„In den USA hat sich die Physiognomie der Regierenden geändert, nicht die Politik des Imperiums“
Evo Morales
(Telesur, 1.7.09: Bolivia no venderá su dignidad)
Harter Job! Etwa erst wortgewaltig Main Street gegen „Abzocker“ in Schutz zu nehmen und anschliessend eine Finanzregulierung zu pushen, von der wir erfahren: „Gewiss ist der grösste Teil der Finanzsektorcommunity glücklich mit dem Resultat“ (http://www.ft.com/cms/s/0/dc454a6c-5b5a-11de-be3f-00144feabdc0.html). Oder als Friedensbringer zu posieren und binnen Wochen 2-3 Millionen Menschen in Pakistan in die Flucht zu jagen. (Ok, nicht sein alleiniger Verdienst. Man hört, „die Taliban“ helfen dabei.) Aber dies ist wieder ganz die Show des US-Präsidenten: In Lateinamerika auf glaubwürdig machen zwischen dem Putsch in Honduras, der Eskalation des „Drogenkrieges“ in Mexiko oder Angriffen auf Bolivien.
Wandel? Kontinuität?
Kein Wunder, antwortete der US-Botschafter in Managua, Robert Callahan, auf die Frage, was sich in seinen Augen nach einem Obama-Sieg in den damals gerade aktuellen Präsidentschaftswahlen in den USA an der Politik dieses Landes zu Lateinamerika ändern würde: eigentlich wohl nichts. Die US-Politik im Kontinent sei seit Jahrzehnten geradlinig verlaufen und warum sich das unter Obama ändern sollte?
Im Oktober letzten Jahres zählte COHA (der Council on the Americas), ein auf Lateinamerika spezialisierter Washingtoner Thinktank im Dunstkreis der Demokratischen Partei, die Schwerpunkte in der sich damals abzeichnenden Politik Obamas in der südlichen Hemisphäre auf: Sicherheitskooperation, transantionale Gangs und OK, Drogen, Gewaltverbrechen etc. Für Zentralamerika „versprach“ Barack Obama eine verschärfte Bekämpfung der Strassengangs, für Mexiko die kürzlich im Kongress verabschiedete Finanzierung des Plans Mérida, im Süden z.B. die Weiterführung des Plan Kolumbiens. COHA erinnerte auch an die Befürwortung Obamas für den kolumbianischen Angriff auf FARC-Lager in Ecuador im März 2008. Einen Change sieht COHA mehr im „Subtilen“: mehr Gewicht auf Menschenrechte etwa in Kolumbien, weniger „falkige“ Spitzenbeamte im State Department und in den entscheidenden BeraterInnenstäben. Ähnlich versprachen sich an einer im Januar veröffentlichten Diskussionsrunde von NACLA (North American Congress on Latin America) bekannte linke US-SpezialistInnen für die Lateinamerika-Politik von der personell adäquateren Besetzung von Labor- oder Menschenrechtsposten in den US-Botschaften eine Besserung im hemisphärischen Beziehungsalltag.
Bedrohungen und ihr idealer Regulator
Die Fortführung des sog. Drogenkrieges, für welche die Pläne Kolumbien und Mérida stehen, ist von grosser Bedeutung. Denn sie konsolidiert eine Entwicklung, die seit einigen Jahren im Gang ist und an der Stabsübergabe der Zuständigkeit für die Politik vom State Department an das Pentagon festgemacht wird. Organisationen wie COHA oder das Center for International Policy (CIP) warten denn auch immer wieder mit Vorschlägen auf, wie diese Entwicklung rückgängig gemacht werden und das State Department erneut die policy leadership übernehmen könne. Im März 2007 hatte das Southcom (Südkommando der US-Streitkräfte) ein Strategiepapier für „seine Zone“ - der Kontinent südlich von Mexiko - veröffentlicht, die Command Strategy 2016. Wie üblich, kommen da Armut, Ungleichheit, damit einhergehende Korruption, etc. als zentrale Bedrohungen vor, „natürlich“ nicht der Menschen, sondern der National Security der USA. Die Armeelösung besteht in den Worten von WOLA (Washington Office on the Americas) , CIP und LAWG (Latin America Working Group, wie WOLA ein weiterer linksliberaler Thinktank) darin, „dass das US Southern Command die Führungsrolle bei der Lösung der regionalen Probleme übernimmt, also nicht mehr nur militärische Aktionen plant und durchführt, sondern in Zukunft die ‚Sicherheit, Stabilität und Prosperität ganz Amerikas’ garantiert. D.h. für sämtliche Angelegenheiten von der wirtschaftlichen Entwicklung über Handelsfragen bis zur öffentlichen Sicherheit zuständig ist.
