Politische Morde in Kolumbien nehmen weiter zu

Donnerstag, 26. September 2019

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Tausende nahmen im Juli in Kolumbien am “Marsch für das Leben” gegen die Gewalt und die tödlichen Angriffe auf soziale und politische Aktivisten teil
Tausende nahmen im Juli in Kolumbien am “Marsch für das Leben” gegen die Gewalt und die tödlichen Angriffe auf soziale und politische Aktivisten teil
Bogotá. Die Tötungen von Aktivisten, ehemaligen Mitgliedern der Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc-EP) und Kandidaten für die Kommunalwahlen in Kolumbien reißen nicht ab. Dieses Jahr wurden bereits 160 politische Morde verübt. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens Ende 2016 sind 780 Aktivisten ermordet worden.
Unter den Opfern sind in den letzten Wochen auch zehn Lehrer vor allem aus ländlichen Gebieten. Besonders gefährdet sind Indigene. Alleine in den letzten Monaten sind weitere 720 Morddrohungen registriert worden, fast alle seitens paramilitärischer Gruppen.
Am stärksten betroffen ist das Department Cauca im Süden des Landes. Dort wurden vor zwei Tagen zwei 19-jährige Indigene auf offener Strasse erschossen. Auch der Sprecher der Indigenenorganisation Henry Cayuy wurde im Cauca am 16. September vor den Augen seiner Familie getötet worden.
Anfang September wurden im nahegelegenen Ort Argelia sieben Leichen von einem Kleinlaster abgeworfen. Nach Angaben der Polizei befanden sich darunter zwei ehemalige Farc-EP-Mitglieder aus dem Wiedereingliederungsprozess. Es handelte sich um Jeferson Cuchuillo und Alfaris Gómez. Die anderen Personen wurden als Luis Aurelio Bermúdez, Lisandro Muñoz Romero, Fabián Guzmán und Heidilber Gómez identifiziert. Letztere seien wegen illegalen Waffenbesitzes bereits polizeibekannt. Laut örtlicher Polizei hätten Guerilleros der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) sie aus Rivalitätsgründen erschossen. Die staatlichen Ordnungskräfte würden nun verstärkt in diesem Gebiet patroullieren.
Ebenfalls Anfang September wurde die Kandidatin für das Bürgermeisteramt von Suárez, Karina García, tot in ihrem Auto aufgefunden, zusammen mit ihrer Mutter und drei Mitarbeitern ihres Wahlkampfteams. Alle Insassen des Autos starben am helllichten Tag in einem Kugelhagel. García hatte zwei Wochen vor ihrem Tod berichtet, dass eine Gruppe von vier bewaffneten Männern ihre Wahlhelfer bedroht und sie gezwungen hatte, Wahlplakate abzuhängen. Die Regierung machte Farc-Dissidenten als Täter aus. In einer Stellungnahme der Kolumne Jaime Martines der reaktivierten Farc-EP vom 2. September wies die Guerilla indes die Verantwortung für die Morde zurück und distanzierte sich von jeglichen Angriffen auf Kandidaten für die Regionalwahlen.
Wenige Tage später berichtete Cloe Sauca, die Menschenrechtsbeauftragte des Regionalrates der Indigenen des Cauca (CRIC), dass Soldaten der kolumbianischen Armee einen Toten auf der Straße abgeladen hätten. Die Person sei bei einer Operation der Militärs umgekommen, bei der ein Farc-EP-Dissident mit Namen "Alonso" erschossen worden war. Der Tote sei in der Gegend nicht bekannt. Sauca erklärte weiter, dass es keine Fortschritte bei "Schlüsselfaktoren für die Beendigung des Konflikts" gebe. Dies führe dazu, dass sich neue bewaffnete Gruppen in der Zone ausbreiten. "Sie nehmen strategische Gebiete ein, um legale und auch illegale Wirtschaftszweige zu kontrollieren". Dies betreffe Rohstoffe und Monokulturen und die Konzentration von landwirtschaftlichen Pachtflächen, wie auch den Drogenhandel und den illegalen Bergbau.
Von Januar bis Mitte August 2019 wurden allein im Verwaltungsbezirk Cauca 36 Indigene ermordet. Daraufhin hatte der CRIC seine "große Besorgnis" zum Ausdruck gebracht: Bewaffnete Gruppen hätten den Indigenen im Cauca "den Krieg erklärt". Es gab Pamphlete paramilitärischer Organisationen, die Lehrer, Erzieher und Sprecher indigener Organisationen zum militärischen Ziel erklären. In dem Gebiet konkurrieren kriminelle Strukturen um die Kontrolle illegaler Märkte und Transportwege für Kokain, Marihuana und illegal gewonnene Bodenschätze, vor allem Gold.

