Palästina/Israel: Diskursmanagement und Genozidakte

Dienstag, 24. Oktober 2023

(zas, 23. 10.23) Wie informierten heute die Abendnachrichten? Im südlichen Gazastreifen habe die israelische Armee Panzer-Inkursionen gemacht. Und sonst? Nichts. Nicht mal der übliche Smalltalk zu was gerade ein Biden oder ein Scholz so findet

Solches Geplätscher hat System. Es erlaubt, die wichtigen Dinge nicht zu sagen. Wie zum Beispiel, dass in der Nacht auf heute bei intensiven Bombardierungen im Gazastreifen, auch in seinem südlichen, also «geschützten» Teil, anscheinend 400 Menschen umgebracht worden sind. (Seit Beginn des israelischen Rachefeldzugs wurden laut palästinensischen Angaben bis heute über 5'000 Menschen in Gaza und in der Westbank ermordet.) Man will das Publikum ja nicht mit zu viel Zahlen ermüden oder gar einigen der 5'000 Umgebrachten oder ihrer Angehörigen eine Stimme, ein Gesicht geben. Denn sie sind nicht von «unserer Seite». Nur sie wird vermittelt. Diese Opfer werden des Mitleidens für würdig befunden, weil sich so das westliche Kriegsnarrativ emotional begleiten lässt. Sie werden missbraucht.

Wir erfahren dafür etwa nicht, dass laut Euro-Med Human Rights Monitor im Gazastreifen mindestens schon ein Fünftel der Häuser zerstört ist. Dafür gibt es viel Aufheben um die wenigen Lastwagen mit Hilfsgütern, die es bisher in die südliche Gazazone geschafft haben. Ein «Lichtblick», sagt die Propaganda. Ein «Tropfen», wie Cindy McCain, Chefin des Welternährungsprogramms, sagte; ein «Witz», präzisierte vor einigen Tagen verzweifelt die israelische Journalistin Amira Hass.

Der tägliche Terror wird verschwiegen oder allenfalls mal in vorbei hastender Zusammenfassung ins Diskursmanagement eingestreut. Die Logik dahinter ist «simpel»: Dem Kriegskommando made in Washington sollen möglichst wenig Hindernisse in den Weg gestellt werden. Warum auch nur eine Feuerpause, ein Unterbruch in der Unmenschlichkeit? Das diente bloss dem «Bösen».

Nach übereinstimmenden Berichten hat die israelische Armee (geschützt von einer US-britischen Armada im Hintergrund) in der Nacht auf heute ihre Angriffe auf Gaza, aber auch die Westbank und den Libanon, deutlich intensiviert. Und der Guardian berichtet: «Der IDF-Sprecher, Konteradmiral Daniel Hagari sagte, ZivilistInnen sollten in den Süden gehen, da die IDF sich auf die nächste Kriegsphase vorbereite. ‘Wir werden unsere Attacken vertiefen, um die Gefahren für unsere Kräfte in den nächsten Kriegsphasen zu minimieren.’»  

Wir begreifen: Die «humanitäre Öffnung» (die Lastwagen mit viel zu wenig Hilfsgütern) soll vom zunehmend verschärften Massaker ablenken. Welches bloss der Bekämpfung der Hamas diene; Begriffe wie gezielte Zerstörung der verbleibenden palästinensischen Gesellschaft, ethnische Säuberung, Verbrechen gegen die Menschheit sollen im Westen weiter absurd tönen.

Als das Ahli-Arab-Spital zerbombt wurde, ging es ein paar Stunden, bis die Sprachregelung in die Gänge kam. Biden in Tel Aviv und die israelische Armee sagten dann, was Sache ist. Ok, mit verschiedenen Versionen der palästinensischen Täterschaft, von denen die eine die nicht mehr haltbare andere ersetzte, die aber alle nahelegten, dass in Wirklichkeit der Jihad oder Hamas daran schuld sei. Erst waren das «Zweifel», die aber in Windeseile überzeugender wurden, jetzt auch für Quellen wie der britische oder der kanadische Geheimdienst. Denkbar ist die These einer fehlgeleiteten palästinensischen (oder israelischen) Rakete. «Natürlich» würde das die Propaganda von Hamas/Jihad ausschlachten. Nur, wie wahrscheinlich scheint es, dass ein palästinensisches Missil genau ein von Israel zur «Räumung» aufgefordertes Spital verwüstet und viele Menschen umbringt?)

