(zas, 25.1.14) Vor kurzem brachen die internationalen Medien
ihr relatives Schweigen zum fortwährenden Gemetzel im Rahmen des sogenannten
Drogenkrieges in Mexiko. Anlass für die Berichterstattung waren die
Auseinandersetzungen zwischen Bürgerwehren, dem Kartell der Caballeros Templarios (Templer) und der
Armee in Michoacán. Was immer es genau mit diesen Bürgerwehren auf sich hat,
ihre Eigendarstellung als besorgte Bürger, die aufgrund der staatlichen
Passivität zur Waffe greifen, um ihren Gliedstaat von den Kartellen zu
befreien, ist so bestimmt nicht richtig. An eine deswegen fast von heute auf
morgen aufgestellte, nach eigenen Angaben mindestens 10'000 Mann umfassende, gut
bewaffnete Truppe zu glauben, die den brutalen Templarios Gemeinde nach
Gemeinde abnehmen, heisst, die Naivität etwas sehr zu strapazieren. Doch noch
wäre es zu spekulativ, die teilweise widersprüchlichen Infos und Einschätzungen
zu den Bürgerwehren auf den Punkt bringen zu wollen.
Bürgerwehr und Armee. Bild: expedientenoticias.com |
Es ist immer wieder verblüffend, wie einfach letztlich der
internationale Infofluss gesteuert werden kann. Seit Peña Nieto die
Präsidentschaft in Mexiko angetreten hat, ist auf dem vorherigen Info- und oft
auch Desinfofluss zum "Drogenkrieg" in Mexiko zeitweise ein wenig
aufgeregtes Geplätscher geworden. Der Grund ist einfach: Die Regierung Peña
Nieto ist auf die Privatisierung des mexikanischen Öls (u. a.) eingeschworen,
das Geschäftsklima soll nicht mit Störgeräuschen von der Gemetzelfront belastet
werden. Als die USA ihr Freihandelabkommen mit Mexiko vorantrieben, erhielten
die Mitglieder der US-Drogenbehörde DEA die Anweisung, nichts mehr über
Verbindungen des Drogenhandels und der mexikanischen PolitikerInnen zu
berichten. In der Folge schlief das Thema auch in den Medien ein – bis nach
Abschluss des angestrebten Werks. (s. dazu Correos 176, 16. Dezember 2013: Die
Geschichte von Kiki Camerena). Nun berichten manche Medien kurzfristig über
die Geschehnisse in Michoacán – und verschlafen ansonsten das Meiste.
Zwei Beispiele für "Vergessenes":
1. Die DEA und das Sinaloa-Kartell
El Universal ist nicht gerade ein obskures Boulevardblatt.
Es handelt sich um eine der grössten und zudem "seriösen"
Tageszeitungen Mexikos. Am 6. Januar 2014 veröffentlichte die
Universal-Journalistin Doris Gómora Ergebnisse ihrer über ein Jahr dauernden
Recherche über die engen Beziehungen des angeblich weltweit grössten
Drogenkartells von Sinaloa und der DEA (La
guerra secreta de la DEA en México). Ihr lagen eine Reihe Gerichtsdokumente
mit Aussagen von DEA-Beamten aus dem Prozess in Chicago gegen Vicente Zambada
Niebla vor, Sohn eines der Topbosse des Sinalao-Kartells vor. Der Logistik-Verantwortliche
des Kartells wurde 2009 in Mexiko gefasst und 2010 an die USA ausgeliefert, wo
sein Prozess 2011 begann. Zambada Niebla hatte wenige Stunden vor seiner
Verhaftung zusammen mit dem als Anwalt des Sinaloa-Kartells agierenden Humberto
Loya-Castro an einem Treffen mit DEA-Agenten in Mexiko-Stadt teilgenommen.
Loya-Castro ist Recherchen der Journalistin zufolge eine der Schlüsselfiguren
in der Zusammenarbeit des Kartells mit der DEA, die seit 2000, also seit dem
Antritt der ersten Regierung der konservativen Partei PAN (2000-2006. Vicente
Fox, 2006-2012 Felipe Calderón), angehalten hat.
