Kolumbien/Schweiz: Glencore sagt: ‘Das wars’ und haut ab

Sonntag, 18. April 2021

 

(zas, 18.4.21) Wenn Glencore einen Entscheid trifft, kann es nicht gut kommen, sogar wenn der Beschluss ist, abzuhauen. Lehrbeispiel Glencore in Kolumbien: Am 2. April dieses Jahres gibt die Glencore-Filiale Prodeco bekannt, sich aus dem riesigen Komplex von Tagebau-Kohlenminen El Cerrejón im Departement Cesar zu verabschieden. El Cerrejón betrieben neben Glencore die Multis Drummond und Colombian Natural Ressources (CNR), eine Filiale des US-Kohlenunternehmens Murray Energy, heute American Consolidated Ressources. Grund für den angestrebten, den kolumbianischen Behörden vorliegenden Rückzug Glencores: Der Minenbetreib sei unrentabel.

Thomas Power erhellt uns einige Hintergründe und zitiert Flower Arias, Vertreter einer lokalen Organisation im Dorf Boquerón mitten im Kohlekorridor, erinnert sich an seine Kindheit: «Wir waren einfache Leute, nicht arm». «Das war», erklärt Power, als die Leute «die Campesino-Kultur hatten, Grundnahrungsmittel wie Yuca und Kochbanane zu anzubauen, bevor die Multis fünf grosse Tagebauminen in der Umgebung von Boquerón gruben und die Gegend für immer veränderten.» Nochmal Arias: «Krankheit, Umweltvergiftung, Diebstahl, sexuelle Gewalt – das sind die Erinnerungen, die die Minen hinterlassen».

Boquerón. Foto: Thomas Power

Zahlreiche kolumbianischen Organisationen und Abgeordneten schrieben in einer Stellungnahme: «Das Land riskiert, dass dieses Unternehmen gehen wird, ohne einen gesetzlich vorgeschriebenen Plan zur Stilllegung vorzulegen, und ohne die sozialen und Umweltprobleme, die es, wie Comunidades und Organisationen seit Jahren kritisieren, in der Zeit seiner Anwesenheit schuf, zu lösen.»

Eines dieser Probleme ist die Luftverschmutzung. 2010 wies das Umweltministerium die Multis an, deshalb die Gemeinden Boquerón und El Hatillo bis 2012 umzusiedeln. Die «Gespräche» dauerten sechs Jahre, bis die Unternehmen einen Umsiedlungsplan für 2018 für ein Dorf vorlegten. Power zitiert dazu die kolumbianische Organisation Pensamiento y Acción Social: «Während der sechsjährigen Verhandlungen benutzten die Unternehmen verschiedene Strategien, um die Communidad [von El Hatillo] auszulaugen, Ungewissheit zu generieren und das gemeinschaftliche soziale Gewebe zu brechen.» (Die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien erwähnt auch diesen Aspekt der Spaltung, ohne ihn allerdings zu situieren).

Doch die Luftverschmutzung ist nicht das einzige Übel der Multis. Da wäre die gravierende Wasserproblematik. Ana Rivera vom Gemeinderat von Boquerón sagt: «Wir haben eine Wasserleitung, aber das Wasser kommt nur alle der, vier oder fünf Tage aus dem Hahn.» Trinkwasser müsse zusätzlich gekauft werden. Das war nicht immer so. Früher floss ein Fluss durch die Gegend. Die Aktivistin Yolima Parra aus El Hatillo: «Den grössten Schaden bewirkte die Umleitung des Flusses, denn er garantierte für die Region eine ökonomische Stabilität», für Fischfang und anderes. Die Umleitung des Flusses Calenturitas für die Minen hatte die Umweltsbehörde 2009 bewilligt.  Die Umleitung eines weiteren Flusses, des Rio Ranchería, nach El Cerrejón hatte zum Tod von vielen Kindern aus den Wayuú-Gemeinschaften beigetragen (s. auch Kolumbien/Schweiz: Sie reden von Menschenrechten).

Drummond und Glencore haben, was sie natürlich abstreiten, aber alle in der Gegend und die Gewerkschaften bestens wissen, Paramilitärs benutzt, um Widerstand zu brechen. Power verweist auf eine umfangreiche Studie des AnwältInnenkollektivs José Alvear Restrepo vom Mai 2020. Aufschlussreich auch, wie ein aus Kolumbien in die Schweiz geflüchteter Drummond-Gewerkschafter den Zusammenhang von toyotistem Betriebsmanagement und Einsatz von Paramilitärs schildert (Correos 154 , August 2008).

Der Fluss ist weg, die Comunidades sind gespalten, die eh schon grosse Armut in der Gegend wird von der drohenden zusätzlichen Arbeitslosigkeit bald verschärft – Glencore sagt «Das war’s» und haut ab.

·        What will happen to Cesar, Colombia when the mines leave? Der Autor macht seinen Master in Politikwissenschaft an der Universidad Nacional de Colombia.