José Rodríguez
(26.5.14) Letzten 25. Mai fand die erste Runde in den
kolumbianischen Präsidentschaftswahlen statt.
Auf den ersten Platz kam mit mehr als 60 % die Wahlabstinenz, Ausdruck
des Misstrauens gegenüber dem Regime und seinem Politpersonal. Obwohl die
Abstinenz Ausdruck der Inkonformität ist, dient sie am Schluss der
Machtstärkung der oligarchischen Eliten, die das Land in den Krieg und die
soziale Ungleichheit von heute geführt haben. Erwartungsgemäss hat kein/e
KandidatIn das absolute Mehr erreicht, so dass es zum Stichentscheid zwischen
Oscar Yván Zuluaga und Juan Manuel Santos kommen wird, die 29.25 % bzw. 25.69 %
gemacht haben. Zuluaga repräsentiert den
mafiösen und Grossgrundbesitzer-Sektor der Oligarchie und Santos ihre
traditionelle, transnationalisierte Finanz- und Kapitalfraktion. Beide repräsentieren
die neoliberale Rechte. Zuluaga, Sieger der ersten Runde, steht politisch für
die extreme Rechte und Santos für die US-orientierte ultraliberale Rechte.
Äste vom gleichen Stamm
Von den fünf KandidatInnen der ersten Runde kommen vier aus
der von Ex-Präsident Álvaro Uribe vertretenen polit-ideologischen Tendenz, dem "Uribimus".
Santos, der heutige Präsident und Kandidat, Gründer der Partei , die Uribe an
die Macht brachte, war dessen wichtigster Minister, als Verteidigungsminister
verantwortlich die Sicherheitspolitik und damit für die Verletzung der
Souveränität von Nachbarstaaten, die berüchtigten falsos positivos (tausendfache Ermordung von unbeteiligten
Armutsjugendlichen durch die Armee, die anschliessend als gefallene Guerillas dargestellt
wurden) oder die Klientelpolitik zugunsten des Narco-Paramilitarismus. Zuluaga
war (mit Santos zusammen) der grosse Wirtschaftsideologe Uribes und dessen Finanzminister.
Unter Uribe wurde die Sozialversicherung demontiert und die Verwaltung der
öffentlichen Gesundheit kam in Privathände – über Konzessionen, die damit
endeten, dass sie vom Paramilitarismus kontrolliert wurden und der Mafia Profit
erbrachten. Für 70 % der Bevölkerung gibt es keine diesen Namen verdienende
Gesundheitsversorgung. Gleichzeitig wurden Renten und öffentliche Erziehung den
Marktregeln unterstellt, die Freihandelsverträge vorangetrieben und die von den
Paramilitärs geraubten Ländereien legalisiert.
Marta Lucía Ramírez vom Partido Conservador (Grossgrundbesitz, Viehzucht,
Klerus), mit 15.52
% der Stimmen auf Rang 3, war Uribes erste Verteidigungsministerin in der Zeit,
als die Straffreiheit und Legalisierung der geraubten Ländereien mit dem
Drogenhandel und dem Paramilitarismus paktiert wurden ("Gerechtigkeits-
und Friedensgesetzes"). Enrique Peñalosa, mit 8.28 % das Schlusslicht der
ersten Runde, war Kandidat für die Grüne Allianz, die irgendeinen anderen Namen
hätte annehmen können, da sie weder ökologisch noch links ist. Peñalosa ist ein
in der Weltbank geformter Technokrat und ehemaliger Bürgermeister Bogotás. 2011
scheiterte er als Kandidat des Uribismus beim Versuch, wiedergewählt zu werden.
Er verfügt über eine treue Wahlbasis und könnte die zweite Runde entscheiden.
Schmutzkampagne ohne Inhalte
Von Beginn weg war die Kampagne des Kandidaten Präsidenten
und des Kandidaten von Uribe durch das Fehlen klarer Vorschläge und die
Dominanz von Skandalen geprägt. Es handelte sich dabei um einen Streit
ehemaliger Kumpane, die sich sehr gut kannten. Um nur die beiden wichtigsten
Fälle zu nennen: Seitens der Uribe-Kampagne wurde Santos beschuldigt, über
seinen wichtigsten Berater – J. J. Rendón, Wahlstratege der
lateinamerikanischen Rechten, von der venezolanischen Justiz gesucht und von
Washington und Bogotá beschützt – bei seiner letzten Kampagne von den Narcos $
2 Mio. erhalten zu haben. Die Quelle dafür ist ein in den USA inhaftierter
Drogenhändler. Ihrerseits beschuldigte die Santos-Kampagne, gestützt auf ein
Video, Zuluaga, mithilfe eines Hackers die Kommunikation der beiden in Havanna
verhandelnden Delegationen und hoher RegierungsfunktionärInnen abgehört und
einen Plan zur Sabotage der Friedensverhandlungen zwischen FARC und Regierung
ausgearbeitet zu haben. Mithin handelt es sich um eine aus wahltaktischen
Gründen angestossene Diskussion über Formen der Korruption und der
Politikausübung jener Kasten, die die beiden Kandidaten vertreten. Die jüngste
Geschichte lehrt uns, dass, was sich die beiden vorwerfen – Beziehungen zum
Drogenhandel und zum Paramilitarismus, illegales Abhören etc. – vom einen wie
vom andern angewandt worden ist.