Dieses Infomanagement erlaubte den Medien schon kurz nach der Schreckensmeldung, nicht mehr über die verheerende Lage vor Ort zu berichten, sondern sich fortan der Wiedergabe von US-israelischen Statements zur palästinensischen Verantwortung zu widmen. Und ja, es stimmt, wer weiss von handfesten Beweisen, dass Israel verantwortlich ist?

Und hier wirkt sich die zweite Schiene der Dauerdarstellung von «technischen» Statements bzw. dunklen Ahnungen aus der Küche der Hauptkriegskräfte über die direkten Täter aus. Am Schluss geht es dabei sozusagen um Fingerabdrücke. Das lässt das Wesentliche aus. Nicht nur, dass am Rande des Spitals kurz vorher schon Bomben fielen, sondern vor allem die sogenannte «komplette Belagerung» (Kriegsminister Gallant) der Menschen im Gazastreifen und der israelische Marschbefehl an die Bevölkerung erst in Nordgaza. Wie auch der Süden immer mehr bombardiert wird, wird aus dem Marschbefehl ein faktisches Kommando zum erschöpften Herumirren in ganz Gaza. Die UNO hat es gesagt, das IKRK hat es gesagt, die GesundheitsarbeiterInnen in Gaza schreien es bis heute heraus: Die von Tel Aviv geforderte Schliessung von 22 Spitälern in Nordgaza führt direkt zum Massenmord. Das hindert die westliche Kriegspartei nicht daran, wiederholt darauf zu beharren. Die Totalsperre legt die Spitäler zunehmend «still». Kein Benzin gleich kein Strom gleich Operationen, wenn überhaupt noch nur unter schlimmsten Bedingungen. Es gibt so gut wie keine Medikamente mehr, noch nicht mal Schmerztabletten. Und kein Wasser – die Menschen verdursten langsam auch in den Spitälern, draussen sowieso, wie auch die WHO wiederholt klagt (die aufwühlenden Berichte von Eingeschlossenen in Gaza gelten ja ohnehin nicht als erwähnenswert).

Das ist extrem brutal. Das «geräumte» Ahli-Arab-Spital ist davon - so oder so - ein Ausdruck.

Einige mediale Knalltüten taten ganz besonders gescheit und fragten «Wem nützt das zerbombte Spital»? Ihre «Antwort: der Hamas. Das ist Dreck, als das erkennbar, wenn die «stillen Schliessungen», der Marschbefehlt, der Dauerraketenbeschuss der Bevölkerung nicht verdrängt, bagatellisiert werden. Nein, ein zerbombtes Spital nützt wie ein nicht mehr operatives Spital denen, die die Bevölkerung fertig machen wollen.  

«Cry uncle» - Ausdruck aus der US-Boxwelt, mit dem der Unterlegene sein Aufgeben signalisiert – das verlangte US-Präsident Reagan wörtlich von Nicaragua, um mit dem US-Terror im Land aufzuhören. Ein aus ihrer Seele kommendes «Cry uncle» verlangt heute die westliche Kriegsmaschinerie von den Menschen in Gaza. Unter gediegener Mithilfe ihrer medialen MittäterInnen oder Feiglinge.

Smotrich, Ben-Gvir und andere Faschisten in der israelischen Regierung und Gesellschaft sind, mit Segen aus dem globalen Norden, im Element. Vertreibung aller PalästinenserInnen, die nicht bereit sind, in Zukunft rechtlos und ihrer Würde möglichst beraubt – soweit benötigt - dienstbar zu sein. Darum geht es und das wird unterschlagen, soll aber brutal durchgesetzt werden. Und sei es, wofür leider Anzeichen sprechen, mit einem kriegerischen Flächenbrand in der Region.

Opfer, egal welcher «Seite», die in Israel nieder Gemetzelten, die in Palästina dauernd Ermordeten, und ihre Nächsten, haben mehr miteinander gemein als als das, was sie trennt. Es gibt in Palästina, in Israel, in den Diasporas viele Stimmen, die das bekunden. Die sich auflehnen gegen das übergeordnete Kriegskommando aus dem (noch?) geeint auftretenden Westen und das untergeordnete, aber ebenfalls mörderische, einer Hamas-Führung. Wir müssen, wir können uns ihnen anschliessen.