Paraguay: „Express-Putsch“

Freitag, 22. Juni 2012



(zas, 22.6.12) Im Laufe der heutigen Nacht (Schweizer Zeit) wird der paraguayische Präsident Fernando Lugo mit höchster Wahrscheinlichkeit abgesetzt, 9 Monate vor ende seiner regulären Amtszeit. Damit macht die das Parlament dominierende Rechte wahr, was sie seit 2009 androht (s. Berichte unter „tag“ Paraguay). Ein „technischer Putsch“ oder „Expressputsch“, wie ihn Lugo gestern genannt hat. Heute um 12h Ortszeit (18h Schweizer Zeit) muss sich Lugo vor dem Parlament verteidigen, das vier Stunden später sein „Urteil“ fällen wird.

Bisher hatte sich die rechte liberale Partei, die aber Teil des damaligen Wahlbündnisses war, das 2008 Lugo ins Präsidentenamt hievte, gegen das Amtsenthebungsverfahren gesperrt, da sie ja auch im Kabinett vertreten war. Nachdem Lugo vor wenigen Tagen den Innenminister  entliess und zu seinem Nachfolger einen ehemaligen Generalstaatsanwalt aus der Colorado-Partei ernannte, war der Spass für die liberale Partei vorbei. Damit ist eine überwältigende Mehrheit des Parlamentes gegen Lugo.

Auslöser der aktuellen Ereignisse ist eine Schiesserei, die am 15. Juni in einer besetzten Finca bei Curuguaty im östlichen Departement Canindeyú mindestens 27 Menschen, darunter 9 Polizisten, das Leben kostete. Nach ersten Berichten soll die Polizei bei der Räumung von professionell operierenden, mit AK bewaffneten Elementen angegriffen worden sein. Mittlerweile zirkuliert in den Sozialbewegungen allerdings die These, bei den Bewaffneten habe es sich um Infiltrierte gehandelt, die Beamten seien an „friendly fire“ gestorben. Lugo hatte danach einen seiner katastrophalen Personalentscheide getroffen: Er ersetzte den bisherigen Innenminister, Carlos Filizzola, einen alten Mitstreiter, mit Rubén Candía, der sich als Generalstaatsanwalt bis letztes Jahr als unerbittlicher Feind und Bekrieger der bäuerischen Bewegungen geoutet hatte.

Die Lage im Department Canindeyú ist nach wie sehr unklar, offenbar halten sich viele Campesinos und Campesinas ohne Land versteckt. Anscheinend gehört die umkämpfte Finca zu jenen riesigen Landimperien, die in der Vergangenheit mit krass illegalen Methoden an verschachert wurden. Das Colectivo Paraguayo de Movimientos y Organizaciones Sociales  hatte am 19. Juni erklärt: “Zurzeit sind 90 Prozent der Ländereien im Besitz von 0.6 Prozent der Bevölkerung. Diese privilegierte Gruppe  setzt sich mehrheitlich aus Politikern der traditionellen Parteien, Militärs, brasilianischen Unternehmern und Multis zusammen. Sie erwarben das Land mit Betrug unter der Strössner-Diktatur der 60er Jahre“.

In der Hauptstadt Asunción haben trotz der Kälte viele Menschen vor dem Parlamentsgebäude übernachtet. Gleichzeitig ist eine bäuerische Grossmobilisierung nach Asunción für heute in Gang gesetzt worden. In der erwähnten Erklärung hatte das Colectivo Paraguayo de Movimientos y Organizaciones Sociales schon am 19. Juni gewarnt, die Ereignisse in der besetzten Finca sollten „Paraguayer mit Paraguayern zu konfrontieren. Sie enthüllen einen gut durchdachten und natürlich von den kommerziellen Medien verstärkten Plan, um die …Regierung Lugo zu destabilisieren und so die öffentliche Meinung an einen politischen [Amtsenthebungs-] Prozess zu gewöhnen. Man kann durchaus an einen Staatsstreich denken.“

Mehrere Aussenminister des südamerikanischen Staatenbündnis Unasur  sind in Asunción eingetroffen und haben sich mit Lugo getroffen. Telesur berichtete heute: „Der Präsident von Ecuador, Rafael Correa, gab bekannt, dass, sollte sich bestätigen, dass der Kongress Präsident Lugo auf illegitime Weise absetzen wolle und die demokratischen Prozeduren missachte, Unasur ‚die neue Regierung nicht anerkennen’ und sogar ‚die Grenzen schliessen’ könnte, wie es ‚die demokratische Klausel der Unasur’ vorsieht.“

Die rechte Bischofskonferenz hat Lugo zum Rücktritt aufgefordert, um, wie die Zeitung Última Hora schreibt, „Gewalt zu vermeiden“. Der gleichen Logik hatte sich in Honduras der Pro-Putsch-Kardinal Rodríguez bedient, als er den 2009 gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya mehrmals aufforderte, seinen Widerstand gegen den Putsch aufzugeben. Lugo selber ist nicht gewillt, freiwillig zurückzutreten. Er hat heute das Prozedere des Parlaments gerichtlich angefochten. Weniger als 24 Stunden Vorbereitungszeit für eine Verteidigung gegen die gestern vom Parlament erhobene Anklage sei verfassungswidrig. In der Anklage geht es zentral um die Landkämpfe der letzten Jahre, als deren Drahtzieher Lugo dargestellt wird, der dabei nicht davor zurückgeschreckt sei, die Armee zu demütigen. Erste Stimmen aus dem Lager der liberalen Partei warnen heute vor einem „überstürzten“ Amtsenthebungsverfahren.