Das Southern Command schlägt sich also selbst als Koordinator der Aktivitäten sämtlicher militärischer und ziviler US-Behörden in der Region vor und würde auch das Personal der anderen Behörden übernehmen.“ (übersetzt in ila, Juni 09)
Ins gleiche Kapitel der Kontinuität gehört etwa auch Obamas Position zum angestrebten Freihandelsvertrag mit Kolumbien. Auch unter Druck der US-Soli- und Gewerkschaftsbewegung vertrat Obama während seiner Wahlkampagne, dass angesichts der bestürzenden Statistik ermordeter GewerkschafterInnen in Kolumbien ein FTA nicht drin liege. Doch am „Amerikagipfel“ vom letzten April versprach der US-Präsident seinem kolumbianischen Kollegen, die Sache zu „entblockieren“. Der Pressesekretär des WH, Robert Gibbs, dazu: „Der Präsident forderte unseren Handelsdelegierten, Botschafter Kirk, dazu auf, mit den Kolumbianern die verbleibenden Besorgnisse durchzugehen“. Nicht ohne brav anzufügen: „Der Präsident bleibt besorgt wegen der Gewalt gegen GewerkschafterInnen in Kolumbien“ (NACLA, 20.4.09)
Seit 1987 fielen in Kolumbien 2700 GewerkschafterInnen politischen Mordanschlägen zum Opfer. Die Quote ging mit der Demobilisierung der Paras stark zurück, doch stieg sie 2008/2007 auf 49:39, Tendenz dieses Jahr noch steigend.
So where’s the change?
Verändert hat sich das Kräfteverhältnis
Die USA sind in Lateinamerika derzeit, im Vergleich zur Lage noch zu Beginn der 90er Jahre, enorm geschwächt. Das eindrücklichste Beispiel war wohl die Tagung der OAS (Organisation der Amerikanischen Staaten) von anfangs Juni, als Hillary Clinton dem Wiedereintritt von Kuba zustimmen musste (bzw. sich absetzte und solche Schmach ihrem Stellvertreter Tom Shannon überliess).
Doch nehmen wir ein paar Beispiele aus dem wirtschaftlichen Bereich, um die Tendenz zu verdeutlichen. Seit den 80er Jahren herrschte der Norden, voran die US, in Lateinamerika primär mittels des IWF. Dieses Instrument ist stumpf geworden: Der Caracazo 1989 und eine Reihe von „IMF-riots“ wie in der Dominikanischen Republik, der zapatistische Aufstand im Januar 94 gegen die Freihandelspolitik des Washingtoner Konsensus, die argentinische Revolte 2001 haben die Basis für den Sieg linker Regierungen gelegt, die den IWF ausbezahlt haben und sich seither einen Deut um seine Rezepte scheren. Einzig in Zentralamerika und der Karibik behält der IWF seine Machtposition. Zwar haben wir heute die klare Tendenz der G-7 etc., den IWF wieder zur Knüppelgarde des transnationalen Kapitals zu machen (siehe etwa das Baltikum), doch dürfte diese Politik in Lateinamerika nicht allzu weit gedeihen. Denn:
- Venezuela hat in einem Jahr via Petrocaribe der Region $9 Mrd. zur Verfügung gestellt, das Vierfache der zivilen-militärischen „Hilfe“ der USA.
- Venezuela hat einen $6-Mrd. Investitionsfonds mit China eingerichtet und verfügt über ~40 Mrd. Reserven.
- Das Kreditportefeuille der staatlich-privaten brasilianischen Bank BNDES übersteigt jenes der Interamerikanischen Entwicklungsbank bei Weitem.
- Als Bolivien letztes Jahr den Botschafter Goldberg raus warf, sperrte Washington umgehend die zollvergünstigte Exporte in die USA. Ein schwerer Schlag für das Land. Doch Venezuela übernahm die Abnahme von Waren. Parallel stieg der Mercosur-Handel Boliviens im Jahr 2008 um 60%. Das Land hat Wirtschaftsabkommen mit Ländern wie Russland, China, Indien, Iran und Japan geschlossen.
