Die Lage in Honduras

Donnerstag, 3. September 2009


(3.9.09) Die Medieninternationale schreibt Honduras derzeit sehr klein. Nicht, weil dort nichts liefe – im Gegenteil, was läuft, soll entsorgt werden, im Moment mit Totschweigen. Bewusst oder reflexartig werden sowohl die internationale Komplizenschaft mit dem Putsch wie auch und vor allem das Subjekt des Widerstands, die Organisationen der Unterklassen, weg retouchiert. Wenn derzeit etwas berichtet wird, ist dieses Etwas stets in der Sphäre der „hohen Politik“ angesiedelt – in Aussenministertreffen und dergleichen. Der Widerstand wird nicht erwähnt oder, wenn es besonders hoch kommt, als unbedeutend dargestellt. Das hat System.

Die Lage in Honduras entzieht sich der schnellen Beurteilung, zu widersprüchlich sind ihre beiden Haupttendenzen. Negativ schlägt zweifelsohne zu Buche, dass nach über zwei Monaten Putschregime die kontinentale Botschaft ziemlich klar ist: putschen lohnt sich. Die „internationale Gemeinschaft“, also die USA und die EU plus deren Assortiments, mault fürs Protokoll zwar etwas rum, unternimmt aber keine Schritte, dem Regime wirklich den Garaus zu machen. Wir haben im Laufe des Putsches auf dieser Blogseite viele Beispiele für diese „Doppelmoral“ beschrieben. Diese Woche hat, jüngstes Beispiel aus Europa, die Lateinamerikagruppe des EU-Ministerrates beschlossen, entgegen einem spanischen Vorstoss das Putschregime bei den Freihandelsverhandlungen EU/Zentralamerika nicht auszuschliessen. Natürlich wäre es für die honduranische Bevölkerung eine Wohltat, nicht mit diesem Assozierungsabkommen bedroht zu werden, doch für die den Putsch stützende Geschäftswelt im Land würde ein Ausschluss eine äusserst schmerzhafte Beschränkung ihrer künftigen Profitmöglichkeiten darstellen.

Das Counter-Lager
Diese grundsätzliche Einschätzung hat Bestand, selbst falls die Obama/Clinton-Administration nächste Woche, wie Agenturberichte suggerieren, die sich auf verklausulierte Aussagen von US-FunktionärInnen stützen, den Gorilettis mit schärferen Massnahmen wie etwa der Streichung (oder auch nur Suspendierung) von relevanten finanziellen Hilfspaketen kommen sollte. Sie hat Bestand, weil klar ist: Mel Zelaya ist erfolgreich vertrieben worden. Selbst wenn er, was ziemlich unwahrscheinlich erscheint, im Rahmen des so genannten Arias-Plans als faktisch entmachteter Figurationspräsident zwecks „ordentlicher Absegnung“ des angelaufenen Prozesses für die allgemeinen Wahlen vom nächsten November zurückkehren könnte – die Dynamik seiner Regierung, mit Unterstützung der Sozialbewegungen soziale und internationale Reformen im ALBA-Geist voranzutreiben, würde der Vergangenheit angehören. Doch die Machthaber in Tegucigalpa scheinen nicht daran zu denken, Zelaya die Rückkehr ins Land zu erlauben. Die Aussenministergruppe der OAS, die zu diesem Behuf kürzlich im Land weilte, musste unverrichteter Dinge abziehen. Militärchef Vásquez, sein De-facto-Präsident Micheletti und die ganze Bande befürchten einerseits, dass eine wie auch immer konditionierte Rückkehr eine gigantische Pandora-Büchse öffnen würde, unter anderem auch die strafrechtliche Untersuchung ihrer Verbrechen seit dem Putsch vom 28. Juni. Zum anderen scheinen sie sich stark zu fühlen aufgrund der Unterstützung nicht nur des Grossteils der Republikanischen Partei in den USA, sondern auch der blue democrats, des so genannt konservativen Flügels also jener Partei, für die die beiden Clintons stehen.