Wiederholt kam es auf mexikanischem Territorium zu angeblich
auch nicht der mexikanischen Regierung mitgeteilten Geheimtreffen zwischen der
DEA und anderen US-Diensten und mexikanischen Kartellen, vor allem jenes von
Sinaloa. Loya und seine Komplizen waren für die Treffen jeweils von
Sinaloa-Oberboss Chapo Guzmán autorisiert worden. 12 der unter Calderón erfolgten
wichtigsten Narcoverhaftungen seien, so El Universal, auf so entstandene Tipps
zurückzuführen. Weiter schreibt das Blatt: "Gerichtsakten, einschliesslich
von Erklärungen der US-Agenten und -Funktionären, machen klar, dass die
DEA-Agenten mehr als 50 Treffen mit hochrangigen Mitgliedern des
Sinaloa-Kartells in mexikanischem Territorium hatten". Zusätzlich zu
hunderten Telefongesprächen Loyas mit der DEA und E-Mails. Der Mann hatte
schriftliche Arbeitsverträge mit der DEA, wie die US-Ermittler dem Gericht
darlegten. Gómora schrieb: "Die vertraulichen Arbeitsabkommen, die der
Zeitung vorliegen, besagen, dass Loya-Castro sich dazu verpflichtet hatte,
bedingungslos zu informieren, unter Aufsicht der US-Regierung zu handeln, von
seinem Kontrollermittler spezifisch autorisierte illegale Aktivitäten zu
unternehmen und all das, ohne eine Gegenleistung zu erwarten." Laut
dem Anwalt Fernando Gaxiola, der für die Verteidigung von Zambada Niebla
arbeitete, begann Loya seine DEA-Kooperation Ende der 90er Jahre, um ein
US-Verfahren gegen ihn und Sinaloa-Boss Chapo Guzmán aus dem Weg zu schaffen.
Gaxiola sagte: "Der Chapo gab seine Zustimmung und Herr Loya-Castro
begann die Informationen, die er vom Chapo erhielt, den Agenten zu
übergeben." (Chapo ist ein Übernamen, der "Kurze"). Die
Verteidigung von Zambada Niebla in Chicago resümierte: "Loya setzte
seine Aktivitäten mit dem Sinaloa-Kartell mit Kenntnis der US-Regierung fort,
ohne verhaftet oder prozessiert worden zu sein". Eine der Infoquellen
Loyas war Zambada Niebla. Die US-Anklage gegen Loya wurde, wie in den
Gerichtsakten zu lesen ist, 2008 fallen gelassen.
Zambada Niebla berief sich nach seiner Verhaftung und im
Gerichtsverfahren in Chicago auf seine Kooperation mit den US-Diensten und die
ihm zugesicherte Straffreiheit für seine mit der DEA abgestimmten Deals des
Sinaloa-Kartells. Natürlich trafen diese "abstrusen" Behauptungen auf
Hohn und Spott der U-Behörden und der Medien, so weit ich mich entsinne, auch
einiger schweizerischer. Seither mussten die US-Stellen einige dieser
"abstrusen" Behauptungen bestätigen: das Treffen mit Loya und Zambada
Niebla kurz vor dessen Verhaftung, die Routine-"Infotreffen" mit
autorisierten Vertretern des Sinaloa-Kartells, die Straffreiheit für Loya u. a.
Lambadas US-Verteidigung begann, die Herausgabe von
Dokumenten der DEA und anderer US-Dienste über die Kooperation mit Loya-Castro
und dem Sinaloa-Kartell zu verlangen. El Universal schrieb: "Die
US-Anwälte [Zambadas] wurden, einer Erklärung des Anwaltes Gaxiola zufolge, von
DEA-Agent Manuel Castañon via Loya-Castro davor gewarnt, dass, sollten sie
weiter [auf der Herausgabe] beharren, 'viele Personen Risiken ausgesetzt würden
und sie Loya-Castro, seiner Familie, Mayo [Zambada, Co-Boss des
Sinaloa-Kartells und Vater des Angeklagten] und dem Chapo Schaden zufügen
könnten und […] selbst in Gefahr gerieten.'"
