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(Port-au-Prince, 26. 5. 23) Die BewohnerInnen von Fort Jacques in der im Osten von Port-au-Prince gelegenen Gemeinde Kenscoff rufen, bedroht von schwer bewaffneten Banden, die Polizei dazu auf, sich ihnen im Kampf gegen die bewaffneten Banditen anzuschliessen. Diese verbreiten weiterhin Terror in der Zone.
Basisvereinigungen in Kenscoff haben sich zur Wachbrigade Fòs Rezistans Loten zusammengeschlossen. Sie versichern, sich bis aufs Letzte gegen die Banditen, die vorhaben, sie anzugreifen, verteidigen zu wollen. Eine Demonstration von Dutzenden von AnwohnerInnen von Fort Jacques hat am Mittwoch stattgefunden. Die meist in weisse T-Shirts mit Nationalwappen gekleideten tragenden Protestierenden haben, mit Macheten und Stöckenbewaffnet, ihre Not herausgeschrien. Sie wollen ihre Zone mit der Bewegung des Volkswiderstands Bwa Kale gegen die oft mörderisch vorgehenden Gangs verteidigen.
«Die Zone erlebt zum ersten Mal eine solche Situation. Hier sind wir friedliche Bürger und Bürgerinnen, die in perfekter Harmonie und Solidarität zusammenlebten», erklärt ein seit 70 Jahren in der Zone wohnender Demonstrant. «Wie die Banditen zum ersten Mal in die Zone eindringen, haben wir kein Mittel, ihrer Feuerkraft zu widerstehen. Aber sobald sie an diese Kreuzung vorstossen, organisieren wir uns, um sie zu besiegen», erklärt er mit fester Stimme. Unterwegs wurde der Slogan Bwa Kale von jungen, zur Verteidigung ihrer Gegend entschlossenen Frauen und Männer skandiert. Bwa Kale ist eine Form des Volkswiderstands gegen die bewaffneten Gangs, die straflos versuchen, die Kontrolle über die Zonen zu übernehmen.
Am Schluss haben die Bürgerinnen und Bürger von Fòs Rezistans Loten in einer Pressekonferenz erklärt: «Wir, die Mitglieder von Fòs Rezistans Loten, kämpfen bis zum Schluss, um unsere Lebensräume zu verteidigen. Wir schwören, die Wachbrigade weiterzuführen, denn dank dieser Initiative sind wir noch am Leben und können unsere Gemeinschaften verteidigen», sagte ein Mitglied. Wir werden den Kampf nicht aufgeben. Und Fòs Rezistans Loten wird in die Geschichte des Volkswiderstands in Haiti eingehen.»
Die Demo in Fort Jacques. Bild: AlterPrese.
Nachdem in Canapé Vert am 24. April 2023 14 mutmasslich Banditen gelyncht wurden, haben sich in der metropolitanen Zone von Port-au-Prince und in verschiedenen Provinzstädten Widerstandsherde konstituiert. Die brigades de vigilance üben eine Schnelljustiz gegen alle als Banditen identifizierten Personen aus. Am 9. Mai hat das Réseau national de défense des droits humains (Rnddh, Nationales Netz zur Verteidigung der Menschenrechte) von mehr als 100 Fällen von Lynchjustiz im Rahmen von Bwa kale berichtet. Die UNO redet von 165 Lynchmorden. In einem Interview mit der Plattform AlterPresse/AlterRadio hat die Arbeitsgruppe für Sicherheit (Groupe de travail sur la sécurité, Gts) einen Anfang von BürgerInnenerwachen dank dieser neuen Bewegung des Volkswiderstands gegen die bewaffneten Banden begrüsst. Allerdings ist die Arbeitsgruppe überzeugt, dass diese Bewegung alleine keine dauerhafte Problemlösung erzielen könne.
Das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte hat über 600 Todesfälle allein im Monat April in der neuen Welle extremer Gewalt gegen verschiedene Quartiere in der Hauptstadtzone konstatiert. Das Rnddh berichtet von 734 Ermordeten zwischen April 2022 und April 2023 in sechs von neun Massakern in den Departementen l’Artibonite und Ouest, wo sich die Hauptstadt befindet. Das macht im Schnitt 122 Ermordete pro Massaker; 105 Frauen und Mädchen wurden dabei massenvergewaltigt.
Haïti-Criminalité: Les habitants de Fort Jacques debout face à la terreur des gangs armés