Das Obama-Dilemma
Die Obama-Administration hat aber nicht nur nationale, sondern auch kontinentale Probleme zu berücksichtigen. Mit der scharfen Eskalation der Bedrohung unbotmässiger Länder über die US-Militärbasen in Kolumbien, die Obama durchgesetzt hat, schwimmt Washington im Süden ein wichtiges Fell davon. Obamas Sprüche von der „neuen Partnerschaft“ im Kontinent, analog zur good neigborhood-Politik von Roosevelt in den 1930er Jahren, stossen heute bitter auf (ausser natürlich in der Medieninternationalen). Dieser policy approach entsprach der taktischen Anerkennung von Machtverhältnissen, nach den Fehlschlägen der US-Politik wie dem Putschversuch in Venezuela und dem Apartheidsezessionismus in Bolivien und der beachtlichen Folge mehr oder weniger linker Wahlsiege (vgl. Zur Lateinamerikapolitik von Mr. Doubletalk und Obama und die Putschgeister). Zwar deutet die Eskalation in Kolumbien daraufhin, dass dieser soft approach von Anfang an nur als Begleitstück für die knallharte militärische Eskalation gedacht war, doch ihn einfach mit einer offenen Unterstützung des Putsches in Honduras definitiv über Bord zu werden, entspricht nicht den US-Interessen.

Möglich also, aber überhaupt nicht sicher, dass die Administration Obama nächstens von ihrer bisherigen Politik, dem Putschregime den Rücken zu stärken, etwas abrücken wird. Vermutlich würden in so einem Fall einige relevantere Finanzhilfen an das Regime gestoppt werden, auf keinen Fall aber werden die USA ihre regionale Militärbase Palmerola (und den Aufbau einer weiteren an der Atlantikküste) aufgeben. Eine Rückkehr Zelayas im Sinne des von Clinton inspirierten Plans des costaricanischen Präsidenten Oscar Arias möglichst kurz vor dem Wahltermin zwecks Legitimierung eines Wahlprozesses, dessen leitende Instanzen wie das Oberste Wahlgericht zu den Kernkräften des Putsches gehören, wäre eigentlich ideal und würde die „Opferung“ einer Figur wie Micheletti im Nu mit sich bringen.

Die Dokumente in den Händen der BäuerInnen

Es gibt da bloss einen Umstand, der all diese schönen Kalküle unsicher macht und es Washington erschwert, einen Schritt vorwärts zu machen: Die Widerstandsbewegung gegen den Putsch. Sie ist es, die die anfangs erwähnte Siegesmeldung vom erfolgreichen Putsch in Frage stellt. Seit 70 Tagen ist sie jeden Tag auf der Strasse, trotz manchmal brutaler Repression. Lesen wir, was uns der honduranische Sozialforschers Ricardo Arturo Salgado sagt: „Der sensible Agrarsektor ist total gelähmt, da die Einrichtungen des Nationalen Agrarinstituts seit dem Putschtag landesweit von Campesinos besetzt sind. Diese Compañeros werden täglich mit der Räumung bedroht, aber ihre Entschlossenheit hat die Repression verhindert. Historisch ist die Frage des Landeigentums in Honduras von grosser Bedeutung. Sämtliche Unterlagen über Konflikte zwischen Grossgrundbesitzer und Campesinos werden jetzt von Compañeros der Bauernzentralen bewacht und Micheletti hat einen Minister ernannt, der seine Büros nicht betreten kann“ (alai, 31.8.09: Honduras: Golpistas en campaña electoral).

