El Salvador/USA: Zu viele Parallelen

Freitag, 18. September 2020

 

(zas, 18.9.20) Die Chefetage des salvadorianischen Referenzlabors für Covid-19 verfasste am 1. Juni ein aussagekräftiges  Memorandum. Die Verantwortlichen des zum Gesundheitsministerium gehörenden Labors halten fest, dass sie in den vorausgegangenen Wochen von Sara Hanna und Miguel Arvelo, venezolanischen BeraterInnen des Präsidenten Nayib Bukele, Anweisungen erhalten hatten, welche Coronavirus-Tests sie auszuwerten haben und welche nicht. So etwa befahl Hanna der Virologie-Abteilung am 24. und 26. Mai, einzig jene Tests zu berücksichtigen, die vom Gesundheitsministerium vorgängig geplant waren, aber nicht die Proben, die in den Spitälern und Gesundheitszentren von Menschen mit Covid-19-Symptomen genommen wurden. Kein Wunder, hatten in den Spitälern und Ansteckungslagern (mit oft miserablen Haltungsbedingungen der InsassInnen, die gegen das während dreier Monate von Polizei und Armee durchgesetzte fast totale Ausgehverbot real oder angeblich verstossen hatten) viele Kranke trotz mehrfacher Tests vergeblich auf ein Resultat gewartet.

Es waren venezolanische «BeraterInnen», die diese Befehle erteilt haben. Sara Hanna beriet Bukele während seines Präsidentschaftswahlkampfes in Sachen Imagepflege. Was aber machte die Werbefachfrau oder den Tierarzt Miguel Arvelo zu Entscheidungsbefugten im Kampf gegen das Virus? Das politische Projekt, das sie mit Bukele teilen. Sie bewegen sich im engen Umfeld des von Trump zum Führer des Putsches in Venezuela ausgewählten Juan Guaidó, genau wie weitere Figuren, etwa Lester Toledo, der Auslandschef von Guaidós Ultrapartei Voluntad Popular und Berater von Bukele. Der auch im Antichavismus wegen verschiedener Skandale umstrittene Toledo bestätigte Ende Juli in einer Sendung der in Miami angesiedelten Journalistin Patricia Poleo seine Funktion in El Salvador wie auch, interessanterweise, in Mexiko, Kolumbien, Ecuador und den USA. Unübersehbar: Es geht um eine international mobile Truppe im Dienst Washingtons. Aber warum manipuliert sie Covid-19-Daten?

Letzten Mai versuchte die Bukele-Regierung auf Biegen und Brechen, die Ausgangssperre und den faktischen Ausnahmezustand beliebig zu verlängern[1]. Zu Beginn der Pandemie in El Salvador hatte Bukele gewarnt, bis Mai würden über 3 Millionen SalvadorianerInnen, fast die Hälfte aller EinwohnerInnen, am Virus erkranken. Nur seine entschlossene Politik – Ausnahmezustand – könne diese Apokalypse verhindern. Im Mai, noch mitten in der von Polizei und Armee, aber oft auch von  Maras kontrollierten dreimonatigen Ausgangssperre, begann die Pandemie aber, ausser Kontrolle zu geraten. Die Lösung? Manipulier die Fallzahlen und die Sterblichkeitsrate drastisch nach unten! Das wiederholte Ausklammern der Proben ausgerechnet aus den Spitälern und Gesundheitszentren, wo die Kranken zwangsläufig hinmussten, diente diesem Zweck. Schon länger war bekannt, dass mehrere Verwaltungen grosser Gemeinden weit mehr Beerdigungen nach Covid-19-Protokoll organisierten als offiziell Menschen am Virus gestorben waren, während gleichzeitig die Todesfälle wegen «untypischer Lungenentzündung» massiv zugenommen hatten. 

Das ist nur ein Beispiel für die von praktisch allen Epidemie-Fachleuten im Land seit Monaten diagnostizierte Manipulation der Covid-19-Daten durch die Regierung. Sie geht weiter. Am 7. September 2020 veröffentlichte das von anerkannten Fachkräften getragene Observatorio Covid19 die Studie “La gestión de la información epidemiológica de COVID19 y sus implicaciones en la política pública”. Sie behandelte eine weitere einsame Spitzenleistung des bukelistischen El Salvadors: Im untersuchten Zeitraum von drei Wochen im August, als auch hier die Covid-Fälle eindeutig zurückgingen, taten sie das nicht wie überall sonst wo in der Welt, nämlich mit kleinen Aufs und Abs, sondern von Tag zu Tag in extrem stark abfallender gerader Linie. Ein Ding der Unmöglichkeit. Drei Tage nach Veröffentlichung der Studie besann sich das Virus auf seine Eigenart und steckte wieder an einem Tag mehr, am nächsten Tag weniger Menschen an.

