(zas, 18.7.20) Am letzten 7. Juli übernahm die Schweiz von der EU-Sanktionen gegen weitere elf venezolanische FunktionärInnen. Gemäss der damit aktualisierten Verordnung über Massnahmen gegen Venezuela vom 28. März 2018 erstrecken sich die Sanktionen, die gemeinhin als Einreiseverbote oder Konfiszierung von Bankkonten der betroffenen natürlichen oder juristischen Personen gehandelt werden, auch auf «Unternehmen und Organisationen, die im Namen oder auf Anweisung der natürlichen Personen, Unternehmen und Organisationen nach Buchstabe a handeln» oder «sich im Eigentum oder unter Kontrolle» dieser Personen «befinden» (2. Abschnitt). «Buchstabe a» bezieht sich auf eine Liste (hier und hier). [i]
Es sind diese «sekundären», also nicht nur das genannte Individuum betreffenden Sanktionen, die in Venezuela, aber auch in anderen sanktionierten Ländern enorme wirtschaftliche und soziale Zerstörungen anrichten. Dies aus einem einfachen Grund. Sagt das US-Finanzministerium, die Behörde oder Institution, mit der eine sanktionierte Person verbunden ist, stehe unter ihrer Kontrolle, sind allenfalls im Ausland gelagerte Vermögenswerte der besagten Entität oder ihre Zahlungen, die über das US-Finanzsystem abgewickelt werden, automatisch beschlagnahmt. Brüssel und im Schlepptau Bern kopieren wie andere Länder fast ebenso automatisch die US-Vorgaben in ihren eigenen Sanktionserlassen. Die Finanz- und Wirtschaftsblockade wird nach US-Belieben zunehmend totalisiert oder entschärft, je nach «Betragen» des betroffenen Landes.
Weniger als einen Monat vor den neuen Sanktionen organisierte die Schweiz via DEZA für eine Reihe von UN-Organisationen und das IKRK einen Flug humanitärer Güter nach Venezuela im Zusammenhang mit der Coronaepidemie. Die alte Geschichte: Man zeigt am Schaufenster ein Mal die «menschliche» Seite und wütet dafür andauernd off the record. Oder hätte wer davon gehört, dass das Schweizer Finanzdepartement und die Nationalbank sich im IWF gegen die Verweigerung von Covid-19-Nothilfen an Nicaragua oder Venezuela ausgesprochen hätte?
So verlogen wie die Begründung jüngster Schweizer Sanktionen gegen Nicaragua war (s. Nicaragua/Schweiz: Sanktionen und die alte Doppelmoral), ist sie es heute bei den neuen Angriffen auf Venezuela. Dabei gibt es ein Novum: Erstmals wird ein Nicht-Chavist sanktioniert. Der letzten Januar neu gewählte rechte Parlamentspräsident Luis Eduardo Parra Rivero und sein Vize fallen auch in Bern in Ungnade. Aus der Seco-Begründung: «The election took place while entry of several parliamentarians to the premises of the National Assembly was blocked by military police.» Wir erinnern uns an die Foto: Juan Guaidó, der von Trump erkorene «Präsident» Venezuelas und, bis letzten Januar, Parlamentspräsident, versucht, über eine Gitterabsperrung zu klettern, um, wie der Medienmainstream mitteilte, zur Wahlsession des Parlaments gelangen zu können. Nur: Guaidó hätte mühelos durch den für ihn und die anderen ParlamentarierInnen offenen Eingang hineinspazieren können, ein paar Meter neben der «dramatischen Szene». Aber nicht so sein Gefolgstrupp aus Ultras.
