Nicaragua: Rechter Terror in Matagalpa

Freitag, 18. November 2011




Gérald Fioretta

(15.11.11) Kein Tag vergeht, ohne dass die Compañeras und Compañeros aus der Stadt oder vom Land mir gravierende „Anekdoten“ erzählen, die den Plan beleuchten, mit dem die Rechtspartei PLI (Partido Liberal Independiente, die grosse Wahlverliererin) versucht hat, die Wahlen vom 6. November zu trüben.

Gestern war ich in La Trinidad um die Compas des Movimiento Comunal (Quartierorganisation), das mit Delémont eine Partnerschaft hat,  zu besuchen. Sie erzählten mir, wie die „Aktivsten“ des PLI versucht haben, am Samstag die Anlieferung der Wahlunterlagen an die Wahltische zu verhindern und wie sie am Sonntag Steine auf die Wahllokale schmissen. Das Gleiche geschah bei vielen Wahlzentren meiner Stadt, Matagalpa, auch in meinem Wahllokal im Quartier Pancasán, wo ich Zeuge davon war, wie ein gewichtiger Produzent von Matiguás (Ortschaft im Department) arme (bezahlte?) Bauern auf seinem Pickup in die Nähe der Schule Arturito Mendoza transportierte, um zu versuchen, sie zu erstürmen. Aber sie mussten dank der aus dem Quartier rasch dazu stossenden Unterstützung für die einen Schutzkreis um das Lokal bildenden Compas des Frente Sandinista flüchten, sogar ohne dass wir anschliessend mit einem Steinhagel eingedeckt wurden.

Viel schlimmer, was man mir in ländlichen Gemeinden erzählt hat, etwa in La Dalia, vorallem in San Joachim und speziell in San Benito, wo sie Urnen verbrannt und Frauen beleidigt und auf eine Weise sexuell angegriffen haben, die ich nicht schildern will. Ich hatte die Gelegenheit, mit einer Lehrerin zu sprechen, die in San Benito Opfer solcher sexueller Gewalt wurde und die uns die Wunden an ihren Beinen zeigte. In San Joachim kehrten die den Wahltransport begleitenden Compas der Kooperative um, als sie die Vandalen auf der Strasse nach El Tuma sahen, die ihnen abpassten, um die Wahlunterlagen zu verbrennen, und überquerten den Tuma-Fluss zu Fuss auf der Hängebrücke, um (nach vier Stunden Fussmarsch) nach La Dalia zu gelangen. In Wasaka Uno erzählte mir eine Hebamme, dass ihr Mann und ihr Sohn Schussverletzungen erlitten, als sie samstags nachts nach Yale aufbrachen, um die Urnen zu bewachen. In Muy Muy berichteten mir die Mitglieder des Basis-NGO Odesar, wie die Leute des PLI am Samstag das Büro des Obersten Wahlrates stürmten; am Sonntag hätte es ohne Polizeipräsent Tote in den sandinistischen Reihen gegeben, die die Stimme des Volkes schützten.

In Matiguás kenne ich Yasser, einen jungen FSLN-Aktivisten, persönlich – mit acht Jahren hatte er Gelegenheit, in den Schweizer Bergen Ski zu fahren, als er seine Grossmutter Antonieta, unsere Seelenschwester, begleitete, die wir nach Italien und in die Schweiz eingeladen hatten, da sie, bevor sie an ihrer Krankheit stürbe, noch gerne Europa kennen lernen wollte. Seit einigen Monaten arbeitete Yasser für die Departmentsleitung des FSLN in der Gemeinde Matiguás in der Wahlkampagne. Zwei Tage vor der Wahl wollten sie ihn töten und seinen Wagen verbrennen, als er von La Patriota abfuhr. Es gelang ihm, zu Fuss zu entkommen und sich einen Tag im Gestrüpp zu verstecken, bis ihn der sandinistische Bürgermeister von Muy Muy retten konnte.

In San Dionisio berichteten mir die Compas des Lokalbüros von Odesar vom Abfackeln eines Motorrades und eines Pickups durch den PLI. In El Zapote war es der Lehrer selbst, PLI-Mitglied, der zusammen mit einem vandalischen Haufen die Schule stürmte und das Wahlmaterial verbrannte. Am Dienstag, dem 8. November, teilen ihm die Eltern, ohne auf sein Klagen einzugehen, entschieden und mutig mit, dass er nie wieder nach El Zapote zurückkehren solle.

Soweit dieses einfache Zeugnis von Taten, die ausser den direkten Opfern kaum jemand kennt. Wovon reden die rechten TV-Sender und die ebenfalls rechten Zeitungen von Managua, wenn sie von Wahlgewalt im Norden reden? Ich hatte mir nicht vorgestellt, dass die Realität derart verzerrt würde.

 Aber schön ist, dass das für das Volk schon Geschichte ist, passé. Die gleichen Leute, die mir diese „Anekdoten“ erzählten, leben wieder ihr normales Leben, an ihren Arbeitsplätzen, auf ihrem Land, in ihren Ausbildungsstätten. Mit oder ohne Bericht der Organisation der Amerikanischen Staaten wissen die Leute, dass der Sieg überwältigend, sauber und legitim war, trotz der schlechten Verlierer. Mehr noch, sie sind stolz darauf, an diesem BürgerInnenfest teilgenommen zu haben, indem sie nicht nur die Stimmen des FSLN, sondern des ganzen Volkes bewachten.