Lesetipp: US Sanctions Are Designed to Kill

Dienstag, 24. September 2019


(zas, 24.9.19) Trump sagte am 19. Juli 2019 zu den Sanktionen gegen Iran:

«[Irans] Wirtschaft crasht …. Es ist sehr einfach, [dies] zu korrigieren, oder es ist für uns sehr einfach, das noch viel schlimmer zu machen.»

Das linke Jacobin Magazine (USA) hat am 1. September 2019 einen  Artikel  von zwei Autoren des CEPR (Center for Economic and Policy Research) dazu veröffentlicht, wie die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran zentral die Bevölkerung treffen. Der Artikel räumt mit oft benutzten Schnörkeln wie «humanitäre Ausnahmen von den Sanktionen» auf und zeichnet kompetent und knapp nach, auf welche Weise der US-Finanzterrorismus auf der Basis des Dollars als globale Währungsreserve sich einen grossen Teil der Welt für seine Ziele untertan macht.

Nachtrag zu El Salvador: Pakt der Zynischen


(zas, 24.9.19) The Intercept hat vom US-Inlandministerium den Text des im Blogbeitrag thematisierten Antimigrationsabkommens der USA mit El Salvador bekommen und heute veröffentlicht. John Washington, Mitautor des im Beitrag erwähnten gemeinsamen Artikels in The Nation und El Faro schreibt dazu: «Das Abkommen, das dem von den USA und Guatemala im Juli unterschriebenem stark gleicht, beinhaltet, dass Asylsuchende [an der US-Grenze], die nicht aus El Salvador sind, dorthin zurückgeschickt und gezwungen werden können, dort um Asyl nachzufragen. Obwohl Offizielle gesagt haben, dass die Abkommen für Leute gelten, die durch El Salvador oder Guatemala gekommen sind, hält das der Abkommenstext nicht ausdrücklich fest. ‘Dieses Abkommen ist potenziell derart weitreichend, dass es dazu benutzt werden könnte, Asylsuchende, die nie durch El Salvador gekommen sind, dorthin abzuschieben’, sagte Eleonor Acer von der Nonprofitorganisation Human Rights First.»