 

Und in den USA ...

Was Trump dem Washington Post-Star Bob Woodward anvertraute, war Gegenstand der Medienberichterstattung: «Ich wollte das [die Covid-19-Epidemie] immer runterspielen. Ich will das immer noch runterspielen, denn ich will keine Panik verursachen.» Die Begründung – «keine Panik», also die Präsidentschaftswahlen gewinnen - scheint einsichtig zu sein, greift aber zu kurz. Sonst hätte das Weisse Haus angesichts der fast 200'000 Toten auf das Image des umsichtigen Landesvaters umgesattelt. Diese Zahl droht bis Ende Jahr auf 410'000 ansteigen, schreibt CBS, gestützt auf Daten des Institute for Health Metrics and Evaluation, das mit der White House Coronavirus Task Force kooperiert. Mit Schutzmasken könnten es 30 % weniger sein. Aber eben: «keine Panik», möglichst keine Schutzmasken. Die offensiv propagierte «Gelassenheit» hat mit folgendem Fakt zu tun: Vorwiegend sterben Menschen aus den Unterklassen, die meisten ohne weisse Hautfarbe. Als «Losers and suckers» auch sie, wie Trump die bei Einsätzen verletzten oder getöteten US-SoldatInnen bezeichnete.

In El Salvador ist es mit Sara Hanna beispielsweise eine Wahlkampfdesignerin Bukeles, die Covid-19-Daten auf ein politisch gewünschtes Niveau trimmt. In Washington macht das, wie das dortige Newsportal Politico am 11. September enthüllte, ein Team um Michael Caputo. Trump hatte seinen mit keinerlei medizinischen Kenntnissen vorbelasteten Freund letzten August aus dem Wahlkampfteam in das Amt des Sprechers des Gesundheitsministeriums (HHS) versetzt. Seine Aufgabe: Insbesondere die FDA (Food and Drug Administration, u. a. zuständig für die Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen) und das CDC (Center for Disease Control, aktuell führend in Sachen Coronapandemie) an die Kandare zu nehmen. Politico schreibt: «In einigen Fällen beklagten E-Mails von [Caputo-Crew-] KommunikationsberaterInnen von CDC-Direktor Robert Redfield offen, dass die Agenturberichte die optimistischen Botschaften von Präsident Trump zur Pandemie unterminierten. CDC-Officials haben gegen die einschneidenden Veränderungen opponiert, aber haben laufend mehr zugelassen, dass die politischen Officials die Berichte revidieren (…). Die Versuche der KommunikationsberaterInnen dauerten den ganzen Sommer konstant an, zuletzt noch letzten Freitagnachmittag.»


 Michael Caputo. Quelle: Politico.

Im Visier der Neusprechbande stehen insbesondere die für die Fachwelt wichtigen CDC-Wochenberichte mit Angaben zu Morbidität und Sterblichkeit in den USA. Diese Berichte geben in der aktuellen Pandemie Grundlagen für gesundheitspolitische Massnahmen. Besonders eifrig, schreibt Politico in einem Folgeartikel vom 16. September, sei Paul Alexander, «ein Teilzeitprofessor», den Caputo «aus der Obskurität einer kanadischen Universität fischte und zu seinem Wissenschaftsberater machte. Er gebrauchte ihn, um Reihen von hoch angesehenen WissenschaftlerInnen im CDC und in anderen Regierungsinstanzen einzuschüchtern (…) Die McMaster University suchte sich von Alexander zu distanzieren, eine Sprecherin sagte, dass er gegenwärtig nicht an der Universität unterrichte und als Teilzeitprofessor nie ein Salär bezogen habe.» Politico zitierte letzte Woche aus einer E-Mail von Alexander: «Diese Berichte müssen von jemandem von ausserhalb  des CDC wie mir gelesen werden, und wir können weitere Berichte in diesem Stil nicht zulassen, denn sie sind empörend, irre (…) Nichts geht raus, bevor ich es gelesen, zu den Schlussfolgerungen mein Plazet gegeben und daran rumgefeilt habe, um die Sache fair und ausgeglichen zu machen.»

