an einem Tag die Plätze von San Pedro Sula und Tegucigalpa füllen, um den Eindruck zu wecken, die Putschisten erfreuten sich grosser Unterstützung im Volk. Die grossen Privatunternehmen sind bis auf wenige Ausnahmen daran gewöhnt, vom Betrug zu leben. Von der Plünderung des Staates auf tausend Weisen. Ali Baba würde im Vergleich zu den Manövern und faulen Tricks der in ihrem Unternehmerverband vereinten vierzig Räuber wie eine Schülerbub aussehen. Was sie für einen Sonntagsspaziergang hielten, hat sich in einen Alptraum verwandelt. Ihre Lieblingsgeschäfte – Finanzspekulation, Geldwäsche, Handel mit Ramsch oder plastic food – stürzten ab. Copán, das Alexandria der Mayas, und Roatán, das Karibikparadies, hatten mitten in der Hochsaison keine TouristInnen. Die Gorillas werden sich ihres krassen Fehlers bewusst und ihre verlangen jetzt von ihnen Rechenschaft und legen den Rückwärtsgang ein.

Vor einigen Tagen zirkulierten Versionen, wonach sich einige Offiziere in Militärbasen dem Putsch widersetzt haben und verhaftet worden seinen. Jetzt heisst es, dass der Obergorilla, General Romeo, in einer Militärbase inhaftiert sei. All dies zeigt uns, dass es in den Reihen der Putschisten viele Spaltungen gibt. Die Situation ist, so sehr sie sie als normal hinstellen, ausser Kontrolle geraten. Diese Information würde die These vom kleineren Übel bestätigen. Das meint, dass der Widerstand ein entscheidender Faktor dafür war, die Kapazität der Putschisten, an allen Fronten zu widerstehen, zu unterminieren. Sowohl national wie international ist die Lage auf tausend Arten kritisch. Die Putschisten haben die Nationale Widerstandsfront nicht spalten können. Das war trotz aller Manöver unmöglich, inklusive der Beteuerung Gorilettis in seiner ersten Radio- und Fernesehkette, das Statut des Lehrers nicht zu eliminieren. Die Lehrer, nicht naiv, wissen, dass, kaum wäre der erste Druck vorüber und die konsolidierte sich die Diktatur, sie an der Reihe wären. Trotz einiger Opportunisten, deren zeit abgelaufen ist, ist die Leitung der Lehrer gegen den Putsch und die Putschisten.

Positiv angeschaut, haben der Putsch und die Gorillas zustande gebracht, was Jahrzehnte von Volkskämpfen nicht erreicht haben: die Einheit der Linken ohne Wenn und Aber. In der Nationalen Widerstandsfront vereint, ist sie exponentiell gewachsen, was Beteiligung, Kampfmittel und Protest- und Ausdrucksformen anbelangt. Sie haben den Putschisten Schach geboten, deren Financiers und erst recht den Nordamerikanern, deren Kalküle Schiffbruch erlitten haben.

Das macht die Lage so dringlich und deshalb werden sie sich für das kleinere Übel entscheiden, bevor der Widerstand noch weiter geht, dessen Anführer an Erfahrung gewinnen, an Kampf und insbesondere auch an Fähigkeit, sich abzusprechen und den Weg der Einheit zu begehen. Wie weit sie kommen können, wissen wir nicht. Jetzt geht es nicht nur um die Wiedereinsetzung von Präsident Zelaya, sondern um die Volksbefragung, die Konstituente, die neu Verfassung und, letztlich, um ein Land ohne Korruption und Armee. So wie die Dinge stehen, ist es für die Nordamerikaner besser, den Gorilla und seine engsten Kollaborateure aus dem Verkehr zu ziehen, als zu sehen, wie eine keimende Revolution ein für alle Mal die Macht ergreift und alles und alle, ohne Verhandlungen, zum Teufel schickt.

In diesem Szenarium würde Mel irgendwo die grüne Landesgrenze überschreiten. Gleichzeitig würden selbstverständlich „ehrliche“ Militärs, bislang nicht kompromittierte Trümpfe der Nordamerikaner, lösen, was sich sonst zu einem zunehmenden Kopfschmerz auswachsen würde. Goriletti und seine engsten Kollaborateure würden ins Kanalland gehen und die weniger Belasteten würden amnestiert werden. Mel käme an die Macht zurück, die Volksbewegung würde gedämpft und alles wäre wieder „normal“ bis zu den Wahlen im November. Es verbleibe nur wenig Zeit, um auf die Consulta und die Konstituente zurückzukommen.

Es ist offen, ob Präsident Zelaya zugunsten der nationalen Aussöhnung nachgibt und sein grosses Projekt aussen vor lässt. Falls dem so wäre, wäre es erneut extrem frustrierend für die Volksbewegung. Carlos H. Reyes [Gewerkschafter, unabhängiger Präsidentschaftskandidat] wird weiter eine Option bleiben. Ob von Mel Zelaya gesalbt oder nicht, hat er reale Aussichten, den Bipartidismus zu durchbrechen. Aber wie wir ja nicht nur in Honduras sehen, macht eine Schwalbe noch keinen Sommer aus. Die Prekarität der Regierungen aufgrund der Gewaltenteilung zeigt, dass es unmöglich ist, mit weniger als der Hälfte der Instrumente der realen Macht ein Projekt für die Mehrheiten durchzuziehen. Die Tatsachen erteilen der Linken und dem Volk viele Lektionen. Die Geschichte wird uns Recht geben.

Aus rebelion.org, 15.7.09: Honduras: el escenario más posible es un “Contragolpe”


[zas/dd. Die honduranische Zeitung El Tiempo veröffentlicht heute eine Stellungsnahme des „Sprechers des Verteidigungsministers“, Oberst Ramiro Archaga. Es geht um die Äusserungen mehrerer PutschpolitikerInnen auf Tournee in Washington, wonach es ein Fehler der Armee gewesen sei, Zelaya auszuschaffen, statt ihn vor ein nationales Gericht zu stellen. Die Armee, erwidert Archaga, habe genügend Beweismaterial dafür, dass das Vorgehen gemeinsam abgesprochen war. Sie sei nicht die allein Verantwortliche, sondern „wir sind Teil des ganzen Kontexts“. Die Politiker wollten jetzt ihre Hände in Unschuld waschen.
Ein deutliches Beispiel für die von Eguguire angesprochenen Spaltungserscheinungen. Ähnliches hört man eben auch vom Unternehmersektor. Dort dürfte man besonders sensibel auf die Taktik der Widerstandsfront reagieren, die seit ein paar Tagen von den nicht mehr durchzuhaltenden Grossdemos zu Aktionen übergegangen ist, die die Wirtschaft empfindlich treffen – befristete Blockaden wichtiger Handelsstrassen u.ä.]