Honduras: «Se van, se van – sie gehen"

Montag, 29. November 2021

 

(zas, 29.11.21) Es gibt die ergreifenden Momente im politischen Leben. Gestern Nacht Ortszeit war so einer – in Honduras. Die Präsidentschaftswahlen gewann, laut bis jetzt bestätigten Teilergebnissen die linkszentristische Allianz um Xioamara Zelaya von der Partei Libre klar vor dem Vertreter der Partei Partido Nacional des Narcodiktators JOH (Juan Orlando Hernández). Der PN-Kandidat Nasry Asfura liegt laut den letzten vom Wahlrat CNE publizierten Angaben von 7 h früh Ortszeit mit 33.87 % (607'492 Stimmen) hinter Xiomara mit 53.61 % (961'694) fast 20 % zurück. Ausgewertet sind dabei 51.45 % der Wahlakten. Diese Differenz hält sich mit kleinen Ausschlägen seit der ersten CNE-Mitteilung nach der Auszählung von 16.01 % der Akten. (Seit Stunden läuft die CNE-Auszählung schleppend.)

Noch ist nicht gesichert, dass die herrschende Clique sich dem Verdikt beugen wird. Aber ein Betrug dürfte ihr noch schwerer fallen als bei den Wahlen 2017. Zum einen ist der Rückhalt in Washington stark gebröckelt. Weniger, weil die US-Justiz JOH als Drogenhändler im Visier hat, sondern weil unter seinem Regime die Hoffnungslosigkeit so viele Leute zur Flucht in den Norden, in die USA, gezwungen hat. Im Wahlrat sitzt im Gegensatz zu damals mit Rixi Moncada eine Vertreterin von Libre. Und auch, weil viele Leute die Nase so gestrichen voll haben mit dem Status Quo, dass heute unklar scheint, wie sie auf einen neuen Wahlbetrug reagieren würden.

Xiomara Zelaya, rechts hinter ihr Salvador Nasralla

Und damit zum Bewegenden: riesige Siegesfeiern schon gestern Nacht nicht nur in Tegucigalpa, sondern auch anderswo. UNE TV, der Libre-nahe Sender auf Facebook, war dabei, sprach mit den Leuten. Und die waren – glücklich, erlöst, ausgelassen, voller Freude. Se van, se fueron – sie gehen, sie gingen, der Slogan der Wahlkampagne. Sie jubelten es. Wie nicht mitvibrieren, wenn der eine Befragte sagt: «Wir haben unser Land zurückgeholt». Im Tonfall dessen, der auf einen langen, aufzehrenden Kampf zurückblickt und weiss: Es hat sich gelohnt. Die Kids, die Alten, die Menschen mit ihren Familien, ihren FreundInnen zusammen auf der Strasse – beinahe endlos hörst du ihnen zu, wie sie dies sagen: «Die Diktatur ist vorbei».

Dieser Moment, dieses Aufblitzen eines anderen Lebens hier und jetzt – das ist das Unfassbare, das Bewegende. Klar, heute schon fangen die Schwierigkeiten an. Auch wenn es - fasst unvorstellbar – nicht zu einem brutalen Versuch kommt, einen Wahlbetrug durchzusetzen. Die Partei Libre ist keineswegs eine emanzipatorische Kraft durchs Band, noch weniger die Siegeskoalition mit dem irrlichternden ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und jetzt als Vizepräsident gewählten Salvador Nasralla (seine Partei heisst: Partido Salvador de Honduras) und der traditionellen Mittepartei PINU.

Und noch etwas: Xiomara wurde bei ihrer Rede gestern Nacht vor einer begeisterten Menge immer wieder von Applaus unterbrochen. Vielleicht am stärksten gegen Ende ihrer Rede, als sie bewegt vom Ende der Diktatur sprach, und vom Ende der «Modellstädte» (ZEDE), jener neu-feudalen, extra-territorialen Enklaven von internationalen, meist im Sumpf der Kryptowährungs-Spekulation beheimateten Schwerreichen, die von einem Heer von einheimischen Untertanen bedient werden sollen. Das Regime von JOH  hatte diese Projekte in Angriff genommen (wie das sein Konterpart in El Salvador gerade auch macht, vielleicht noch extremistischer) – aber diese Cyberblumen verwelken mit einer Präsidentin Xioamara Zelaya.

Nur schon das ist viel, auch wenn wir uns dieser neuen Gefahr an vielen Orten der Welt noch kaum bewusst sind.  

(Hoffen wir, dass uns die Soldateska in den kommenden Stunden oder Tagen nicht eines Anderen, Schlechteren belehren will.)