Ana und die Widersprüche

Donnerstag, 12. Juni 2014



Ana ist eine Compañera, die das ihre zum FMLN-Wahlsieg letzten März beigetragen hat. In ihrer Gegend in der Gemeinde Perulapán, unweit der Hauptstadt gelegen, hat sie dafür gesorgt, dass in ihrem Bekanntenkreis alle, die noch keinen Personalausweis hatten und Frente stimmen würden, diesen bezogen. Ana hat kein Geld für Taxis. Sie suchte die Leute zu Fuss auf und koordinierte sich mit der Parteizentrale für deren Transport ins Ausweiszentrum  meist abends spät, nach der Arbeit und dem Kochen für die noch bei ihr lebende Tochter, oder an ihren Freitagen. Dank ihr gaben am 2. März mehrere Dutzend Menschen mehr ihre Stimme für den Frente ab.  Ana, die Hausangestellte, gehört zu den HeldInnen des cambio in El Salvador, deren Namen „logischerweise“ kaum je bekannt werden.
In Perulapán

Auch nicht in dieser Ehrung, da alle Namen geändert sind. Ich traf Ana nämlich am Tag nach der Amtseinsetzung der neuen Regierung, am 2. Juni, wieder. Sie wohnte jetzt bei ihrer Arbeitsgeberin, grundsätzlich ein unguter Zustand für jede Hausangestellte, in diesem Fall aber dankbar begrüsst. Denn sie war jetzt auf der Flucht. Sie hatte wenige Wochen zuvor unglücklicherweise an der gleichen Bushaltestelle gewartet wie der Mann, den die beiden Jungs auf dem Fahrrad erschossen. Ihr Kleid war blutgetränkt. Sie kannte die Mörder, Nachbarn, und diese kannten sie. Es waren Leute von „Kummer“ von der Mara 18. Der leitete aus dem Gefängnis das rentear, das Renten Besorgen, also die Erpressung von Zahlungen, und die Überfälle, die Morde. Kurz nach dem Mord bekam sie von „Kummer“ die Rechnung für ihre unerwünschte Anwesenheit beim Mord:  $ 80. 80 Dollars! Y cómo?! Die Verhandlungen mit den Jungs von „Kummer“ erbrachten nur eine geringfügige Reduktion der geforderten Summe. Mithilfe solidarischer Nachbarn brachte sie ihre Tochter anderswo unter und floh mit etwas Habe zu ihrer Arbeitsgeberin.
In Guatemala-Stadt habe sie Angehörige, die sie aufnehmen würden. In jenem Quartier gebe es fast keine Maras, dafür sei die pupusa, das typische salvadorianische Maisgericht, ein Verkaufsschlager.  Dort werde sie hingehen, sobald ihre Tochter fest woanders untergebracht sei, für eine Weile, und etwas Geld mit der pupusa machen.  
Wenige Tage später ein Moment der Sorge. Ihre Tochter war verschwunden und Ana aufgebrochen, um sie zu suchen. Nun hatte man auch von ihr keine Spur mehr. Am nächsten Morgen Entwarnung: Die Tochter hatte eine Freundin in einer anderen Gemeinde besucht, ohne Ana oder sonst wen zu benachrichtigen – auch in El Salvador legen Pubertierende Wert auf Unabhängigkeit, Mara hin, Mara her. Und Anas Handy musste natürlich just an diesem Tag seinen Geist aufgeben.
Gestern die frohe Kunde: „Kummer“ war im Gefängnis von einem Mitgefangenen niedergestochen worden und lebte nur noch, weil ihn der Täter für tot gehalten hatte. Zuvor hatte die Polizei mit dem Grossteil der Struktur von „Kummer“ aufgeräumt, einige seiner Subchefs sind von Spezialgerichten schon zu langjährigen Strafen verurteilt worden. Der Rest von „Kummers“ Bande versucht unterzutauchen und zu flüchten. Anas Gesicht leuchtet vor Freude. Heute kehrt sie nach Hause zurück, lebt wieder mit ihrer Tochter, die Gefahr ist vorbei und Guatemala bleibt weit weg. Und der, der „Kummer“ niedergestochen hat? Ah, der „Glanz“, den kennt sie auch, der ist auch von der 18, aber ein Feiner, der die Leute nicht behelligt, im Gegenteil. Er schützt die Comunidad. Und jetzt, mit unserem neuen Präsidenten, kann die Polizei vielleicht endlich wirklich mit den schlimmen Maras aufräumen, si Dios quiere.