Noch am 13. September, schreibt Politico zu einem von der New York Times dargestellten Facebook-Auftritt des Mannes, «rief er Milizmitglieder dazu auf, für den Fall einer umstrittenen Wahl Munitionsvorräte anzuhäufen», vielleicht auch, um jene zu bestrafen, «die als WissenschaftlerInnen gegen Donald Trump arbeiten.» Nach den Enthüllungen trat Caputo zurück, offenbar auch Alexander, aber das Gros der «BeraterInnen» bleibt. Damit das entsprechende Gedankengut.

 

Parallelen

Das Vorgehen der Trumps und Bukeles folgt deutlich dem gleichen Skript, inklusive der Eigenstilisierung zu Rettern der Nation. So wie die Welt nach wiederholter Darstellung Bukeles seine Coronavirus-Leistungen in El Salvador bewundert, weiss auch Trump zu den Todesraten in den USA: «Lassen wir die [demokratisch regierten] blue states aus, sind wir auf einem Niveau, das wohl niemand auf der Welt haben könnte». Ungeheuerlich (Tote in Feindesterritorium zählen nicht) und Quatsch bzgl. Faktenlage.

Es gibt andere Parallelen, Teil des umfassenden Angriffsdispositivs. In beiden Ländern etwa stellen ultrarechte Sektenkontingente einen Massensupport für die Regimes dar. Und in beiden Ländern werden neue Formen des Paramilitarismus und des Staatsterrorismus gepusht (in El Salvador besetzt die Armee schon mal das Parlament, in den USA marschieren schwer bewaffnete Milizen vor Gliedstaatsparlamenten mit unliebsamen Mehrheiten auf).  Anfang September dokumentierte El Faro detailliert anhaltende Verhandlungen der Bukele-Regierung mit den Maras. Vermutlich ist die Generalisierung «die Maras» falsch. Es handelt sich eher um Verhandlungen mit jenem Teil der Maras, der sich im Verbund mit dem transnationalen Drogenhandel zu paramilitärischen Formationen mausert. Seit Bukeles Regierungsantritt ist die Bekämpfung des transnationalen Drogenhandels stillgelegt. Das Trump-Lager heizt die paramilitärischen Milizen an. Dazu später mehr.

 


[1] Ein zentrales Motiv für die Verhängung von Not- und Ausnahmezuständen für die Regierung ist die Möglichkeit, Vertragspartner direkt zu wählen und so öffentliche Ausschreibungen zu umgehen. Spätere gesetzlich vorgesehene parlamentarische Ausgabenkontrollen umgeht das Kabinett mit schlichtem Nichterscheinen vor den Ausschüssen, summarischen Angaben auf einem oder zwei A 4-Blätter zu Ausgaben in dreistelligen Millionenhöhen oder dem Hinweis, man rette grad das Volk vor dem Virus und habe keine Zeit für korrupte Abgeordnete. Alle zwei oder drei Tage wird ein neues trübes Geschäft der Regierung im Rahmen der «Bekämpfung» des Coronavirus publik (Einkäufe von untauglichem Schutzmaterial für medizinisches Personal oder Materialien für Essenspakete weit über den Marktpreisen unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmen aus der Familien des jeweiligen Ministers oder eines Kabinettkollegen etc.). Am 8. Juni sprach die Verfassungskammer der Exekutive das Recht ab, ohne parlamentarische Grundlage per Notstandsdekret gravierende Eingriffe in die Freiheitsrechte zu verordnen. Die Kammer argumentierte dabei strikt entlang der Frage der Gewaltenteilung. Sollte Bukele nächsten Februar die Parlamentsmehrheit gewinnen, wäre der Konflikt Exekutive/Legislative «gelöst». Bis dahin, findet man in Washington, sei eine weitere flagrante Missachtung der Justiz seitens ihres Mannes in der Casa Presidencial nicht opportun. Per Dekret will der Bukele-Clan jetzt Ausschreibungsbedingungen generell so verändern, dass künftige Regierungsgeschäfte von vornherein im Dunkeln bleiben können – Notstand hin oder her.