"Dort wird die Mutter beklagt, hier bombardiert"

Donnerstag, 24. November 2022

 

Der Spiegel heute zur deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock vor dem UNO-Menschenrechtsrat:

 «Baerbock erhebt Stimme für Demonstrierende in Iran -

Hunderte Menschen sind bei den Protesten in Iran schon ums Leben gekommen. Nun wurde Außenministerin Annalena Baerbock deutlich: Die Welt dürfe nicht zusehen, wie ‘unschuldige Menschen ermordet werden’». Und weiter: «
Das Bild eines kleinen iranischen Mädchens, das schreiend am Sarg ihrer Mutter im Staub kniete und in den Himmel schrie, gehe ihr unter die Haut, sagte Baerbock.»

Vorgestern weilte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser zu Besuch beim türkischen Amtskollegen in Ankara. ANF berichtete dazu:

«Bei der anschließenden Pressekonferenz erklärte Faeser, Deutschland stehe an der Seite der Türkei im Kampf gegen den Terrorismus. Faeser sprach der Türkei ihr Beileid zum Tod von sechs Menschen bei dem Bombenanschlag von Istanbul vom 13. November aus. Mit Blick auf die Bombardierung von Dörfern und ziviler Infrastruktur in Nordsyrien seit Samstagnacht beschränkte sie sich auf den Hinweis, diese solle „verhältnismäßig“ bleiben und Zivilisten schonen, das Völkerrecht müsse eingehalten werden. Sie habe sich sehr über ihren Antrittsbesuch gefreut, ihr Gastgeber habe ihr einen interessanten Einblick in die operative Arbeit seines Ministeriums gegeben, so die Bundesinnenministerin."
"Soylu verteidigte das türkische Vorgehen in Syrien und dem Irak und sagte, es gebe Bemühungen, dort einen Terrorstaat zu gründen. Das könne Ankara nicht zulassen. Er habe mit Faeser „gemeinsame Schritte“ in mehreren Themenbereichen vereinbart.»

Das deutsche Innenministerium publizierte ein Résumé der Reiseergebnisse unter dem Titel «Enge deutsch-türkische Zusammenarbeit bei der inneren Sicherheit».

Emine Osê von der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien erläutert, was Sache ist:

«Die ganze Welt weiß, wenn irgendwo Luftangriffe durchführt werden, ist das Ziel, zu töten und die Menschen zu vertreiben. Danach kommt die Besatzung und wenn es einen Plan zur Veränderung der demografischen Struktur gibt, wird er dann umgesetzt. Genau daran orientiert sich die Planung des türkischen Staates. Er hat vor der ganzen Welt erklärt, dass er die Bevölkerungsstruktur der Region verändern werde. Um das zu erreichen, wird er natürlich erst einmal angreifen, massakrieren und vertreiben, und dann sollen die Angriffe unter dem Vorwand legitimiert werden, dass man ja eine Million Flüchtlinge aus Syrien, die in der Türkei sind, dort ansiedle.»

«(…) Wenn der türkische Staat nicht grünes Licht bekommen hätte, hätte er es nicht gewagt, einen solchen Angriff gegen die Infrastruktur und das gesamte gesellschaftliche Leben durchzuführen. In diesem Sinne zielen diese Angriffe nicht nur auf militärische Ressourcen und die Verteidigungskräfte ab. Sie richten sich gegen die Gesellschaft und die Quellen des Lebens, die die Gesellschaft erhalten. Daher werden Krankenhäuser, Getreidelager, Wohnhäuser und Kraftwerke ins Visier genommen. Diese Angriffe dauern bis heute an und es hat sich herausgestellt, dass alle Einrichtungen der Selbstverwaltung, der Verteidigungskräfte und der Sicherheitskräfte Ziele sind. Aufgrund dieser Situation werden Tausende von Menschen ihre Dörfer und Häuser mitten im Winter verlassen müssen.»

«Das Schweigen der internationalen Mächte zu diesen Angriffen zeigt, dass es eine Zusammenarbeit und ein Abkommen zwischen ihnen gibt.»

Faeser gibt der Regierung Erdogan den deutschen NATO-Segen, wenn ihr zum täglichen Terror nichts weiter einfällt als segnet den türkischen Terror ab, mit der Standardfloskel von der verhältnismässigen Schonung von ZivilistInnen. Die Lufthoheit über Rojava teilen sich Russland und die USA. Auch sie benutzen mit ihrem Aufruf zur «Mässigung» die Taktik von Baerbock und Faeser, während sie die Bombardierungen (die eben auch aus der Luft erfolgen) zulassen. Faeser weiss sich in alter NATO-Tradition: 2018 unterstützte die deutsche Luftwaffe die türkische Invasion in Afrin (Rojava) mit Feindaufklärung.

Iran seinerseits bombardiert die iranisch-kurdischen Quartiere der Widerstandskräfte im Irak.  Zusätzlich zur enormen Repression im Land selbst, vor allem in den Gebieten «ethnischer Minderheiten» wie eben der kurdischen. Und ja, die Schwestern der verzweifelten iranische Mutter, die Baerbock so berührt, leben auch in Rojava.

Im Iran widersteht eine von Frauen geprägte Bewegung dem Regime. Der Westen versucht, das für einen regime change zu benutzen, der mit der Freiheitssehnsucht der Kämpfenden nichts zu tun hat. Um das zu fördern, wird der innige Zusammenhang zwischen den Widerständigen im Iran und in Rojava unterschlagen. Dort wird die Mutter beklagt, hier bombardiert. Kein Wunder, schreien es die kurdischen (und anderen) GenossInnen auf den Strassen Europas: «Türkei bombardiert, Europa finanziert».

Widerstand regt sich auch in Europa. Während die olivgrüne Baerbock ihre Betroffenheit in Genf zur Schau stellt, besetzten heute junge kurdische AktivistInnen ein Büro des UNO-Hochkommissariats, ebenfalls in Genf. Sie protestierten damit gegen das internationale Schweigen zu den türkischen Chemiewaffeneinsätzen gegen die Guerilla in Südkurdistan und den Angriffen auf Rojava. UNHCR-Verantwortliche willigten in ein Gespräch ein.