Die Autorin des Universal-Artikels verortet die
DEA-Kooperation (nicht nur) mit dem Sinaloa-Kartell im Rahmen der Ermittlungen
gegen jeweils andere Kartelle. Das Problem mit dieser jeweils bei einschlägigen
"Skandalen" als Fallschirm fungierenden Lesart ist, dass sie
Dimensionen vollkommen verdreht. Eine verdeckte Ermittlung wie im Abendkrimi,
bei der der Held auch mal in eine juristisch-moralische Zwickmühle gerät, ist
eine völlig andere Sache als die jahrelange Ko-Organisation von Aktivitäten des
Sinaloa-Kartells, das angeblich 80 % des in den USA konsumierten Kokains liefert.
Interessant in diesem Zusammenhang ist folgende Aussage der
Journalistin von El Universal: "Zwischen 2000 und 2012, der Zeit der
beiden Regierungsperioden des PAN, besonders aber zwischen 2006 und 2012,
während der Regierung von Felipe Calderón,
schloss die US-Regierung für die Geschichte Mexikos beispiellose
Kooperationsabkommen für den Kampf gegen die Drogen ab. Parallel schuf sie über
ihre Agenten, die sich direkt mit Kartellmitgliedern trafen, einen Geheimkrieg
in Mexiko."
Ein Gesuchter, der auch gefunden werden kann... |
Es war immer wieder zu Hinweisen auf eine Kooperation
mexikanischer und US-Stellen insbesondere mit dem Sinaloa-Kartell gekommen (vgl.
etwa die "Fast and Furious"-Bewaffnung des Sinaloa-Kartells im Rahmen
einer langjährigen Operation des US- Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms,
and Explosives - USA/Mexiko:
Waffen für die Kartelle -, den Artikel des ETH-Sicherheitsinstituts - Mexiko:
Verhandeln mit der Narco-Elite – oder zur "laxen" Verfolgung des
Chapo Guzmán durch US-Behörden USA/Mexiko:
Arizona-Cops lassen Topdealer laufen).
Den "Drogenkrieg", also die US-betriebene
Militarisierung in Mexiko, müssen wir im Zusammenhang der trilateralen Security
and Prosperitiy Partnership (SSP) zwischen Washington, Ottawa und Mexiko
situieren. Die SPP, sagte 2007 der damalige Staatssekretär für die westliche
Hemisphäre, Thomas Shannon, "versteht Nordamerika als gemeinsamen
Wirtschaftsraum", den es durch verbesserte "Sicherheitskooperation"
zu schützen gelte. Er fügte an: "In einem gewissen Grad bewaffnen wir
[das nordamerikanische Freihandelsabkommen¨NAFTA", wie Laura Carlsen
vom Center for International Policy den Mann zitiert (Armoring
NAFTA: The Battleground for Mexico’s Future).
2. Neue Armeemacht
Einen ironischen Hinweis hatte sich die Journalistin von El
Universal nicht verkneifen können: "Zu Beginn des Sexeniums von Enrique
Peña Nieto kam es wiederhol zu kritischen Befürchtungen der US-Administration,
die neue PRI-Regierung könnte mit den Narco-Kartellen verhandeln, unter
anderem, um der Gewalt ein Ende zu setzen. Doch die US-Regierung hatte schon
mit den Kartellen verhandelt."
Und eindeutig mit einem anderen Ziel. Dieses erhellt sich uns schon eher aus
dem Artikel "Más poderío, dinero e impunidad para el Ejército" in der
Nummer 1940 der Wochenzeitschrift Proceso vom 5. Januar 2014. Wir lesen da: "Präsident
Enrique Peña Nieto und Verteidigungsminister General Salvador Cienfuegos Zepeda
wollen die Mittel für die Streitkräfte verdoppeln, ihre Präsenz in
Polizeioperationen verstärken und einen Rechtsrahmen schaffen, der ihren Kampf auf
den Strassen gegen das organisierte Verbrechen regulieren kann. Doch die zentralen
Hauptverantwortlichen für die Sicherheit im Land wollen weder auf die
Militärgerichtsbarkeit verzichten noch die Streitkräfte dem Kongress gegenüber rechenschaftspflichtig
machen. Die Armee will alles, ausser sich einer zivilen Kontrolle unterordnen.
Das wird, lässt sich aus den neu definierten Zielen ablesen, die Tendenz im
Sexenium von Peña Nieto sein … Im Gegensatz zum Präsidentendiskurs, der
versprochen hat, die Militärs von der Strasse zu holen, planen der Präsident
und der Chef der Sedena [Verteidigungsministerium] eine verstärkte
Truppenintervention."