Das Fehlen umsetzbarer Vorschläge und Programme bewirkte
überdies nicht nur die Wahlprozessen eigene Demagogie, sondern eine
Polarisierung bzgl. der Friedensverhandlungen zwischen den Aufständischen und
der FARC und der Regierung Santos, die seit Ende 2012 in Havanna stattfinden. So
hat Santos diese Gespräche stets als Sprungbrett zu seiner Wiederwahl benutzt ,
während Zuluaga von Beginn weg offen gegen einen möglichen
Pazifizierungsprozess konspiriert hat. Er will so seinen Meister (Uribe)
kopieren, der 2002 die Präsidentschaft mit seiner offenen Propaganda des totalen
Kriegs gewonnen hat.
Die Linke übersteht
ihre Spaltungen
Die
Kandidatin von Izquierda Plural, Polo Democrático
und Unión Patriótica, Clara López,
belegte mit 15.23 % den vierten Rang, in technischem Patt mit Platz 3. In städtischen Zentren wie Bogotá erzielte sie
Resultate zwischen 22 % und 25 %. Der Polo
Democrático ist ein Mix von politischen Strömungen, die von liberal-fortschrittlichen
und sozialdemokratischen Tendenzen bis zu einer definitiv antisystemischen
Linken reichen. Die Unión Patriótica (UP)
entstand 1984 aus einem Versuch der FARC-EP, die Waffen in Stimmen
umzutauschen; ihre Kader wurden nach ersten Wahlerfolgen von Staatskillern
ermordet und die Partei verboten. In den
Parlamentswahlen vom letzten März trat die Linke in drei Gruppen gespalten an:
der Polo mit allen seinen Tendenzen; das vom Bürgermeister von Bogotá, Gustavo
Petro, angeführte Movimiento Progresista,
das damals mit der Alianza Verde von
Peñalosa zusammen ging; und drittens der Sektor um die UP und die KP. Nach den
Parlamentswahlen wurde eine linke Einheit angestrebt, doch vergeblich. Nur
zwischen Polo und UP kam es zu einer programmatischen Verständigung um Clara López
als Kandidatin für die Präsidentschaft und Aída Avella von der UP als ihre Vize.
Das Movimiento
Progresista von Petro spaltete sich in eine Fraktion für Peñalosa, den
Kandidaten der Alianza Verde, und
eine andere um Petro, der sich für die Unterstützung von Santos entschied.
Zwei
Dinge sind klar: Erstens gingen die linken Stimmen an den von zwei Frauen
geführten Zusammenschluss Polo/UP und zweitens missachtete die Basis von Petro dessen
Gebot und wählte die KandidatInnen der Linken.
Clara López und Aída Avella |
Offene zweite Runde
Bezüglich
der zweiten Runde ist, auch aufgrund der Nachwahlerklärungen der beiden
Kandidaten, nur klar, dass sich die Kampagne
in den nächsten drei Wochen um den Frieden drehen wird. Santos wird weiter die
Gefühle und das Sehnen jener ausnutzen, die wir nach 66 Jahren Krieg ein
Kriegsende wollen. Zuluaga seinerseits wird seine Kampagne in Vertretung jener,
die vom Krieg gelebt und daraus Profit geschlagen haben, gegen den Frieden
richten. Was die sozioökonomische Politik betrifft, laufen ihre unterschiedlich
ausgeschmückten Vorstellungen auf das Gleiche heraus: Neoliberalismus pur. Letztlich
vertreten sie die gleichen Interessen. Es geht um einen Streit zwischen zwei
Fraktionen des Establishments: der Mafia und der traditionellen, weissen und
glamourösen Bourgeoisie.
Die
beiden Kandidaten werden versuchen, zu Abkommen mit den unterlegenen
KandidatInnen zu gelangen. Ohne Zweifel wird der Grossteil der Stimmen für die Kandidatin
des Partido Conservador (Platz 3) an
Zuluaga gehen. Bei der Alianza Verde werden
das die disziplinierten Stimmen ihres Kandidaten machen, andere werden im Namen
des Friedens Präsident Santos unterstützen. Aber zweifelsohne werden jene, die
leer eingelegt oder Wahlabstinenz geübt haben, den Wahlausgang im Juni
entscheiden.
An einem
Scheideweg steht die Linke, für die es ethisch, moralisch und politisch
UNZULÄSSIG ist, einen der beiden Kandidaten zu unterstützen. Aber gleichzeitig
würde ein Aufruf zur Stimmenthaltung eine indirekte Unterstützung für den
Kandidaten des Kriegs und der Mafia und die schwere Last einer weiteren Kriegsphase
bedeuten. Umgekehrt könnte eine Unterstützung von Santos im Namen des Friedens,
ohne dessen Ehrlichkeit in diesem Prozess einschätzen zu können, einen
politischen Selbstmord bedeuten.
Ein
Ereignis der jüngsten Vergangenheit könnte der Linken als Spiegel dienen: Gustavo Petro unterstützte zwar
Santos, konnte ihm aber keine Stimmen einbringen, und verlor dafür die
Glaubwürdigkeit bei jenen, die ihn in seinem Kampf um die Wiedereinsetzung als
Bürgermeister unterstützt haben (einem Amt, das ihm Santos weggenommen hatte).
Die
Linke wird in klarer Weise die historischen, politischen und realen Gründe
darlegen müssen, die uns hindern, einen der beiden Kandidaten zu unterstützen
und darauf beharren, dass der Frieden ein inhärenter Grund für unser Linkssein
in Kolumbien ist. Und so jeder Kolumbianerin und jedem Kolumbianer die Freiheit
seiner Stimmabgabe zu lassen, denn wie jemand sagte, man hält uns an, zwischen
Pest und Cholera zu wählen.