Putsch ist, wenn die Falschen gewinnen?

Donnerstag, 3. September 2009

Zweierlei US-Mass

28. Juni. Putsch.

29. Juni. Pressekonferenz des State-Department-Speakers Jan Kelly. Pressefrage: “Gibt es eine Zeitlimite, bis wann die Administration darüber befindet, ob ein Militärputsch stattgefunden hat?“ Antwort Jan Kelly: „Ich glaube nicht, dass es eine gibt, aber ich werde Sie darüber informieren, falls es eine gibt“.

28. Juli. Pressekonferenz des State-Department-Speakers Jan Kelly. Pressefrage: „Das Büro des Rechtsberaters untersuchte, ob die Ereignisse in Honduras technisch der Putschdefinition entsprechen …. Haben Sie zu dieser Frage einen Befund gefällt?” Antwort Jan Kelly: “Ich muss Ihnen dazu ein Update besorgen”.

3. September. Das State Department brütet immer noch über der Frage.

Mit Grund: Würde die Antwort „ja“ lauten, müssten laut US-Gesetz über die internationale Hilfe alle Beiträge an die Regierung eingestellt werden. Also hirnt man im State Department immer noch über die Frage nach, ob das ein Putsch war, als vom Armeechef beorderte Einheiten den Präsidenten Mel Zelaya im Pyjama aus seinem Haus holten und in einen Flieger setzten, der erst in der US-Luftwaffenbasis Palmerola zwischenlandete und danach nach Costa Rica zu Clinton-Freund Oscar Arias weiterflog. Denn schliesslich, so die umwerfende Logik der ExpertInnen, gibt es ja auch zivile putschistische Kräfte, womit der Putsch eigentlich keiner mehr ist, sondern bloss etwas Illegales.

Vielleicht kommen die Leute in Washington demnächst zu einem Ergebnis. So tönen es zumindest mehrere Nachrichtenagenturen an. Denn rundum zufrieden mit den Gorilettis sind Obama und Clinton nicht. Sie sperren sich gegen den Clinton-Vorschlag, Zelaya möglichst mit Handschellen und verklebtem Mund auf den Präsidentenstuhl zu hieven, damit er als ein weitgehend stummer „Zeuge“ einer von den Putschkräften beherrschten (also demokratischen) Präsidentenwahl im November fungiere. Die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) will ein unter der Diktatur zustande gekommenes Wahlergebnis nicht anerkennen. Nichts als Ärger also! Zwar gibt es da noch währschafte Politiker wie den costaricanischen Präsidenten Oscar Arias, der weiss, was sich gehört, und gestern meinte, auch solche Wahlen könnten eine Lösung der vertrackten Lage bringen. Aber so sehr die Medieninternationale den Mann auch hochjubelt, die meisten Regierungen im Südkontinent sehen das entschieden anders.

Wir werden es angeblich in diesen Tagen sehen, ob sich Washington offiziell zu einem bindenden Putsch-Verdikt durchringen kann. Möglicherweise werden stattdessen einfach bestimmte Hilfsmodalitäten „suspendiert“. Die Rede ist dabei vor allem von der Millenium Challenge Corporation (MCC), einem von der USAID betriebenen Spezialarm der US-„Hilfe“ für besonders arme Länder, in deren Zentrum der Bau von Infrastruktur für den transnationalen Handel („Entwicklung“) und das Anbinden von Teilen der BäuerInnen an die Weltmarktproduktion stehen. Aus dem MCC-Topf flossen auch nach dem Putsch fleissig Gelder an die Machthaber in Tegucigalpa. Stand Ende August war, dass bis Ende Fiskaljahr 2009 am kommenden 30. September noch weitere $47 Millionen ausgeschüttet werden müssen. Diese Gelder würden im Fall eines Putsch-Verdikts des State Departments sofort gestrichen.

Doch wie wir gesehen haben, ist das eine komplizierte Frage, deren Beantwortung Zeit braucht. Das verdient Washingtoner Center for Economic and Policy Research hat zu diesem Thema letzten August ein Papierchen veröffentlicht, das uns zeigt, dass es manchmal auch schneller geht. Am 17. März 2009 zwang die Armee von Madagaskar den gewählten Präsidenten zum Rücktritt. Drei Tage später fror Washington seine MCC-Zahlungen ein und der von Aussenministerin Clinton präsidierte MCC-Vorstand strich sie definitiv am 19. Mai. In Mauritanien putschten am 6. August 2008 einige zuvor vom verfassungsmässigen Präsidenten entlassene Generale. (Der honduranische Armeechef Vásquez war seinerseits letzten Juni von Zelaya entlassen worden, Die rechte Parlamentsmehrheit „setzte“ ihn jedoch wieder „ein“, auch wenn das Parlament zur Frage des Armeekommandanten nichts zu sagen hat – laut Verfassung.) Am folgenden Tag gab das State Department die Einfrierung sämtlicher Finanzhilfe inklusive der MCC-Gelder bekannt (definitive Streichung durch den MCC-Vorstand am 17. September. Am 9. November 2008 fanden in Nicaragua Gemeindewahlen statt. Die unterlegenen Rechten, Washington und Brüssel sprachen von Wahlbetrug. Am 24. November, knappe zwei Wochen später, wurden die MCC-Gelder für Nicaragua gestrichen. Vielleicht ist Putsch, wenn die Falschen gewinnen?