Trump ernannte Guaidó im Januar 2019 zum «legitimen Präsidenten» Venezuelas, auf der Basis der dreisten Lüge, Maduros Amtszeit sei abgelaufen und sein Interimsnachfolger sei deshalb Juan Guaidó. In Washington setzte man auf zwei Entwicklungsachsen: 1. damit genügend nationalen und internationalen Support für die Figur zu generieren, um die Chavistas in einer Kombination von Protesten, «Grenzkonflikten» und (para-) militärischen Vorstössen primär aus Kolumbien stürzen zu können; 2. Mit Guaidós Ernennung so etwas wie rechtmässigen Zugriff auf die venezolanischen Reichtümer zu erlangen. Ersteres scheint gescheitert, von Trump zirkulieren Bemerkungen, Guaidó verliere an «Strahlkraft». Anders der zweite Punkt. Die Kombination von «legitimer Präsidentschaft» und Sanktionen benutzte das westliche Empire, um sich den im Ausland befindlichen Reichtum Venezuelas unter den Nagel zu reissen. Vor wenigen Wochen etwa verweigerte ein britisches Gericht die Herausgabe von Goldreserven im Wert von $ 1.7 Mrd., welche die venezolanischen Zentralbank bei der Bank of England deponiert hatte. Begründung: Die britische Regierung habe Guaidó als Präsident anerkannt. Lehrreich ist die Geschichte der Citgo, der Filiale des staatlichen Erdölkonzerns Pdvsa. Citgo betreibt eines der grossen Raffinerie- und Tankstellennetzes in den USA. Im Januar 2019, als Trump sagte, Guaidó sei der Boss, beschlagnahmte er mit einem Präsidialerlass auch die Citgo. Im folgenden Mai gab ein Gericht in Delaware dem kanadischen Minenmulti Crystallex grünes Licht für eine Entschädigung aus dem Verkauf von Citgo-Aktien. Chávez hatte 2008 eine Goldmine der Crystallex nationalisiert, die mit Erfolg an das Investorengericht ICSID der Weltbank für eine massiv erhöhte Entschädigung von $ 1.4 Mrd. gelangte. Vor dem gleichen Gericht in Delaware klagt ConocoPhillips für ebenfalls via Citgo-Aktien zu bezahlende $ 8.7 Mrd. Beide Unternehmen klagten, weil es Venezuela sanktionsbedingt unmöglich war, die ausgehandelten Raten zu überweisen.
Die chavistische Journalistin Anahí Arizmendi hat vor wenigen Tagen mehrere dieser Raubzüge kurz zusammengefasst. Nur einer sei hier noch gestreift: Venezuela hatte 2015 bei der Citibank Goldreserven als Garantie für einen Kredit von 1.6 Mrd. hinterlegt. Im März 2019, wenige Wochen nach Trumps umfassendem Exekutivdekret und der Ernennung Guaidos zum Präsidenten, führte Citi «einen Rückstand» der venezolanischen Ratenzahlungen als Grund dafür an, dass sie sich aus dem venezolanischen Goldreichtum entschädigte und den Rest des Goldes auf ein Konto der US-Notenbank verschob, theoretisch im Besitz der «legitimen Regierung». Die stänkert aber andauernd, dass sie nur Brosamen erhalte. Dafür hat Washington mindestens $ 600 Mio. aus dem Citgo-Fonds für den Mauerbau an der mexikanischen Grenze ausgegeben, berichtet der US-Sender Univisión.
An den direkten Folgen der Sanktionen sind laut Aussagen im UNO-Menschenrechtsrat schon 100'000 Menschen gestorben. «Der Effekt der Sanktionen ist kontinuierlich und verstärkt sich. Es ist wie in Star Wars, wenn Darth Vader jemandes Kehle eindrückt. Das machen wir wirtschaftlich mit dem Regime.» Sagte ein gewisser John Bolton im März letztes Jahr (Sie wissen, was sie tun).
Aber, du verstehst, solange der US-Präsident sagt, Guaidó sei the man, ist dies Gesetz. Wer es bricht, muss bestraft werden, findet man auch in Bern. Zum Beispiel also eine Parlamentsmehrheit, die ihren neuen Präsidenten wählt (und damit die Guaidó-Diktion weiter unterhöhlt). Die Erbärmlichkeit dieser TäterInnen mit ihren Wortblasen von democracy all over the world macht ein Blick auf das Nachbarland Kolumbien nur noch bitterer. Da ist es nicht mehr so, dass wir alle zwei Tage einen Regimemord an linken AktivistInnen beklagen müssen. Heute sind es oft mehrere Morde am Tag. «Natürlich» flüstert hier kein Schwein in Bundesbern was von beschlagnahmten Konti etwa bei CS oder UBS. Zur «demokratischen Kultur» in diesem NATO-Partner s. Kolumbien: Folter an Farc-Mitgliedern und weitere Kriegsverbrechen aufgedeckt. Wie die USA in Kolumbien zur Zeit Paramilitarismus und Aufmarsch gegen Venezuela unter einen Hut bringen wollen, ist in Gerichtshof verordnet Abbruch der Operationen einer US-Elitetruppe in Kolumbien nachzulesen.
[i] Die identische Formulierung findet sich auch in «Massnahmen gegenüber Nicaragua» vom 24. Juni 2020.