- Im letzten März meinte der brasilianische Aussenminister Celso Amorim an der Konferenz arabischer und südamerikanischer Länder, da Brasilien seinen Handel mit der arabischen Welt von $8 Mrd. auf $20 Mrd. erhöht habe, sei es der aktuellen Wirtschaftskrise weniger ausgesetzt.
Wir verstehen so, warum Hillary Clinton kürzlich meinte, die vorherige Administration habe versucht, [„die populistischen Führer in Lateinamerika“] „zu isolieren, sie zu Parias zu machen, doch das hat nicht funktioniert“ (Center for Economic and Policy Research, 6.5.09). Als letztes Jahr mit dem kolumbianischen Angriff auf ein FARC-Lager in Ecuador die US-Kriegsstrategie von Kolumbien auf den Andenraum ausgeweitet werden sollte, mussten Washington und Uribe rasch zurück buchstabieren. Denn eine Reihe lateinamerikanischer Regierungen um die ALBA-Gruppe trat als Antwort für die Schaffung einer Sicherheitsorganisation des Südkontinents ein – ohne USA und Kanada. Gegen den Ansturm des von den USA unterstützten Apartheidsezessionismus vor bald einem Jahr machte die südamerikanische Staatengruppe UNASUR unmissverständlich ihren Rückhalt für die Regierung von Evo Morales klar, parallel zur Gegenmobilisierung der indigenen und linken Kräfte in Bolivien. So richtig fein liessen sich die Probleme „im Hinterhof“ auch nicht lösen – die eigenen militärischen Terrorkapazitäten waren mit dem Irak- und dem Afghanistankrieg doch arg auf die Probe gestellt. (Das dürfte das Mütchen etlicher Pentagongorillas, die vor einigen Jahren laut über die Möglichkeiten eines Militäreinsatzes gegen Kuba „nachgedacht“ haben, entscheidend gekühlt haben.)
Schon unter Bush gab es Anzeichen für eine neue Herangehensweise, die solchen Fakten Rechnung trägt. Bush entdeckte auf seinem damaligen Brasilientrip das Problem der „social justice“, seine Botschaft in El Salvador liess verlauten, auch mit einem allfälligen Wahlsieger FMLN kutschieren zu wollen. Es ist kein Zufall, dass Bushs Lateinamerika-Verantwortlicher im State Department, Tom Shannon, diese Rolle bis jetzt auch für Clinton ausübt. Das „Neue“ haben wir heute mit dem friendly talk Obamas am letzten Amerikagipfel, wo er sich als einer unter Vielen inszenierte, mit der widerwilligen Zustimmung zur Aufnahme Kubas in die OAS oder auch mit der verbalen Distanzierung vom Putsch in Honduras.
Weiter im Takt
Doch wir haben vor allem viel „Altes“, siehe die oben skizzierten Prioritäten der Obama-Administration für Lateinamerika. Nehmen wir als Beispiel den Einsatz von „Hilfsgeldern“. Nochmals Bolivien: Im letzten August warf Evo Morales den US-Botschafter und Sezessionsspezialisten Philip Goldberg zum Land raus. Der hatte sich ein wenig zu unverschämt als Oberboss der sich abzeichnenden und gleich nach seinem Rauswurf losgelösten Mordoffensive der Apartheidkräfte geriert. Bush liess wie gesagt postwendend die Exportvergünstigungen streichen. Und Obama? Ei, er ratifiziert die Streichung der Exporterleichterungen im Wert von $25 Millionen. Denn einige Dinge an der neuen bolivianischen Verfassung und bei der Nationalisierung der Bodenschätze passen ihm nicht. Auch dass Bolivien sich dem Terror des so genannten State/Investor-Schiedsgericht bei der Weltbank (englisch ICSID, spanisch CIADI) entzieht, empört Mr. Doubletalk im Weissen Haus. (Denn das ist ein speziell feines Ding: Multis können hier Staaten erfolgreich auf Riesenentschädigungen anklagen, weil zum Beispiel ein Umwelt- oder ein Gesundheitsgesetz die potenziellen Profite des Unternehmens schmälere). Obama habe am Amerikagipfel vom letzten April gelogen, als er behauptete, Einer unter Gleichen zu sein, so Evo Morales. „Die Würde der Bolivianer kostet nicht $25 Millionen. Dass das Herr Obama und seine Regierung weiss!“ (Telesur, 1.7.09)