(zas, 15.4.13) Der Sieg von Nicolás Maduro hätte grösser
ausfallen dürfen, keine Frage. In den
kommenden Tagen werden wir genauere
Analysenelemente haben: Wer ging jetzt warum nicht wählen, im Gegensatz zum
Oktober 2012 (Wahlsieg von Chávez); wer wechselte warum die Seite, etc.?
Ein paar Dinge lassen sich jetzt schon sagen:
1. Maduro,
die Linke, hat gewonnen, nicht die Rechte! Der hiesige Medientenor verdreht
diesen „lästigen Umstand“ in sein Gegenteil: Maduro sei nicht legitimiert, für das
Projekt zu regieren, für das er angetreten ist. Er müsse auf den erneuten
Wahlverlierer Capriles „zugehen“, auch auf Washington. Nicht etwa diese auch
auf ihn – oh no! Aber, trotz dieser Stimmungsmache: Die Chavistas haben gesiegt,
die Veränderung geht weiter.
2. Nach Berichten von FreundInnen in
Venezuela war diese Wahlkampagne trotz ihrer Kürze die bisher gewalttätigste,
vor allem in den Volksquartieren. Psychische Gewalt; rechte Stosstrupps in den
Armutszonen mit der Botschaft an die Unterklassenleute der chavistischen Partei
PSUV: „Dein Chef ist schon gestorben, du hast keine Führung mehr“. Dazu
Sabotagen in den Tagen vor der Wahl vor allem am Stromnetz, gezielte
Unterversorgung mit Grundbedarfsartikeln im gleichen Zeitraum. Ein Klima der
Angst, der Bedrücktheit sollte geschaffen werden, dazu dienten die vielleicht
absichtlich „geleakten“ Pläne für Strassengewalt gegen einen chavistischen
Wahlsieg. Ins gleiche Kapitel gehören die offenbar aus dem Ausland kommenden,
anhaltenden Angriffe (DoS) auf die Webseite des Nationalen Wahlrates CNE.
3. Natürlich
ist das kein Thema für „unsere“ Medien. Heute Abend im SRF-Magazin „Echo der Zeit“ etwa ein Journalist, der
locker einen Teil der rechten Opposition in Venezuela noch rechts überholt und
dummdreist lügt, was das Zeugs hält: Für das Schweizer Staatsradio ist die
venezolanische Armee mit „kubanischen Offizieren“ durchsetzt (das hört man
selbst in Venezuela in dieser Unbedarftheit meist nur von Seiten der Ultrarechten);
das chavistische Geld für die eigenen Sozialprogramme, aber auch die in anderen
Ländern, werde zurückgehen, da es schlicht nicht mehr vorhanden ist – ach?
Venezuela hat tatsächlich wirtschaftliche Probleme, im Gegensatz natürlich zu
Europa und seiner weisen Führung, aber die sind weit davon entfernt, mit dieser
geradezu apokalyptischen Schwarzmalerei etwas zu tun zu haben, die heute fast
jedes Blatt und fast jeder Sender in Sachen Venezuela aufzutischen weiss (für seriöse
makroökonomische Angaben vgl. Venezuela’s Economic Recovery: Is it
Sustainable?, von Mark Weisbrot und
neuere Artikel von ihm auf der Seite des Center
for Economic and Policy Research. Auf der gleichen Homepage auch: Venezuelan Economic and Social
Performance Under Hugo Chávez, in Graphs).
4. Die Desinfo hat System, auch wenn es
vielen ihrer eifrigen TäterInnen kaum bewusst sein wird. Die Selbstverständlichkeit,
mit der der Wahlverlierer als eigentlicher Sieger und der Sieger als
eigentlicher Verlierer adressiert wird, die Schwelgen in Vorstellungen von „Ende
des Chavismus“ (das Gespenst ist endlich unter dem Boden), die knallharten Lügen
und vielen Dummheiten in Sachen Wirtschaftsapokalypse usw. usf. bereiten den
Boden für etwas vor, das unter den aktuellen Umständen – relativ knapper Sieg
der Linken, Tod von Chávez - rasch zu einer neuen Qualität der Aggression
gegen das bolivarische Projekt in Venezuela und Lateinamerika führen kann.
Anfang Oktober letzten Jahres haben wir ein Council
on Foreign Relations-Papier des ehemaligen US-Botschafters in Caracas,
Patrick Duddy, besprochen (Venezuela:
Destabilisierungsoptionen der USA). Duddy thematisiert auch für den Fall
von Neuwahlen nach einem damals noch hypothetischen Tod von Chávez die
Möglichkeiten permanenter nationaler und internationaler Strategien zur
Delegitimierung der venezolanischen Behörden bis hin zum Versuch, Teile der
Armee für einen antichavistischen Putsch zu gewinnen (Anfang März musste Maduro
zwei Mitarbeiter der US-Botschaft genau wegen solcher Kontaktaufnahmen mit venezolanischen
Militärs des Landes verweisen). Duddy konzentrierte sich vor allem auf
Szenarien mit einem relativ knappen Wahlausgang, wie wir ihn heute haben, die
für seine Pläne speziell günstig wären. Es lohnt sich, sich diese Szenarien
nochmals anzuschauen.
Der Oppositionskandidat
Capriles hat sich dieses Mal, im Gegensatz zu Maduro, im Wahlvorfeld bis
zuletzt strikt geweigert, die Resultate des Wahlrates CNE bedingungslos
anzuerkennen. Das lässt hinter sein Gesuch, alle Stimmen nachzuzählen, ein
Fragezeichen entstehen? Geht es ihm um eine legitime Nachzählung oder um mehr Zeit
für einen allfälligen Entscheid für eine militantere Destabilisierungsphase? Capriles
Weigerung, das Resultat anzuerkennen, entspricht jedenfalls einer
Kardinalvoraussetzung für die im Papier des Council
on Foreign Relations genannten Angriffszenarien. (Der Vorschlag, alle Stimmen nachzuzählen, kam
übrigens aus dem CNE selbst und wurde von Maduro auch sofort begrüsst.
Tatsächlich haben selbst Missionen der EU oder der OAS die Professionalität und
die Sicherheit des venezolanischen Wahlsystems wiederholt betont, Jimmy Carter,
nicht gerade ein eingefleischter Kommunist, taxierte im letzten Herbst das
venezolanische Wahlsystem als „das Beste
der Welt“, dem der USA klar überlegen - zu Letzterem braucht es allerdings kaum viel).
5. Einen Punkt dürfen wir keineswegs
übersehen: Zwar hat sich die Rechte stärken können, vermutlich, weil eine Reihe
von WechselwählerInnen für Capriles gestimmt haben, was einer genauen Analyse und
auf jeden Fall einer klaren Verbesserung der Regierungsgeschäfte bedarf. Aber der
linke voto duro, also der Block der
bewussten Stimmen für die Vertiefung des Prozesses, ist majoritär und hat sich
auch nach dem Ableben des Comandante gehalten. Das ist eine Stärke, ein
Ausdruck von realen Veränderungen in den Köpfen und Herzen vieler, die wir jetzt,
im Trommelfeuer der gegnerischen Propaganda, nicht unterschätzen sollten.