El Salvador: Pakt der Zynischen

Montag, 23. September 2019


(zas, 23.9.19) Die Ereignisse im Land überstürzen sich. Sie sind gekennzeichnet durch eine extreme Ausrichtung der Politik des im Februar gewählten Präsidenten Nayib Bukele an den Vorgaben aus Washington oder z. B. eine nicht weniger extreme Aggression gegen linke Gewerkschaften inkl. Einsatz von Schlägertrupps – aktuell gegen die Gewerkschaft STISSS in der Sozialversicherung. Die Bedingungen für lawfare gegen den FMLN werden fabriziert, der Präsident geriert sich cool als Monarch, die nur mit dem Wirken der US-Botschaft erklärliche Gleichschaltung der Medien und grosser Teile der traditionellen Rechtsparteien auf die von Washingtons Statthalterregierung gefahrene Linie ist beeindruckend.
In diesem Post geht es um die Einordnung El Salvadors in das vorgelagerte US-Grenzregime.
Drei Ereignisse stechen dabei hervor. Am 28.  August unterzeichneten der provisorische US-Inlandminister (Department for Homeland Security) Kevin McAleenan und führendes Personal der salvadorianischen Regierung unter Anwesenheit von Präsident Nayib Bukele in San Salvador ein Memo of Undestanding (MOU, Absichtserklärung). Das Rechtsblatt La Prensa Gráfica (LPG) zitierte Bukele so: «Es handelt sich um eine sehr komplexe Absichtserklärung, die wir in den kommenden Wochen und Monaten gemeinsam in viele Dinge übersetzen werden. Eines dieser Dinge ist, dass wir uns befähigen wollen, unsere Grenzen zu kontrollieren (…) Ein weiterer Eckstein des Abkommens ist das Interesse der USA, uns beim Kampf gegen die Banden und das Verbrechen zu helfen.» LPG fügte an: «Das Land verpflichtete sich, zu verdächtigen Vorkommnissen an den Boden- und Fluggrenzen biometrische Daten in Echtzeit zu übermitteln», etwa bei falschen Papieren oder in anderen Ländern von der Justiz Gesuchten.
Mit Guatemala schloss die Trump-Administration kürzlich eine Übereinkunft ab, die dem Land die Kategorie «sicheres Drittland» zusprach, m. a. W., wer von südlich Guatemalas kommt und in den USA Asyl will, muss es hier beantragen, damit es überhaupt zu einem Verfahren kommt. Wer nicht über legale Migrationsdokumente (???) verfüge, werde nach einem Bericht von EFE aus Guatemala deportiert. GuatemaltekInnen sind per definitionem von US-Asyl ausgeschlossen. Das Abkommen ist allerdings vor dem Obersten Gericht angefochten. Es wird interessant sein zu sehen, ob das Tribunal es wagt, eine Entscheidung zu treffen, die nicht nur gegen die guatemaltekische Regierung gerichtet wäre, sondern gegen die US-Politik. Das wäre eine Premiere.
Dass ein Land wie Guatemala zu einem sicheren Drittland erklärt wurde, sorgte breit für Sarkasmus und Opposition. Weshalb McAleenan in San Salvador meinte: «Ich kann versichern, es handelt sich nicht um ein Sicheres-Drittland-Abkommen , sondern um eine Absichtserklärung, um in Sachen Polizei und Bekämpfung der Banden zu kollaborieren, um die Wirtschaft vital zu machen und die eigene Initiative der Salvadorianer bezüglich Asylkapazität zusammen mit dem UNHCR [Flüchtlingskommissariat der UNO] zu unterstützen». LPG fügte an: «McAleenan erklärte, es werde Treffen mit dem Privatsektor geben, die USA seien an einem Dialog über die Tarife interessiert, denn sie wollten erreichen, dass diese freundlicher werden, um ausländische Investitionen anzulocken.» Klartext zum Begriff des «Ausbaus der Asylkapazität». Ins gleiche Kapitel die auch bei diesem Anlass vom US-Funktionär erwähnte Möglichkeit von Erntevisa für SalvadorianerInnen – eine legale Ausbeutungsmodalität mit Saisonnierstatut als propagandistisches Zückerchen.   
