(zas, 5.10.21) Mimmo Lucano, Bürgermeister der Gemeinde Riace nahe von Reggio Calabria, hatte MigrantInnen in der Gemeinde aufgenommen. Schlimmer noch, Kooperativen, die migrantische Leute einstellten, mussten weniger Steuern bezahlen. Er organisierte den Bau von Häusern, damit die Leute ein Obdach hatten. Und – unerträglich – er soll versucht haben, einer Frau aus Afrika zu einer Heirat zu verhelfen, damit sie nach der Abweisung ihres Asylgesuchs bleiben könne. Es gab keine Heirat, die Frau, Becky Moses, wurde von den Behörden zwangsweise abtransportiert. Einige Monate später starb sie im Brand des Zeltlagers von Rosarno. Dor waren über 2000 braccianti, Tagelöhner in der Orangenernte.
Ab 2017 gingen die Strafverfolgungsbehörden daran, solches Tun zu ahnden. Der zwangsabgesetzte Bürgermeister bekam Hausarrest, das Verbot, Riace zu betreten … Minniti, der Innenminister der Regierung Renzi, hatte einen seiner Lieblingsfeinde gefunden. Am 30. September ist Lucano in erster Instanz zu über 13 Jahre Knast verurteilt worden. Weil er, so der Typ von Richter, Staatsgelder veruntreut habe und Teil der an der Migration verdienenden Mafia sei.
Die Mafias, die jedes Jahr von neuem und ungestört MigrantInnen zu Arbeitssklaven auf den Exportplantagen machen und dafür ein Terrorregime gegen die Leute aufstellen, die die scheusslichsten Verbrechen gegen die Menschenwürde begehen – sie werden nicht belangt. Ihre Justiz will zur Abschreckung anderer engagierter BürgermeisterInnen und Gruppen jenen einbuchten, der es schaffte, die ankommenden Menschen als Menschen zu behandeln. (In einem Artikel las ich zusammenfassend zum Urteil, es werde in Italien befürwortet und kritisiert. Auch der letzte Jagdhund kläfft mit.)
Mimmo Lucano am Prozess. Foto Fatto Quotidiano.
Italien: Die Verurteilung von Mimmo Lucano schafft eine gefährliche Situation
Paolo Ferrero*
Die Verurteilung von Mimmo Lucano zu 13 Jahren Gefängnis ist eine Schande. Nicht nur die Schwere der Strafe, die vor Rache trieft, ist absurd, sondern auch das Theorem, auf dem sie gründet. Der grossherzige Empfang von Migranten wird zur kriminellen Spekulation mit der klandestinen Migration erklärt. Dieses Urteil stellt die Realität auf den Kopf und erinnert an die dunklen Jahre des Landes nicht nur der Republik, sondern auch der der vorhergehenden Zeit. Es handelt sich weniger um ein Urteil als um einen Racheakt gegen einen Staatsdiener, der sein Mandat nicht als Karrierestation sah, sondern als Engagement, als Ausdruck von Humanismus.
Dieses skandalöse Urteil ist jedoch kein isolierter Einzelfall, sondern muss in seinem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext gesehen werden. Und der besteht in der eigentlichen zentristischen Normalisierung, die wir erleben. Die Regierung von Draghi – der wie ein Monarch in einer postdemokratischen Situation agiert, in der das Parlament nichts mehr zählt, unterstützt von den europäischen Institutionen, vom Staatspräsidenten und vom ohrenbetäubenden Chor der Mainstreammedien – ist nicht nur eine Regierung der nationalen Einheit, sondern eine verfassungsgebende Regierung. Der grundlegende Charakter der Regierungshandlungen besteht in der Ausweitung der politischen Unterstützung und der harten Repression der gesellschaftlichen Subjekte, die nicht Teil der bonapartistischen Mediation sein wollen. Davon weiss die Gewerkschaft ein Lied zu singen, die bei einer subalternen, von Confindustria (Unternehmerverband) geleiten Konzertation mitmachen soll. Ich glaube nicht, dass jemand in Palazzo Chigi (Regierungspalast) telefoniert hat, um die Verurteilung von Mimmo Lucano zu erreichen. Es gibt kein Komplott. Wer überall ein Komplott sieht, täte gut daran, sich umzuschauen. Aber es gibt ein Klima. Und das Klima kennzeichnet ein Land, in dem man von der harten politischen, aber demokratischen Dialektik zum Mechanismus von Einschluss/Ausschluss übergeht. Die No-Tav-Bewegung (gegen den Bau einer Hochgeschwindigkeitszuglinie Lyon-Torino) erfährt das seit Jahren, heute geschieht es explizit auf politischer Ebene, dieses Urteil sagt uns, das sich dieser Mechanismus verstärkt.
Daher die Solidarität mit Mimmo, die Empörung über die Tatsache, dass wer Menschen aufnimmt, als Krimineller behandelt wird, als Ausbeuter. Das demokratische Loch im Gitter, in dem das Land eingesperrt wird, muss zugeschweisst werden. Der Aufbau einer Alternative bedingt zuerst das Erkennen von gefährlichen Situationen. Und diese ist eine.
· Fatto Quotidiano, 30.9.21: La condanna di Mimmo Lucano apre una situazione pericolosa
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Mimmo Lucano ehrlich und arm. Schändliches Urteil, Rache des Systems
Maurizio Acerbo und Sefano Galieni*
Mimmo Lucano ist eine ehrliche und arme Person. Das Schandurteil gegen ihn – mehr als 13 Jahre Gefängnis – ist eine Rache des Systems, die auf einem absurden Theorem basiert. Mit dem Empfang von Migranten hat Mimmo in einer Region mit extremer Arbeitslosigkeit und mit heruntergekommenen Stadtzentren Arbeitsplätze für seine Mitbürger geschaffen. Sie beschuldigen ihn, nachdem es klar war, dass er nicht einen Cent geklaut hat, damit Stimmenfang betrieben zu haben.
Dieser Prozess wurzelt in der Verfolgung durch Minister Minniti und danach von Salvini und im Willen mächtiger Seilschaften in Kalabrien, die anormale und ehrliche Erfahrung von Riace zu tilgen. Jemand hat programmiert, dass Mimmo Lucano aus der öffentlichen Sphäre verschwinden und die Zeche dafür bezahlen soll, in einer gerechteren Welt leben zu wollen. Das Urteil von 13 Jahren des Gerichts von Locri hat die Forderung der Anklage beinahe verdoppelt.
Wenn Mimmo Lucano ein Empfangssystem umgesetzt hat, das keine Bereicherung der Mafias vorsah, hat er damit ein Land vorgeschlagen, das Innenministern wie Minniti und Salvini missfällt. Lebten wir in einem Land, dessen Institutionen tatsächlich von den Verfassungsprinzipien inspiriert wären, würde sein Verdienst anerkannt.
Hätte Mimmo tangenti (Schmiergeld, Korruptionsgeld) erhalten, wäre er milder bestraft worden. Aber in Italien gibt es Gesetze und Richter, die Solidarität zu einem Delikt machen.