Matagalpa, Wahllokal am frühen Sonntagmorgen |
Sergio Ferrari, Gérald Fioretta
(Manauga, Matagalpa, 7.11.11) Keine Meinungsumfrage, nicht einmal die optimistische, sah die Resultate voraus, die der Oberste Wahlrat CSE gegen Mitternacht Ortszeit veröffentlichte. Es handelt sich um einen überwältigenden Sieg der vom Frente Sandinista de Liberación Nacional angeführten Allianz in den Wahlen für die Präsidentschaft, das nationale und das zentralamerikanische Parlament. In der ersten Zählung sechs Stunden nach Schliessung der rund 12'000 Wahltische erhielt der amtierende Präsident Daniel Ortega zwei Drittel der Stimmen, doppelt soviel wie die vier konkurrierenden Rechtsparteien zusammen. Weit mehr als die 25 Prozent der von unabhängigen Liberalen und DissidentInnen des Movimiento de Renovación Sandinista gebildeten Allianz. Und noch weiter vor dem mit spärlichen 7 Prozent auf den dritten Platz verwiesenen Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán. Obwohl erst ein kleiner Teil ausgezählt ist, ist die Tendenz unumstösslich. Der 66-jährige Ortega ist der Architekt des höchsten, seit Beginn der demokratischen Etappe nach der sandinstischen Revolution von Juli 1979 in diesem zentralamerikanischen Land erreichten Wahlresultats. Der FSLN verdoppelte beinahe seine 38 Prozent bei den Wahlen 2006, die ihn damals in einem extrem fragilen Kontext an die Regierungsmacht zurückbrachten. Der Sieg heute eröffnet sogar die Aussicht auf eine absolute Mehrheit im 90-köpfigen Parlament.
Und ist genügend klar, um den „institutionalistischen“ Anschuldigungen zu begegnen, welche die Opposition seit langem wegen eines Verfassungsbruchs bezüglich der Wiederwahl von Ortega vorträgt. Die derart grosse Differenz zwischen Ortega und seinen Konkurrenten dürfte auch die permanenten Anschuldigungen bezüglich Unregelmässigkeiten entkräften. Für Ortegas Gegner war der FSLN seit Monaten an der Vorbereitung eines Wahlbetrugs. Für lokale Beobachter ist ein Wahlbetrug angesichts der rund 25'000 fiscales (offizielle ParteivertreterInnen zur Beobachtung der Vorgänge am Wahltisch), hunderter internationaler BeobachterInnen und einem gut entwickelten Wahlreglement fast unmöglich. Zum Beispiel haben nur wenige lateinamerikanische Länder WählerInnenlisten (an den Wahltischen) mit Personalien und Bild der wahlberechtigten Person, das mit jenem im Personalausweis übereinstimmen muss.
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Der Wahlsieg ist der Lohn für Politik, die auf zahlreichen sozialen Projekten basiert, der Rückkehr zu einem kostenlosen Erziehungswesen, der wachsenden Anstrengung für eine Umverteilung des Reichtums bei einem anhaltenden Wachstum, dem Ende der zuvor fast permanenten schweren Energiekrise im Land und fortschrittlichen und autonomen lateinamerikanischen Integrationsschritten.
Jetzt, in der Stunde des Sieges, wo es im ganzen Land Volksfeste gibt, sind aber auch grosse Herausforderungen zu konstatieren. Erstens der Rückschritt, den die Abschaffung des historischen Rechts auf Abtreibung bei medizinischer Indikation bedeutet. Ein hoher Preis für eine schon vor einigen Jahren neu geschmiedete Allianz mit den Kirchen, insbesondere mit der katholischen Hierarchie. Zweitens der neue, fast charismatische, tief-religiöse Diskurs von Daniel Ortega und seiner Umgebung. Ortega will seinen früheren Marxismus überwinden, um ein „christliches, sozialistisches und solidarisches“ Nicaragua (Hauptwahlslogan des FSLN) zu entwerfen. Und drittens die Notwendigkeit einer Nachfolge. Daniel Ortega wird sein Mandat 2016 71-jährig beenden, in einem Land, in dem die Jungen unter 25 Jahren dominieren und in einer demokratischen Dynamik, die neu Gesichter braucht.
Diese offenen Fragen mindern die Bedeutung des überwältigenden sandinistischen Wahlsieges nicht. Sieg eines FSLN, der es 1979 verstand, bewaffnet an die macht zu gelangen. Der danach seine Transformation von einer Guerilla in eine Wahlpartei vor niemandem verheimlichte. Der fähig war, die Wahlniederlage 1990 anzuerkennen und zu verdauen. Der danach bis 2006 ruhig und würdig seine Oppositionsrolle wahrnahm. Und der es heute, mit einem wiederbelebten Sozialprogramm und plebisziert von einer grossen Mehrheit, verdient, weiter zu regieren.
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(zas) Nach Auszählung von rund 15 Prozent der Stimmen gab der Oberste Wahlrat ein Resultat von 63.95% für den FSLN und 29.09% für den zweitplazierten PLI bekannt. Mit allen Resultaten (für die Präsidentschaft) wird man in einigen Stunden rechnen können.
Wie vorausgesehen, schreit die Rechte jetzt Wahlbetrug. Die BeobachterInnenmission der OAS beklagt, nicht überall beobachtet haben zu können. Es wird sich noch weisen, was an solchen Vorwürfen dran ist. Die OAS-Mission war in früheren Wahlgängen, ebenso wie einige der in hiesigen Medien als „unabhängig“ und „angesehen“ charakterisierte Organisationen wie „Ética y Transparencia“, im Stande, absolut wilde, turbulente Wahlbetrugs-Massenevents in transparente Demokratievorgänge umzuwandeln. Die OAS hatte in Haiti wiederholte Male die stärkste Partei von der Wahlteilnahme ausgeschlossen und zuletzt mit dafür gesorgt, dass inmitten eines allgemeinen Wahlbetrugs der genehme, nämlich rechtsradikale Diktaturanhänger Präsident wurde.