Gegen Mitte September wurde eines der «Dinge» von Bukele klarer: Drei Mitglieder des State Departments so wie der salvadorianische Sicherheitsminister Rogelio Rivas und der US-genehme neue Polizeichef wohnten der Inauguration einer neuen, 400 Kopf starken Polizeiabteilung an der Grenze mit Guatemala bei, der Patrulla Fronteriza (Grenzpatrouille). Ihr Job nach Minister Rivas: Sämtliche Grenzübergänge und «grünen Grenzen» kontrollieren. Auf Anfrage zweier Journalisten des linken US-Magazins The Nation und des salvadorianischen Portals El Faro sagte Todd Miller, Autor des Buchs Empire of Borders: «Eine strategische Richtungsänderung im US-Grenzregime ist seit 9/11 der Druck für die Ausbildung, Ausstattung und sogar die Finanzierung der Schaffung neuer Grenzpatrouillen in anderen Ländern. Bei der Ausweitung der US-Grenzwache geht es um mehr als die Anwerbung von neuen AgentInnen, es geht um die Auswertung von neuen Ländern» (s. zu Todd Miller Vorgelagertes Grenzregime: Globaler US- Krieg gegen die Migration aus Correos 195).
Inauguration Patrulla Fronteriza. Bild: the Nation.
Eine Abteilung des State Departments, das Bureau of International Narcotic and Law Enforcement, «unterstützt zudem», so die beiden Journalisten, «eine multinationale Geheimdienstgruppe zu Grenzfragen» mit salvadorianischen, guatemaltekischen, honduranischen und mexikanischen Apparaten, «die den US-Strafverfolgungsbehörden Zugang zu den kriminologischen Datenbanken der beteiligten Länder ermöglicht». Da in diesem Bereich die beteiligten Regierungen extrem knausrig mit präzisen Informationen sind, schliessen verschiedene Berichte und Stellungsnahmen nicht aus, dass die Patrulla Fronteriza auch den eigenen BürgerInnen die Ausreise nach Guatemala zumindest erschweren soll. So oder so gibt es hier wie beim US-Abkommen mit Guatemala eine Reihe ungelöster rechtlicher Probleme. Etwa ist zwischen Nicaragua, Honduras, El Salvador und Guatemala das CA-4-Abkommen in Kraft, das den BürgerInnen den freien Personenverkehr auf ihrem Territorium garantiert.
Am 20. September unterzeichneten McAleenan und die salvadorianische Aussenministerin Alexandra Hill ein weiteres Memo of Understanding bzw. in den Worten des Chefs von Homeland Security ein «Asylkooperationsabkommen», dessen Wortlaut ebenfalls nicht veröffentlicht ist.  Diese Verschleierung hat natürlich System. So versichert etwa AP, einen Entwurf des MOU gesehen zu haben, wonach salvadorianische BürgerInnen vom Memo nicht betroffen seien. In anderen Medien zirkulieren Gerüchte gegenteiligen Inhalts. Konfusion, Unbestimmtheit… Klar ist, dass El Salvador mit diesem Memo in die US-geleitete Deportationskaskade eingebunden ist. Für Menschen von weiter südlich ist hier der Weg nach Norden zu Ende, wenn sie aufgegriffen werden.
Hill, McAleenan am 20. September in Washington.
 Der Brutalität des Vorgehens entspricht der Zynismus der Formulierung. Die Washington Post zitiert McAleenan so: «Heute sind wir sehr glücklich, die Unterschrift unter dieses Kooperationsabkommen zwischen den USA und El Salvador bekannt zu geben, um Schutzkapazitäten aufzubauen, um unsere Anstrengungen zu verstärken, Chancen für den Schutz vor Gruppenverfolgung aus politischen, rassischen, religiösen oder sozialen Gründen so nah wie möglich vom Ursprung der Individuen zu suchen, die ihn benötigen.» Kommt nur nicht in unsere Nähe! Erneut betonte der Trump-Mann die Notwendigkeit, El Salvador beim Ausbau seiner «Asylkapazitäten» zu unterstützen. Die Post weiter: «Er sagte, die Abschiebung von Asylsuchenden von der US-Grenze nach El Salvador wäre ‘ein potentieller Nutzen des Abkommens’».
Während Washington gegen Kuba und Venezuela, in geringerem Mass auch gegen Nicaragua eine mörderische Wirtschaftsblockade verfügt, will man die «Flüchtlinge aus diesen Diktaturen» auf keinen Fall aufnehme006E. Nochmals die Post: «Asylsuchende aus Nicaragua, Kuba und anderen Ländern, die auf dem Weg zur US-Grenze durch El Salvador kommen, können nach Inkrafttreten des Abkommens dorthin zurückgebracht werden, sagen US-Offizielle. Als Teil des Plans werden die USA behilflich sein, in l Salvador und anderen Ländern der Region ein Asylsystem aufzubauen, wobei UNO-Flüchtlingsagenturen dies finanzieren sollen. Letztes Jahr suchten nach neuesten UN-Angaben nur 18 Menschen in El Salvador um Asyl nach.»