Seit vorgestern sind zum Beispiel auch die zentralen Installationen der Strom- und der Wasserversorgung von den Angestelltengewerkschaften besetzt. Grund: Das Regime zahlt keine Löhne mehr aus, kein sehr geschickter Schachzug in einer Situation, in der es den endemischen Streiks gegen den Putsch im öffentlichen Sektor Herr werden will. Die Putschzeitung La Tribuna berichtete gestern auch, dass 2500 Angestellte die Zentralen für Tiefbau, Transport und Wohnungswesen besetzt haben. Grund: ausgebliebene Lohnzahlungen. Offenbar sind die Regierungskassen langsam wirklich leer geplündert. Nach Angaben des rechtmässigen Notenbankpräsidenten Edwin Araque haben sich die Gorilettis bisher an fast $500 Millionen der beim Putsch $2.5 Milliarden betragenden Währungsreserven gütlich getan (El Tiempo, 2.9.09). Diese düstere Reservensituation ist ebenso wie von Salgado referierte Mitteilung des Unternehmerverbandes, dass allein im Juli 50'000 Arbeitsplätze verloren gingen, Anzeichen für eine katastrophale Wirtschaftssituation.

Der Mafioso als Putschchef
In einem von rebelion.org übernommenen Telefoninterview mit der chilenischen Tageszeitung Clarín berichtet die gerade geschasste Leiterin des staatlichen Zeitungsarchivs, Natalie Roque Sandoval, nicht nur über Gründe für ihre Entlassung, sondern äussert sich auch zur Widerstandsbewegung, der sie selber angehört. Unter ihrer Ägide wurde vor einigen Wochen jene Zeitungsnotiz über die Verhaftung eines gewissen Romeo Vásquez am 15. Februar 1993 zu Tage gefördert, die danach in vielen Medien (natürlich nicht den hiesigen) die Runde machte: Vásquez, heute als Armeechef der starke Mann im Putschlager, war damals wegen organisiertem Autodiebstahl aufgeflogen! Auch über andere Regimegrössen wusste Roque Sandoval Interessantes zu berichten, so etwa über den (Anwärter auf den Papstposten und) Kardinal Oscar Rodríguez, der „1980 in die Vertuschung eines Massakers an Salvadoreños involviert war“ (In dem in den 90er Jahren aufgekommenen, extrem brutal operierenden Autodiebstahlbusiness von den USA bis Zentralamerika waren geheimdienstliche und militärische Elemente verschiedener Länder involviert. Beim erwähnten Massaker dürfte es sich um jenes vom 14. Mai 1980 am Grenzfluss Sumpul handeln, als bis an 600 flüchtende Campesinas, Campesinos und Kinder von salvadorianischen Soldaten und Paramilitärs mit aktiver Schützenhilfe honduranischer Armeeeinheiten in einer „Hammer- und-Amboss-Operation“ umgebracht worden sind. Offenbar wusste Monseñor schon damals die Seinen zu segnen.)



„Die Geschichte wird täglich auf den Strassen geschrieben“
Und dies sagt die Historikerin zur Widerstandsbewegung: „Die Geschichte von Honduras ist seit dem 28. Juni neu definiert worden. Das honduranische Volk ist aufgewacht, mit einer enormen Klarheit und Bewusstheit. Es hat das Trauma der Repression der Militärregimes der 60er und 70er Jahre und die Doktrin der Nationalen Sicherheit der 80er Jahre überwunden, ist während zwei Monaten im Widerstand auf die Strasse gegangen und wird dies solange weiter tun, wie es nötig ist. Die Geschichte wird täglich in den Strassen geschrieben, von diesem Volk, das sich erhoben hat. Wenn die neue Geschichte von Honduras aufgebaut wird, wird die Widerstandsfront gegen den Putsch als Wasserscheide in unsere Geschichte eingehen. Die honduranische Gesellschaft ist transformiert, die Widerstandsbewegung umfasst breite Sektoren der honduranischen Gesellschaft und befindet sich an der Tür für eine veritable nationale Transformation“.

Ein führendes Mitglied des salvadorianischen FMLN, der die Ereignisse natürlich mit grösster Intensität verfolgt – auch die salvadorianische Rechte frohlockt über den Putsch – sagte heute: „Ja, die Putschisten haben Mel Zelaya vertreiben können. Das ist gefährlich. Aber sie können ihr Regime nicht stabilisieren. Die revolutionären Kräfte in Honduras haben einen enormen Sprung vorwärts gemacht“.