(zas, 27.1.24) Gestern erlegte der Internationale Strafgerichtshof (IGH) Israel den rechtlichen Zwang auf, binnen eines Monats darzulegen, wie es die palästinensische Zivilbevölkerung vor sich selber schützen will. Vor allem beschied das Gericht, Südafrika habe für seinen Antrag auf Verurteilung Israels wegen Völkermords nicht einfach von der Hand zuweisende Elemente dargelegt. Der Gerichtshof kam seiner juristisch-moralischen Verantwortung, Israel zur Beendigung seines Kriegs zu verpflichten, nicht nach. Es zirkulieren verschiedene Interpretationen des Gerichtsentscheids. Die aus Tel Aviv, Washington und anderen kriegsführenden Machtzentren stammenden sind offensichtlich falsch. (Netanyahu redet von einer generationenlangen IGH-«Schande», für den Sprecher des US-National Security Council ist der Gerichtsfall auch weiter «konterproduktiv und vollkommen ohne irgendwelche faktische Basis» und für das britische Aussenministerium «falsch und provokativ».) Der Aussenbeauftragte der EU, von der viele Mitglieder engstens mit dem israelischen Sicherheitskomplex kooperieren (Italien beteiligt sich gleich a den mit dem Israel-/Gaza-Krieg verbundenen Operationen gegen Jemen), wünschte dagegen eine sofortige Befolgung des IGH-Verdikts. Eine Reihe von Staaten und anderen Akteuren sieht vor allem Vorteile im vorläufigen Gerichtsentscheid: Israel werde kritischer betrachtet werden. Dass Israel die Vorgaben über verbale Nebenschwaden hinaus umsetze, erwartet wohl niemand. (Tel Aviv kann sich da an der US-Gerichtsvorsitzenden Joan Donoghue orientieren. Sie, jahrzehntelange Funktionärin der US-Aussen- und Finanzministerien, hatte in den 80er Jahren die Regierung Reagan im Fall der erfolgreichen Entschädigungsklage Nicaraguas wegen der immensen Verluste aufgrund des US-Kriegs vor dem IGH vertreten. Der Fall ginge den IGH nichts an, hatte Donoghue argumentiert. Washington ignoriert den damaligen Gerichtsentscheid bis heute.)
Eine erste deutliche Antwort der Pro-Genozid-Achse auf den IGH-Entscheid erfolgte ebenfalls gestern. Israel habe Washington, so liess man dort verlauten, mitgeteilt, dass 12 Angestellte der UNRWA sich am Angriff der Hamas vom 7. Oktober beteiligt haben. Sofort stellte Washington, gefolgt von anderen Regierungen, darunter jener der «geläuterten» Neofaschistin in Rom, seine Zahlungen an die UNRWA ein. Mal unterstellt, dass 12 Leute (von einem Personalstock von 30'000) tatsächlich irgendwie am Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren – was würde das rechtfertigen? UNRWA ist heute die mit Abstand wichtigste Instanz, die das Massensterben in Gaza nicht verhindern, aber doch ein wenig lindern kann. Wegen dieser 12 sagen Washington & Co., in Taten, nicht in Worten, in Palästina müssen noch mehr Leute noch schlimmer hungern und noch mehr Kinder ohne Anästhesie operiert werden. Zur Verdeutlichung: Vor dem Krieg liess Israel weit mehr UNRWA-Lieferungen zu als heute. Nur: In jenen im Vergleich «idyllischen» Zeiten waren die Menschen viel weniger als heute Seuchen ausgesetzt, gab es Bäckereien und Landwirtschaft, trinkbares Wasser, Märkte, Spitäler mit Strom, ein Dach über dem Kopf, Schulen und Universitäten, so etwas wie Alltag – nicht permanenten Horror. Das eine UNRWA diesen heute ein klein wenig behindert, findet man von Tel Aviv über Washington bis in zugewandte Kreise hierzulande unerträglich.
Wie reagieren die Mainstream-Medien, die einschlägige Politik? Man tränkt sich an der dargebotenen Brühe. Die Berichterstattung zum Thema heute in Radio, TV und Online-Zeitungen hatte zwei Schwerpunkte: ungeheuerlicher UNRWA-Sündenfall und – entsetzlich! – am internationalen Tag zur Erinnerung an den Holocaust gab es in Zürich die Kundgebung gegen den Genozid in Palästina (und anderswo). Diese wurde von Israel-Propagandisten und Medien als antisemitisch karikiert. Du weisst, antisemitisch ist, wer sich Israel-kritisch über eine eventuelle Vorliebe für einen Netanyahu oder einen Benny Gantz hinaus äussert. Warum frage ich mich, was diese Drecklawine bei einem palästinensischen Aufgewühlten, bei der jüdischen Genossin heute an der Kundgebung mit dem Schildchen «Judaismus ja – Zionismus nein» auslösen muss? Unsereins jedenfalls umarmt beide.
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Noch zur humanitären Haltung des Westens: Die Haaretz berichtete vorgestern über einen Deal USA/Israel betreffs Lieferung von zwei Schwadronen von je 25 Flugzeugen der Typen F-35 und F-15 und 12 Apache-Angriffshelikoptern. «Die beiden Käufe der Kampfflugzeuge stehen seit Jahren an, wurden aber nie realisiert. Der erneute Verkauf von Apaches ist eine direkte Lektion des aktuellen Gaza-Kriegs, der den dringenden Bedarf an Kampfhelikoptern für den Angriff auf feindliche Ziele und für die Unterstützung der IDF-Bodentruppen zeigte.» Wir sehen, wie erzürnt Genocide-Joe, wie Biden von US-Linken genannt wird, und die Seinen wegen der Kriegsführung Netanyahus sind.