Diese Armeeziele sind
in einem neuen, am 13. Dezember 2013 in Kraft getretenen Programa Sectorial
de la Defensa Nacional (PSDN, Sektorielles Programm der Nationalen Verteidigung)
enthalten, das Teil des Nationalen Entwicklungsplans ist. Der PSDN sieht den
Armeeeinsatz "nach Prioritäten der inneren Sicherheit" und in
Situationen, "die die öffentliche Ruhe gefährden", vor. Dafür
sollen die Streitkräfte in einem im PSDN nicht genau angegebenen Ausmass aufgerüstet
und mit einer neuen Rechtsgrundlage versehen werden. Vorgesehen ist die Schaffung
eines Gesetzes zur inneren Sicherheit und eines Gesetzes zur Verteidigung der
Nation, "um dem Vorgehen der Streitkräfte Rechtssicherheit zu
geben". Ein Vorhaben, das Peña Nieto-Vorgänger Felipe Calderón nicht
habe verwirklichen können, und das von einer entsprechenden Reorganisation der
Teilstreitkräfte begleitet werden wird. Daneben soll auch die äussere Verteidigung
gestärkt und neu eine Beteiligung an internationalen Friedensmissionen realisiert
werden.
Der Interamerikanische
Gerichtshof für Menschenrechte hatte vor Jahren Mexiko wegen des Verschwindenlassens
des Bauern Rosendo Radilla 1974 verurteilt und u. a. kritisiert, dass Morde von
ZivilistInnen durch Soldaten in die Kompetenz der Militärjustiz fallen. Eine entsprechende,
an sich verbindlich umzusetzende Reform steckt seit Jahren im Senat fest. Der
PSDN sagt nun: "Die Einschränkung der Militärgerichtsbarkeit verstösst
gegen die Armee, da ein Mangel an solider militärischer Disziplin der
umfassenden Befolgung ihrer gesetzlichen Aufträge schadet und ihre Operabilität
beeinträchtigen würde."
Bezeichnenderweise betont der PSDN bei dieser
Machterweiterung für die Armee ihre verstärkte menschenrechtliche Ausbildung. Wenige
Tage nach Inkrafttreten des PSDN hatte im entfernten und doch so nahen Kolumbinen
der dortige Präsident Juan Manuel Santos eine sehr
eigentümliche Rede anlässlich der Offiziersgraduierung gehalten. Nicht nur
bekräftigte er offen, dass für ihn Frieden einzig darin bestehe, dass die
Guerilla sich unterwerfe, sondern er betonte auch den intimen Zusammenhang des
unter US-Präsident Bill Clinton lancierten Plan Kolumbien mit einer neuen
Menschenrechtsdoktrin der Armee. Die USA haben seither den Plan mit $9
Milliarden finanziert (nebst ihrem kürzlich von der Washington Post offiziös gemachten
"Schwarzbudget" gegen Kolumbien). Santos gab sich bei dieser Rede vor
"Eingeweihten" auch keine Mühe, den Anschein aufrecht zu halten, der
Plan Kolumbien habe etwas mit dem offiziell angegebenen Motiv der Bekämpfung
des Drogenhandels zu tun gehabt. 2008 hatten die USA ihren ursprünglich Plan
Mérida geheissenen Militarisierungsplan für Mexiko und Zentralamerika lanciert
und ihn, wie zuvor den Plan Kolumbien, als gegen den Drogenhandel gerichtet
ausgegeben. Gegen jene "schwer gesuchten" Narcos, mit denen die US-Dienste
eifrig Absprachen treffen.
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Für jüngste Enthüllungen
über die enge Verwicklung der CIA in den mexikanischen Drogenhandel im Rahmen
von Contragate und die Folterung und Ermordung eines zum Thema ermittelnden
US-Drogenpolizisten s. Correos 176, 16. Dezember 2013: Die
Geschichte von Kiki Camerena. Auch das ein Thema, das den Medienmainstream
nicht zu interessieren brauchte, da nicht "Drogenkrieg"-förderlich.
Drogenhandelsrouten bis an ein schwarzer Loch. Bild: Stratfor. |